Kunst ohne Eigenschaften

Jan Winkelmann

Heimo Zobernigs Kunst ist gekennzeichnet von einer emotionslosen und formal wie ästhetisch extrem reduzierten Ökonomie. Was sich so herrlich unkünstlerisch und beiläufig lakonisch präsentiert, sind in Wirklichkeit extrem durchdachte, sehr präzise Eingriffe in das Kontextsystem Kunst. Dabei sind es die äußeren und inneren Rahmenbedingungen, das Wesen der Kunst selbst, die ihm als „Trefferfläche“ dienen. Dieser auf den ersten Blick sehr reduziert anmutende Themenbereich erweist sich als erstaunlich komplex, wie das umfassende Werk des 1958 in Mauthen geborenen Österreichers beweist. Zobernig weiß mit sicherer Hand das gesamte Spektrum künstlerischer Ausdrucksformen für seine Interventionen zu nutzen. Ob Malerei, Skulptur, Architektur, Installation oder Video, stets wählt er mit sicherem Gespür – oder besser mit analytischer Strenge – das am besten geeignete Medium.

Ursprünglich aus dem Kreise des Wiener Neo-Geo kommend – erwähnt seien hier als maßgebliche Protagonisten der gegen den Wiener Aktionismus aufbegehrenden konzeptuell-geometrischen Malerei vor allem Gerwald Rockenschaub, Ernst Caramelle und Peter Kogler – gehört Zobernig heute zu den profiliertesten Künstlern der Austrian Connection.

Will man Zobernigs Oeuvre auf einen Punkt bringen, fällt es schwer, sich auf nur einen Punkt zu reduzieren. Zu vielfältig sind die Bereiche, die ihn interessieren. Als die zentralen, weil immer wiederkehrende Themen könnte man RAUM, KUNST, FARBE, TEXT, MODERN nennen, wie es auch auf dem Plakat zu seiner ersten musealen Einzelpräsentation in Deutschland im Frühjahr des letzten Jahres in der Esslinger Villa Merkel zu lesen war. Das Wort „Modern“ scheint von Modernismus, oder Moderne abgeleitet und reflektiert eine unbändige Lust Zobernigs, den Fortschrittsglauben der Moderne immer wieder zu torpedieren und mit subversivem Schalk zu ironisieren.

Rein formal geht Zobernig immer gleich vor: das Objekt – Rainer Metzger spricht bei Zobernigs Werken immer nur von „Dingen“ – ist grundsätzlich auf eine Minimum zu seiner Funktion notwendigen Eigenschaften reduziert. Man findet weder schnödes Beiwerk, noch ablenkende Ornamente, die vom eigentlichen Wesen desselben ablenken. Als Material dienen ihm vorzugsweise Grundstoffe, die dem Alltagsleben entlehnt sind: Preßspan, Karton und Beton. Beiden ist gemein, daß sie keine reinen Substanzen sind, sondern durch Recycling gewonnen werden. Die daraus gefertigten skulpturalen Objekte, obzwar ohne definierten wesenhaften Kunstcharakter, kokettieren nicht selten mit dem Charme des handgemachten, d.h. sie sind entweder bewußt unfertig gelassen, oder weisen andere Spuren manueller Bearbeitung auf. Den daraus entstehenden Kontrast zum nüchternen Material kalkuliert der Künstler als bewußte Bruchstelle mit ein. In diesem Sinne gehen sie konform mit der formalen Reduktion, d.h. es wird nicht mehr gemacht, als zu seiner Funktion notwendig ist. Klassische künstlerische Entscheidungsverfahren wie Komposition, Farbwahl und dergleichen, werden so weit wie möglich vermieden, der Darstellungssinn auf einen Nullpunkt gebracht. Dahinter steht der Wunsch „nichts zu verrätseln. Es ist nicht meine Absicht, über Symbole eine Welt zu öffnen, zu transzendieren“ (Zobernig).

