Barbara
Steiner und Jan Winkelmann im Gespräch über den Umgang mit alter und
neuer Kunst
Jan Winkelmann: Du hast deine
Dissertation über den White Cube und seine Veränderungen,
insbesondere in den 60er Jahren, geschrieben. Vielleicht könntest du ein
wenig ausführen, was die wichtigsten inhaltlichen Stränge dieser
Arbeit sind.
Barbara Steiner: Es ist eine
Arbeit über den White Cube aus einer künstlerischen Perspektive mit
einem Schwerpunkt auf die 60er und 70er Jahre. Es geht um Fragen, „Wie
gehen KünstlerInnen mit dem White Cube um?“ Hier gibt es
verschiedene Möglichkeiten. Zum Einen ist das die „Analyse“,
wo der White Cube auf seine Bestandteile und hinsichtlich seiner Wirkungsweise
untersucht wird. Hier wären Michael Asher oder auch Marcel Broodthaers als
Beispiele zu nennen. Ein zweiter Schwerpunkt widmet sich der Verknüpfung
von White Cube mit anderen gesellschaftlichen Bereichen, wie es beispielsweise
Daniel Buren, Robert Smithson oder Gordon Matta-Clark verfolgten. Der dritte
Schwerpunkt analysiert die Frage, was passiert, wenn man den White Cube
behält – und er als Zitat oder Referenzpunkt sichtbar bleibt –,
ihm aber eine andere, gesellschaftliche Funktion implementiert. Andere
Funktionen des White Cube waren, dass er etwa zu einem „Erziehungsraum“,
etwa bei Joseph Beuys, oder dass er zu einem Sprachraum werden konnte, wie bei
Art and Language oder bei Lawrence Weiner. Er fungierte aber auch als ein Raum
zur politischen Meinungsbildung, wie es z.B. bei Hans Haackes und seiner
BesucherInnen-Umfrage im MoMA der Fall war. Die ursprüngliche Konzeption
des White Cube sah hingegen vor, im Sinne einer Autonomisierung der Kunst,
einen Raum zu schaffen für eine Kunst die unabhängig von
gesellschaftlichen Einflüssen ist und als solche auch rezipiert werden
sollte.
Um einen Blick zurück zu
werfen: Der White Cube wurde im Prinzip 1929 von Alfred H. Barr, dem Direktor
des MoMA in New York „erfunden“ und war interessanterweise bis nach
dem 2. Weltkrieg nur eine Option unter vielen gleichberechtigten. Der White
Cube dominierte zunächst nicht das Ausstellungsgeschehen, das geschah erst
in den späten 40er und 50er Jahren, wo er zum vorherrschenden Prinzip und
idealen Modell für Ausstellungen im westlichen Kunstdiskurs heranreifte.
Mitte der 60er Jahre wurde er mit aller Vehemenz hinterfragt.
Diesbezüglich war auch Andy Warhol wichtig, obwohl er lange Zeit im
Zusammenhang mit institutionskritischen Praktiken kaum Erwähnung gefunden
hat. Ein hervorragendes Beispiel ist seine Ausstellung der Gemälde von den
Campells Suppendosen in der Ferus Gallery in Los Angeles 1962. Er reproduzierte
nicht nur die gesamte damalige Produktpalette von Campells Suppen, sondern
präsentierte sie auch entsprechend: auf Regalbrettern stehend. Hier gab es
nicht nur über die Ikonographie eine Referenz zu Ökonomie und
Warenwelt sondern eben auch über die Art und Weise des Displays. Dass
heißt, auf der einen Seite akzeptierte Warhol den White Cube, auf der
anderen wurden eine Reihe von Hinweisen auf andere gesellschaftliche Bereiche
eingebracht.
Warhol ging ja in Sachen „Display“
auch noch einen Schritt weiter, beispielsweise mit seiner Ausstellung bei Leo
Castelli in New York 1966. Dort transformierte sich mit den umherfliegenden „Silver
Clouds“ einerseits der Ausstellungsraum zu einem Erlebnisraum und andererseits
ließ er mit der „Cow Wallpaper“ das Bild mit dem
Bildträger, der Wand, zu einer Einheit verschmelzen.
Das interessante dabei ist, dass
sich dadurch nicht nur Auffassung vom Ausstellungsraum verändert, sondern
auch das Verhalten der BetrachterInnen im Raum selbst.
