"OK, Okay!" (Stanley Kubrick)

Jan Winkelmann

Bei meinem letzten Aufenthalt in New York war ich bei Ultra Violet, eine der vielen Superstars, die Andy Warhol in den 60er und 70er Jahren in seiner Factory um sich scharte, zum Frühstück eingeladen. Meine - neben einem persönlichen Interesse - in Vorbereitung auf einen Vortrag über die Factory zusätzlich gesteigerte Wissbegierde nach Details aus der wilden Zeit in der legendären Factory beantwortete mir der gealterte Superstar abschlägig mit einem Verweis auf ihr 1990 erschienenes Buch "Famous for 15 minutes. My years with Andy Warhol", mit dem alle meine bereits gestellten und noch nicht gestellten Fragen beantwortet würden. Statt dessen begann sie mit einem mich mehr und mehr befremdenden Pathos über die Kraft, Allgegenwart und Macht des Lichtes, die Poesie des Regenbogens und die metaphysischen Dimensionen der 'Materie ohne Materie' zu dozieren. Ich konnte mir kaum vorstellen, dass ihr Anfang der 60er Jahre angenommene Künstlername damals bereits auf einer ganz ähnlichen spirituellen Motivation bzw. Interpretation basierte. Vielmehr ging ich bis zu jenem Tag im Februar eigentlich davon aus, dass es sich dabei einerseits um die Affirmation der damals modischen popkulturellen Erscheinung der Farbe Violett handelte und andererseits um die Sublimierung einer "allgegenwärtigen" Begeisterung für das Licht, wie es sich insbesondere bei den Designern seit Anfang der 60er Jahre in einer Vielzahl neu gestalteter Lampen und Leuchten bzw. darüber hinaus auch in innovativen Farb-Licht-Raumkonzepten niederschlug.

Womöglich ist es also nur meiner Phantasie oder meinem kunsthistorisch geschulten Blick - immer auf der Suche nach Quellen, Einflüssen und Querverweisen - zu schulden, dass sich bei mir ob der eingangs erwähnten Ausführungen leichte Irritationen einstellten. Aber vielleicht ist auf einen zweiten Blick das eine gar nicht so weit entfernt von dem anderen und dem Ganzen liegt doch eine innere Logik zugrunde, der man mit der Umschreibung von einem "veränderten Betrachterstandpunkt" womöglich am ehesten nahekommt. Tobias Rehberger hat mir kürzlich auf die Frage, warum das breite Themenfeld "Licht" in den unterschiedlichsten Repräsentationsformen in seinem Werk eine so große Rolle spielt, geantwortet, dass ihn der "ständige Wechsel von Perspektiven" interessiere. Ihn fasziniere, dass anhand der Erscheinung 'Licht' der Standpunkt des Betrachters als ein dessen 'Blickwinkel' definierender Parameter am anschaulichsten nachvollziehbar wird. Will heissen man wird sich nicht nur seiner Funktion als Wahrnehmender ganz allgemein, sondern auch als ein aus einer bestimmten Richtung Reflektierender bewußt.

Neben diesem, jeder von Rehbergers Arbeiten mit Licht und unterschiedlichen Lichtquellen eingeschriebenen Metatext werden darüber hinausgehend vielfältige Spannungsebenen zwischen funktionalen Aspekten und ästhetischen Qualitäten sichtbar, wie das Licht und die jeweils gestalteten Leuchtkörper auch als Reflexionsmedium für menschliche, soziale und psychische Situationen, Handlungen, Abläufe und Gesetzmäßigkeiten thematisiert werden.