„Ohne Titel“ von 1997 führt vor, wie Zobernig die in seinem Oeuvre zentralen Bereiche Skulptur, Raum, Architektur auf intelligente und spielerische Weise zu verquicken weiß. Konzipiert wurde diese Arbeit für die Eingangshalle der Villa Merkel in Esslingen. Der Betrachter sah sich beim Betreten des Neo-Renaissance-Baus einem über drei Meter hohen, kompakten und verwinkelten Raumkörper aus Spanplatten gegenüber. Die dem Gebilde zugrunde liegende Form offenbarte sich erst nach dem Rundgang im Erdgeschoß, mit einem Blick von der Galerie im 1. OG auf die Skulptur. Im Grundriß erscheint das Monogramm des Künstlers und eine Jahreszahl: HZ 97. Eine nicht wenig selbstsichere Geste, das Monogramm im Zentrum der Ausstellung zu plazieren, wenn man bedenkt, daß sich die Signatur üblicherweise am Rande, oder auf der Rückseite eines Werkes befindet. Darüber hinaus signierte Zobernig seine Ausstellung faktisch, d.h. er billigt der Exposition als Gesamtarrangement den Wert eines Kunstwerks zu. Eine ähnliche Arbeit schuf er für eine Einzelpräsentation in der Wiener Secession im Jahr 1995. Dort waren es vier, aus dem vorhandenen Stellwandsystem gebaute, einzelne Teile. Sie ergaben ein Labyrinth, dessen Grundriß zwar nicht von oben gesehen, jedoch durch „erlaufen“, durch die Bewegung im Raum identifiziert werden konnte. Zobernig greift, wie hier, nicht selten auf existierende, bereits realisierte Werkideen zurück, um sie in anderen inhaltlichen Zusammenhängen neu zu präsentieren und somit durch den veränderten, spezifischen Kontext neue Perspektiven und Gesichtspunkte zu gewinnen. Eine derartige selbst-kommentierende und – auf gewisse Weise – historisierende Praxis offenbart ein Höchstmaß an ironischer Distanz zur eigenen Arbeit.

In einer Vielzahl von Arbeiten beschäftigt sich der Künstler mit Sprache. Folgen wir den Worten Zobernigs, ist sein Vorgehen vergleichbar mit der Linguistik. Die hier zur Anwendung kommenden Wahrnehmungsmechanismen sind zu seiner methodischen Verfahrensweise komparabel. Das Objekt wird sprachlich benannt, womit ein Wort ins Spiel kommt, das in einem erklärten Verhältnis zum Objekt steht. Begriff und Objekt sind veränderbar, wodurch sich möglicherweise auch ihre Beziehung zueinander verändert. Viele seiner Schrifttexte, beispielsweise die für den Art Garden konzipierte Schrifttafel, funktionieren ähnlich wie konkrete Poesie, d.h. ihre Wahrnehmung kann sowohl als Text, wie auch als Bild erfolgen. Allen diesen Arbeiten, auch die für die Skulptur.Projekte.Münster realisierte haben durch ihre enorme Größe eine fast aggressive Präsenz. Der auf ein oder zwei Schlagworte reduzierte Anlaß wird logohaft verkürzt, womit das komplexe, aus vielen Künstlern bestehende Ausstellungsereignis sich in komprimierter Form dem Betrachter mitteilt. Der Titel und die Jahreszahl werden zum Inhalt der Arbeit, durch die visuelle Umsetzung kommen Bild und Text zur Deckung, der Text wird zur Skulptur, die Skulptur wiederum zum Text. Auch in den Schrift-Arbeiten geht Zobernig formal so reduziert wie möglich vor. Meistens kommt eine neutrale Schrift, in der Regel eine Helvetica zum Einsatz. Wörter und Jahreszahl sind auf einfachste Weise gleichrangig aneinandergereiht, nichts wird hervorgehoben, um eine möglichst sachliche Wirkung zu erzielen.

Die Münsteraner Arbeit besteht aus sechs Plakatwänden, die an den viel befahrenen Kreuzungen der wesentlichen Einfahrtsstraßen in die City aufgestellt waren. Mit schwarzer Schrift auf weißem Grund wurde für das Großereignis, dessen Bestandteil sie wiederum selbst waren, geworben. Die Durchschüße (Abstände) zwischen den einzelnen Zeilen wurden herausgenommen, wodurch sich der bildhafte Charakter der Schrift zusätzlich verstärkte. Die formale Überhöhung unterstützte das bloße Namhaftmachen, ohne weitere inhaltliche Versprechungen, wodurch sie sich von herkömmlichen Werbeplakaten erst auf den zweiten Blick abgrenzten. Im Lichthof des Westfälischen Landesmuseums bildete ein Banner mit weißer Schrift auf schwarzem Grund die Rückseite der für verschiedene Veranstaltungen im Rahmen der Skulpturprojekte genutzte Bühne. Dieser Negativ-Effekt ließ das Podium wie eine Schablone für die Plakatwände im öffentlichen Raum wirken und vice versa.

