„Free from stain and polish“
Ein Gespräch zwischen Simon Starling, Stefanie Sembill und Jan Winkelmann

Jan: In Deiner Ausstellung sind drei Arbeiten zu sehen, die durch eine Energiequelle – in Form von Kabeln, die die Lampen mit Strom versorgen – miteinander verbunden. Die Beleuchtung ist offensichtlich ein wichtiger Aspekt dieser Präsentation. Ausgangspunkt war die Illuminierung des Großdias. Könntest Du etwas genauer erläutern, warum Du für alle Arbeiten diese Lampen verwendet hast?

Simon: Es handelt sich um tragbare Baustellenlampen, die praktisch überall einsetzbar sind. Sie stehen als eine Art Symbol dafür, daß alle Arbeiten in gewisser Hinsicht in unterschiedlichen Situationen re-präsentiert werden können. Das Interessante daran ist, daß sie die Arbeiten an den Ausgangspunkt zurückführen: das alte Haus und den letzten verbleibenden Raum der alten Villa, der mich überhaupt erst auf die Idee für die Ausstellung brachte. Wie so oft hat auch diesmal der Ausstellungsort das Konzept meiner Ausstellung bestimmt. Die schwarzen Kabel beispielsweise geben über die Art der Beziehungen zwischen den Arbeiten Auskunft. In gewisser Weise stellt der Kabelsalat auf dem Boden in Form der kreuz und quer in verschiedenen Konfigurationen verlaufenden Kabel, den konzeptuellen Rahmen des Werkes dar. Darüber hinaus nehmen die Kabel das Verzierte der Neo-Rokokodecke wieder auf.

Jan: Und in diesem Zusammenhang können die Kabel metaphorisch als Schnittstellen der unterschiedlichen geographischen und historischen Referenzen gesehen werden.

Simon: Ich wollte meine Arbeit „Le Jardin Suspendu“, die ursprünglich für die andere Seite des Globus konzipiert war, hier in Leipzig ausstellen und suchte nach einer sinnvollen Form, um die ausgeprägt räumliche Beziehung zwischen Werk und Architektur, wie sie in der Ausstellung in Melbourne bestand, wiederzugeben. Ich entschied mich für die Verwendung der Kabel.

Jan: Hat es irgendeine Bedeutung, daß die tragbaren Lampen aus Großbritannien stammen? Mit dem „Swan Chair“ beziehst Du Dich ja auch auf Deine Heimat.

Simon: Viele meiner Projekte nehmen Bezug auf den Ort, an dem ich arbeite, auf das Zentrum meiner Begriffswelt. Die Heimat! Wie in „Blue Boat Black“ zum Beispiel, wo ich das Boot für Marseille aus einer schottischen Museumsvitrine gebaut habe, oder wie in meinem Showroom-Projekt, für das ich in Glasgow die Showroom Gallery nachbaute, um dort einen Produktionsprozeß auf Video festzuhalten, das den Anschein erweckt, als sei es in dem echten Showroom in London gedreht worden. In meiner Arbeit gibt es immer eine Verbindung zum Ausgangspunkt, zu dem Ort, an dem ich lebe.

Stefanie: Ich finde besonders die Werktitel sehr interessant, weil sie den Objekten einen zusätzlichen Rahmen geben.

Simon: Genaugenommen sind es gar keine Titel, sondern einfach nur ein weiteres Element der Arbeit. Sozusagen nicht der Name des Gerichts, sondern das Rezept.

Stefanie: Die Titel geben den Schlüssel zum Verständnis der Arbeiten. Befürchtest Du manchmal, didaktisch zu werden?

Simon: Der Titel ist ebenso wie die anderen Fragmente, aus denen die Arbeit besteht, nur ein Teil des Werks. Der Titel überbrückt den mentalen Raum, der zwischen dem Betreten der Galerie und dem Lesen der Texte, jener seltsamen Erzählungen, entsteht, bis zu dem allmählichen Erfassen der Objekte, auf die sich der Text bezieht. Die Texte haben eine ähnliche Funktion wie die Kabel der Lampen: Sie bauen Beziehungen zwischen den drei Arbeiten auf; Beziehungen zwischen verschiedenen Orten und verschiedenen historischen Zeitrahmen.

Jan: Sie sind der Beginn einer Erzählung. Die Lesart der Arbeit ist nicht festgelegt, sondern bleibt offen.

Stefanie: Mich würde interessieren, ob es wichtig für Dich ist, gleichzeitig provinziell und kosmopolitisch zu sein.

