Der Trend geht zum
Zweittrend – Artist Polemik
Jan
Winkelmann
Das erste und vorerst auch letzte
Mal, dass ich mich aktiv und mit Inbrunst als Trendsetter versuchte, war vor
ungefähr 18 Jahren, als ich im nicht mehr ganz so zarten, aber dennoch
reichlich unbedarften Alter von 18 die Eingebung hatte, in der großen
Pause „Ernte 23“ (die mit der unerreichten 70’s-mässigen
farblich ganz in Panton Chair-Orange gehaltenen Schachtel) als hippe
Zigarettenmarke einzuführen und damit im begrenzten Umfeld meiner Schule
einen Trend zu lancieren. Über das Ergebnis meiner Bemühungen sei
hier behutsam der Mantel des Schweigens gedeckt. Diese kleine Episode hatte ich
– wohl nicht zuletzt auch ob ihres eher bescheidenen Erfolgs – ganz
aus meinem Langzeitgedächtnis gestrichen, bis ich ihr kürzlich
erinnerlich wurde, als mir auf der Party des Rundgangs an der Düsseldorfer
Akademie eine Zigarette aus eben jener unverwechselbaren orangefarbenen
Schachtel mit dem spießigen Logo angeboten wurde. Es wäre vermessen,
dies in Zusammenhang mit meinem damaligen Misserfolg zu sehen. Wahrscheinlich
haben sich nach mir bereits unzählige Schüler mit HB und
Rothhändle ohne Filter oder ähnlichem probiert. Wenngleich ich
gestehen muss, dass mir der Gedanke schon Freude bereitet, es doch zumindest
als Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass hier ein kausaler Zusammenhang
besteht. Wow, 18 Jahre seiner Zeit voraus, Vorkämpfer, altneudeutsch
„Avantgarde“ nannte man das mal. Welch ein großes Wort, aber
leider nicht mehr allzu aktuell auf die zeitgeistige Jetztzeit bezogen. Da
passt das Wort „Trend“ schon viel eher, so schön mainstreamig
und dem Wortschatz der bereits verblichenen New Economy entlehnt. Also auch
nicht wirklich really up to date, aber immerhin noch eher als der zuvor
bemühte, denn hier schwingt so schön eine zeitliche Begrenztheit mit,
nichts für die Ewigkeit, geschweige denn für die
Geschichtsbücher. Trends kommen und gehen, so schnell wie viele der einst
gefeierten trendsettenden Start-ups nach ihrem IPO wieder in der Vergessenheit
versanken und vielleicht lediglich noch einmal in der Statistik der
Top-Burn-Rates auftauchten, bevor sich ihre ehemaligen CEO’s arbeitslos
meldeten.
Trends sind in erster Linie durch
zwei Merkmale gekennzeichnet. Zum einen ist das ihre bereits erwähnte,
begrenzte zeitliche Gültigkeit und darüber hinaus aber auch vor allem
ihre freie Verfügbarkeit, will heißen die uneingeschränkten
Verwendungsmöglichkeiten durch jeden, der es eben gerne auf die von
ihm/ihr als „trendy“ zu proklamieren beabsichtigte
gesellschaftliche, ökonomische und/oder kulturelle Erscheinung angewendet sehen
möchte. Das war bei dem Trend-Vorläufer
„avantgardistisch“ noch etwas anders. Dieses Prädikat basierte
noch eher auf einem Bruch mit Traditionen, hier schwang noch ein wenig
historisches Potenzial mit, wohingegen Trends heutzutage eher Massenware und
somit reichlich beliebig geworden sind. Und da verdichtet sich auch schon das
Hauptproblem. Der Begriff „Trend“ verkommt durch dessen
inflationären Gebrauch zu einer Art Abklatsch seiner selbst. Jeder
schreibende Eiferer fühlt sich bemüßigt über neue Trends
zu berichten. Es gibt Trendmagazine, Trend-Checklisten, Trend-Newsletter,
Trendforscher, Trendagenturen... Wer soll überhaupt mit so vielen Trends
noch etwas anfangen? Wo finden sich Distinktionsmerkmale und wo sind die
dadurch hervorgerufenen Differenzen? Wenn alles trendy ist, ist nichts mehr
trendy. Das gilt außerhalb der Kunst in gleichem Masse wie innerhalb des Art
Business.
Doch schauen wir uns einmal etwas
näher an, wer im Kunstbetrieb überhaupt aus welchen Gründen in
der Lage ist (oder sollten wir besser sagen: glaubt in der Lage zu sein) Trends
zu lancieren. Interessant wäre es dann auch, zu sehen, wem diese denn am
meisten Nutzen bringen.
