The turkey-breast experience. Ein fortgesetztes Gespräch zwischen Eric Troncy und Jan Winkelmann

Jan Winkelmann: »Weather Everything« folgt der Ausstellung »Dramatically Different«. Könntest Du erklären, worum es in dieser Ausstellung ging. Warum war sie so »überwältigend anders«?

Eric Troncy: »Dramatically Different« ist der Name eines Kosmetikprodukts von Clinique und hat speziell im französischen – weil das Wort »dramatically« ein Faux ami ist – eine sehr starke Bedeutung. Doch am Ende ist es nur eine Gesichtscreme, die Falten glättet. In gewisser Weise ist es eine Creme, die einem die Illusion der Verjüngung gibt, und ich denke, daß die Ausstellung – als Genre betrachtet – eine Verjüngung auch braucht, selbst wenn es sich dabei nicht um eine Illusion handelt.
Ausstellungen einen Titel zu geben ist bedeutungslos und bedeutungsvoll zugleich. Ich würde persönlich nie einen Titel wählen, der direkt darauf schließen läßt, was zu sehen ist. Zuerst einmal weil ich denke, daß Kunstwerke nicht dazu da sind, eine Idee zu illustrieren, die sich bereits im Titel wiederfindet. Zweitens sollte der Betrachter, der mich immer am meisten interessiert, über das, was zu sehen ist im voraus nicht zu viele Anhaltspunkte bekommen, weil er sonst mehr oder weniger wissen würde, was ihn erwartet. Darüber hinaus muß ich sagen, daß ich Themenausstellungen in der Regel relativ langweilig finde. Meiner Meinung nach sind sie nur dazu da, den Eindruck zu erwecken, daß es sowohl in den Ausstellungen als auch bei den Werken darin tatsächlich um etwas »geht«. Ich denke, daß Kunstwerke, und Kunst im allgemeinen, kraftvoll genug sind, daß sie so etwas gar nicht nötig haben. Ich würde mir niemals eine Ausstellung mit dem Titel »Die Porträtkunst am Ende des 20. Jahrhunderts«, oder noch schlimmer: »Junge Schwedische Kunst« (oder welches Land auch immer) anschauen, weil es unbefriedigend ist, Kunst aus diesem Blickwinkel zu betrachten. Mit dem Titel, den eine Ausstellung trägt, vermittelt sich sehr deutlich die ideologische und philosophische Haltung des Kurators, und darüber hinaus zum Teil auch die Gründe, warum diese Ausstellung gemacht wurde. In den meisten Fällen erkennt man politische, oder egoistische Gründe, manchmal sogar beides zusammen. Durch die Titel von Ausstellungen vermittelt sich ebenfalls, wie der Kurator und die Institution mit der Kunst umgehen, aber auch ihre Einstellung und ihre Ethik.
Sowohl »Weather Everything« als auch »Dramatically Different« sind offene Titel, die dies oder jenes meinen können, oder auch nicht. Wenn man nach Bedeutungen suchen will, kann man viele finden, jede so gut wie die andere. Die Ausstellung in Leipzig folgt der in Grenoble, also dachte ich, sei es die beste Lösung den Namen eines neuen Produktes von Clinique zu benutzen: »Weather Everything«. Folgendes bringt es ein wenig genauer auf den Punkt: ich wollte von einem alten Produkt eine neue Fassung machen. Der Titel erlaubt viele Mutmaßungen. Zum Beispiel, daß die Werke gegenüber jeder »Witterung«, der sie in der Ausstellung ausgesetzt werden, resistent sind. Darüber hinaus gefällt mir die Idee, daß dieser Titel direkt an ein kommerzielles Produkt erinnert, das eine Art von Sponsoring suggeriert, das wir natürlich nie versucht haben zu bekommen. Es ist ja durchaus denkbar, daß eines Tages Ausstellungen von SONY oder Coca-Cola gesponsert werden und den Namen eines brandneuen Produktes, beispielsweise eines Videorecorders oder eines Diät-Drinks, tragen.

Nachdem wir uns entschieden hatten, Dich einzuladen, eine Ausstellung zu konzipieren, hast Du den Wunsch geäußert, »Dramatically Different« nicht einfach zu übernehmen. Statt dessen wolltest Du an dem Konzept weiterarbeiten und der vorgegebenen architektonischen Situation, die sich von der im Le Magasin grundlegend unterscheidet, anpassen. Dort war es ein altes Industriegebäude, in Leipzig ist es eine Gründerzeitvilla. Neben dem historischen Bezug (beide sind aus der Zeit der Jahrhundertwende) sind es so ziemlich die größten vorstellbaren Gegensätze, im Sinne eines marxistischen Verständnisses. Auf der einen Seite eine industrielle Arbeitsstätte, auf der anderen Seite ein großbürgerliches Wohnhaus. Hast Du diesen Gegensatz als solchen wahrgenommen? Wenn ja, hatte es einen Einfluß? Auf welche Weise hat sich durch die Räumlichkeiten in Leipzig das Konzept verändert bzw. weiterentwickelt?