Wenn man das nun einmal weiterdenkt
in Richtung der Gegenwart, so haben sich ja nach den 60er und 70er Jahren durch
eine veränderte künstlerische Praxis noch einmal ganz neue
Notwendigkeiten und Parameter für die Institution/das Museum ergeben. Nur
um ein Beispiel zu geben: wenn Rirkrit Tiravanija Anfang der 90er Jahre
anfängt im Museum zu kochen, dann kann man nicht mehr so tun, als
wäre der White Cube der White Cube, der er einmal war.
Es ist ja in den 80er Jahren sehr
deutlich geworden, dass der White Cube seine „Unschuld“ verloren
hatte. Es war zu diesem Zeitpunkt ganz klar, was der White Cube leisten kann.
Und dies wurde nicht zuletzt auch durch die institutionskritischen Arbeiten der
60er und 70er Jahre befördert, die bestimmte Funktionsweisen und
Mechanismen erst sichtbar gemacht haben. Hier möchte ich insbesondere das
ökonomische Potenzial des White Cubes ansprechen, aber auch seine
auratische Aufladung, die einer Fetischisierung von ästhetischen Objekten
geradezu Vorschub leistet. Davon hat auch jemand wie Jeff Koons stark profitiert.
Dieses Bewusstsein über die ökonomische Verstrickung aber
gleichzeitig die Auratisierung, wurde dann in den frühen 80ern extrem
ausgiebig genutzt. Brian O’Doherty, der 1976 in „Inside the White
Cube. The Ideology of The Gallery Space“ schrieb, eine Textserie, in der
er sich kritisch mit dem Ausstellungsraum beschäftigte, machte sich 10
Jahre später keine Illusionen mehr über den White Cube. Er
entwickelte eine Art Resignation und befürchtete, dass
institutionskritische Praktiken vollends verschwinden würden. Im Gegenzug
sah O’Doherty eine Art „Wiederauferstehung“ des White Cube,
der seiner Meinung nach unbeschadet sämtliche Attacken überstanden
hatte. Das stimmt insofern nicht ganz, weil der White Cube der 80er nicht mehr
mit jenem der 50er oder 60er verglichen werden kann. Die „Natur“
des White Cube ging tatsächlich verloren, er wurde ganz bewusst zur
Aufwertung bzw. Fetischisierung von ästhetischen Objekten genutzt.
Diejenigen, die ihn einsetzten und verendeten, hatten ein sehr hohes
Bewusstsein über die Macht und das Potenzial des White Cube.
Im Grunde genommen hat dies ja
schon Duchamp mit dem Ready-made vorweggenommen, indem er das Objekt durch eine
Kontextverschiebung aufgeladen und damit die Auratisierung durch den
Ausstellungsraum bzw. dem Museum thematisiert hat.
Duchamp erkannte das Potenzial
des Ausstellungsraumes, die Definitionsmacht der Institution. Alles, was in den
Ausstellungsraum kommt, wird automatisch transformiert und unterliegt einer
Bedeutungsaufladung, die der Raum oder die Institution mitproduziert.
In den 60er Jahren kam es dann
vor allem in der amerikanischen, wenig später auch in der
westeuropäischen Kunstszene zu einer radikalen Zuspitzung. Die
KünstlerInnen hatten es einfach satt, den White Cube kritiklos als DEN Ausstellungstypus
für Kunst anzuerkennen, vor allem weil man sich bewusst war, was er an
Hermetik aber auch an Ausschluss produziert wurde. Insbesondere aus der
feministischen Ecke kam zu Recht massive Kritik: Der White Cube wurde als ein
primär männlich konnotierter Raum verstanden. Das Ausblenden von
gesellschaftlichen Verhältnissen, die Neutralisierung des Ausgestellten
und die Politiklosigkeit der Institutionen hat ja auch in Zeiten, in denen es
politisch heiß herging die KünstlerInnen frustriert. Aber allein der
Mythos so zu tun, als könne man einen Raum schaffen, der unabhängig
von allen äußeren Einflüssen existiert, in dem es um eine rein
ästhetische Betrachtung geht, führte dann irgendwann zu einem Punkt,
dass der „Topf übergekocht“ ist.
Um den Fokus auf heute zu lenken:
Ich finde es sehr interessant, dass doch ausnehmend wenige
institutionskritische Positionen aus den 60er und 70er Jahren, vor allem von
Künstlerinnen in europäischen und amerikanischen Museumssammlungen zu
sehen sind.