Die Arbeit "Missing Colours I" (1997) könnte als eine Art Bindeglied verstanden werden, auf der einen Seite zwischen dem Licht und seiner Funktion als symbolhaftem Bedeutungsträger, wie es in der europäischen Kunstgeschichte über Jahrhunderte als Verweis auf Jenseitiges, aber auch als Symbol der Erkenntnis höchsten Darstellungswert genoss. Und auf der anderen Seite als einer eher 'irdischen' Verortung im Sinne einer immateriellen Substanz, der ­ im Gegensatz zu Ultra Violets eingangs erwähnten metaphysischen Interpretationsansatz ­ jedoch auch eine durchaus reale Dimension eingeschrieben ist. Licht als ein Material an der Grenze der Materialität, als eine ungreifbare Energie, deren Sichtbarkeit an einen reflektierenden, oder lichtbrechenden Körper gebunden ist, wodurch es nur mittelbar sichtbar und gleichzeitig räumlich wird, ohne selbst materiell und räumlich erfahrbar zu sein. Licht ist ein Empfindungsmedium, das visuelle Wahrnehmung aktiviert und ermöglicht, gleichzeitig aber auch einen sinnlichen Akt darstellt, der emotionale Erfahrungen generiert. In diesem Spannungsfeld ist nun die oben erwähnte Arbeit zu verstehen. An die vier Wände des Ausstellungsraumes wurde ein 36-minütiger Film projiziert, der das gesamte Farbspektrum des Mediums Video wiedergab, wobei die Farben in kaum wahrnehmbarer Geschwindigkeit langsam ineinander übergingen. Sie umgaben den Betrachter in verschiedenen Schattierungen und öffneten somit einen Wahrnehmungsraum für eine fast traumhafte Erfahrung von Farbe. Rehberger kam die Idee für diese Arbeit aufgrund der Behauptung eines Freundes, nicht in Farbe sondern in Schwarzweiß zu träumen. Dies ist ein weit verbreitetes Phänomen, das jedoch lediglich auf der Erinnerung und nicht auf unmittelbarer Wahrnehmung beruht. Gleich einer Kompensation hierfür schuf Rehberger einen realen Farbenrausch-Raum, bei dem der Betrachter mittels eines Lichtschalters und dem damit potentiell zuzuschaltenden, hellen weißen, die subtilen Farbtöne schluckenden Lichts den Wachtraum zu beenden in der Lage war. Das Medium Video war hier nicht mehr als Träger von bildlicher Information eingesetzt, sondern ausschließlich als farbgenerierende Quelle. Die dem Medium an sich inhärenten Qualitäten von Bewegung und Dynamik waren nur durch die langsamen, kaum wahrnehmbaren Veränderungen der Farben präsent. Lediglich wenn man die Augen für ein paar Minuten schloss, wurde der Wechsel der Farbe durch die Differenz des Davor und Danach 'sichtbar', wodurch "Missing Colours I" dem Betrachter über das Seh- und Farberlebnis hinaus eine Möglichkeit bot, sich über die Grenzen der eigenen Wahrnehmung bewußt zu werden.

Weniger auf die eigene Wahrnehmung und die mögliche Wahrnehmung derselben gerichtet, sondern vielmehr performativ und partizipatorisch angelegt ist das Projekt "Günters (wiederbeleuchtet)", das 1997 im Rahmen der "Skulptur Projekte Münster" realisiert wurde. Eine der spektakulärsten Arbeiten und gleichzeitig das erste größere Projekt des Künstlers im öffentlichen Raum war eine, sich mit der Tageszeit und der davon abhängigen Helligkeit und Dunkelheit verändernde Open-air Bar. Das Hörsaalgebäude am Hindenburgplatz "besteht aus einem Sockelgeschoß, das ungefähr ein Drittel der Höhe einnimmt, und einem nahezu völlig verglasten Obergeschoß, welches etwa zwei Drittel der Höhe des Gebäudes ausmacht. Im oberen Teil soll soviel unterschiedlich weißes Licht eingebracht werden, dass der verglaste Teil nach außen leuchtet. Das heißt, dass er Licht nach außen abgibt und nicht nur erleuchtet erscheint. Das ganze Gebäude wird so zu einer riesigen Lampe. Diese Lampe soll die einzige Beleuchtung für eine Bar sein, die auf der großen Terrasse im ersten Stock des Universitätsgebäudes installiert wird. Die Aufbauten folgen formal den dort permanent aufgestellten Betonbänken und sollen so einfach zu verwenden sein, dass sie abends als Bar, Ablage oder DJ-Pult zu benutzen sind. Tagsüber werden die Teile umgelegt und sind als Tische für die Betonbänke nutzbar. Die Terrasse soll zur Definition zusätzlich mit einem roten Gummiboden ausgelegt werden." Soweit die Konzeptbeschreibung des Künstlers.