In der Tat sind beide Orte total verschieden. In »Dramatically Different« ging es um Ideen, die an einem Ort, wie dem Le Magasin auf geeignete Weise entwickelt werden konnten. Es interessierte mich nicht, daß es sich um ein altes Industriegebäude handelte, weil die Ausstellung in einem Teil des Gebäudes stattfand, der vollständig renoviert war und aussieht wie jede Art von musealem Raum: große »White Cubes« mit elegantem Fußboden, kein Tageslicht, dafür aber spezielle Neonbeleuchtung. In Bezug auf eine marxistische Analyse würde ich sagen, daß sie eine der bürgerlichsten Institutionen Frankreichs außerhalb von Paris ist und wahrscheinlich das größte Jahresbudget für einen Ort in der »Provinz« hat. Le Magasin ist ein nationales Kunstzentrum, wie der Name schon sagt, und kostet Eintritt (wie es z.B. im Le Consortium nicht der Fall ist). »Die Erziehung der Massen durchläuft eine Reihe von Anpassungen«, wie Liam Gillick sagen würde. Doch im Hinblick auf das charakteristische der Architektur (nicht mit Blick auf ihre frühere Nutzung) unterscheidet sich die Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig im wesentlichen aus zwei Gründen. Erstens: es sind hier kleinere Räume. Und obwohl sie durch den Umbau nun sehr »schick« anmuten, haben sie doch noch etwas »häusliches«. Zweitens hat jeder Raum (mit drei Ausnahmen) sehr große Fenster nach außen, was man unbedingt in die Überlegungen mit einbeziehen mußte. Also schien es mir aus »physikalischen« Gründen nicht möglich, die Ausstellung aus Grenoble zu übernehmen. Am wichtigsten war jedoch, daß es für mich sehr aufregend war, den Gedanken der Ausstellung weiterzuführen und etwas Neues zu machen, das Publikum (mich eingeschlossen) mit neuen Situationen, neuen Erfahrungen zu konfrontieren. Und insgesamt vielleicht noch einen Schritt weiterzugehen, was die Freiheit bei der Komposition der Räume betrifft, mich selbst nicht zu zwingen, kohärente Räume zusammenzustellen. An einem bestimmten Punkt der Vorbereitung von »Dramatically Different« hatte Yves Aupetitallot, glaube ich, Schwierigkeiten mit der Art, wie ich mit den Kunstwerken umging. Er war sehr darauf bedacht, dieser Haltung einen seriösen Background zu geben. Die einzelnen Räume in Grenoble waren so konzipiert, daß sie dem Betrachter eine bestimmte Bedeutung zu vermittelten. In Leipzig arbeitete ich daran, daß sie dem Betrachter ein bestimmtes Gefühl vermittelten.

Es gibt immer eine Diskrepanz zwischen der Vorstellung, die man von einer Ausstellung entwickelt, die sich während des Prozesses der Vorbereitung und Organisation verändert, und gegenüber dem, was am Ende dabei heraus kommt, d.h. wie sie tatsächlich aussieht. Du hast eine sehr klare Vorstellung davon, wie »Weather Everything« aussehen soll. Ich nehme an, Du hattest eine vergleichbar präzise Idee von »Dramatically Different«. Hat das »Resultat« tatsächlich genau Deinen Erwartungen von der Ausstellung entsprochen, oder gab es eine große Differenz zwischen Vorstellung und Realität? Falls das der Fall war, was hast Du daraus gelernt?

»Dramatically Different« sah mehr oder weniger genau so aus, wie ich es mir vorgestellt hatte. Die Institution im Hintergrund war eine sehr große Hilfe (im besonderen Alessandra Galasso, die zu dieser Zeit dort arbeitete) und machte jede Entscheidung möglich, einige technisch sehr aufwendige Arbeiten eingeschlossen. Wie auch immer, einige Stücke fehlten zum Schluß aufgrund von Absagen von Galerien oder Sammlern. Wenn ich eines während dieser Ausstellung gelernt habe, dann ist es, daß einige Kunstwerke endgültig für den Rest der Welt verloren sind, wenn sie von bestimmten Sammlern gekauft werden. Und ebenso, daß man als Künstler besser nicht stirbt, weil ansonsten deine Galerie für dich denkt, wie eine Mutter für ihr Kind denkt. Im Zusammenhang mit »Dramatically Different« fühlte ich mich sehr verletzt, was Felix Gonzalez-Torres betraf, der ein sehr guter Freund von mir war und wahrscheinlich einer der wichtigsten Künstler am Ende dieses Jahrhunderts. Wenn ich mir vorstelle, was für eine Beziehung ich zu Felix hatte und sie mit jenen vergleiche, die ich gezwungen war nach seinem Tod mit seinen Sammlern und Händlern im Zusammenhang mit dieser Ausstellung zu haben, wird mir angesichts des Unterschiedes richtig übel. Diese Erfahrung war besonders bestürzend, weil die ideologischen Grundlagen von Felix Werk, wie Freiheit und Großzügigkeit, von der Einstellung dieser Leute, die eigentlich die Verantwortung für sein Andenken haben sollten, total zerstört wurden.
Einige Werke anderer Künstler konnten wir auch nicht bekommen, weil sie bereits für andere Ausstellungen reserviert waren: das sind die Spielregeln. Meine Philosophie für diese Ausstellung war, auf angemessene Weise zu kämpfen, um diese oder jene Leihgabe zu bekommen, aber niemals auf übertriebene Weise. Es ging hierbei auch um den Entschluß, sich nicht auf das Spiel von Verführung und Unterwerfung, das in der Kunstwelt gang und gäbe ist, mich aber nicht besonders interessiert, einzulassen.