Wenn wir nun einmal unseren
Fokus auf die Position und die Rolle des Museums heute werfen: Inwieweit hat
sich im Vergleich zu den „Errungenschaften“ der 60er und 70er Jahre
bis heute noch einmal eine Verschiebung hinsichtlich der Funktionen des Museums
ergeben?
Deprimierender Weise muss ich
sagen, dass sich doch sehr wenig getan hat, wenn man auf das gros der Museen
schaut. Selbst wenn punktuell bestimmte institutionskritische Positionen in den
Sammlungen vertreten sind, schlägt sich das nicht unbedingt in der
Präsentation, dem Display, ja im inhaltlichen Umgang mit Kunst nieder.
Noch immer werden in erster Linie ästhetische Fragen adressiert. Das
Verständnis vieler Museumsverantwortlicher hinsichtlich des Kunstbegriffs
und damit zusammenhängend hinsichtlich der Präsentation und des
Verhältnisses zum Publikum hat sich insgesamt doch wenig verändert.
Man darf aber auch nicht
erwarten, dass sich von heute auf morgen in den Museen plötzlich ein
avancierter Kunstbegriff durchsetzt und unmittelbar in der Art und Weise des
Umgangs mit der Kunst und ihrer Präsentation niederschlägt. Es ist ja
leider immer noch so, dass in den meisten Museen, die Direktoren und
Direktorinnen aber auch die Konservatoren und Konservatorinnen als Beamte bis
zu ihrer Rente in ihren Positionen verharren und somit nur sehr schwer eine
jüngere, aufgeschlossenere Generation in die entscheidenden Funktionen
kommen, um dann etwas zu verändern. Wir haben das ja bei den Kunstvereinen
beobachten können, wie langsam hier seit Mitte der 90er Jahre eine
Entwicklung vonstatten ging, hin zu einer offeneren Institutionspraxis, die sehr
stark an den Bedürfnissen des Publikums orientiert ist und mit einem
Bewusstsein für die Bedeutung der Vermittlung, die letztlich doch sehr
viel Schwellenangst abgebaut hat. Also auch hier hat sich nur sehr langsam
etwas getan. Wenngleich man doch auch feststellen muss, dass eine solche Praxis
auch langsam peu a peu die Museen zu erreichen scheint.
Du hast recht, es ist ein
Lichtschweif am Horizont zu erkennen und es gibt zumindest Ansätze von
Museen, ihre Rolle und Funktion partiell zu überdenken und sich neuen
Einflüssen zu öffnen. Momentan geschieht das ja mit der Ausstellung „Das
lebendige Museum“ im Museum
für Moderne Kunst in Frankfurt, wo man für die Dauer der
Ausstellung auf performative Praxis im Museum setzt.
Aber eigentlich ist das doch nichts
wirklich Neues.
Udo Kittelmann macht den Versuch,
die alten musealen „Strukturen“ partiell aufzubrechen. Wenngleich
ich sagen muss, dass mir „Das lebendige Museum“ punktuell zu
einfach gedacht war: Hier die statischen ästhetischen Objekte für die
Ewigkeit, und dem setzte ich etwas gegenüber, das in Bewegung ist bzw.
sich ständig verändert oder verändert werden kann. In den 50er
und 60er Jahren konnte man noch davon ausgehen, dass Performativität
automatisch eine Kritik an herrschenden Verhältnissen, an Materialismus
und Konsumismus bedeutete, heute nicht mehr. Das unterschlägt eine
Instrumentalisierung des Performativen in Richtung Event-Kultur. Außerdem
vermisste ich in den meisten Fällen eine inhaltliche Bezugnahme auf die
Sammlung. Zwei Arbeiten fand ich diesbezüglich jedoch hervorragend: Pierre
Josephs „Superman“ inmitten der Pop Art und Jeppe Heins „Moving
Benches“ bei On Kawara. Was ich wirklich gut fand: Man wurde selbst zum
Performer, agierte wie auf einer Bühne, auch wenn man sich so verhielt wie
immer. Das Bewusstsein änderte sich.
