Oh JA Oh Ja

Winkelmann

Als ich völlig nackt im Kasseler Kunstverein auf einem futuristisch anmutenden Solarium liege, das ob seines stromlinienförmigen Designs und er es umgebenden schwarzlichtblau leuchtenden Korona aussieht, als ob ein wendiges Raumschiff der Star-Wars-Flotte zu nah an der Sonne vorbeigeflogen wäre und nun highly-energized seine Kreise durch die Weiten dieser und der benachbarten Milchstraßen zieht, fällt mir ein, daß ich schon wieder, d.h. einmal mehr als eine Art Protagonist in einem Werk von Westerwinter eine tragende Rolle spiele. Nicht daß ich mich beklagen möchte, immerhin geschieht dies mit meinem Einverständnis, will heißen im vollen Bewußtsein meiner geistigen und körperlichen Kräfte. Das war allerdings nicht immer so, sagen wir „fast nicht“ so. Denn beim ersten Mal büßte ich einen gewaltigen Teil zumindest meiner geistigen und teilweise auch meiner körperlichen Fähigkeiten ein. Westerwinter hat als Beitrag zu der von mir 1994 organisierten Ausstellung „fast nichts/almost invisible“ – einer, wie der Titel nahelegt, nahezu unsichtbaren Ausstellung in einem alten Umspannwerk in Singen am Bodensee– uns beiden den Genuß einer Flasche Jack Daniels verordnet. Keineswegs hatte ich mir zuvor ausgemalt, welche Ausmaße dieses Projekt annehmen könnte, aber einmal „Ja“ gesagt, hatte ich keine andere Wahl, als es bis zum Ende durchzuführen. Westerwinter wich mir während der Vernissage keinen Schritt von der Seite. Aus ihrer roten Lacklederhandtasche zog sie in unregelmäßigen aber nicht weniger häufigen Abständen eine Flasche Whiskey der besagten Marke und bot mir daraus immer wieder einen Schluck an, um sich diesen sodann in gleicher Intensität selbst auch zuzuführen. Sie ahnen es bereits, der Abend hatte fatale Folgen, sowohl für mich als auch für die Künstlerin selbst. Westerwinter beichtete mir nach der beiderseitigen Einnahme von unzähligen Kopfschmerztabletten am nächsten Morgen, daß sie sich wohl noch nie zuvor derart in eine Arbeit eingebracht habe. Dies galt ebenfalls für mich.

Warum ich Ihnen das in dieser Ausführlichkeit erzähle? Zweifelsohne zählt diese Arbeit zu einer der Schlüsselwerke in Westerwinters Oeuvre. Zwei wichtige in ihrem Werk bisher von einander unabhängig existierende Strategien werden hier zum ersten Mal miteinander verknüpft. Zum einen ist dies die in den „I love ...“-Arbeiten anklingende Instrumentalisierung von Entscheidungsträgern im Kunstbetrieb, wie Kuratoren, Sammler oder Galeristen. Ohne deren Zustimmung wurden diese zu einem Teil des Werkes und gleichzeitig zum Werkzeug der Künstlerin. Ihre Liebeserklärung dient nämlich nicht alleine dem selbstlosen Geständnis einer Gefühlsanwandlung, sondern trägt ihre strategische Funktionalisierung in der Multiplikation offen zur Schau. Die zweite „Komponente“ ist die des performativen Aspektes, der potentiellen Einbindung des Betrachters als entscheidendes und handelndes Subjekt. Eine Art Vorläufer hierfür und mittlerweile ein eigenständiger Werkkomplex sind die „Namensaquarelle“. Das traditionelle Sujet des Auftragsporträts erlebt hier seine zeitgemäße Renaissance in klassischer Technik. Der Slogan: „Name gemäß Auftrag – Farbe nach Wunsch“ impliziert für den Auftraggeber zwei Möglichkeiten der Einflußnahme auf den Inhalt und die Form der Arbeit. Hat man seine Wahl aus 110 Farbtönen einmal getroffen, bleibt nur noch die Entscheidung für den abzubildenden Namen. In meinem Falle leuchtet dann WINKELMANN in weißen, kursiven Helvetica-Lettern in einem Meer von monochromem Delftblau, das wiederum ein von der Künstlerin beim Malprozeß nicht zu beeinflussendes Eigenleben entwickelt. Dem eigenen Namen wird durch die ihn umgebende Farbe die Aura eines Werbelogos zuteil. Erweitert wurde diese performative Strategie in der Arbeit „4 Möglichkeiten involviert“ (1996) bei ihrer Einzelausstellung in der Galerie Otto Schweins in Köln. Die Besucher der Galerie konnten sich zwischen vier angebotenen Möglichkeiten entscheiden: entweder für einen heißen Tee, eine warme Jacke, einen Witz oder einen Schluck Wodka. Jede dieser Optionen bot ein probates Mittel, die Körpertemperatur des Besuchers, im einen oder anderen Falle allerdings nur unmerklich, zu erhöhen. Diese unmittelbaren, direkten Auswirkungen von Kunst auf ihre Betrachter sind ein immer wiederkehrendes und facettenreiches Moment in Westerwinters Arbeiten. Sie spielen mit den oftmals undifferenziert an die zeitgenössische Kunst herangetragenen Erwartungshaltungen. „Du willst etwas von der Kunst haben, hier bekommst du es“ klärt Westerwinter den Benutzer des Solariums auf. Selbst dem Nachdenk-Unwilligen bietet sie mit einem Hauch von künstlicher Bräune gleich etwas zum Mitnehmen. Und wenn er nichts verstanden hat, so ist doch er wenigstens gebräunt. Liebe geht durch den Magen und Kunst muß unter die Haut. Willst Du den Geist erreichen, mußt Du zuerst durch den Körper. Hierbei gleichen sich die Effekte des Solariums und der Vier-Möglichkeiten-sich-zu-Erwärmen, sie sind, wenn überhaupt, nur ganz leicht wahrnehmbar. Ihre Haltbarkeit ist gleich Null, und doch ist ihre Präsenz für den Augenblick unmittelbar spürbar.