Simon: Die Entwicklung meiner Arbeit in den letzten acht, neun Jahren hat zweifelsohne etwas damit zu tun, was es heißt und wie man damit umgeht, von einer Provinzstadt wie Glasgow aus zu agieren. Das schlägt sich mit Sicherheit in der Arbeit nieder.

Jan: Die geographische Verlagerung ist auch Teil Deiner Biographie. Du lebst als Südengländer in Schottland. Hat das etwas miteinander zu tun?

Simon: Ich habe mich für ein Leben in Glasgow entschieden. Wahrscheinlich würde ich von meinen Wurzeln her besser nach London passen, aber mir erscheint es irgendwie plausibler, in Glasgow zu leben, psychologisch gesehen. Natürlich hat sich das auf mein Denken und auf meine Arbeit ausgewirkt.

Stefanie: Kommt daher das Moment, der geographischen Verschiebung? Ich denke da an Dein Rhododendron-Projekt. Es scheint, daß du, ganz gleich wo Du hingehst, der Situation mit Verständnis, aber auch mit dem Drang, sie zu untergraben, begegnest.

Simon: Das stimmt. Das Projekt ist die einfache Umkehrung einer historischen Entwicklung. Es geht darum, ein paar Exemplare des „Rhododendron ponticum“ aus einer schottischen Moorlandschaft zu retten, wo sie als Unkraut gelten, und nach Südspanien zurückzubringen, von wo aus die Spezies 1753 zum ersten Mal nach Großbritannien gelangte.

Jan: Für mich ist das Bemerkenswerte an Deiner Arbeit, daß Du Dich auf Themen oder Werte wie Form und Material konzentrierst, die in der zeitgenössischen Kunst keine große Bedeutung haben. In Deinem Werk spielen sie jedoch eine Schlüsselrolle. Du gehst stets vom Material aus, das dann verschiedene Stadien der Transformation durchläuft.

Simon: Mein Umgang mit Material ist nicht das Ergebnis einer bestimmten kunsthistorischen Überzeugung. Es geht mir dabei nicht um ein traditionelles skulpturales Verständnis von Material und seiner Bedeutung. In meinem Fall hat das mehr mit Produktion, Fertigung und Handwerk zu tun.

Jan: Dabei handelt es sich aber um Werte, die im Moment eher „unzeitgemäß“ sind, in dem Sinne, daß sie in zeitgenössischen Strategien keine große Rolle spielen. Interessanterweise fokussieren Deine Arbeiten Strategien, die im sogenannten „zeitgenössischen Diskurs“ keine große Bedeutung genießen.

Simon: Ja, mir geht es darum, da ein wenig Verwirrung zu stiften, die Positionen gegeneinander auszuspielen. Ich verdrehe sozusagen dieses ganze ideologische System.

Jan: Ist für Dich der Neo-Rokokoraum im Rahmen der Ausstellung eine Art Ready-made? Hinter der Arbeit für die Kunsthalle Bern „Work, Made-ready, Kunsthalle Bern“ stand ganz offensichtlich die Idee des Ready-made, die in unterschiedlicher Weise aufgebrochen wurde. Ich habe den Eindruck, daß Du immer wieder auf diese Idee zurückkommst. Du erklärst historische Referenzen zu Ready-mades.

Simon: Ich habe diesen Raum eindeutig als ein weiteres Element der Ausstellung objektiviert, indem ich eine einfache Glasplatte in die Tür einsetzte. Dadurch wurde der Raum auf eigentümliche Weise in etwas anderes verwandelt. So hat er eine viel stärkere Wirkung als die restliche Architektur. Natürlich geht es beim Ready-made darum, die Beziehung zwischen einem Gegenstand und dem „realen Leben“ zu verändern, indem man diesen Gegenstand „im Museum“ ausstellt. Mit meiner Arbeit will ich erreichen, daß dieser Vorgang in beide Richtungen funktioniert: vorwärts und rückwärts. Vielleicht handelt es sich eher um „objets trouvés“ als um Ready-mades: Sie sind auf eine andere Art lebendig.

Jan: Hast Du Dein Werk jemals im Kontext der sogenannten Institutional Critique gesehen? Die „Vitrine“, in die Du den Salon Herfurth vorübergehend verwandelt hast, könnte als Kritik an musealen Ausstellungsstrategien verstanden werden.