Mit diesem Projekt wurde von Rehberger Design auf verschiedenen Funktionsebenen eingesetzt: er gestaltete gleichermaßen eine Plattform für kommunikative Prozesse, wie er architektonisches Erlebnissetting inszenierte und Eventdesign produzierte. Das Projekt stellte eine subtile ästhetische Intervention in bestehende soziale Zusammenhänge und architektonische Realitäten dar. Seine Gestaltung basierte auf der Verwendung der vorhandenen städtebaulichen Elemente, die dadurch im Sinne des Künstlers paraphrasiert wurden und einen neuen temporären Zweck generierten. Dabei fand nicht nur die Revitalisierung eines öffentlichen Ortes statt, die Architektur selbst invertierte dabei zum Funktionsgegenstand, wurde zur reinen lichtspendenden Hülle, die die Terrasse beleuchtete und wiederum als Bar zum Ort sozialer Begegnungen und Ereignisse wurde. Tagsüber als Skulptur in einem funktionsästhetischen Ruhezustand, verwandelte sich die Arbeit mit der Dunkelheit in eine Bar mit musikalischem 'Rahmenprogramm'. Damit definierte "Günters (wiederbeleuchtet)" einen öffentlichen Ort im urbanen Gefüge und schuf mit sparsamsten Mitteln die Infrastruktur für eine temporäre und situative Gemeinschaft. Der Ort blieb dabei einerseits nach wie vor architektonisch definiert, wurde darüber hinaus aber zusätzlich zu einem spezifisch codierten, sozialen Handlungsraum, der je nach Tageszeit seinen Zweck, sein Publikum und damit seine soziale Funktion änderte. Indem mit dem Einsatz ästhetischer und funktionaler Mittel eine temporär-situative Kommunikationsplattform entstand, wurde nicht zuletzt die Frage nach der Funktion und der Sozialisierbarkeit von Ästhetik und Design zur Disposition gestellt.

"Günters (wiederbeleuchtet)" ist, von den bereits erörterten inhaltlichen und formalen Implikationen einmal abgesehen, auch ein exemplarisches Beispiel für Rehbergers Umgang mit kulturellen Wertesystemen, hier am Beispiel einer Architektur aus den 50er Jahren, und dem Hinterfragen des Stellenwertes einzelner Repräsentanten eines kulturellen Gefüges im Sinne einer Repositionierung, die sowohl durch eine Aneignung als auch durch eine Verschiebung der ursprünglichen Funktion erreicht wird. Der Künstler stellt damit nicht nur den Stellenwert des Werkes an sich, sondern vor allem auch den tradierten Umgang und die damit verbundene Zuschreibung von kulturellen Werten in Frage. In Rehbergers Oeuvre werden existierende Ordnungen, seien es kulturelle Wertesysteme oder die Gräben zwischen 'High' und 'Low' egalisiert, um sie in ein neues Bezugssystem zu überführen. Er selbst bringt sein Interesse dabei wie folgt auf einen Punkt: "Mir geht es nicht primär um bestimmte Kontexte, in die ich Gegenstände bringe, sondern um die Vielfalt der Beziehungen, in denen etwas gesehen werden kann (...) In diesen ganzen Beziehungen gibt es keine Hierarchie."

Diese Haltung liegt auch den für Rehbergers Arbeiten typischen, auf Kommunikation und Interaktion angelegten Produktionsprozessen zugrunde. Eine in vielfach unterschiedlichen Ausformulierungen immer wiederkehrende Strategie ist dabei das Einbeziehen bzw. die Partizipation anderer Personen bei der Werkgenese. Hierbei werden Fragen nach der Subjektivität und Autonomie des Künstlers zu den unterschiedlichen 'Mitautoren' verlagert. Viele von Rehbergers ästhetischen Entscheidungen gehen - vereinfacht gesagt - auf einen Input von anderen Personen zurück. Freunde und Bekannte, aber auch Fremde und Unbekannte werden im Vorfeld einer Arbeit sehr oft mit, ab und zu aber auch ohne deren Wissen in den Entstehungsprozess eingebunden. Rehberger initialisiert eine kommunikative Situation, die von den jeweiligen involvierten Personen eine gedankliche, meist kreative Leistung einfordert. Diese dienen ihm als Ausgangspunkt für weiterführende konzeptionelle oder spezifische gestalterische Lösungen. Damit wird nicht nur sein persönliches Umfeld und/oder die sozialen Begebenheiten vor Ort eingebunden, vielmehr wird damit auch der Status des Werkes als eine autonome künstlerische Setzung an sich in Frage gestellt. Gleichzeitig entsteht ein assoziatives Bezugssystem, das gegenwärtige und historische Formalismen ebenso einbezieht, wie es Design in seiner historischen und sozialen Dimension repräsentiert. Kunst wird von Rehberger als ein Prinzip verstanden, bei dem der eigene schöpferische Prozess einer Beeinflussung durch fremde, äußere Faktoren ausgesetzt ist. Seine Werke sind zeitgenössische, innovative und personenspezifische Produkte, die jedoch immer über sich selbst hinaus weisen, indem Kunst und Leben als ein nicht-hierarchisches Nebeneinander verstanden wird, das sich in jede Richtung gegenseitig durchdringt und keine klaren Trennlinien mehr aufweist.