Trotz meiner Kritik schätze
ich Kittelmanns Arbeit. In den meisten Museen, übrigens in der Neuen
Pinakothek in München, fokussiert man immer noch den Gedanken des „Künstlers
als Meister”, ein Konzept, das man ja durchaus auch in die Gegenwart
transportieren kann. Dieses Prinzip – unlängst beobachtet –
setzt sich in München ungebrochen von der Sammlung in die
Wechselausstellungen fort, wo beispielsweise Neo Rauch auf Manfred Pernice
trifft. Ansonsten pflegt man bei der Kunst vor 1945 eine chronologische
Hängung bzw. eine nach Stilen. Selbst bei einem neu eröffneten Museum
ändert sich an der Konzeption der Sammlung gar nichts. Man steckt in einem
uralten Modell, insbesondere was Kunstbegriff und Künstlerbild angeht: es
handelt sich in erster Linie um das starke (männliche)
Künstlersubjekt.
Aber es gibt Anlass zur
Hoffnung und vielleicht sollten wir es auch etwas positiver sehen. Immerhin
wird mit temporären Ausstellungen partiell und punktuell der Boden
bereitet für langfristige Veränderungen auch in den Sammlungen. In
dieser Hinsicht sehe ich eine Ausstellung wie „EinRäumen. Arbeiten im Museum“,
die in der Hamburger Kunsthalle
vor zwei Jahren stattgefunden hatte, als eine Art Lichtblick für eine
schleichende Veränderung der musealen Praxis. Denn hier hat man ja
versucht in und mit der ständigen Sammlung zu arbeiten und mit
performativen Projekten das Museum etwas lebendiger zu machen.
Das ist ein gutes Beispiel, im
übrigen mittlerweile eines, das Verbreitung gefunden hat, nämlich zeitgenössische
Positionen in die existierende Sammlung temporär zu integrieren. Oft, und
dies war auch in Hamburg so, sind dies formale Zuordnungen, ästhetische
Überlegungen, die in den seltensten Fällen inhaltlich motiviert sind.
An eine Arbeit erinnere ich mich positiv: „Tiger oder Löwe“,
das Video von Peter Friedl. Es war in einem Sammlungsraum mit dem Gemälde „Tiger
und Schlange“ von Delacroix, der den Kampf eines Tiger mit einer Schlange
zeigt, untergebracht. Friedl hatte ja einen echten Tiger mit einer Stoffschlange
in eben diesem Raum kämpfen lassen. Diese Komik hat den Pathos im
Delacroix Bild regelrecht konterkariert.
Das große Problem bei
dieser Art von Ausstellungen ist, dass sie einer Art Event- bzw.
Spektakelkultur ins Museum bringt, wo es eben nicht mehr primär um Inhalte
geht, sondern um die Erlebnishaftigkeit. Insofern fand ich zum Beispiel Carsten
Höllers Kinderkarussell in der Ausstellung „EinRäumen“
ein wunderbares Bild für die Tendenz der Disney-World-isierung im
Kunsbetrieb.
Genau das stört mich auch.
Erst gestern habe ich ein weiteres Negativbeispiel gesehen: „Auf eigene
Gefahr!“, in der Schirn-Kunsthalle
in Frankfurt. Da wurde Spektakelkultur regelrecht inszeniert, aber den BesucherInnen
suggeriert, eigene, emanzipative Entscheidungen treffen zu können.
Doch zurück zum Thema: alte
und zeitgenössische Kunst. Grundsätzlich glaube ich nicht, dass es
Aktualität bedeuten muss, wenn ich eine zeitgenössische Position
einer älteren gegenüberstelle. Die Frage ist doch, wie gehe ich aus
einer heutigen Sicht mit einer Sammlung älterer Kunst um? Welche aktuellen
Fragen leite ich aus dem Alten ab, lege ich an. Die Perspektive, aus der man
auf die ältere Kunst schaut, muss eine gegenwärtige ist, d.h. ich
erwarte, dass man sich Methoden und Denkansätzen bedient, die aus
zeitgenössischen Auseinandersetzungen stammen. Auf diese Art und Weise
könnte man auch eine unglaublich aktuelle Ausstellung von etwa Kunst aus
dem 19. Jahrhundert machen, sie etwa hinsichtlich eines zeitgenössischen
Subjektbegriffs durchforsten. Man müsste keine Arbeiten jüngerer
KünstlerInnen zeigen, um dies zu erreichen.
Könntest du ein Beispiel
geben, wie du das angehen würdest. Letztlich hat man ja nur ein begrenztes
Repertoire an kuratorischen Instrumenten „Hängung, i.e. Zuordnung,
Gruppierung etc.“ sowie die Vermittlungsarbeit zur Verfügung.
