Thomas Eller ist THE ist Sam Rose ist Thomas Eller

Jan Winkelmann

Thomas Ellers Statement aus dem Jahre 1985: "Ich mache nur noch Selbstportraits" ist irreführend. Thomas Eller macht keine Selbstportraits, zumindest keine im klassischen Sinne. Sicherlich photographiert er sich selbst, aber diese Tatsache führt nur auf den ersten Blick in die Nähe der großen Selbstbildner der Kunstgeschichte wie Rembrandt oder gut 250 Jahre später Max Beckmann. Steht bei deren Selbstdarstellungen in erster Linie die Selbsterforschung und die Beschäftigung mit der eigenen Person als Künstler bzw. als Individuum im Vordergrund, tritt dieses Motiv bei den Arbeiten Thomas Ellers zurück. Auf den ersten Blick könnten man die Photofiguren Ellers einer eitlen, selbstgefälligen Haltung zuschreiben und damit dem Künstler seine dreiste und egozentrische Allgegenwart als eine Masche mit hohem Wiedererkennungswert im Hinblick auf den Kunstmarkt unterstellen. Zweifelsohne ist die Permanenz, mit der der Künstler sich selbst abbildet, und die Penetranz, mit der diese Figur in immer neuen Sinnzusammenhängen auftaucht, Teil eines strategischen Verfahrens. Dieses ist, aus der Reklame bekannt, durchaus im Sinne einer Eigenwerbung für ein künstlerisches Produkt zu sehen. Bei genauerem Hinsehen wird jedoch deutlich, daß den Arbeiten Ellers darüber hinaus verschiedene Bedeutungsebenen immanent sind. Das vermeintliche Selbstportrait dient dem Künstler quasi als Arbeitsmaterial mit dessen Hilfe er komplexe kunsthistorische, philosophische und theologische Fragestellungen thematisiert.

Das Portrait von Thomas Eller zeigt uns nicht sein Ich. Über ihn als Person erfahren wir nichts. Was wir sehen, ist lediglich eine Oberfläche. Immer gleichbleibend taucht der freundliche Herr im schwarzen Anzug mit weißem Hemd und schwarzer Krawatte auf. Ebenso monoton wie seine Kleidung wirkt der undifferenzierte Gesichtsausdruck. Seine Mimik ist weit entfernt von subjektiven Empfindungen, was eine gewisse Ernsthaftigkeit im Blick zu belegen scheint. Dieses neutrale und anonyme Auftreten von Thomas Eller vermittelt dem Betrachter einerseits eine bestimmtes Maß an Objektivität. Auf der anderen Seite ist ihm dadurch aber ein zeitloser Charakter zu eigen, der zusätzlich verstärkt wird, indem die auf Aluminium geklebten und ausgeschnittenen Photographien nicht in Farbe sondern schwarzweiß ausgeführt sind. Um so größer ist der Bruch, wenn in einigen Arbeiten die farblosen Thomas Eller-Figuren mit weiteren Bildebenen, die als Farbphotographien ausgeführt sind, zusammentreffen. Nur scheinbar stehen sie ohne Bezug im Raum, denn sie stellen für den Rezipienten oftmals das Bindeglied zwischen diesem und den anderen Bildebenen des Kunstwerkes dar, denn der Betrachter setzt sich zu allererst in Bezug zu dieser Figur. Durch ihre unaufdringliche, aber dennoch beständige Präsenz lassen sie dem Betrachter verschiedene Möglichkeiten: Einerseits können die Figuren Thomas Ellers als ein anonymer Platzhalter, als Stellvertreterfigur gesehen werden. Dies würde bedeuten, daß das Individuum Thomas Eller vollständig in der Hintergrund zurücktritt, sein Erscheinen eher zufällig wirkt und der Betrachter sich mit der für ihn anonymen Figur identifiziert, bzw. sich selbst an dessen Stelle sieht. Andererseits kann sich der Rezipient aber auch affirmativer in Beziehung zu Thomas Eller setzen. In diesem Falle würden die Fragen nach dem abgebildeten Individuum: Wer ist das? und: Warum macht er das? möglicherweise über eine Art Selbstwahrnehmung und -reflexion zu der Frage: Wer bin ich? kommen. Gleichgültig auf welche Weise, die Figur Thomas Ellers tritt in ihrer Funktion als eine Art Bindeglied zwischen Betrachter und Betrachtetem auf. In einem ähnlichen Sinn findet in den Titeln die Doppeldeutigkeit des typographisch ohne Zwischenraum dargestellten THE eine Entsprechung. Einerseits markieren sie als Initialen des Künstlers eine vergleichbare Präsenz wie sein Selbstportrait, andererseits bildet es als der bestimmte Artikel im Englischen einen Fremdkörper innerhalb der Syntax des Titels. Durch das Zusammenziehen der Buchstaben kommt diesem fast zeichenhafte Qualitäten zu. Das Konstrukt von senkrechten und waagrechten Linien wird zu einem – und hier streifen wir wieder das Feld der Werbung – Signet.

