"Gee... how glamorous" ... "I have no memory" (Andy Warhol)

Jan Winkelmann

Ruhm, Glanz und Glamour faszinieren Andy Warhol ein Leben lang. Die medial konstruierte Figur des Stars ist für Warhol dabei Prototyp und experimenteller Gegenstand zugleich. Er findet sich in unterschiedlichen Ausprägungen in Warhols Schaffen vom Anfang seiner künstlerischen Laufbahn bis zu seinem Tod immer wieder. Auf vielfältige Weise finden Inszenierungsmechanismen und -strategien bei Andy Warhol selbst, in seinem künstlerischen Werk, aber auch im vielfältigen Factory-Universum Anwendung. Vor dem Hintergrund theatraler Strategien werden dabei immer wieder auch Fragen nach Identität und Identitätskonstruktion, nach Selbst- und Fremdwahrnehmung deutlich.

Neben Inszenierung und Theatralität, als Leitmotive in Warhols Schaffen, treten zwei dazu komplementäre Strategien: die des Sammelns und des Dokumentierens, von denen später die Rede sein wird.

Anfang der 60er Jahre beginnt Warhol sich erstmals mit den Größen Hollywoods zu beschäftigen. Dabei sind es ausschliesslich die großen Stars wie Marilyn Monroe, Liz Taylor, Elvis Presley, Marlon Brando und viele andere, die ihn als medial inszenierte Leitfiguren faszinieren. Gerade aufgrund ihrer stilisierten Künstlichkeit stellt Warhol sie mit Vorliebe in den für sie typischen Filmrollen dar. Hier werden nicht nur inhaltliche, sondern vor allem auch strategische überlegungen deutlich: Als ehemaliger Werbegrafiker weiß er nur zu gut, wie das System der Massenmedien funktioniert und bedient sich daher ganz bewusst der Berühmtheit anderer, um an deren Popularität zu partizipieren. Warhol ist sich der Tatsache bewusst, dass sich Ruhm gut verkauft, aber auch wie künstlich der durch die Massenmedien produzierte und verbreitete Ruhm sein kann.

In diesem Zusammenhang ist für Warhol stets auch die Stilisierung und Inszenierung der eigenen Person von größter Bedeutung. Bereits 1957 lässt er sich durch eine kosmetische Operation die Nase korrigieren. Ab Mitte der 60er Jahre trägt er silberfarbene Perücken, die gewollt künstlich aussehen und er schluckt Appetitzügler, weil er sich zu dick findet. Zusätzlich beginnt Warhol Make-up zu tragen, um seine schlechte Haut zu überdecken. Er schminkt sich blass, um den Kontrast zu der von ihm favorisierten dunklen Kleidung zu verstärken. Sowohl das Make-up, als auch die auffällige Perücke erinnern an die Künstlichkeit der weiblichen Hollywoodstars aus den 40er und 50er Jahren. Indem Warhol sich zu einer Art artifizieller Blondine stilisiert, macht er in dieser überzeichneten Aneignung deutlich, dass ein Star nicht einfach geboren wird, sondern vielmehr ein synthetisches Produkt ist. Durch seine parodistische Imitation dessen, was man mit dem Bild von einem Star oder einer Diva assoziiert, stellt er die Künstlichkeit dieser Konstruktion bloß und produziert somit für sich eine Form von künstlicher Aura.

Anfang 1964 zieht Warhol mit seiner Factory in ein großes Loft im Schatten des Empire State Buildings. Angeregt durch Billy Name, der als Beleuchter in Off-Broadway-Produktionen tätig ist, lässt er jeden Quadratzentimeter des Raumes – Wände, Fußboden, Decke, Toilettenschüßel, Glühbirnen – mit Silberfolie bekleben oder mit Silberfarbe bemalen. Das ganze Atelier verwandelt sich in einen riesigen, glitzernden Spiegel: die legendäre Silver Factory ist geboren. In den folgenden Jahren wird sie zum Dreh- und Angelpunkt des Warholschen Universums – nicht nur als ein Ort der Produktion, sondern ebenfalls als Bühne wie auch kreatives Lebens- und Arbeitsumfeld ihrer Protagonisten.

1965 verkündet Warhol, dass er mit der Produktion von Siebdrucken aufhöre, um sich zukünftig nur noch auf das Medium Film zu konzentrieren. Das ist gleichermaßen eine gut überlegte Werbemaßnahme wie ein cleverer Schachzug, da diese Ankündigung die Nachfrage nach seinen Arbeiten beflügelt. Wenngleich Warhol seine Bildproduktion nie wirklich gänzlich einstellt, so wendet er sich doch in den folgenden Jahren verstärkt dem Medium Film zu.