Ausgehend von dieser Prämisse wird mit der Arbeit "Montevideo", in Colle Val dElsa, im Jahr 1999 Teil des Landschaftsprojektes "Arte all Arte", eine exemplarische Verknüpfung von mehreren miteinander in Verbindung stehenden Gegensatzpaaren wie Innen- und Außenraum, Helligkeit und Dunkelheit bzw. künstlichem und natürlichem Licht dargestellt. Ein Fußgängertunnel von mehr als 100 Metern Länge wurde mit 123 Hängelampen aus Glas beleuchtet, die Rehberger bei ortsansässigen Glasbläsern in Auftrag gab. Die Lichtstärke wurde über das Internet in Realzeit gesteuert und gab die momentanen Lichtverhältnisse der Stadt Montevideo wieder. Die südamerikanische Sonne wurde in Form von elektrischem Licht wiedergegeben, das Außen im Innen sichtbar und die örtliche Handwerkstradition verschmolz mit der Hochtechnologie Internet zu einem hierarchielosen Nebeneinander von lokalem Bezug und weltumspannender Technik. Diese Antagonismen durchdrangen sich auf anschauliche Weise und ihre wechselseitige Bedingtheit wurde im unmittelbaren Miteinander sichtbar. Indem ein anderes Regel- bzw. Funktionssystem eingeführt wurde, war die Funktionalität der Beleuchtung durch die geografisch bedingte Zeitverschiebung teilweise eingeschränkt, denn die Lampen leuchteten nicht alleine wenn es eigentlich zur Beleuchtung des an sich dunklen Ganges notwendig gewesen wäre, sondern durch eine a priori vom Künstler festgelegte Entscheidung, die sich danach jeglichem individuellen Einfluss entzog.

Einer ähnlichen Funktionsweise liegt Rehbergers Arbeit "................................................................................................................................. (Bindan GmbH & Co.)" aus dem Jahr 2000 zugrunde. Im Rahmen der Ausstellung "ein.räumen"in der Hamburger Kunsthalle wurde im historischen Olympiasaal des Museums das ursprünglich vorhandene Lichtsystem durch weiße mundgeblasene Lampen aus Glas ersetzt. Das An- und Ausschalten der amorphen Glaskugeln lag jedoch nicht mehr im Einflußbereich des Museums, sondern wurde über den Lichtschalter in einem Besprechungszimmer der im Titel der Arbeit genannten Firma geregelt, deren Bürogebäude auf der gegenüberliegenden Straßenseite liegt und in direktem Blick aus dem Fenster des Olympiasaals eingesehen werden konnte. Die Lichtregie wurde dem Museum entzogen. Die Lampen leuchteten nicht, wenn es für die Beleuchtung der im Raum präsentierten Kunstwerke notwendig war. Vielmehr wurde es – mehr oder weniger – dem Zufall in Form der Aktivitäten im Konferenzraum der Firma Bindan überlassen, wann man als Besucher der Ausstellung in den Genuss der eigentlich notwendigen Beleuchtung der ausgestellten Gemälde und Skulpturen kam. Rehbergers Projekt verschränkte hier höchst anschaulich die beiden ansonsten auch in unmittelbarer Abhängigkeit stehenden gesellschaftlichen Bereiche Ökonomie und Kultur. Dies geschah jedoch nicht auf der üblichen, diese Beziehung hauptsächlich prägenden Funktionsebene 'Geld', vielmehr wurde die Entscheidung über einen ansonsten marginalen technischen Ablauf der direkten Einflussnahme durch das Museum entzogen und nach außen verlagert, wobei hierdurch wiederum auf bildhafte Weise die herrschenden Machtverhältnisse in dem Geflecht von ökonomischen und kulturellen Realitäten dargestellt wurde.

Im Sinne einer Gesamtkomposition, die die unterschiedlichen Erscheinungsformen und Materialisierungen von Licht, Lampen und Beleuchtung in Rehbergers Werk vereint und anhand exemplarischer Arbeiten repräsentiert, ist seine Ausstellung "The Secrect Bulb in Barry L." zu verstehen, die im Herbst 1999 in der Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig zu sehen war.