Könntest Du erklären, inwieweit sich Deine Vorgehensweise im Zusammenhang mit »Weather Everything« von der üblichen Arbeitsweise bei der Konzeption einer Ausstellung unterscheidet?

Sowohl »Dramatically Different« als auch »Weather Everything« sind Ausstellungen, die mit Werken und nicht mit Künstlern gemacht wurden. Demgegenüber besteht ein großer Unterschied, wie ich von 1989 bis 1997 Ausstellungen gemacht habe. Wie dem auch sei, diese Art mit Kunstwerken umzugehen wurde mir von Künstlern selbst nahegebracht, wie z.B. von Rirkrit Tiravanija, der Werke von anderen Künstlern ausstellte, oder Dominique Gonzalez-Foerster und einigen anderen. Bei »Weather Everything« habe ich, nebenbei erwähnt, die Gewichtung ein wenig austariert, weil es nicht angemessen ist, eine Ausstellung ohne Künstler zu machen. So wurden z.B. John Armleder, Liam Gillick und Sylvie Fleury eingeladen, ein Projekt eigens für die Ausstellung zu entwickeln, und bei einigen anderen, wie Bertrand Lavier, Alain Séchas, Plamen Dejanov & Swetlana Heger und Sarah Morris, lag der Auswahl der Arbeiten eine Diskussion mit den Künstlern zugrunde. Das ist allerdings eine interessante Frage: haben Kunstwerke ein Leben ohne ihre Schöpfer, nachdem sie fertiggestellt wurden? In vielen Fällen ist diese Frage nicht gelöst: bei Werken, die technische Hilfe benötigen, die nur von einer Person auf der Welt gegeben werden kann, bei Arbeiten, die sich in öffentlichen Sammlungen befinden und nicht ohne den Künstler selbst oder mit seinem Einverständnis installiert werden können und so weiter... Das ist schon ein bißchen merkwürdig!
Was ich mit diesen beiden Ausstellungen begonnen habe, und nächstes Jahr im L'Elac in Lausanne weiter fortsetzen werde, ist eine andere Form der Präsentation von Kunstwerken zwischen der üblichen »musealen Attitüde« und der traditionellen »Gruppenausstellungs-Haltung« zu definieren. Natürlich ist die Art, wie ich in Leipzig vorging weder einmalig, noch neu. Aber wenn Leute für gewöhnlich denken, sie gehen mit Kunst auf außergewöhnlich freie Art um, indem sie Werke nebeneinander hängen, oder zumindest in einem Raum eine merkwürdige narrative Konstellation hervorbringen, sind sie zu ängstlich und bleiben auf einer eher höflichen Ebene stecken, die dann natürlich überhaupt nicht mehr funktioniert. Ich war zum Beispiel total schockiert, Katharina Fritschs »Tischgesellschaft« im Museum für Moderne Kunst in Frankfurt am Main zu sehen. Eine wunderbare Arbeit, die wir versucht haben für die Ausstellung zu bekommen. Nicht nur wegen des absurden dreieckigen Raums, der die Perspektive grundlos betont, nicht nur wegen des armseligen dünnen Seils, das um die ganze Arbeit gespannt ist, um die Besucher auf Abstand zu halten, sondern vor allem wegen der beiden Gemälde von Alex Katz, die im selben Raum hängen. Es sind zwei Porträts von lächelnden Frauen und als Betrachter begreift man sofort, welche Absicht dahinter steckte, diese 32 ernsthaften Männer, die an einem Tisch sitzen und die beiden lächelnden Frauen in einem Raum zusammen zu präsentieren. Aber leider sind die beiden Gemälde von Katz sehr schlecht und nicht stark genug, um es mit der Arbeit von Fritsch aufnehmen zu können. Es wäre naiv nicht zuzugeben, daß sich da eine Art von Konkurrenzkampf abspielt. Ich hätte wahrscheinlich die »Big Nudes« von Helmut Newton um diese kleinen strengen Männer gehängt, um mit der Harmonie von Schwarz und Weiß zu spielen, während die Intensität der Arbeit von Fritsch, dem »Überrealismus« der Photographien von Helmut Newton gegenübersteht. Eine andere Möglichkeit wäre gewesen die Gebäudefassaden aus Aluminium von Bertrand Lavier – seine »Relief peintures« – auszuwählen und die CD »Radioactivity« von Kraftwerk zu spielen. Zusammenfassend: die methodische Vorgehensweise bei »Weather Everything« bestand zunächst darin, Freiheit, schlechten Geschmack, guten Geschmack, Traditionen, Ideen, Sehnsüchte und Vergnügen gegenüberzustellen.