Trends sind eine Art Vorboten von
Moden, die dann wiederum in einem nächsten Schritt im allgemein
durchgesetzten und von einer breiten Masse akzeptierten Mainstream münden.
Trends und denen, die sie zu kreieren in der Lage sind, haftet also etwas
seherisches, vorausblickendes oder antizipierendes an. Der- oder diejenige,
der/die Trends frühzeitig erkennt, hat zunächst einmal nichts davon,
wenn er oder sie nicht die Möglichkeit hat, diese „Entdeckung“
entsprechend zu artikulieren. Denn nur dann ist gewährleistet, dass diese
im Erfolgsfall wiederum auf ihn/sie zurückfallen und seine/ihre
„Leistung“ als solche entsprechend gewürdigt werden
können. Das gleiche gilt natürlich auch für eine
ökonomische Verwertung: nur wer die entsprechenden Möglichkeiten
hinsichtlich einer Vermarktung des frühzeitig Erkannten hat, kann davon
wirtschaftlich profitieren, andernfalls bleibt ihm/ihr – wenn
überhaupt – nur Ruhm und Ehre. Im Kunstbetrieb gibt es nun ebenfalls
nur diese zwei Optionen: Ruhm und Ehre oder Kohle. Eigentlich gibt es aber noch
eine dritte: Ruhm und Ehre und Kohle, das wäre dann die
Königsdisziplin.
Ökonomisch verwerten bzw.
abschöpfen können im Kunstbetrieb nur zwei: Galerien und
SammlerInnen. Reine Ehre bleibt dann den KuratorInnen und den PublizistInnen
(unter diesem Überbegriff seien KritikerInnen, TheoretikerInnen,
AutorInnen sowie alle anderen der schreibenden und publizierenden Zunft der
Einfachheit halber subsumiert). Wo bei den Galerien und SammlerInnen ein nicht unerhebliches
finanzielles Risiko besteht, ist es bei KuratorInnen und PublizistInnen
lediglich der Ruf, der auf dem Spiel steht bzw. der bei allzu vielen allzu
auffälligen erfolglosen Trend-Lancierungs-Versuchen leidet. Insofern
könnte man sagen, dass es durchaus gerechtfertigt sein möge, dass
diejenigen, die einen höheren Einsatz bringen auch diejenigen sind, die am
meisten davon profitieren. Nun denn, Erfolg, pekuniär oder nicht, sei dem
gegönnt, der ihn verdient. Doch möge hier nicht unerwähnt
bleiben, dass die Möglichkeiten, die sich den GaleristInnen und
SammlerInnen bietet, meistens nur dann sinnvoll genutzt und für ihre
Zwecke eingesetzt werden können, wenn man, neben den entsprechenden
Selektionsfähigkeiten, auch über ein massives finanzielles Potenzial
verfügt bzw. dieses einzusetzen in der Lage ist.
GroßsammlerInnen und ihre
Hamsterkäufe an Akademie-Rundgängen und Diplom- bzw.
Graduierten-Ausstellungen sind Legende und nur ein Beispiel von wenigen.
Weniger interessant wie amüsant sind da, wie kürzlich bei dem
eingangs erwähnten Düsseldorfer Akademie-Rundgang erlebt, jene
selbsternannten Trendscouts in Form von jungen AnwältInnen, WerberInnen
und ZahnärztInnen, die den ausstellenden StudentInnen ihre Werke aus den
Händen reißen, um auf den Tag zu warten, bis sie mit dem
Weiterverkauf ihres, mittels zielsicherem Gespür gemachten großen
(und vor allem günstigen) Fangs unermessliche Renditen erreichen.
Interessant wird es wiederum da, wo es – auf wesentlich höherem
Niveau – ähnlich spekulativ zugeht, nämlich da, wo SammlerInnen
Teile ihrer Sammlungen mittels Versteigerungen bei renommierten
Auktionshäusern auf den Markt zurückwerfen und entsprechende Gewinne
damit erzielen. Wobei erwähnt sei, dass dabei jedoch sehr oft irritierte
KünstlerInnen und GaleristInnen zurückbleiben, die dann zusehen
müssen, wie sie mit den, durch diese „en bloc Verkäufe“
hervorgerufenen nachhaltigen Störungen ihrer hochsensiblen Preispolitik
zurecht kommen.