Bereits der Titel verweist auf den sensiblen menschlichen Wahrnehmungsmechanismus gegenüber dem Licht bzw. den durch es hervorgerufene Stimmungen. "The Secret Bulb in Barry L." zitiert und referiert auf Stanley Kubricks Film "Barry Lyndon" (1973-75), der nur mit Kerzen und gänzlich ohne elektrisches Licht ausgeleuchtet wurde. Kubrick bezieht sich wiederum auf den expressionistischen Film, vornehmlich von Friedrich Wilhelm Murnau und Fritz Lang und den für beide Regisseure typischen Einsatz von speziellen Lichteffekten, um mit spannungsvollen Licht- und Schattenspielen mystische Atmosphären zu schaffen. Über diese zweifache Verweisebene hinaus kündigt der Titel gleichzeitig auf poetische und hintergründige Art das Thema der Ausstellung an. Indem er jedoch die Mutmaßung zur Disposition stellt, in Kubricks Film wären doch im verborgenen Glühbirnen und damit elektrisches Licht zum Einsatz gekommen, wird gleichzeitig auf ironische Weise einer Demythifizierung des Filmes augenzwinkernd Vorschub geleistet.

Im ersten Raum der Ausstellung spannte sich vor einer Wand mit fünf Fenstern über die Länge von 13 Metern ein bunter Vorhang. Der ansonsten völlig leere Raum wurde durch den Stoff ein wenig abgedunkelt, wodurch jedoch gleichzeitig subtile Farbspiele im Raum entstanden, da die Farben des Stoffes durch das über die Fenster einfallende Licht entmaterialisiert und in Form farbiger Lichtreflexe auf Wänden, Decke und Boden des Raumes sichtbar wurden. "Stockholm. Summer" (1999) ist eine Hommage an den schwedischen Neokonstruktivisten Olle Bærtling, der zu einem der herausragenden Vertreter Schwedens im Bereich der abstrakten Kunst zählt. Kennzeichnend für Bærtlings Werk sind Dreiecksflächen mit sehr oft spitzen und gelegentlich auch offenen Winkeln, die seinen Bildern eine außerordentlich dynamische Wirkung einschreibt. Diese formale Anlage wird durch den Gebrauch von schrillen Farben und starken Kontrasten auf der Ebene der Farbe zusätzlich verstärkt. Rehberger bezieht sich in seinem Entwurf auf einen Vorhang, den Bærtling 1974 für das Kulturhuset in Stockholm schuf. Dort verhüllt er auf einer Länge von mehr als 50 Metern und mit einer Höhe von fast fünf Metern die Glasfenster des Vortragssaales, um diesen gänzlich in ein Licht von Violett und Hellblau zu tauchen. Rehbergers Umsetzung von Bærtlings Design scheint diesen in Dynamik und Kontrast übertreffen zu wollen. Mit schmaleren Dreiecksflächen kleinteiliger wirkend und in der Farbgebung auf die Komplementärkontraste violett-gelb, blau-orange und rot-grün reduziert, entsteht eine unruhigere Wirkung des farbigen Raumbildes. Im Grunde genommen eignet sich Rehberger, die bei Bærtling eigentlich als Umsetzung seiner Gemälde in die Gestaltung eines Vorhangs übertragene Kompositions- und Farbprinzipien an, um sie als Design für seinen Vorhang und damit als Grundlage für die Lichtmodulation des Raumes zu nutzen. Die damit verbundene künstlich geschaffene Licht- bzw. Farbstimmung wird als eine artifizielle Konstruktion wahrnehmbar. Dies war insbesondere anhand eines der Fenster deutlich, bei dem das einfallende Licht offensichtlich heller schien, als bei den anderen. Hier war, mittels eines Tageslichtscheinwerfers, die Sonnenintensität des schwedischen Sommers von Mitte Mai bis Ende Juni in Stockholm wiedergegeben. Dies stellte nicht nur den unmittelbaren Bezug zum topographischen Ort der Referenz her, vielmehr ermöglichte es in der unmittelbaren Differenz eine Wahrnehmung der vor Ort herrschenden Lichtverhältnisse. Der von Rehberger in der Aneignung der Gestaltungsprinzipien von Bærtling bereits geleistete 'kulturelle' Transfer wurde durch einen meteorologischen sinnfällig erweitert. Obgleich jedes der beiden Referenzsysteme für sich wahrnehmbar war, ergab sich in der Kombination beider ein Wechselspiel von natürlichen und künstl(er)ischen Konstanten, die das eine in Abhängigkeit des anderen und in ihrer wechselseitigen Durchdringung darstellte.