Simon: Die Praxis der Institutional Critique von Künstlern hat meine Arbeit sicherlich beeinflußt. Eine der Voraussetzungen für zeitgenössische Kunst ist meiner Ansicht nach ein Verständnis dafür, wie Museen und Galerien im Hinblick auf Kultur im weiteren Sinn funktionieren. Wie solche Institutionen Geschichte darstellen, hängt davon ab, in welchem Land, in welcher Stadt sie sich befinden und wie sie ihr Selbstverständnis definieren. Mein Bestreben ist es, in solche Strukturen aufzunehmen, sie zu verdrehen, mit ihnen zu spielen und sie auf den Kopf zu stellen. Hier läßt sich auch der Bogen spannen zu Ideen wie: aus etwas Wertvollem etwas mit unbestimmtem Wert machen. Einen „wertvollen“ Aluminiumstuhl in ein paar Bierdosen zu verwandeln. Außerdem kann man auf diese Weise das allgemeine Verständnis von der Beziehung zwischen Leben und Kunst, ein wenig durcheinander bringen.

Jan: Gibt es in Deiner Arbeit einen direkten Verweis auf bestimmte Strategien der 60er Jahre?

Simon: Nicht bewußt, darum geht es in meinen Arbeiten nicht. Aber natürlich hat der künstlerische Ansatz der 60er Jahre meine Art zu arbeiten, meine Beziehung zum Kunstobjekt, mein Verhältnis zu den Institutionen etc. stark beeinflußt. Künstler wie Lawrence Weiner, Robert Smithson und Michael Asher sind wichtige Vorbilder für mich, insbesondere was die Beziehung vom Raum der Arbeit zum Ort des Objektes angeht. Sie vertreten fundamentale Ideen, die bei mir jedoch nur im Hinterkopf herumspuken: sie sind nicht direkt Thema meiner Arbeit. Es ist ganz einfach eine allgemein anerkannte Sprache.

Stefanie: Für mich ist die Wichtigkeit der Umwege ein entscheidender Teil Deiner Arbeit.

Simon: Richtig! Alles könnte auch viel direkter umgesetzt werden. Irgendwie ist es immer kompliziert. Anstatt zu Hause in Glasgow im Modellbauladen nebenan ein paar wunderschön behandelte Balsaholzplatten zu erstehen, beziehe ich das Material über einen langwierigen Prozeß: Ich reise nach Ecuador, fälle einen Baum und baue aus dem Holz ein Modellflugzeug, das ich dann in Australien fliegen lasse, nur um damit bestimmte Zusammenhänge zu verdeutlichen. Mein Werk scheint zwei Stufen zu beinhalten: Da ist zum einen die Geste, wenn ich zum Beispiel das Boot verbrenne, um den Fisch zu grillen, oder wenn ich das Flugzeug fliegen lasse. Auf der anderen Seite gibt es das Material, der hart erkämpfte Prozeß, der die Geste erst ermöglicht. Die beiden Stufen widersprechen sich zwar, aber genau daraus zieht die Arbeit ihre Energie. All die Mühe und Zeit für etwas, das nur ein einziges Mal irgendwo in Australien stattfindet. Ein bizarrer, ein poetischer Akt, der sage und schreibe sechs Monate Vorbereitungszeit braucht. Umwege machen das Leben interessanter, und das ist meine Hauptmotivation: ein bißchen zu leben!

Jan: Aber in Deiner Arbeit für Leipzig fehlt diese Geste völlig. Der Stuhl steht zwar auf dem Boden, aber das Objekt kann nicht benutzt werden. Die Arbeit hat keinerlei performativen Aspekt wie „ein Flugzeug fliegen lassen“ oder „Fischen gehen“.

Simon: Aber es besteht noch immer eine Verbindung zu den anderen Arbeiten. Hier geht es um einen psychologischen und einen physischen Raum, darum, was dein Kopf tut. Den Stuhl zu bauen schafft einen Raum dafür und ist insofern ebenfalls eine schwer errungene Geste.

Stefanie: Mir gefällt an Deinen Arbeiten, daß sie die Möglichkeit bieten, in all diese verschiedenen Sphären vorzudringen. Indem Du auf diese Bereiche verweist, schaffst Du eine Situation, die sich nicht eindeutig zuordnen läßt.

Simon: Wichtig ist, daß jeder einzelne Fall einen Lernprozeß innerhalb eines erweiterten Tätigkeitsfeldes darstellt. In gewisser Hinsicht arbeite ich wohl wie ein „professioneller Amateur“, d.h. mit Dingen herumspielen, verschiedene Praktiken ausprobieren, ohne jemals wirklich gut darin zu werden.

Jan: Die Kreativität des Künstlers fließt nicht direkt in das Objekt, sondern eher in Prozeß selbst. Du greifst immer bereits bestehende Formen auf wie die „Farman-Moskito“ oder den „Swan Chair“.