Es gibt die Möglichkeit
einer Fokussierung auf inhaltliche Fragen, die in dem Werk vielleicht angelegt
sind, die jedoch gegenwärtig nicht als solche rezipiert werden, aber es
kann auch eine bestimmte Auswahl oder Konstellation von Werken spannend sein.
Das heißt, die chronologische Hängung sollte keine Automatismus
sein. Daneben hat wünschte ich mir, dass verstärkt mit dem Raum selbst,
der Positionierung der Werke im Raum, mit Displays gearbeitet würde. Wie
wirkt sich der museale Kontext auf die Rezeption aus? Was passiert, wenn ich
bestimmte Parameter ändere, wenn nicht ein Werk in gebührendem
Abstand neben dem anderen hängt, wenn andere Materialien – wie etwa
Kopien oder Texte, was auch immer, dazu kommen?
Man hat damit aber auch die
Möglichkeit eine bestimmte Lesart des Werkes vorzugeben und im Grunde
genommen ist das dann ein Angriff auf die Autonomie des Werkes, wodurch eine
Interpretation bzw. eine Wertung vorgenommen wird, die vielleicht
ursprünglich gar nicht im Werk angelegt war. Womöglich ist es das,
wovor sich so viele Kustoden und Kustodinnen fürchten: die Autonomie des
Werkes zu verletzen.
Das ist richtig, aber du
interpretierst als Kurator oder Kuratorin immer. Ausstellungen sind
gewissermaßen Interpretationsleistungen und für mich deshalb auch so
interessant. Es ist ein Irrtum zu glauben, dem zu entgehen, wenn der Raum
weiß ist und die Hängung das Einzelwerk herausstreicht. Mir ist auch
eine aktivere Haltung der BesucherInnen wichtig, sie sollten ja auch die
Ausstellung interpretieren, und das heißt auch für
Museumsverantwortliche, sich zu überlegen, wie man dies erreichen kann. Es
wäre ja auch denkbar, dass der Bestand einer Sammlung öfter
umgruppiert wird, um auf den Zusammenhang von Kontext und Bedeutungsproduktion
zu verweisen.
Aber eigentlich ist das ja,
was Jean-Christophe Ammann mit seinen „Szenenwechseln“ im Museum
Moderner Kunst in Frankfurt vorgemacht hat. Interessant finde ich, dass dieses
Prinzip erst jetzt, nach so vielen Jahren, von anderen Museen adaptiert wird,
wenngleich auch unter anderem Namen. In der Hamburger Kunsthalle heißt
das ganze „Umbau“...
... und im Museum Kunstpalast in
Düsseldorf hat man Bogomir Ecker und Thomas Huber, zwei Künstler,
beauftragt, sich der Sammlung anzunehmen und sie neu in Szene zu setzen. Ich
muss sagen, es ist ein sehr gelungenes Beispiel. Sie konnten auf den gesamten
Bestand der Sammlung zurückgreifen, und es sind wirklich
ungewöhnliche inhaltliche und formale Konstellationen geglückt, dabei
haben sie quer durch die Jahrhunderte Werke zueinander in Beziehung gesetzt.
Aber wurde dieses Modell nicht
schon viel früher im MAK (Museum für
Angewandte Kunst) in Wien angewandt? Dort hatte man bereits vor ein paar Jahren
Künstler wie Heimo Zobernig, Jenny Holzer, Günther Förg oder
auch Franz West eingeladen, sich mit verschiedenen Sammlungsteilen zu
beschäftigen und sie neu zu arrangieren bzw. zu präsentieren. Das
heißt die Idee, dass KünstlerInnen sich mit Sammlungen bzw. Teilen
von Sammlungen beschäftigen, und das eben vor dem Hintergrund ihres
künstlerischen Backgrounds tun und nicht aus einer
historisch-wissenschaftlichen Sicht eines Kustos und einer Kustodin, ist nicht
wirklich neu.
Im MAK hat man tatsächlich
den Versuch gemacht, mit KünstlerInnen zu arbeiten und ihnen die
Gestaltung einer Sammlung oder Teilen der Sammlung zu übertragen. Jedoch
muss ich sagen, dass es primär formale Annäherungen an die Sammlung
sind. Es ging vielmehr darum, eine Atmosphäre herzustellen, wo diese Werke
aus anderen Jahrhunderten „eingepasst” wurden. Es gab allerdings
keine oder wenn nur eine sehr zurückhaltende inhaltliche
Auseinandersetzung mit den Werken. Allerdings, die Displays sind in der Tat
beeindruckend!