Im folgenden Raum waren mehrere Arbeiten aus der "I'd really love to"-Serie in unmittelbarer Nähe zueinander präsentiert. Diese Werkreihe entstand 1997 und wird in unregelmäßigen Abständen weiter fortgeführt. Ausgangspunkt für die einzelnen Arbeiten der Serie ist die Frage nach den sehnlichsten irdischen, realisierbaren Wünschen, die Rehberger verschiedenen Personen stellt. Von deren Antworten ausgehend entwirft und entwickelt der Künstler Skulpturen und Objekte, die als eine Art materialisierte 'Wunschprothese' eine erste Stufe zur Verwirklichung der jeweiligen Träume darstellen und damit gleichzeitig das Warten auf die Erfüllung erträglicher machen sollen. So entwarf Rehberger mit "I'd r. l. t. (Pearls)" (1998) auf den Wunsch nach einer Perlenkette mit riesigen Perlen einen Ankleidetisch, der aus billigen Pressspanplatten gefertigt, jedoch mit einem sehr aufwendigen Nussbaumfurnier veredelt, von einer roten länglich-flaschenförmigen Deckenlampe beleuchtet wurde. Der Kinderwunsch einer Frau wurde mit einem pastellfarbenen Wickeltisch und einer mit Schafsfell ausgelegten Wiege beantwortet - "I'd r. l. t. (Seraphina)" (1998). Dieses Ensemble war von einer Hängelampe aus Milchglas beleuchtet, die an einen Mond erinnernd sinnfällig das Kinderzimmer-Arrangement komplettierte. Der von einem Schloss an der Loire oder einem Castello in der Toskana Träumende darf die Zeit bis zur Realisierung seines Wunsches mit einem futuristisch anmutenden Kronleuchter und einem überdimensionierten Entwurf für einen Teppich überbrücken, der auf die Vollendung in Form eines nach dem Schema 'Malen nach Zahlen' zu bewerkstelligenden Knüpfens wartet - "I'd r. l. t. (Palace)" (1999). Für die modebegeisterte Dame und ihren Wunsch nach einem wöchentlich für sie neu zu entwerfenden Haute Couture-Kleid gestaltete der Künstler einen Kleiderschrank "I'd r. l. t. (Clothes)" (1999), der nur für ein einziges Kleid Platz bietet.

Rehberger entwickelte hier personenspezifische Lösungen, die in der Individualität der ihr zugrunde liegenden Wunschvorstellungen gleichzeitig über diese speziellen formalen Gestaltungen hinauswiesen. Die imaginative Kraft von Wunschvorstellungen, ihr psychologisch-kreatives Potential und ihre oftmals ambivalente Rolle als 'Ziel' und Wirklichkeitsflucht bzw. -ersatz sind das wesentliche, dieser Werkgruppe zugrunde liegende Thema. Die einzelnen Lampen und Beleuchtungselemente waren integrale Bestandteile der Arbeiten, wobei sie zwischen Objekt und Design oszillierten und zwischen den unterschiedlichen Stadien vom autonomen Kunstwerk einerseits und angewandter Gestaltung andererseits changierten. 'High' und 'Low' standen sich gleich berechtigt gegenüber und gingen oftmals ungewöhnliche und interessante Verbindungen ein. Nicht zuletzt ergab sich in der Gesamtinszenierung der hier gezeigten Arbeiten die Anmutung eines möblierten Wohnraums und damit eine Referenz an die ursprüngliche Funktion der Galerie für Zeitgenössische Kunst als einer ehemals bewohnten großbürgerlichen Villa, wenngleich diese durch die Fülle und die zum Teil überdimensionierten Arbeiten wiederum ironisch gebrochen wurde.