»Weather Everything« basiert nicht auf einem Konzept oder einem vorher exakt definierten theoretischen Hintergrund, der mit Hilfe der Kunst »illustriert« wird. Es geht mehr um ein spielerisches Zusammenfügen von unterschiedlichen Arbeiten, die neue Gedanken, Bedeutungen, Geschichten und Gefühle hervorbringen, die den einzelnen Arbeiten vorher nicht eingeschrieben waren. Diese Art des Umgangs mit Kunstwerken unterscheidet sich deutlich von der herkömmlichen Präsentation von Werken in einer klassischen Ausstellung. Alleine deshalb gibt es einen realen, ernsthaften Hintergrund und gründet sich nicht nur auf Spaß, Unterhaltung, narrative Momente usw. Es ist keine diskursive Analyse von theoretischen Fragestellungen und bricht mit einer Tradition von Ausstellungen, wie wir sie seit mehr als 100 Jahren kennen.

Soweit ich mich erinnern kann, haben mich immer Ausstellungen interessiert, deren Kohärenz sich durch etwas ergibt, das ein klein wenig riskanter ist als das reine Konzept. Über »No Man’s Time«, eine Ausstellung, die ich 1991 in der Villa Arson in Nizza machte, schrieb ich Helena Kontova und Giancarlo Politi von Flash Art: » ‘No Man’s Time’ has been based on no particular concept and is without any theoretical scheme. First and foremost, the show does not set out to prove or claim anything. It is neither an angle on the future nor a synthesis of the present. ‘No Man’s Time’ is a show and its three month duration is not unlike a theater run.« (in Flash Art, No. 161, Nov./Dec. 1991). In den letzten sieben Jahren hat sich meine Position irgendwie nicht wesentlich verändert. Die Idee, eine Ausstellung als Spektakel zu verstehen, ist mir immer noch sehr nah, wenn man davon ausgeht, daß ein Spektakel wesentlich mehr sein kann als eine einfache Möglichkeit, dem Betrachter Vergnügen zu bereiten. Wie ich zuvor bereits erwähnte, bei dieser Ausstellung geht es darum, einen neuen Weg zu erkunden mit Kunstwerken umzugehen, abseits der Haltung, wie wir sie aus Museen, von Sammlern und Galerien kennen. Denn wenn man darüber nachdenkt, stellt man fest, daß bei jeder dieser Kategorien, denen unterschiedliche Zielsetzungen zugrunde liegen, auf ganz bestimmte Weise mit Kunst umgegangen wird. So ist die Entscheidung, Kunstwerke auf diese Art zu handhaben, doch ziemlich politisch, was aber – um das noch einmal zu betonen – nicht die Form einer gewalttätigen Demonstration oder eines Manifests annimmt. Statt dessen wird sie mit der durchaus angenehmen Erfahrung einer Ausstellung vermittelt.
Um noch einen Schritt weiter zu gehen, meiner Meinung nach gibt es eine Tradition, auf die sich »Weather Everything« bezieht, doch sind dies keine Mainstream-Ausstellungen. »Bestiarium« von Rüdiger Schöttle vor mehr als zehn Jahren ist eine von diesen, genauso wie »Punishment and Decoration«, kuratiert von Michael Corris und Robert Nickas in der Galerie Hohental und Bergen in Köln (1993), oder ganz einfach die Andy Warhol Ausstellung im Whitney Museum in New York im Jahr 1997. Alle diese Ausstellungen forderten einen auf, darüber nachzudenken, wie man mit Kunstwerken umgehen kann.

Du nimmst Dir die Freiheit einzelne Kunstwerke zu »mixen«, nicht nur indem Du sie in ungewöhnlichen Zusammenstellungen in einem Raum präsentierst, sondern auch dadurch, daß Du sie zum Teil übereinander hängst. Du rührst an der Integrität des Werks, das als auratisches Einzelwerk geschaffen wurde und nie dazu gedacht war, auf diese Weise manipuliert zu werden. Mir gefällt die Idee, daß Du mit dem Instrument des Kurators – der Ausstellung – arbeitest und es dabei gleichzeitig in Frage stellst. Neu ist, daß Du das Kunstwerk benutzt, nicht um eine theoretische Idee zu illustrieren, sondern als eine Art Arbeitsmittel, nicht als eine unantastbare Aussage, sondern als etwas, das der persönlichen Erfahrung unterliegt und über das man auf unterschiedliche Weise reflektieren kann (worum es in der Kunst ja eigentlich immer geht). Meinst Du nicht, daß Deine Haltung in dieser Hinsicht – ich meine die Art und Weise wie Du die Kunstwerke »benutzt« – mit der vergleichbar ist, die Du zu vermeiden suchst? Ich meine hierbei die Idee, Kunst zur Illustration einer Idee zu gebrauchen. Im einen wie im anderen Fall werden Werke benutzt, um das zu vermitteln oder darzustellen, was der Kurator im Kopf hat?