Da haben es die SchreiberInnen
schon etwas leichter. Sie können munter etwaige Trends, die sie im
Anmarsch wittern rausposaunen, um, wenn diese sich dann als Rohrkrepierer
herausstellen, locker flockig nach dem Motto „was kümmert mich mein
Geschwätz von gestern“, den nächsten Trend publizistisch in
Szene zu setzen. So offensichtlich, wie zum Glück erfolglos, versuchen
dies vor allem Blätter und Magazine, die in hohen Auflagen erscheinen. Was
hier neben der sportlichen Herausforderung des Trend-Entdeckens hinzukommt, ist
ein Partizipationsbedürfnis an dem doch insgesamt recht kleinen Kuchen
der, nennen wir es pathetisch, „Definitionsmacht im Kunstbetrieb“.
Daneben tritt als eine weitere Motivation für solches Tun das
Bedürfnis nach Orientierung des geneigten aber doch eher weniger
spezialisierten Lesers, dem mit seinem Halbwissen im hochkomplexen Feld der
zeitgenössischen Kunst nach Orientierungsfeuern dürstet, die ihm den
Weg zu sicheren Ufern zu zeigen in der Lage sind.
Gerne werden von den
PublizistInnen auch Steilvorlagen von KuratorInnen, die in Form von
vermeintlich wegweisenden und trendsettenden Ausstellungen daherkommen,
aufgenommen und mit großem Getöse zu einer Seifenblase gemacht, die
aber in der Regel ebenso schnell wieder zerplatzt, wie sie gekommen war. Dabei
stellen sich die EntscheiderInnen in den Institutionen recht geschickt, wenn
nicht sogar im Reigen der hier angeführten Beispiele am gewieftesten an.
Sie werden mit Sicherheit keine Besucherinformation oder eine Presseinformation
in die Hände bekommen, in der schwarz auf weiß geschrieben steht,
das man hier ein zeitkulturelles Phänomen trendmäßig in Szene
setzt oder einem erkannten Trend in Form einer Ausstellung Gestalt verleiht
bzw. diesen der Öffentlichkeit übereignet. Im Gegenteil, man weist
etwaige Implikationen bereits in den ausstellungsbegleitenden Drucksachen mit
Floskeln wie „die Ausstellung will keinen Überblick geben“
oder gar „eine Inventarisierung eines Phänomens vornehmen“ und
schon gar keine „Bestandsaufnahme darstellen“. Wo immer derartige
Formulierungen vorzufinden sind, kann man nahezu sicher sein, dass die Presse
genau darauf anspringt und entsprechend reagiert. Den AusstellungsmacherInnen
bleibt im Falle der negativen Kritik an ihrem groß angelegten
kuratorischen Wurf indes die elegante Hintertür, genau darauf zu
verweisen, dass man ja sowieso keinen Trend lancieren und schon gar keine
epochale Ausstellung machen wollte. Im Falle von vielstimmigen Lobeshymnen
übt man sich jedoch selten in Bescheidenheit und der verbale
Rettungsfallschirm wird elegant und dezent vergessen. Und schon beginnt die
ökonomische Verwertungsmaschinerie, GaleristInnen der beteiligten
KünstlerInnen künden mit stolz geschwellter Brust von ihren
visionären Vorhersehungen, als sie sich für die Zusammenarbeit mit
diesen und jenen KünstlerInnen entschieden. Man verweist wiederum mehr
oder weniger dezent auf jene Ausstellung, was dann im Sinne der Legendenbildung
einen weiteren Schritt in Richtung deren Unsterblichkeit darstellt. Andere
Galerien, die aus welchen Gründen auch immer weniger visionär
unterwegs sind und diese Eingebungen nicht hatten, versuchen hastig auf den Zug
aufzuspringen und nehmen die ihnen verbleibende dritte und vierte Garde jener
so trefflich gehypten Trend-VertreterInnen unter Vertrag. Uninspiriert
geführte Institutionen entdecken den Trend ebenfalls für sich und
schwuppdiwupp haben wir mal wieder einen wenig aufregenden, um nicht zu sagen
ausgesprochen langweiligen Mainstream. Und währenddessen basteln die
Kuratoren und Kuratorinnen im stillen Kämmerlein bereits schon wieder
eifrig am nächsten Trend, auf den sich dann alle auch wieder in blinder
Verzückung stürzen. Und täglich grüsst das Murmeltier...
Veröffentlicht
in: Artist Kunstmagazin, Nr. 55 (02/03)
© 2003 Jan
Winkelmann