Es gibt in Museen eine Neigung,
die Wechselausstellungen von der ständigen Sammlung zu trennen. Insofern
sind „EinRäumen“ oder das „Lebendige Museum“
Versuche, diese getrennten Bereiche wieder zusammenzubringen. Diesen Aspekt
finde ich überzeugend. Auch wir haben ein Interesse daran, die Trennung in
unterschiedliche Funktionsbereiche aufzuheben und den Sammlungsbestand
kontinuierlich zu nutzen, ihn immer wieder in andere Zusammenhänge zu
bringen, untereinander, aber auch mit Werken und Projekten von außerhalb.
Im Prinzip geht es um eine Aktivierung und Aktualisierung der Sammlung. Damit
bleibt die Sammlung letztlich auch in Bewegung.
Was ich generell feststelle, ist
eine Unterschätzung von Kontexten, auch des eigenen. Bedeutung ist ja
nicht a priori im Kunstwerk eingelagert, sondern sie verändert sich, je
nachdem wer sich, welcher künstlerischen Arbeit unter welchen
Umständen widmet. Auch spielen kulturelle Unterschiede eine große
Rolle, und natürlich ist die Bedeutungsproduktion auch extrem
zeitabhängig. Im Prinzip sind das Binsenweisheiten, dennoch verhalten sich
die meisten Museen nach wie vor so, als gäbe es einen allgemein
verbindlichen Wertekanon, fixierte Bedeutungen, die man nicht hinterfragen
muss. Ich wünschte mir von einem Museum, dass es tradierte, vorherrschende
Wertvorstellungen immer wieder grundsätzlich in Frage stellt. Ich
wünschte mir mehr Diskussion darüber, was zu einem bestimmten
Zeitpunkt als kultureller Wert gelten kann und warum. Diese
Auseinandersetzungen sollten durchaus im Museum ausgetragen werden; denn es ist
kein Behälter für ewige, unveränderliche Werte und Bedeutungen,
auch wenn traditionell so gesehen wird. Leider sehe ich keine Ansätze im
Museum zu diesen Debatten zu ermutigen.
Da man im Museum hinsichtlich
des Alters der BesucherInnen oftmals ein sehr breit gefächertes Publikum
hat, sieht man sich ja auch mit verschiedenen Wertvorstellungen und individuellen
Kunstbegriffen konfrontiert. In diesem Falle stellt sich die Frage, an welchen Wertmassstab
man sich orientieren sollte bzw. wie man dann mit den anderen
Maßstäben umgeht. Ich kann eine Ausstellung alter Meister „eventmäßig“
für die Jugend „aufziehen“, muss dann aber den klassischen
Bildungsbürger mit seinem Kontemplationsritual außer acht lassen.
Es geht zum einen darum, bewusst
zu machen, dass ein kultureller Kanon temporäre Verbindlichkeit hat und
von vielen Beteiligten produziert wird. Es ist Übereinstimmungs- und
Verhandlungssache, im Grunde ein klassisches Hegemonieproblem! Bevor eine
künstlerische Arbeit im Museum landet, haben ja verschiedene Gruppen von
Leuten zum Teil Jahrzehnte lang um dessen Bedeutung gerungen. Irgendwann setzt
sich sein Wert durch und wird allgemein als solcher anerkannt. Dieser Wert kann
sich über die Zeit wieder verändern. Die Kunstgeschichte ist voll von
Beispielen, wie sich die Einschätzung hinsichtlich eines
Künstlers/einer Künstlerin oder in Bezug auf bestimmte Werke gewandelt
hat. Ich begreife das Museum nicht als eine „Endlager“ für
ewige Werte, wo man als Gralshüter krampfhaft an einem bestimmten
Wertekanon festhält, sondern ich meine, dass es notwendig ist, immer
wieder diesen Kanon zur Disposition zu stellen. In diesem Sinne ist es mir
wichtig, zu einer aktiveren Form der Begegnung im Museum zu motivieren, ohne
einer Spektakelkultur das Wort zu reden, denn diese hält ja im Prinzip von
jeglicher tatsächlichen Auseinandersetzung ab. Insofern ist mir alles recht,
was den Besucher aus seiner passiven Rolle holt, ihn sehen und reflektieren
lässt und ihm ein Stück seiner Verantwortung gegenüber dem Werk
bewusst macht
Ein ganz schönes Beispiel
bezüglich des Umgangs mit einem etablierten Kanon war ja auch deine Warhol
Ausstellung „Gee... how glamorous – Andy Warhol: Stardom and
Theatricality“, die genau das nicht bedient hat, was man von einer Warhol
Ausstellung erwartete und die eben gerade das nicht das zeigte, was jeder
sowieso schon im Zusammenhang mit Warhol im Kopf hat. Man kann, und das hat die
Ausstellung gezeigt, sich dem Mythos und Personenkult Warhols auch
kritisch-reflektiv nähern, ohne sich in platter Bewunderung zu
erschöpfen. Wichtig war auch, meiner Meinung nach, kein einziges Original
von Warhol zu zeigen. Erstens macht dies in Bezug auf Warhols eigene Produktion
und seinem Verhältnis zum Original mehr als Sinn und zweitens erschwert es
eine Fetischisierung seiner Arbeiten.