Simon: Ja, bei dieser Vorgehensweise fühle ich mich sehr viel wohler, wenn sich die Kreativität eher auf den Raum zwischen den Fragmenten konzentriert, die man miteinander verbindet, als darauf, tatsächlich etwas Neues zu gestalten. Nicht neue Objekte, sondern neue Verbindungen zu schaffen, das ist meine Strategie. Aber wenn ich noch einmal darauf zurückkommen darf, ich halte den Entstehungsprozeß insofern für sehr wichtig, als die narrativen Elemente und Verbindungen in der Arbeit sehr lose geknüpft sind. Bei solchen Arbeiten ist es essentiell, daß ich mich bei der Realisierung voll und ganz einbringe. Der zentrale Stellenwert der Produktion ermöglichen es dem Betrachter, in diese zart gesponnenen Geschichten einzutauchen. Man muß den Weg bis zum Ende gehen.

Jan: In Deiner Arbeit für den Projektraum des Moderna Museet in Stockholm hast Du zum ersten Mal den eigentlichen Prozeß gezeigt: einen alten Mann, der ein Flugzeug baut.

Simon: Ja, das war ein Neubeginn für mich, der, wie ich finde, jede Menge neue Wege eröffnet hat. Solche Projekte beanspruchen einen ungemein, und man kann nur eine begrenzte Zahl davon machen. Die Arbeit in Stockholm verweist auf einen bestimmten schwedischen Bezugsrahmen. Das Flugzeug wird später eingesetzt werden, um Luftaufnahmen von Asplunds Waldkrematorium zu machen. Es war interessant, diesen Mann, der in den 30er Jahren – der Entstehungszeit der Anlage – geboren wurde, kennenzulernen. Es machte die Arbeit auf eine andere Art lebendig. Kurt Melander, der Modellbauer, wurde zu einem wesentlichen Bestandteil des Projekts.

Jan: Mir gefällt Dein Ansatz, den Stuhl als eine Art Zeitmaschine zu sehen. Ich würde ihn eher als Hyperlink betrachten, das ist ...

Simon: [lacht] ... moderner. Die Beziehung zwischen dieser Arbeit und dem World Wide Web kam mir auch schon in den Sinn! Jede Vorstellung vom Zusammenbruch irgendeines geographischen Raums ist heutzutage in bezug auf dieses Phänomen zu verstehen.

Jan: Ein Hyperlink, das zu verschiedenen Orten, Zeiten, Historien, Kulturen usw. führt. War es eine bewußte Entscheidung, den Stuhl auf den Boden zu stellen? Die anderen beiden Objekte befinden sich. Leicht erhöht, auf einem Tisch.

Simon: Die Plastikplane erfüllt verschiedene Funktionen. Sie fungiert zum einen als ein Zwischending zwischen Teppich und Abdeckplane und verweist andererseits durch ihre Lage auf die Beziehung zwischen dem Haus und dem Baum, aus der Zeit, als das Haus gebaut wurde. Darüber hinaus dient die Plane als eine Art imaginärer Sockel für das Objekt.

Jan: In einem anderen Kontext würdest Du die Arbeit wahrscheinlich ganz anders präsentieren.

Simon: Bestimmt, weil dann die einzigartige Raumsituation verloren wäre, und man das Ganze neu aufbauen müßte, wie ich es mit dem Behelfs-Leuchtkasten für „Le Jardin Suspendu“ getan habe.

Stefanie: Das funktioniert ausgezeichnet, weil die älteren Objekte, die Du in Leipzig zeigst, noch immer diese „Aura“ besitzen. Sie sind nicht wie gewöhnliche Exponate, sondern lassen einen spüren, daß Du daran arbeitest.

Jan: Gibt es einen buddhistischen Aspekt in Deiner Arbeit, wie die Idee des „Panta rhei“: Alles fließt, und es gibt keinen statischen energetischen Zustand, Energie befindet sich immer im Übergang? Oder ist diese Parallele zu weit hergeholt?

Simon: Die Parallele kann man durchaus ziehen, aber der Buddhismus ...

Jan: ...ist offensichtlich kein zentrales Thema.

Simon: Meine Arbeit hat mehr mit der Beziehung zu historischen Zeiten zu tun und damit, diese Beziehung nicht mehr fixieren zu wollen. Ich brauche Raum, in dem ich mich bewegen kann.

Jan: Wenn Du die Relikte und Überreste des Prozesses zeigst, wird es sehr statisch. Natürlich hast Du Dir Gedanken darüber gemacht, wie Du „Blue Boat Black“ präsentierst, aber am Ende ist der Prozeß doch irgendwie abgeschlossen und der Energiezustand in einer Präsentationsform erstarrt, die zwar unterschiedlicher Art sein kann, die Energie aber dennoch in diesem Zustand gefangen hält.