Ganz anders bei den JA-Tattoos, denn hier setzt Westerwinter die Bereitschaft, sich mit langfristigen Konsequenzen auf ein Werk einzulassen, voraus. Als ein Work-in-progress wurde es an bereits vielen Orten mit ähnlichen Erfolgen realisiert. Der Besucher hat die Möglichkeit, sich für ein kostenloses Ja-Tattoo zu entscheiden und dieses an Ort und Stelle von einem professionellen Tätowierer ausführen zu lassen. Nichts besonderes, denken Sie? Wo doch mittlerweile jeder zweite Körper mit Tattoos und glänzendem Metall an allen möglichen und unmöglichen Stellen verziert ist. Als ein Ausdruck von Individualität und Unangepaßtsein waren Tätowierungen, bevor der Körperkult im Zuge der Techno- und Rave-Kultur seine hedonistischen Blüten trieb, nur eine Sache von wenigen. Von der Künstlerin bekommen Sie nun ein gleichförmiges und konfektioniertes Tattoo mit der frohen und eindeutigen Botschaft: JA. Und das schönste daran, es ist für die Ewigkeit und kostet keinen Pfennig. Oder Sie probieren erst einmal mit den als Flyern für das Ja-Tattoo-Studio werbenden Klebetattoos, wie man sie aus Jugendzeitschriften und aus dem Kaugummi-Automaten kennt, um dann zu entscheiden, ob der Unterarm, der Hals oder der Po sich am besten eignet für Westerwinters Optimismus-Optimizer. Sagen Sie einfach Ja zum JA. Sie werden es nicht bereuen, der Schmerz beim Stechen garantiert Ihnen für einen kurzen Moment die reale Erfahrung Ihrer selbst. Mit meinem JA neben dem Knöchel des rechten Beines scheine ich das oben erwähnte „persönliche Einbringen“ noch übertroffen zu haben. Wie ein Stempel haftet das JA, nur daß es sich eben nicht wegwaschen läßt ... ein Leben lang. Der Gedanke, daß es mit mir noch zahlreiche andere Menschen, zwar nicht am gleichen Ort, so doch in der gleichen Form tragen, ist gleichzeitig beruhigend und irritierend. Wo doch eigentlich jedes Tattoo in der Berufsethik der Tattoo-Artisten als ein Kunstwerk gilt und ihm somit der Nimbus der Einzigartigkeit anhaftet. Aber gerade diese Ambivalenz macht viele Arbeiten Westerwinters aus. Auch, daß sie in erster Linie auf Oberflächen zu zielen scheinen. So wie die Silikonlappen zur „Herstellung von möglicherweise verdammte Drecksau“. Wer ist eine Drecksau? Und warum? Wie kommt die Künstlerin dazu, ein solches Schimpfwort im Titel einer ganzen Werkreihe zu verankern? Wo sie doch durch dessen inflationären Gebrauch seine Schärfe gleich wieder zu nehmen scheint. Wir dürfen nicht vergessen, Westerwinter ist in erster Linie Bildhauerin und als solche bearbeitet sie Material, sei es – im Falle der Silikonlappen – durch identisches Abformen von bestehenden Oberflächen, durch die Verzierung einer lebenden Oberfläche mit einem labelhaftem JA-Logo oder durch die „All-over“-Verschönerung im Sinne einer künstlichen Bräune. Diese ist letzten Endes aber nichts anderes als eine ebenso standardisierte Form der Oberflächenveredelung wie sie auch bei den Karo-Muster-Arbeiten aus der Werkreihe „Erziehung durch Dekoration“ vorkommen. In gewisser Weise enttarnt Westerwinter damit die omnipräsente Sehnsucht nach Verschönerung durch Standardisierung. Und hierbei bleibt es gleich, ob es sich um mondäne Körperbräune, um ein nonkonformistisches Tattoo oder um die Heimeligkeit suggerierende Spießigkeit eines roten Karomusters handelt. In diesem Sinne dürfen wir auch die unzähligen Polizisten verstehen, die in ihrer uniformierten Präsenz bei der Eröffnung ihrer Einzelausstellung im Kasseler Kunstverein nicht nur ein mehrfach auftretendes standardisiertes Schmuckelement darstellten, sondern gleichzeitig auch die Frage aufkommen ließ, was denn der Grund für ihre Anwesenheit sein möge. Gerade aber diese Frage entlarvt ein weiteres Mal den Kunstkonsumenten, der in jeder künstlerischen Handlung ein absichtsvolles Tun wittert. Zurecht, meine ich! Aber in eine andere Richtung absichtsvoll gezielt gerichtet, denn es ging hier erneut um ein Infragestellen und Untergraben von Erwartungshaltungen. Womöglich wäre Verunsicherung der richtige Ausdruck. Denn wer wird nicht nervös, in der Anwesenheit einer solchen Zahl von staatlich beauftragten und berufenen Ordnungshütern.

