nach Weimar. Von der inzestuösen Selbstbeweihräucherung des Kunstbetriebs

Jan Winkelmann

Weimar ist so klein, daß es auf einer Landkarte, die eine Übersicht von Deutschland zeigt nicht eingezeichnet wäre, wenn diese Stadt nicht in vielerlei Hinsicht große Bedeutung genieße. Einerseits gilt sie als Hort der Klassik, einem Zentrum des deutschen Geisteslebens mit Goethe, Schiller, Herder und anderen. Andererseits ist sie die Wiege der Moderne, da Walter Gropius hier 1919 das Bauhaus gründete. Weniger rühmlich trat sie auf politischem Gebiet in Erscheinung. Das Scheitern der nach ihr benannten Weimarer Republik als erste parlamentarische Demokratie Deutschlands führte nahtlos in den Nationalsozialismus. Nicht zuletzt durch das nahe gelegene KZ Buchenwald erreichte Weimar im Dritten Reich den wohl untersten Rang im Hinblick auf die oben genannte historische Bedeutung.

Im Jahr 1999 soll Weimar nun "Kulturhauptstadt Europas" werden. Bereits jetzt wirft eine hektische Betriebsamkeit ihre Schatten auf dieses, mit Spannung erwartete, Ereignis voraus. Als einer der Höhepunkte soll das einstige Landesmuseum, frisch renoviert als Neues Museum wiedereröffnet werden. Der Kölner Ex-Galerist Paul Maenz sorgte mit der Stiftung seiner hochkarätigen Sammlung mit wichtigen Werken der Concept-art, Arte Povera und den Neuen Wilden für den Grundstock eines Museums zeitgenössischer Kunst, das das erste seiner Art in den neuen Bundesländern sein wird und seinesgleichen sucht.

Vor etwas mehr als einem Jahr regte Maenz an, neun, wie es im Pressetext heißt, "trend bestimmende" Galerien (ACC, Weimar; allgirls, Berlin; EIGEN + ART, Leipzig, Gebauer und Thumm, Berlin; Christian Nagel, Köln; neugerriemschneider, Berlin; Schipper & Krome, Köln; Barbara Weiss, Berlin; Wohnmaschine, Berlin) zu einem Gedankenaustausch nach Weimar einzuladen. Die jungen Galeristen sollten eine Ausstellung konzipieren, die neueste Tendenzen der jüngeren bis jüngsten Künstlergeneration vorstellt. Man kam zu keinem demokratischen Konsens und bestimmte zwei Kuratoren, die den Galeristen diese leidvolle Aufgabe abnehmen sollten. Klaus Biesenbach (Leiter der Kunst-Werke, Berlin) und Nicolaus Schafhausen (Leiter des Künstlerhaus, Stuttgart) waren nun damit betraut, möglich zu machen, was bisher im Kollektiv unmöglich schien.

Es ist ihnen geglückt. Was sich im Pressetext noch sehr spannend anhörte, es war zu lesen von einer "bislang unvergleichbaren Übersicht von Werken junger Künstler in musealem Kontext", von einer Künstlergeneration, die den "klassischen Werkbegriff aufgelöst hat", und dabei "Arbeiten über komplexe Situationen herstellt, denen eine genaue Analyse gesellschaftlicher Verhältnisse vorausgeht". Nicht zuletzt würden die eingeladenen Künstler das "Medium Museum als Projektionsfläche nutzen" und "als Institution konservierter kultureller Werte, das Museum umwidmen, um eben diese Werte in Frage zu stellen."

So weit, so gut. Hört sich ja ganz spannend an. Die Künstlerliste umfaßte 45 wohlklingende Namen, unter anderen Christine Borland, Angela Bulloch, Dinos & Jake Chapmann, Stan Douglas, Maria Eichhorn, Liam Gillick, Douglas Gordon, Renee Green, Fabrice Hybert, Sean Landers, Christian Philipp Müller, Gabriel Orozco, Jorge Pardo, Phillipe Parreno, Jason Rhoades, Tobias Rehberger, Pipilotti Rist, Andrea Zittel.

"Nichts wie hin", sagte ich mir, es war sowieso einmal wieder an der Zeit, meinen Bruder, der dort Architektur studiert, zu besuchen. Ein erstes Befremden beschlich mich, als dieser mir erzählte, daß weder er noch sonst irgendeiner seiner Kommilitonen von der Ausstellung wisse. "Eigentlich merkwürdig", wo doch die gesamte Kunstwelt nach Weimar blickt und, wie ich wußte, eine Menge Leute anläßlich diese Ereignisses gen Osten gefahren sind. Die düstere Vorahnung sollte sich bewahrheiten. Bei der Preview waren kaum Einheimische zu sehen. Man traf eine Menge Menschen, die sich zuvor alle gerade auf dem letzten "Pflichtevent für Artpeople", der Kunstmesse in Basel, gesehen hatten. Auch die Künstlervorträge als didaktisches Mittel durchaus sinnvoll und zu begrüßen, die sich über zwei volle Tage hinzogen, waren in erster Linie nur von den Künstlern selbst besucht. Irgendwie bekam das ganze immer mehr den Geruch einer inzestuösen Selbstbeweihräucherung.