Viele Werke lassen sich mit
Faksimiles, Reproduktionen, Kopien oder ähnlichem in gleichem Maße
vermitteln, wie im Original, wodurch das Original entbehrlich wird.
...oder wo das Original bzw. die
Autorschaft sowieso zur Disposition stehen. Insofern scheint mir diese
Annäherung an Warhol durchaus adäquat, ja beinahe zwingend. Um so
erstaunlicher, dass vorher noch niemand diesen Gedanken verfolgte. Aber das hat
vermutlich damit zu tun, dass die Fetischisierung des ästhetischen
Objektes und die starke Verehrung des Künstlersubjekts nach wie vor eine
sehr große Rolle spielen.
Momentan scheint es sich dies
mit der „Wiedergeburt“ der gegenständlichen Malerei zu
bestätigen. Plötzlich werden wieder Künstler geschätzt, die
mit Pinsel und Farbe Werke für die Ewigkeit schaffen. Aber letztlich
wachsen doch auf diesem gehypten Grund sehr viele Epigonen heran. Ich denke da
insbesondere an die neuen jungen Maler aus Leipzig, die zur Zeit sehr gefragt
sind und in mehreren Ausstellungen als Leipziger Exportschlager ausgesprochen
erfolgreich vermarktet werden, sich dabei aber letztlich doch mehr als augenscheinlich
an der Position von Neo Rauch orientieren.
Es ist wirklich interessant zu
beobachten, wie plötzlich an einem Mythos der „Neuen Leipziger
Schule“ gearbeitet wird, die nahtlos die „Alte Leipziger Schule“
ablöst. Hier gibt es in den meisten Fällen ein vollkommen
ungebrochenes Verhältnis zur eigenen (politischen) Vergangenheit. Ich sehe
auch einen klassischen „Backlash“: Unglaublich, wie sich
plötzlich Freude über das handwerkliche Können dieser
Künstler ausbreitet. Auch finde ich bezeichnend, dass es sich bei den
unterstützten Künstlern um eine reine „Boys Group“
handelt, ganz so als gäbe es in Leipzig keine Malerinnen. Aber
offensichtlich taucht in Zeiten eines gesellschaftlichen Umbruchs
verstärkt die Sehnsucht nach gesicherten Werten auf, und sei es das
handwerkliche Können und die männliche Autorität. In diesem
Zusammenhang ist es auch aufschlussreich zu sehen, wie gegenwärtig
gesellschaftlich engagiert arbeitenden KünstlerInnen schlichtweg das
künstlerische Moment in ihrer Arbeit abgesprochen wird. Sie werden heute
so stark unter Beschuss genommen werden, wie noch nie zuvor, siehe die Kritik an
der letzten documenta. Ich wage zu behaupten, dass eine solche documenta heute
schon nicht mehr möglich wäre. Es gibt momentan einfach eine starke
Gegenbewegung, die die Kunst wieder in ihr Recht setzen will, und die sich von
möglichen gesellschaftlichen Implikationen der Kunst sehr stark
distanziert.
Bei der diesjährigen Biennale in Venedig stellte sich mir die
Frage, ob Francesco Bonamis Geste, die internationalen Ausstellung in mehrere
unabhängige kleine, von verschiedenen KuratorInnen betreute Ausstellungen
aufzuteilen und damit von dem großen Wurf und der massiven Präsenz
einer kuratorischen Handschrift abzusehen und mehrere kuratorische Modelle
nebeneinander zu setzen, eine nachhaltige Relevanz für den Ausstellungsbetrieb
und sogar für die institutionelle Praxis haben könnte. Man hat ihm ja
von vielen Seiten vorgeworfen, dass er sich damit seiner Verantwortung
entziehen wollte.