Für die documenta X in Kassel operierte Zobernig ebenfalls mit einer Bühne wobei sie als Teil eines komplexen Raumsystems fungierte. Wie bei allen räumlichen Interventionen griff Zobernig auch hier in einen vorgegeben Kontext ein, um mit einer formalen Analyse auf diese Situation präzise zu reagieren. Den für die Vortragsreihe „100 Tage – 100 Gäste“ vorgesehenen längsrechteckigen Raum der documenta-Halle teilte er durch zwei raumhohe weiße Banner, die mit schwarzer Schrift die Namen der eingeladenen Beteiligten ankündigten. Parallel zu diesen wurde mittels zweier übereinander gestellte Container Funktionsräume geschaffen, die der zum Ablauf und der Aufzeichnung der Veranstaltung notwendigen Technik Raum bot. Banner wie Container fungierten als Raumteiler und trennten den von Vito Acconci gestalteten Bücherladen vom eigentlichen Vortragsbereich, der im vorderen Teil des Raumes durch eine einfache Bühne, die als Podium für die 100 Einzelveranstaltungen diente, abgeschlossen wurde. Das an den Vortragsraum anschließende Café und der Internet-Raum waren ebenfalls made by Zobernig. Wie so oft in seinen bisherigen Arbeiten lud er Franz West ein, die Stühle zu gestalten, während er den Entwurf für die Tische lieferte. Mit dem Motiv der Bühne und der Idee des Cafés – beide sind in unterschiedlichen Zusammenhänge schon mehrmals aufgetreten (die Bühne z.B. auf der documenta 9, das Café beim Project Unité in Firminy, sowie als dauerhaft umgestalteter Eingangsbereich des Kunstvereins in München) – schafft der Künstler im wahrsten Sinne des Wortes die Grundlagen sowohl für ästhetische, als auch für kommunikative oder funktionale Prozesse.

Auf eine ähnliche Auftrags- und Ausgangssituation reagierte Zobernig bei dem Entwurf zur Einrichtung für das Fernsehstudio von UTV, das erstmals in der Kölner Galerie Christian Nagel zu sehen war. UTV ist ein von den Künstlern Stephan Dillemuth und Hans Christian Dany gegründetes low-budget Live-Fernsehen, das sich alleine durch Werbeeinnahmen finanzieren soll. UTV nimmt dabei das Modell der „großen“ privaten Fernsehstationen auf, um ein „ Fernsehen von allen für alle“ zu realisieren. Ausgehend vom standardisierten Fernsehtestbild entwarf Zobernig das Studio-Mobiliar, indem er die farbigen Balken des zweidimensionalen Testbildes in acht einfarbig angemalte Styroporsockel umsetzte. In ihrer einfachen Form und Nüchternheit schienen sie den Begriff „Möbel“ zu zitieren, besser gesagt, zu ironisieren. Eine Wand aus blauem Papier machte den Raum zur Blue-box, und ließ das gesamte Studio als ein Hybrid zwischen Raumgestaltung und Skulptur changieren. Auch hier werden Bezüge zu bestimmten, in früheren Arbeiten bereits schon einmal thematisierten inhaltlichen Komplexen hergestellt, beispielsweise zu den „Streifenbildern“, der „Farbenlehre“, oder den „Sockel“ und „Bühnen“. Wie bereits oben erwähnt, betreibt der Künstler mit den Selbstzitaten seine eigene ironisch-gebrochene Historisierung. Das ist auch gar nicht weiter schlimm, denn „alles wird offengelegt, d.h. auch der Moment des Täuschens“ (Zobernig).

veröffentlicht in: artist Kunstmagazin, Heft 34, 1/1998

© 1998 Jan Winkelmann

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