Mit Factory Films Inc. gründet er seine eigene kleine Film-Welt, die von unzähligen, von ihm ernannten "Superstars" bevölkert wird. Sie ist Warhols persönliche Antwort und eine Art Gegenentwurf auf die große und mächtige Hollywood-Industrie. Für die Traummaschine Hollywood ist die Diskrepanz zwischen Wirklichkeit und Film ein konstitutives Merkmal. Die alternative Filmszene in New York und insbesondere die Filmproduktion der Factory will die Realität hingegen unbeschönigt wiedergeben und damit den Unterschied zwischen Film und Wirklichkeit zum Verschwinden bringen. Dabei kennt der Undergroundfilm keine Stars im klassischen Sinne. Warhols so genannte Superstars waren in Wirklichkeit auch keine Stars, sondern die von Hollywood entlehnte Begrifflichkeit stellte vielmehr eine ironische Aneignung dessen dar. Das Warholsche Superstar-Prinzip war demzufolge nicht mehr als eine Behauptung bzw. ein unverbindliches Versprechen auf Ruhm. Edie Sedgwick, Nico, Brigid Berlin, Baby Jane Holzer, International Velvet, Ingrid Superstar, Candy Darling, Ondine, Taylor Mead: Sie alle hatten keine entsprechende schauspielerische Ausbildung und im Grunde genommen sollten sie in Warhols Filmen auch keine Rollen spielen, außer jene, sich selbst darzustellen.

Der Professionalität Hollywoods, Fiktionen überzeugend echt darzustellen, setzt Warhol mit seinen Filmen einen lebensechten Dilettantismus gegenüber. Lange Sequenzen ohne Schnitt und kaum verändernde Kamera-Einstellungen negieren die Konventionen des herkömmlichen Erzählkinos wie man es aus Hollywood kennt. Planlose Dialoge, eine legere Kameraführung und die gewollte Unbeholfenheit der Darsteller sollen dabei Unmittelbarkeit suggerieren.

Eine der kreativsten Phasen Warhols endet abrupt mit dem Attentat auf ihn am 3. Juni 1968 durch Valerie Solanas, die aus dem erweiterten Factory-Umfeld stammt. Bis zu diesem Zeitpunkt ist Warhol lediglich im Kreis der New Yorker Kunst- und Filmszene berühmt. Das Attentat und der Medienrummel darum, machen Warhol jedoch zur öffentlichen Person. Warhols Drang zur Selbstinszenierung scheint durch die Wirklichkeit seines eigenen Lebens selbst übertroffen worden zu sein.

Nach seiner Rekonvaleszenz strukturiert Warhol seine Factory um. Sie wird wieder vornehmlich zu einem Ort der Produktion von Bildern und Filmen. Ein Großteil der Protagonisten der Silver Factory hat hierzu fortan keinen Zugang mehr.

Mit dem Magazin Interview, das im Herbst 1969 erstmals (zunächst als Filmzeitschrift mit Filmkritiken und Interviews) erscheint, bietet sich Warhol eine Möglichkeit, seine Obsessionen mit Hollywood, dessen Stars, dem Glamour und Ruhm in Form eines monatlich erscheinenden Magazins zu nähern.

Interview liegt ein völlig neuartiges Konzept zu Grunde: Berühmtheiten werden von Berühmtheiten interviewt, wodurch eine Art persönliche, fast intime Konversationsebene entsteht, die dem gemeinen Leser die Illusion gibt, an der Welt der Reichen und Schönen teilhaftig zu werden. Innerhalb weniger Jahre entwickelt sich Interview zu einem Magazin für alle Bereiche populärer Kultur und wird eine Plattform für Mode, Kunst, Musik, Fernsehen, Klatsch und dem Nachtleben. Es entwickeln sich immer mehr Parallelen zwischen der Redaktionspolitik von Interview und dem sozialen Umfeld der Factory und stellt damit nicht zuletzt auch eine Reflexion von Warhols mittlerweile Celebrity-durchsetzter Welt dar. Der Erfolg von Interview gibt Warhol erstmals die Macht, Stars selbst zu lancieren und zu produzieren.