In der Eröffnungsrede war dann zu hören von den Unwägbarkeiten, die eine solche Ausstellung mit einer solchen Zahl von Künstlern, in einem solch unfertigen Bau mit sich bringt. Well done. Doch das Ergebnis ließ leider einiges zu wünschen übrig. Abgesehen von der subjektiven Auswahl der Kuratoren, die unnötig oft, fast gebetsmühlenartig immer wieder betont wurde, war von dem angekündigten Paradigmenwechsel, im Sinne von "Infragestellen der Institution Museum" herzlich wenig zu spüren. Einerseits war der Ort noch viel zu sehr Baustelle, andererseits handelt es sich sowieso nicht um einen "klassischen" Museumsbau. Woher sollte nun die Aura eines Museums kommen? Das Erdgeschoß war verdunkelt, das Untergeschoß ist sowieso ohne Tageslicht. Beide eigneten sich also hervorragend, um dort gebündelt die Sektion Video, fast ausnahmslos als Großbildprojektionen zu zeigen (Alex Bag, Douglas Gordon, Mariko Mori, Jane und Louise Wilson, Stan Douglas und Evgenij Jufit). Hier war es für den Betrachter dann vollends beliebig, ob er sich nun in einem Keller eines Wohnhauses, eines Wolkenkratzers, oder eben eines Museums befand. Von der angekündigten Umbewertung der Institution Museum immer noch keine Spur.

Fast die Hälfte der ausgestellten Werke datieren auf das Jahr 1995 und früher, was wiederum nicht den Umkehrschluß zuläßt, daß der Rest der ausgestellten Arbeiten eigens für diese Ausstellung konzipiert wurde. Die wenigsten der eingeladenen und fast ausnahmslos zum Aufbau angereisten Künstler hatten in ihren Arbeiten einen, wie auch immer gerichteten, Ortsbezug hergestellt. Löbliche Ausnahmen waren unter anderem Andreas Slominski, der mit seinen unzähligen Vorgarten-Spielzeug-Windmühlen die Monotonie der monströsen Nazi-Architektur des Gauforums, gleich gegenüber des Museums, spielerisch konterkarierte. Aber auch Christian Philip Müller, der in seinem "Faltplan zur Distribution kultureller Andenken in Form von Süßwaren in Weimar" die Verkaufsstellen kennzeichnete, wo Schoko-Konfekt in verschiedenen Goethe-Motiven käuflich erworben werden konnte.

Es stellt sich nun die Frage nach der inhaltlichen Konzeption dieser Veranstaltung. Wie man dem Katalogtext Biesenbachs entnehmen konnte, handelt es sich um eine Ausstellung "ohne proklamiertes Konzept aber nicht ohne Kriterien." Wer hätte da gedacht. Wo doch kein Konzept zu haben bereits auch ein Konzept ist. Ganz davon abgesehen, daß der kategorisch proklamierte Verzicht auf die Medien Malerei und Photographie bereits dieser vollmundig verkündeten Konzeptlosigkeit widerspricht. Weiter heißt es: "Die Künstler sollten nicht eine übergeordnete Kuratorenidee illustrieren und sich damit in der Gesamtheit dem Detail, der einzelnen Arbeit widersprechen." Damit wäre dann auch alles klar. Die bösen Kuratoren in der großen, weiten Welt machen ja nichts anderes als ständig sich etwas hochgeistiges auszudenken, um dies dann mit Hilfe der Kunst zu bebildern. Mit einem solchen Statement haben es sich Biesenbach und Schafhausen etwas zu einfach gemacht. Was in diesem Fall dabei herauskam, war nicht mehr als ein großer Gemischtwarenladen ohne Profil, den es so oder in anderer Form ebenso häufig gibt, gegeben hat und geben wird, wie die von ihnen angeprangerte und bewußt zu vermeiden gesuchte Haltung. Warum hat man die Chance nicht ergriffen, eine Positionsbestimmung vorzunehmen, hinter der eine Idee steht, die wenigstens eine argumentative Angriffsfläche, bzw. eine Möglichkeit zur Diskussion geboten hätte?

Leider setzte sich die Vermutung, daß es sich bei nach Weimar um nichts mehr als einen großen Sampler hipper Künstlernamen geht (bei der so wichtige Positionen wie die eines Rirkrit Tiravanija und eines Carsten Höller einfach ignoriert wurden), auch bei der Lektüre des Kataloges fort. Joshua Decter, eingeladen einen Text zu schreiben, war den eigenen Worten nach nicht so richtig inspiriert und stellt auf 20 Seiten kurzerhand ein Medley von eigenen, bisher erschienen Ausstellungsrezensionen zusammen. Vielleicht mag es an mangelnder Abstraktionsfähigkeit von meiner Seite liegen, doch mochte mir nicht einleuchteten, daß da plötzlich Textfragmente über Martin Kippenberger, Heimo Zobernig und Christopher Wool Seite an Seite mit Ausführungen über jüngere Künstler zu finden sind, die genauso wenig in der Ausstellung vertreten waren, wie etwa Tony Oursler, Mark Dion und Peter Fend. Es wurden zwar auch einige Künstler der Ausstellung besprochen, doch das für meinen Geschmack allzu marginal. Die bewährte Sampling-Methode setzt sich fort im Text von Biesenbach, der ganz selbstkritisch, nach zweieinhalb Seiten aneinandergereihter Zitate so wohlfeiler Denker wie Virilio, Deleuze, Benjamin, Lyotard, Baudrillard etc. vorwegschickt, daß "dieser Text nichts Originäres herstellt, sondern nur zusammenzieht, kombiniert, vermischt und im günstigsten Fall ein leichtes Schwindelgefühl hervorruft: Text-Burger, McText." Dem wäre dann wohl nichts mehr hinzuzufügen. Hans-Ulrich Obrist und Michelle Nicol reihten verschiedene Gesprächsfragmente aneinander, die wenigstens noch Spaß beim lesen machten.

Im Großen und Ganzen war mir das von allem ein bißchen zu wenig. Viel zu wenig.

in holländischer Sprache veröffentlicht in: Metropolis M. Tijdschrift over hedendaagse kunst, No. 5, Oktober 1996

© 1996 Jan Winkelmann

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