In dem speziellen Fall, den Du eben angesprochen hast – ein Werk unmittelbar auf das andere zu hängen – ist meiner Meinung nach die Integrität jedes der beiden Werke gewährleistet. Ich würde sogar noch einen Schritt weiter gehen und behaupten, daß es die bestmögliche Art die Integrität eines Werkes zu respektieren ist, sie übereinander zu hängen. Nüchtern gesagt hat das Wandgemälde von Lily van der Stokker eine stark dekorative Funktion und erinnert insgesamt schon sehr an eine Tapete. Die Arbeit von Allan McCollum, 218 Elemente aus der »Plaster Surrogates«-Serie, hat auch etwas mit der Idee von Dekoration zu tun, jedoch auf umgekehrte Weise: sie zeigt den Rahmen als ein dekoratives Objekt und jede Art von Bild ist aus dem Rahmen verschwunden, vielleicht weil es nicht brauchbar war. Ich habe nun einfach diese speziellen Eigenschaften der beiden Werke zusammengefügt und sie auf die Art gezeigt, die sie erfordern. Bei »Weather Everything« passiert das gleiche mit John Armleders Wandgemälden. Sie erinnern an Tapeten, da sie die Wand vom Boden bis zur Decke bedecken und das Motiv regelmäßig und systematisch wiederholen. Wände mit Tapeten (in Leipzig ist es Andy Warhols »Mao Wallpaper«) oder Wandgemälden, die wie Tapeten aussehen, zu bedecken, sind zwei Möglichkeiten, der lächerlichen und altmodischen Idee vom »White Cube« aus dem Weg zu gehen, die in keiner Weise mit zeitgenössischer Kunstpraxis korrespondiert, oder zumindest für deren Präsentation nicht mehr notwendig ist. Diese ganze Idee von der Integrität des Kunstwerkes muß – mit anderen Mitteln – gänzlich überdacht werden. Wie Sarah Morris sagen würde: »Selbst ein Kosuth endet als Dekoration in einer Wohnung von irgend jemand« (Gespräch mit Sarah Morris, Juni 1998).
Natürlich werden die Werke irgendwie auf eine bestimmte Weise »benutzt«, um dem Betrachter mit einer sehr persönlichen, gleichzeitig aber auch temporären Sicht zu konfrontieren. Am Ende ist es jedoch nicht mehr als eine Aufforderung, auf diese Weise mit Kunst umzugehen. Die wahre Absicht ist es, dem Betrachter die Verantwortung zu geben (ich würde sogar sagen zurückzugeben) die er der Kunst gegenüber immer haben sollte, nämlich sie als zum ihm gehörend zu betrachten. Ein Kunstwerk existiert nicht, wenn man nicht mit ihm spielt, wenn man das Erlebnis mit ihm nicht als Souvenir mitnimmt, sozusagen die Erinnerung von einem vor dem Werk und wenn man diese Erfahrung nicht mit anderen Erfahrungen verbindet. Ein Kunstwerk zu betrachten kann kein Erlebnis sein, das vollständig von der eigenen Wahrnehmung der Welt, mit ihren sozialen, ästhetischen oder politischen Realitäten getrennt werden kann.

Um auf die Auswahl der Kunstwerke zurückzukommen. Du erwähntest, daß Du nicht Künstler, sondern Werke ausgewählt hast. Das gibt es etwas verkürzt wieder. Im Falle von Helmut Newton zum Beispiel war es Dir egal, welche »Big Nude« wir bekommen. Es ging einfach darum, daß sie High-heels trägt und dem Betrachter frontal gegenübersteht. Will heißen, Du hast Dich für ein Sujet und das, was sich durch dieses Sujet vermittelt, entschieden. Dann gab es aber auch ganz bestimmte Arbeiten, die Du für die Ausstellung wolltest, z.B. Franz Gertschs Gemälde »Marina schminkt Luciano«. In anderen Fällen, wie bei Sarah Morris, ging es um »irgendeine Arbeit«. Könntest Du bitte etwas genauer definieren, warum Du Dich für was entschieden hast?

Bei Helmut Newton ging es ganz einfach darum, im selben Raum die »Big Nudes« und Katharina Fritschs »Madonna« zu zeigen. Du wirst mir zustimmen, daß jede »Big Nude« geeignet gewesen wäre, den Betrachter in eine Situation zu bringen, wo er erkennt, daß er in diesem Raum mit zwei relativ unterschiedlichen Frauenbildern konfrontiert ist, was, nebenbei erwähnt, in seiner Einfachheit schon fast geschmacklos ist. Das könnte auch heißen, daß jedes Foto aus dieser Serie genauso gut ist wie das andere. Im Falle von Gertschs Gemälde war das Thema wichtig: eine Schmink-Szene von zwei Transvestiten. Das Gemälde wird in der Ausstellung hinter der Skulptur »Les papas« von Alain Séchas gezeigt. Eine großartige Szenerie, die Skelette ebenfalls beim Malen zeigt. Sie malen die Portraits ihrer Väter. Eine ganze Reihe von Beziehungen zwischen diesen beiden Werken können vom Betrachter hergestellt werden: zwei unterschiedliche »Mal-Vorgänge«, die Transvestiten und das Vaterbild usw.
Bei Sarah Morris war es auch nicht »irgendein« Werk, sondern »irgendeines aus der Gebäude-Serie«. Ganz einfach weil jede Arbeit dieser Serie so phantastisch ist (ähnlich wie bei Newton) und wir ja, zusammen mit Dan Grahams »Revolving Door« und Liam Gillicks »Discussion Island«, eine Situation schaffen wollten, die sich mit dem Corporate Design und der Ästhetik von »Machtzentren«, wie Konzernzentralen, Flughäfen usw. beschäftigt. Im Grunde gibt es nicht nur einen Weg, sich für ein Werk zu entscheiden oder einen Raum zusammenzustellen. Die Ausstellung kann wirklich wie ein Spektakel oder wie ein Kinofilm verstanden werden. Einige Szenen müssen sehr realistisch gedreht werden, mit einer »einfachen« Kamera, andere Szenen benötigen eine starke Nachbearbeitung, bei der noch einige Spezialeffekte hinzugefügt werden müssen.