Im nächste Raum war mit "Ohne Titel" (1998) eine Gemeinschaftsarbeit von Tobias Rehberger und Olafur Eliasson zu sehen. Eine von Rehberger entworfene Kugellampe wurde mit drei verschiedenfarbigen Scheinwerfern so beleuchtet, dass auf der Wand drei bunte Schatten entstanden. Die Erklärung hierfür war so einfach, wie das Ergebnis verblüffend: Durch das Überlagern von rotem, gelbem und blauem Licht entsteht wiederum weißes Licht. Dort, wo die Lampe als Materie eine der Farben 'wegnahm', entstanden an der Wand die farbigen Schatten. In dieser Zusammenarbeit treffen zwei unterschiedliche Konzepte von Licht als Werkstoff und der Lampe, die als gestaltetes Objekt eine Art 'domestizierte' Lichtquelle darstellt, aufeinander. Im Werk von Olafur Eliasson kommt dem Licht als Arbeitsmaterial, mit dem der Künstler verblüffend einfache und ebenso hintergründige Wahrnehmungsphänomene visualisiert, eine tragende Rolle zu. Dabei liegen die Funktionsteile und -abläufe für den Betrachter offen und bleiben so für diesen stets nachvollziehbar. Es gibt kein Geheimnis um die erzeugten Effekte und trotzdem ist es gerade der Bruch von rational nachvollziehbarer Wirkungsweise und fesselnder Aura des Resultats an sich, in der die Faszination für Eliassons Arbeiten gründet. So auch in diesem Falle, das an eine Art wissenschaftliches Experiment erinnerte und gleichzeitig eine höchst sinnliche, fast poetische Dimension eröffnete. Rehbergers Anteil bei dieser Kooperation basierte dabei weniger auf der physischen Erscheinung des Lichts und seiner Qualitäten. Die von ihm entworfene Lampe ist vielmehr Modell, als dass sie als Leuchte 'funktioniert'. Aus massivem Holz gedrechselt und lediglich an der Unterseite mit einer lichtspendenden Öffnung versehen, hing sie in einer ungewöhnlich niedrigen Höhe, kurz über dem Boden, wodurch ihre Funktion zusätzlich eingeschränkt und auf ein Minimum reduziert war. In ihrer Kugelform rekurriert sie auf das Design der 60er Jahre, wohingegen die Anmutung des Materials Holz an die 50er Jahre erinnern lässt. Gleich einem Hybrid aus diesen beiden Design-Ären, die unterschiedlicher nicht sein konnten, wurde exemplarisch vorgeführt, wie sich die Funktion der Gestaltung unterordnete und dadurch das modernistische Paradigma "form follows function" vom Kopf auf die Füße gestellt wurde. Rehbergers Lampe ist als eine Art Prototyp zu verstehen, bei der der gestalterische wie der funktionale 'Wert' auf ein Minimum reduziert ist.

"Most beautiful" (1999) stand der vorherigen Arbeit wahrnehmungsphänomenologisch und designtheoretisch kontrapunktisch gegenüber. In einem Neo-Rokoko-Raum hingen in unterschiedlicher Höhe neun verschiedene weiße Plastiklampen des amerikanischen Designers George Nelson aus den 60er Jahren. Einem Lampengeschwader gleich muteten sie wie fliegende weiße Ufos an oder wie überdimensinionierte leuchtende Schneebälle, die fast den gesamten Raum einnahmen. In ihrer Schlichtheit verkörperten die Design-Klassiker, ein Ideal zeitloser Schönheit. Als Objekte besetzten sie den Raum, beleuchteten aber gleichzeitig ein am Boden liegendes, zerknülltes Blatt Papier, das auf den ersten Blick nicht im Zusammenhang mit den Lampen zu stehen schien, sondern vielmehr wie beiläufig hingeworfen oder unachtsam verloren wirkte. Nur fragmentarisch waren die maschinen geschriebenen Sätze zu entziffern. Offensichtlich handelte es sich um die Beschreibung einer Frau. Genau genommen war es die akribisch genau verbalisierte Darstellung eines Schönheitsideals bzw. die Wunschvorstellung von einer Frau, verfasst von einer unbekannten Person. Die Detailgenauigkeit der physiognomischen Beschreibung evozierte im Kopf des Lesers eine bildliche Vorstellung, die dann in einem zweiten Schritt mit dem eigenen Idealbild abgeglichen wurde. Ähnlich wie bei den Arbeiten der "I'd r. l. t."-Serie wurden hier imaginative Projektionen beispielhaft materialisiert bzw. der Betrachter auf seine eigene Phantasie als immaterielle, bisweilen irreale aber dennoch existente Kraft verwiesen.