Parallel dazu beginnt Warhol, sich um Porträtaufträge zu bemühen und entwickelt in den 70er Jahren mit seinen Auftragsporträts ein System des 'Pay to become a Warhol-Star'. Das Prinzip ist so demokratisch wie einfach: Jeder kann sich zum standardisierten Preis von 25.000 US-Dollar von Warhol portraitieren lassen. Grundlage dieser Siebdruckporträts sind Polaroid-Fotos, die von Warhol noch einmal überarbeitet werden. Von ihrem Bildhintergrund gelöst und mit harten Kontrasten versehen, entstehen weniger Charakterstudien der portraitierten Persönlichkeiten als vielmehr manipulierte und mediengerecht inszenierte Bilder stilisierter Künstlichkeit. Insgesamt fertigt Warhol über 1.000 solcher Porträts sowohl von bekannten, als auch von weniger bekannten Personen aus Gesellschaft, Musik, Mode, Medien, Sport und Business, des öffentlichen und nicht-öffentlichen Lebens an.

Mit dem Erfolg von Interview wird Warhol mehr und mehr eine Person der New Yorker High-Society. Stets mit seiner Kamera bewaffnet ist er gern gesehener Gast auf den Partys der Reichen und Schönen. Meistens bleibt er jedoch nur wenige Minuten, wohl wissend, dass er die Veranstaltungen mit seinen perfekt inszenierten Kurz-Auftritten adelt. In dieser Zeit entsteht eine schier unübersichtliche Anzahl von Fotografien, die seine sozialen Beziehungen zu den Stars und Sternchen des amerikanischen, wie aber auch zum internationalen Jet Set dokumentieren.

"I have no memory"

In gleichem Maße wie Warhol die Künstlichkeit von Ruhm, Glanz und Glamour ein Leben lang fasziniert, ist er von der Idee der (vermeintlich) neutralen Bestandsaufnahme begeistert. Strategien des Dokumentarischen, sowie seine obsessive Sammelleidenschaft und der fast zwanghaft erscheinende Versuch, sein Lebens- und Arbeitsumfeld umfassend zu dokumentieren, stehen dabei im Vordergrund.

Bereits in der Death- and Desaster-Serie der frühen 60er Jahre, die auf Zeitungsfotos von Unfällen und Katastrophen basiert, wird eine Strategie der Dokumentation, im Sinne einer Aneignung von existierenden, bereits reproduzierten Bildern, deutlich, mit der Warhol die Medialisierung von Wirklichkeitserfahrung der damaligen Zeit unmittelbar thematisiert.

Zwischen den Polen persönlicher Involviertheit und distanzierter Bestandsaufnahme entstehen viele von Warhols frühen Filmen als eintönige Eins-zu-Eins-Wiedergaben alltäglicher Handlungen in extensiver Dauer. Sei es der fünfeinhalb stündige Film Sleep, der einen schlafenden Freund des Künstlers zeigt, das eineinhalbstündige Rauchen einer Zigarre (Henry Geldzahler), Blow Job oder die nahezu 500 Screentests, unbewegliche vier Minuten-Porträts von Personen aus Warhols Umgebung beziehungsweise Gästen der Factory. Bei all diesen Filmen wird durch die starre Kamera und die Dauer und Eintönigkeit der Handlung das Erleben von Zeit intensiviert.

Neben dem Medium Film nutzt Warhol für seine fast manische Dokumentationswut das Tonbandgerät, mit dem er hunderte Stunden von Gesprächen und Telefonaten aufzeichnet. Das vielleicht bekannteste Ergebnis dessen, ist das 1968 entstandene Buch a. a novel. Es handelt es hierbei nicht um einen Roman im klassischen Sinne, sondern um transkribierte Tonbandaufnahmen von Gesprächen in der Factory. Dabei wurde wirklich alles niedergeschrieben: neben dem Gesprochenen jede sprachliche Wiederholung, jeder Versprecher, jedes Räuspern, jedes Geräusch. In seiner Konzeption gleicht der Roman a den Filmen Warhols: Es gibt keine festgelegte Handlung, alles hat eine offene Form, die Mitwirkenden agieren völlig frei und improvisieren bzw. stellen nichts dar, außer sich selbst.