Die Subjektivität der Herangehensweise an »Weather Everything« ist vergleichbar mit der eines Künstlers. Es gibt aber doch noch einen Unterschied zu dem, wie ein Künstler arbeitet.

Es ist merkwürdig, daß diese Frage nach den Grenzen der Macht des Kurators und der »Gefahr«, daß er sich wie ein Künstler benehmen könnte, so wichtig zu sein scheint. Du erinnerst Dich, daß es auch die erste Frage aus dem Publikum nach meinem Vortrag in der Galerie einige Tage nach der Eröffnung war. Um von der Seite zu antworten: Ich würde sagen, daß ich nicht weiß, ob man Menschen die Objekte, Bilder und Situationen schufen, wie sie in der Ausstellung zu sehen sind, »Künstler« nennen muß. Warum sollen wir das selbe Wort benutzen, um Fra Angelico und Angela Bulloch zu klassifizieren? Für mich ist das nicht von Belang. Mir ist es wirklich egal, ob diese Leute Künstler sind. Mich interessiert lediglich die Tatsache, daß sie etwas schaffen, das auf einem anderen Gebiet nicht möglich wäre und daß die Erfahrung vor dem, was sie schufen ziemlich einzigartig ist. Es ist Zeit, einmal deutlich zu sagen, daß bestimmte Fragestellungen wirklich altmodisch sind. Auf die Bemerkung, die in Zusammenhang mit seiner Arbeit sehr oft geäußert wurde: »Das hätte ich auch machen können«, würde Bertrand Lavier ganz einfach folgendes antworten: »Ja, möglicherweise. Aber es ist zu spät.« Ich denke, daß diese Art von Äußerungen auf solche Weise beantwortet werden sollten.
Um nun von vorne zu antworten: Ja, ich bin der Meinung, daß der Kurator eine Art von »Künstler« ist. Ansonsten wüßte ich nicht, wofür er im Rahmen einer Gruppenausstellung gut wäre, die mit Werken aus öffentlichen und privaten Sammlungen zusammengestellt wurde und kein bestimmtes Thema hat. Wenn Kuratoren sich häufiger ihrer Freiheit etwas mehr bedienen und sich um diese Art von Fragen nicht kümmern würden, dann wären ihre Ausstellungen wahrscheinlich wesentlich aufregender und würden eine persönlichere Vision von Kunst vermitteln.

Offensichtlich hast Du berücksichtigt, daß die Galerie früher ein großbürgerliches Wohnhaus war. Es gibt viele Werke, die mit Dekoration und Möblierung zu tun haben. Die meisten Gemälde sind figurativ-realistisch, mit Sujets wie Menschen und Haustieren (z.B. der Hase von Agerbeek oder Cattelans Hund). Darüber hinaus scheint das urbane Leben ein wichtiges Element in der Ausstellung zu sein, wie z.B. die Schminkszene der Drag Queens (Gertsch), die Drehtür (Graham), das Auto von Lavier. Hattest Du solche Schlüssel-Themen im Kopf? Wenn ja, gibt es eine Art von »Storyboard«, das die einzelnen Themen am Ende wieder zusammenführt?

Weil es eine der Absichten dieser Ausstellung war, den Betrachter anzuregen, Geschichten zu kreieren, mußte die Ausstellung figurative Elemente beinhalten, die die Besucher auf ihr alltägliches Leben verweist. Seit El Lissitzkys »Geschichte von zwei Quadraten« ist es ziemlich schwierig mit einem abstrakten Gemälde eine Geschichte zu erzählen, weil es genau das ist, was diese Art von Gemälden zu vermeiden versuchen. Natürlich geht es in Peter Halleys »Cells« um »Gesellschaft«, doch liegt das Verständnis hierfür weit jenseits dem Betrachten der gemalten Oberfläche. Im Gegensatz dazu, denke ich, daß sowohl bei Sarah Morris' Bildern als auch bei Liam Gillicks Wandgemälde, auch wenn beide dem Bereich der Abstraktion zugerechnet werden könnten, sich dem Betrachter ein Gefühl für die »Geschichte hinter der Oberfläche« sehr schnell vermittelt.
Daneben ist die Ausstellung, wie ich bereits zuvor sagte, ein bißchen wie ein Film mit unterschiedlichen Szenen aufgebaut, wofür sowohl Schauspieler, Statisten und Dekoration unbedingt notwendig sind. Künstler von heute scheinen vom Kino ungeheuer fasziniert zu sein und einige von ihnen produzierte Bilder sind ähnlich wie die im Kino. Sie nutzen Kameras, Videos, ab und zu 16mm-Film, um riesige Bilder an die Ausstellungswände zu projizieren. In den meisten Fällen ist das Ergebnis bei weitem nicht so gut wie bei einem Film und, wie Gregor Muir sagen würde: »Certain artists are seduced by a moving image, that big, of their own making. More than anything, artists are seduced by the spectacle of video projection often without questioning the fundamental principles of spectacle in terms of heavy-handed posturing« (in Kat. Life/Live, Musée d’Art Moderne de la Ville de Paris, 1996). Es ist wirklich eine grundlegende Entscheidung, keine Videos oder andere bewegte Bilder in »Weather Everything« zu zeigen, denn der Betrachter soll sich seine eigene animierte Bildfolge durch die Kunstwerke, die in der Ausstellung zu sehen sind, entwickeln. Die Ausstellung handelt, ebenso wie jede andere zeitgenössische Schöpfung, natürlich auch vom kulturellen Einfluß des Kinos auf die unzähligen Bilder und Szenen, die wir in unseren Köpfen haben. Das »Storyboard«, wie Du sagst, ist manchmal sehr präzise geschrieben, manchmal aber auch sehr offen gehalten.