Im letzten Raum der Ausstellung waren drei Arbeiten aus der Standard Rad Ltd.-Serie (1999) zu sehen. Standard Rad Ltd. ist der Name einer Designagentur mit Sitz in Berlin und Frankfurt. Rehberger hatte im Auftrag von Standard Rad Ltd. für deren Büroräume einen Empfangsbereich und den Konferenzraum gestaltet. Diese Möbelentwürfe waren von ihm jedoch letztlich nicht zur Realisierung vorgesehen. Vielmehr dienten sie dem Künstler als Ausgangspunkt und Grundlage einer Arbeit, die psychologisch existentielle Gefühlszustände und Befindlichkeiten thematisierte. Rehbergers Entwürfe fungierten als 1:1 Modelle, die in billigem Rohspan ausgeführt und mit einfacher Dispersionsfarbe gestrichen waren. Ähnlich der zuvor beschriebenen Kugellampe war ihnen ihre Funktion rein formal zwar eingeschrieben und erkennbar, jedoch ist ihre Funktionalität in der von Rehberger gestalteten Ausführung nicht wirklich gegeben. So ist z.B. der Besprechungstisch, offensichtlich auf japanischen Einflüssen basierend, mit Tischfläche und Sitzfläche der Hocker in Bodennähe für längere Sitzungen ungeeignet oder sagen wir, zumindest gewöhnungsbedürftig. Der Empfangscounter mit einer Blende, hinter der die Empfangsdame gänzlich verschwindet ist als solches nicht wirklich zweckmäßig und die Sitzbank mit relativ kurzer Sitzfläche spricht ebenfalls keine ausgesprochen user-freundliche Designsprache. Diese Brüche zwischen Form und Funktion bzw. die Nachordnung des zweiten über das erstgenannte scheint auch hier eine zentrale Rolle zu spielen, obgleich aus den oben genannten Gründen nicht wirklich von einer die Funktion dominierenden Gestaltung die Rede sein kann. Über ihren Gebrauchswert hinaus waren die Möbel gleichzeitig Container für Fernsehmonitore, die von den Rückseiten der einzelnen Möbelstücke die Wände des Raums mit flimmerndem Schein beleuchteten. Auf den nicht einsehbaren Monitoren waren Filme zu 'sehen', die von den Mitarbeitern der Agentur als ihre "traumatischsten Kinoerfahrung" genannt wurden. Jeder hat ein solches Erlebnis, das ganz ähnlich wie die Träume in den "Wunsch-Arbeiten" eine Art universelles 'psychologisches Basic' darstellt, zu der jeder einen eigenen höchst subjektiven Erfahrungs- bzw. Erlebnishorizont hat. Im Falle der hier gezeigten Filme handelte es sich mit "A Man Called Horse", "Invasion of the Body Snatchers", "Soldier Blue" und "The Incredible Shrinking Man" nicht wirklich um Klassiker des Horror-Genres. Die Ästhetik der Möbelstücke trat mit dem Horror, der in den einzelnen Filmen anklingt, aber nicht unmittelbar sichtbar war und sich nur ansatzweise im geheimnisvoll flimmernden Leuchten der Bildschirme vermittelte, in ein vielschichtiges Wechselspiel.

Im Überblick und der Gesamtschau wird deutlich, dass sowohl mit der Vielfältigkeit der in der Ausstellung präsenten Erscheinungen von Licht (als blendendes, gedämpftes, grelles, helles, schwaches, strahlendes Licht, als Schatten und Reflexion, in Form von buntem aber auch farblosem, weißen Licht) wie auch mit den unterschiedlichen Quellen von natürlichem und künstlichem Licht: Tages- bzw. Sonnenlicht, Halogenlicht, Glühbirnen, das Leuchten der Monitore und das im Ausstellungstitel mittelbar anklingende Kerzenlicht die wesentlichen Repräsentationsformen von Licht und seiner Erscheinung zu sehen waren. Selbst das magisch wirkende Schwarzlicht, das selbst nur in Form von einer violetten zwielichtigen Aura rund um den jeweiligen Leuchtkörper zu sehen ist und die Eigenschaft hat, weiße und fluoreszierende Farben zum Leuchten zu bringen, war in Form einer als Edition zur Ausstellung erhältlichen "Schwarzlichtleselampe" präsent.

Neben dieser nahezu vollständigen Präsenz der unterschiedlichen Formen von Licht wurde in "The Secrect Bulb in Barry L." durch die vielfältigen, den einzelnen Arbeiten und Projekten zugrundeliegenden Strategien und Verfahrensweisen ein umfassender Einblick in das künstlerische Schaffen Tobias Rehbergers gegeben.

Dieser Einblick wurde im Verband mit den zwei anderen Ausstellungen der Ausstellungsreihe, im Westfälischen Kunstverein in Münster und im Frac Nord - Pas de Calais in Dunkerque zu einem repräsentativen Überblick. Dieser Tournee lag die Idee zugrunde, dass an den drei Orten jeweils unterschiedliche Werkkomplexe gezeigt und anhand der jeweils ausgestellten Arbeiten die verschiedenen Ansätze, Strategien und künstlerischen Vorgehensweisen in Rehbergers Oeuvre exemplarisch dargestellt werden, um in der gemeinsam herausgegebenen Publikation in der Gesamtschau eine Art retrospektive Sicht auf das Werk Tobias Rehbergers zu ergeben.

Veröffentlicht in: apples and pears, Ausst. Kat. Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig, Frac Nord - Pas de Calais, Westfälischer Kunstverein Münster, 2001

© 2001 Jan Winkelmann

Französische Version

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