In ähnlicherweise nutzt Warhol den Fotoapparat. Er fotografiert ständig und überall. Als eine Art 'Visual Diary' entstehen tausende Fotos, die ab den 70er Jahren zum Teil auch als Vorlage seiner Siebdrucke dienen. Es sind Fotos von seinen Reisen, Ausflügen, alltäglichen Beschäftigungen, seinem Umfeld und immer wieder auch von unzähligen Dinners, Empfängen, Partys und dem Studio 54. Warhols Fotos sind Zeugnisse einer radikalen Oberflächlichkeit, die bis heute Gültigkeit und Einfluss hat. Warhol ist der Gesellschaft ein Spiegel, der ihre Eitelkeit gleichermaßen befriedigt wie er sie gleichzeitig auch bloßstellt. Das zuvor erwähnte Magazin Interview kann in diesem Zusammenhang als eine Art Chronik und Dokumentation der amerikanischen Celebrity-Welt der 70er und 80er Jahre gesehen werden.

Ab 1974 sammelt Warhol in Umzugskisten alles, was er nicht filmen, fotografieren oder aufzeichnen kann und was ihm in seinem Alltag bewahrenswert erscheint. Bis zu seinem Tod entstehen 610 dieser Time Capsules, die größtenteils Fotos, Zeitungen, Zeitschriften, Fanbriefe, Geschäfts- und Privatkorrespondenz, Ausstellungskataloge, Telefonnachrichten, Einladungen für Dinners, Dichterlesungen, Ausstellungen, Partys und vieles mehr beinhalten. Bisher sind lediglich knapp über 100 der Time Capsules vom Archiv des Andy Warhol Museums in Pittsburgh inventarisiert und dokumentiert worden. In ihrer Gesamtheit geben sie einen unvergleichlichen Einblick in Warhols Arbeits- und Lebenswelt. Zugleich sind sie aber auch Spiegelbild und kollektives Gedächtnis der amerikanischen Gesellschaft der 70er und 80er Jahre.

Einen tiefen Einblick in die letzte Dekade von Warhols Leben erlauben Warhols Tagebücher. Von 1976 bis 1986 diktiert er seiner Privatsekretärin Pat Hackett jeden Morgen telefonisch detailliert seine Erlebnisse vom vorherigen Tag. Posthum wird dieses mehrhundertseitige Zeitdokument 1989 unter dem Titel The Andy Warhol Diaries veröffentlicht.

All diese 'Instrumente' dienen Andy Warhol der Dokumentation seines eigenen Lebens- und Arbeitsumfeldes. Dabei sind sie jedoch nicht allein im konventionellen Sinne als eine Form von autobiographischer Aufzeichnung zu verstehen. Sie zeigen vielmehr Warhol in der Rolle des distanzierten Beobachters und Chronisten seiner Zeit.

Warhol stirbt am 22. Februar 1987 an den Folgen einer Gallenblasenoperation. Er hinterlässt ein Vermögen von nahezu einer halben Milliarde US-Dollar. Als man sein Haus nach seinem Tode erstmals betritt, ist man ob der sich darbietenden Vielfalt von Warhols privatem Besitz und seinen unterschiedlichen Sammlungen mehr als überrascht. Man wusste zwar, dass Warhol auf seinem täglichen Weg in die Factory ausgiebige Shoppingtouren durch Antiquitäten-Läden und über Flohmärkte der Umgebung unternahm, daß er dabei über die Jahre jedoch insgesamt über 10.000 Einzelstücke erworben hat, wird erst jetzt bekannt. Seine Sammlung umfaßt exquisite Möbel des Jugendstil und Art Deco, Juwelen, Uhren und Schmuck, indianische Kunst, Volkskunst, Photographien, Gemälde, Drucke und zeitgenößische Kunst. 1988 wird sie in einer sechstägigen Auktion unter dem Titel The Andy Warhol Collection als die bisher größte Auktion in der Firmengeschichte des Auktionshauses Soetheby's versteigert.

So gegensätzlich die beiden dargestellten 'Pole' Inszenierung / Theatralität und Dokumentation / Sammelobsession anmuten mögen – durch ihre Gleichzeitigkeit im Leben und Schaffen Warhols ergänzen sie sich nahezu komplementär zu zwei roten Fäden, die Leben und Werk des Künstlers stringent durchziehen. Sie sind somit die zentralen Leitmotive unter denen Warhols vielfältiges Oeuvre zusammengefasst werden können.

Dieser Text wurde in englischer Sprache veröffentlicht in: The Eternal Now – Warhol and the Factory, Ausst. Kat. The Model Arts and Niland Gallery, Sligo; Lewis Glucksman Gallery, Cork; Ikon Eastside, Birmingham, 2008.

© 2008 Jan Winkelmann

ENGLISCHE Version

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