Könntest Du beschreiben, wie Du dieses »Storyboard« angelegt hast? Auf mich macht es den Eindruck, als ob das Erdgeschoß eher theorie-lastig, sagen wir intellektueller ist. Im Obergeschoß hast Du hingegen eine Raumfolge mit unterschiedlichen Stimmungen geschaffen, die insgesamt leichter wirkt. Offenbar gibt es immer zwei Ebenen: eine für das Publikum ohne umfassende Kenntnis und eine, die sehr ambitioniert ist, für die Profis. Zum Beispiel der erste Raum mit dem Skateboard (»Chuck MacTruck«, 1995) von Bertrand Lavier und der »Lady with Shopping Bags« (1973) von Duane Hanson ist sehr reduziert, aber auch sehr dicht. Du erwähntest das Aufeinandertreffen von verschiedenen Zeitebenen (ein Neo-Rokoko-Raum aus der Zeit Anfang des Jahrhunderts, eine Person aus den siebziger Jahren und das zeitgenössische Skateboard) und die Möglichkeit, daß der Betrachter sich mit der Frau, die vor einer modernen Skulptur steht und sich fragt, was das ganze eigentlich soll, identifizieren kann. Es ist sozusagen das Bild eines stereotypischen Besuchers, bei dem sich das Problem der Unverständlichkeit von zeitgenössischer Kunst für Laien darstellt. Auf der anderen Seite haben wir das Spiel von Fiktion und Realität. Daneben läßt sich die gesamte Entwicklungsgeschichte der Skulptur seit Duchamp entdecken: die Idee des »Ready-made« (ein gebrauchtes Skateboard, das von einer merkwürdigen Metallhalterung getragen wird, die man üblicherweise für die Präsentation afrikanischer Masken benutzt, womit eine Ebene der kulturellen Transgression ins Spiel kommt), die Bedeutung des Sockels, der eine bestimmte Aura schafft und auf der anderen Seite das gegensätzliche Beispiel, der fehlende Sockel bei der Skulptur (Hanson), die auf dem Boden steht usw.

Als erstes möchte ich auf die Gegenüberstellung von »normalem« Betrachter und Profi reagieren. Für mich ist der Fachmann auch nur ein normaler Besucher, bei dem eine andere Ebene der Rezeption und Wissen ins Spiel kommt. Doch im Grunde genommen kann das jeder Betrachter genauso leisten. Vor der Mona Lisa, zum Beispiel, sind einige Betrachter lediglich von dem berühmten Lächeln, der Art, wie einen die Frau anzuschauen scheint, fasziniert. Der Spezialist wird erkennen, wie Leonardo auf ganz neue Art mit der Gestaltung des Hintergrunds umgeht: der Einsatz von blauen Farben, um den Schleier, das »Sfumato« zu erreichen, was ja die absolut neue, strategische Erfindung bei diesem Gemälde darstellt. Am Ende sind diese Zugänge jedoch wieder sehr stark miteinander verknüpft. Man erreicht diesen Eindruck nicht ohne die bestimmte Technik und umgekehrt. Für mich funktionieren die Räume in »Weather Everything« irgendwie auf ganz ähnliche Weise. Natürlich ist es lustig, wenn eine alte Frau ein Skateboard betrachtet. Allerdings hätte es keine Wirkung, wenn sich nicht durch dieses einfache Bild und aus der Situation einige Fragen ergäben. Wenn der Betrachter »ein wenig arbeitet«, wie Jean-Luc Godard es nennen würde, kann er die Fragen entschlüsseln, die durch die bestimmte Situation vorgegeben werden.
Im Grunde gibt es kein bestimmtes »Storyboard«. Es sind nur wenige Möglichkeiten unter vielen dargestellt. In einem hast Du aber recht, jede Entscheidung ist wichtig.