Als dritten Grundpfeiler des Fundaments von Thomas Ellers künstlerischem Werk ist sein Alter ego, die Kunstfigur Sam Rose zu nennen. Der findige Kunsthistoriker mag sofort eine Parallele zu Marcel Duchamp und seinem weiblichen Synonym Rrose Sélavy sehen; doch ist dies eine rein zufällige Analogie, und ein gedeuteter Zusammenhang bliebe ein rein hypothetischer. Sam Rose schreibt hauptsächlich Texte über Thomas Eller. bzw. über einzelne Werke oder Projekte Thomas Ellers. Hierbei nimmt er jedoch nicht die Position eines klassischen Kunstkritikers ein, dessen Aufgabe es in der Regel ist – von der Krise der zeitgenössischen Kunstkritik einmal abgesehen –, aus der Sicht eines mehr oder weniger unbeteiligten Betrachters eine Ausstellung zu besprechen und zu werten. Sam Rose tut dies nicht, ebensowenig wie er fundierte kunsthistorische, wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Texte verfaßt. Thomas Eller schlüpft in die Rolle von Sam Rose, um mit dessen Hilfe auf einer verbalen Ebene, im bewußten Gegensatz zur visuellen Erscheinungsmacht des Kunstwerkes und über diese hinausgehend, Zusammenhänge darzulegen oder weiterführende Gedanken zu äußern. Dies tut er bewußt nicht als ein Künstler, der offensichtlich sein Werk selbst kommentiert, sondern wählt eine nur vermeintlich neutrale Instanz, um sich zu äußern. Eine solche Verfahrensweise erlaubt es ihm, auf einer scheinbar objektiven Ebene Gedanken an die eigene Arbeit heranzutragen, ohne sie als unmittelbares Künstler-Statement sichtbar werden zu lassen. In diesem Sinne sind seine, bzw. Sam Roses Texte selbst Teil der künstlerischen Arbeit.

Das photographische Selbstportrait, dessen typographische Entsprechung als Initialen-Signet und der scheinbar objektive Betrachter Sam Rose könnte man zusammengefaßt als Arbeitsmaterial Thomas Ellers bezeichnen. Aber obwohl Thomas Eller hierbei im Mittelpunkt zu stehen scheint, nimmt er selten einen eindeutigen Standpunkt ein. Auch in den Texten von Sam Rose vermeidet er es zugunsten assoziativer Beschreibungen und Eingrenzungen des jeweiligen Themas, darüber hinausgehende Gedanken oder Perspektiven zu entwickeln. Doch auch dies ist Teil seiner künstlerischen Strategie. Oberflächlich besehen scheint sein geballtes Auftreten eine gewisse apriorische Haltung gegenüber dem Betrachten vorzugeben. Erst bei genauerem Hinsehen wird jedoch deutlich, daß der Künstler keine Antworten vorgibt, sondern sein Infragestellen von konventionellen Sehweisen, überkommenen, traditionell vereinbarten Weltbildern oder Konstruktionen des Seins möglichst facettenreich darstellt, um dem Rezipienten die größtmögliche Freiheit im Hinblick auf eine Stellungnahme und einer weiteren Beschäftigung mit diesen Themen zu überlassen.

Indem uns Thomas Eller immer wieder mit sich SELBST konfrontiert, werden wir in der Auseinandersetzung damit letztlich immer wieder bei uns selbst und der Frage nach unserem Selbst angelangen. In diesem Sinne sei uns das Wort Max Beckmanns aus der Londoner Rede von 1938 ein Ansporn: "Ein Selbst zu werden, ist immer der Drang aller noch wesenlosen Seelen."

veröffentlicht in: Wer ist Thomas Eller, Ausst. Kat. Wilhelm-Hack-Museum, Ludwigshafen am Rhein 1994

© 1994 Jan Winkelmann

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