Ich finde es sehr wichtig, dass
der Herrschaftsanspruch des „Master Curators“ aufgehoben und ad
acta gelegt wurde. Großprojekte wie die documenta oder die Biennale
befinden sich ja nicht erst seit heute in einer Krise und die Frage ist, wie
man mit diesen riesigen Dimensionen überhaupt noch umgehen kann. Und eine
Ausstellung einfach aufzuteilen und weiter aufzublasen, macht sie noch lange
nicht interessanter. Noch mehr KuratorInnen, noch mehr KünstlerInnen, noch
mehr Werke! Doch sehe ich auch das wachsende Bedürfnis nach solchen
Ausstellungen, man braucht sich nur die Flut von neuen Biennalen in allen
Teilen der Welt anzusehen. Ich glaube, dass diese in erster Linie zu „Kommunikations-Events“
verkommen, die Kunst spielt eine untergeordnete Rolle, sie wird zu einem
Vorwand. Die Veranstaltungen bieten hervorragende Gelegenheiten, sich zu
treffen, aber de facto finden inhaltlich spannende Diskussionen nicht wirklich
statt, weil jeder überfordert ist, und man nur von einem Event zum anderen
hetzt. Aber ist es nicht bezeichnend, dass eben alle nur dann anreisen, wenn
die Ausstellung groß genug ist? Warum reist die Kunstelite nicht mal zu
einer Ausstellung mit nur 20 künstlerischen Positionen? Da hätte man
vielleicht Gelegenheit zu einem fundierten und nachhaltigen Austausch.
Maurizio Cattelan hatte ja
1999 mit der „6th Carribean Biennial“ das zu konterkarieren
versucht, indem er die KünstlerInnen, die im Jahr davor am häufigsten
auf Biennalen vertreten waren, auf die Westindischen Inseln einlud. Es geschah
nichts weiter, außer dass die KünstlerInnen Urlaub machten. D.h. es
gab keine Ausstellung, keine neuen Arbeiten, ansonsten aber alle Bestandteile
einer klassischen Biennale: Katalog, Pressearbeit etc., eben nur keine
Ausstellung. Eine wunderbar ironische Antwort auf diese Tendenz immer mehr
Biennalen ins Leben zu rufen, die man alle gar nicht mehr wahrnehmen,
geschweige denn besuchen kann. Um deinen Einwand des nicht mehr möglichen
Austausches aufzunehmen, wäre es vielleicht mal eine Idee, die ganze
Peripherie des Kunstbetriebs, Kuratoren, Kritiker, Galeristen und Sammler an
einen Ort einzuladen, wo keine KünstlerInnen anwesend sind und es keine
Kunst zu sehen gibt, dafür aber um so mehr Gelegenheit sich miteinander
inhaltlich auseinanderzusetzen.
Wahrscheinlich würde keiner merken, dass es keine Ausstellung gibt! Nein, im Ernst, ich bezweifle, dass dies ein probates Mittel wäre. Ich verstehe Cattelans Projekt mehr als Parodie. Die Kunstwelt kommt zusammen, man sieht sich, versichert sich gegenseitig seiner Wichtigkeit. Was jedoch hinsichtlich unseres Museumsthemas interessant ist: diese Veranstaltungen bieten etwas, auf das Museen neidvoll blicken, nämlich ein großes Publikum zu mobilisieren und zu unterhalten. Für mich ist es hingegen interessanter, darüber nachzudenken, ob und wie man das Museum wieder zu einem Ort der seriösen Auseinandersetzung mit künstlerischen Inhalten machen kann, ohne einer unendlichen Potenzierung bzw. Vergrößerung und ohne dem immer wichtiger werdenden Bedürfnis nach einer Ausweitung der Eventkultur nachzugeben bzw. weiter Vorschub zu leisten. Vermutlich werden es dann weniger BesucherInnen sein, die Qualität der Diskussionen und Debatten wäre jedoch ungleich höher!
Dieses Gespräch wurde leicht gekürzt in niederländischer Sprache in: Metropolis M. Tijdschrift over hedendaagse kunst, No. 5, Okt.-Nov. 2003, veröffentlicht.
© 2003 Jan Winkelmann