Es kommt sehr oft vor, daß einige Aspekte der Komplexität von Werken »abgeschnitten« werden. Sie werden mit anderen Arbeiten in einem Raum gruppiert und diese Kombination ergibt den Kontext, in dem Du sie gesehen haben möchtest. Einige Aspekte außerhalb dieses künstlichen Zusammenhang sind in diesem Moment einfach nicht relevant. Die Werke verlieren zwar nicht einen Teil ihrer Identität, jedoch ihrer Komplexität, weil Du als Kurator den Betrachter »zwingst«, sie unter einem bestimmten Blickwinkel zu betrachten. Für den Betrachter, der mit den einzelnen Werken womöglich nicht so vertraut ist, sind verschiedene Aspekte einfach nicht erkennbar und gehen irgendwie verloren. Das beste Beispiel sind Plamen Dejanov & Swetlana Heger. Der ökonomische Hintergrund, der einen wichtigen Teil ihrer künstlerischen Strategie ausmacht, wird hier völlig außer Acht gelassen. In ihrem Fall hebst Du den dekorativen Aspekt, die Ästhetik der siebziger Jahre usw. hervor, hingegen wird die Tatsache, daß sie das mit unterschiedlichen Jobs verdiente Geld in den andauernden Ankauf von neuen Objekten reinvestieren, nicht deutlich. Dasselbe gilt für viele andere Künstler, wie beispielsweise für Angela Bulloch und Dan Graham. Natürlich hast du die Künstler gefragt und sie sind mit der Art der Präsentation einverstanden, aber denkst Du nicht, daß es problematisch ist, bestimmte Aspekte völlig außer Acht zu lassen?

Es geht nicht darum, einen Teil der Komplexität zu verlieren, vielmehr werden bestimmte Aspekte in den Vordergrund und andere Gesichtspunkte in den Hintergrund geschoben. Doch dieser Hintergrund bleibt für jeden immer noch zugänglich. Du hast recht mit dem Beispiel von Plamen Dejanov & Swetlana Heger: der ökonomische Aspekt verschwindet durch diese Art der Präsentation. Doch möchte ich die Tatsache hervorheben, daß sich die Arbeiten, die wir für die Ausstellung ausgewählt haben, mittlerweile in öffentlichen oder privaten Sammlungen befinden. Selbst wenn im Falle Dejanov & Heger die ökonomische Strategie im Hintergrund verschwindet – und gerade die Verfahrensweise bei der Produktion der Arbeiten ist sehr wichtig in ihrem Werk –, am Ende hat die Arbeit ein eigenes Leben ohne ihre Schöpfer. Etwas allgemeiner gesagt denke ich, daß Kunstwerke mehrere Leben haben. Sogar Michelangelos Fresken in Rom haben verschiedene Leben, was die Veränderung ihres Äußeren betrifft: das ihrer Entstehungszeit, das ihres fortschreitenden Alters [mit den Spuren von Jahrhunderten, die ihnen die charakteristische dunkle Farbe gab] und das heutige, nach der Restaurierung. Die leuchtenden Farben laden dazu ein, sie mit Bildern aus dem Kino und der Werbung zu vergleichen. Eine der Aufgaben des Kurators ist es, Kunstwerke zu revitalisieren, ihnen vorübergehend ein neues Leben zu geben. Um ehrlich zu sein, Künstler machen das auch. Ich erinnere mich an Carl Andre, wie er über seine Boden-Arbeiten sprach. In den siebziger und achtziger Jahren betonte er, daß sie horizontale Skulpturen seien. In den Neunzigern hingegen erklärte er, daß das Material, dieses Metall, Bezug nimmt auf die Ästhetik von industriellen Vorstädten.

Offensichtlich hat die Ausstellung sehr viel mit der Person Eric Troncy zu tun. Ich möchte jetzt nicht behaupten, daß »Weather Everything« ein Selbstporträt sei, doch da Du Deine Definition des Kurators als eine Art Künstler angeführt hast, denke ich, ist es legitim, diesen Begriff zu gebrauchen. Offensichtlich ist eine Menge über Dein berufliches »Weltbild« zu finden. Wir haben das in diesem Gespräch ausgiebig erörtert, doch nun möchte ich gerne mehr über die ganz persönlichen Dimensionen erfahren. Es gibt Räume mit leichter und fröhlicher Atmosphäre, während andere ruhiger sind, manche sogar traurig, und im Falle des letzten Raumes mit Gloria Friedmann, Wendy Jacob, Philippe Parreno und Yan Pei Ming, irgendwie melancholisch.

Ich bin nicht sicher, ob die Ausstellung so aussehen würde, wenn sie ein richtiges Selbstporträt wäre. Aber auf jeden Fall ist es das mindeste, was ich tun könnte, die Ausstellung zu signieren! Das bedeutet auch, daß ich meine eigene Kultur einbringe, meinen eigenen Zugang zum Leben, meine eigene Lebenserfahrung, meine Sicht der Dinge. Aber es geht nicht nur um mich, die Ausstellung führt den Betrachter auf eine Reise von Gemütszuständen, die ihn so oder so fühlen und an dies oder jenes denken lassen. Es ist ein bißchen wie in einem Kinofilm, bei dem die Persönlichkeit des Autors – selbst wenn es kein Film über den Regisseur selbst ist –selbstverständlich, wie bei jeder Schöpfung, immer präsent ist.

veröffentlicht in: Weather Everything, Ausst.Kat. Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig (Cantz-Verlag) 1999

© 1999 Jan Winkelmann

Englische Übersetzung

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