Zwar weniger sichtbar, aber deshalb nicht weniger präsent sind Westerwinters Geruchsarbeiten. So z.B. „nie nie sagen“, im Rahmen der Ausstellung ONTOM in der Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig im Mai 1998. Bereits an der Eingangstür empfing den Besucher ein angenehmer Kaffee-Duft, der zunächst nicht notwendigerweise als zur Ausstellung gehörend wahrgenommen wurde. Es hätte ja sein können, daß sich ganz in der Nähe der Kasse das obligate Museums-Café befindet. Doch gab es weder ein Café, noch Kaffee. Der Duft bot eine reale olfaktorische Erfahrung, blieb letztlich aber doch irreal, nicht zuletzt weil er synthetisch hergestellt ist. Keine chemische Keule, wesentlich subtiler: die von Zerstäubern verbreitete Duftflüssigkeit zersetzt etwaige vorhandene (unangenehme) Geruchsmoleküle und ersetzt sie durch den vorgegebenen, konfektionierten Duft (laut Hersteller für Mensch und Tier unschädlich). Bereits Duchamp begeisterte das intensiv würzige Aroma von Kaffee (in der berühmten Surrealisten-Ausstellung „Exposition Internationale du Surréalisme“, 1938 in Paris, wurde auf einem Ofen Kaffeebohnen geröstet): das realste und alltäglichste Moment in der Ausstellung empfand er als besonders surreal, weil es für ihn das Artifizielle der vorhandenen Atmosphäre innerhalb der Ausstellung zusätzlich verstärkte. „Nie nie sagen“ verharrt ebenso im Ambivalenten. Zuerst positiv stimulierend wurde der Geruch durch seine Penetranz fast unangenehm. Die positiven Eigenschaften des beliebten Fitmachers und Kommunikationsstifters (ganz im Sinne der allseits bekannten Verwöhn-Aroma-Heile-Welt-Stilisierung) hat er ja nur, wenn man ihn in Maßen genießt. Überdosiert macht Kaffee nervös, ist streßfördernd und kann bisweilen durchaus gesundheitsschädliche Auswirkungen haben. Auch hier: eine leichte Einflußnahme auf das Gemüt des Betrachters, die ebenso wie die anderen, bereits beschriebenen leichten Irritationen im Falle einer Überdosierung unangenehme Folgen haben können: ein mögliches Verbrennen der Haut ebenso wie der übermäßige Genuß von Wodka. In diesen Arbeiten ist also das Umkippen von Gut zu Böse, im Sinne des Wandels von konstruktiven Eigenschaften zu destruktiven Wirkungen, von vornherein mit angelegt. Es war eben noch nie alles gut, was den Anschein hatte gut zu sein. In diesem Sinne übereignet Westerwinter dem Betrachter die Verantwortung nicht nur für dessen Tun, das hat er sowieso, sondern vor allem für sein körperliches und geistiges Involviertsein mit den Werken selbst. Denken Sie nicht, daß dies eine pädagogische Attitüde der Künstlerin wäre, denn es geht hier nicht in erster Linie darum, dem Betrachter seiner Pflicht als Rezipient gewahr werden zu lassen. Vielmehr tragen alle Werke Westerwinters die Akzeptanz des Scheiterns in sich, wie jede individuelle Entscheidung ein Potential des Mißlingens impliziert, aber gerade das macht das Leben ja so spannend.

in englischer und französischer Sprache veröffentlicht in: Documents sur l'art, No. 12, Oktober 1999

© 1999 Jan Winkelmann

Englische Version

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