Simon: In gewissem Maß hat sich der Kreis geschlossen. Aus einer Museumsvitrine wurde ein Boot, dann eine Art Relikt. Die Arbeit ist ständig neu erfahrbar.

Jan: Es kann ja nicht immer alles im Übergang begriffen sein. So gesehen ist die Arbeit genau das Gegenteil von dem, was ich mit „Panta rhei“ versucht habe zu umschreiben. Denn das würde bedeuten, diesen Prozeß endlos weiterzuführen.

Stefanie: Es geht auch darum, einer Linearität entgegenzuarbeiten. Mir gefällt an Deinem Werk auch eine gewisse Verspieltheit, auf die die Leute spontan reagieren. Es scheint, als sei der Betrachter von den Querverweisen oder auch von Deiner respektlosen Haltung gegenüber der Geschichte fasziniert.

Simon: Ja, auf jeden Fall!

Jan: Ich glaube, das hat viel mit dem narrativen Element in Deiner Arbeit zu tun, das ebenso „unmodisch“ ist wie das Handwerk. Es eröffnet das Feld zu Deinen persönlichen Erfahrungen und ist so gesehen ziemlich „verbraucherfreundlich“. Einerseits ist Dein Werk sehr komplex, und andererseits ist es für den Betrachter leicht zugänglich. Der Text von Charles Esches beschäftigt sich intensiv mit der Modernen. Was bedeutet die Moderne für Dich?

Simon: Die Moderne hat meiner Meinung nach ebensoviel mit sozialem und wirtschaftlichem Wandel zu tun wie mit Ästhetik. Ästhetische Veränderungen kamen in der Vergangenheit häufig Hand in Hand mit dem Bedürfnis nach einem fundamentalen sozialen Wandel; in gewissem Sinn sind sie ein Abbild dieses Bedürfnisses. Es geht darum, Klarheit zu erlangen, die Fassade einzureißen. Dabei interessiert mich die Ideologie mit all ihren Makeln ebenso sehr wie die ästhetische Manifestation dieser Ideologie.

Jan: In dem neuen Projekt, das Du in Leipzig entwickelt hast, scheint die Moderne keine allzu große Rolle zu spielen. Warum hast Du Dich für den „Swan Chair“ entschieden, der aus der Arts and Crafts-Bewegung stammt?

Simon: Zum einen weil die Arts and Crafts-Bewegung genauso Teil der Moderne war wie der International Style. Es ging darum, für einen bestimmten Augenblick in der Geschichte eine neue Sprache zu finden und man bezog sich außerdem sehr stark auf neue Produktionsformen und deren Werte, so daß die Objekte nicht zwangsläufig kunstvoll gefertigt sein mußten. Vielmehr versuchte man, Design zu demokratisieren, ein Anspruch, der die Einstellung der Moderne zum Thema Design stark beeinflußt hat. Es war der Augenblick des Übergangs vom späten Viktorianischen Stil zu etwas Neuem. Mir schien es einfach passend für das Haus hier, das aus derselben Zeit stammt. Außerdem war der Stuhl 1898 in der deutschen Fachzeitschrift „Dekorative Kunst“ abgebildet, war also hier zu sehen und hatte möglicherweise Einfluß, auf das was hier passierte. Das ist doch ein netter Bezug. Ein anderes Kriterium für die Wahl des „Swan Chair“ war seine anthropomorphe Gestalt, die sich irgendwo zwischen Natur und Kultur bewegt. Außerdem gibt es diese nette, hauchzarte Verbindung zu H.G. Wells, denn zu der Zeit, als Voysey den Stuhl entwarf, arbeitete er gerade an einem Haus für Wells, das dieser aus den Erlösen seines Bestsellers „Die Zeitmaschine“ finanzierte.

Stefanie: In einem anderen Interview hast Du die Moderne als Symbol der Niederlage bezeichnet.

Simon: Ja, er steht gewissermaßen sinnbildlich für einen ideologischen Augenblick in der Geschichte: Die Möbel bleiben, aber das ursprüngliche Motiv zur Herstellung der Möbel ist verschwunden. Was bleibt, ist eine Art leeres Monument, ein Sinnbild für etwas, das weitgehend verloren ist. Die Relikte der Moderne zu verwenden, ist ein Versuch, diesen ideologischen Impuls wieder aufleben zu lassen und zu beobachten, ob er noch immer irgendeine Relevanz besitzt. Für mich ist dieser Impuls überaus wichtig.

Stefanie: Ist es ein Versuch, den Zeitgeist widerzuspiegeln, der heute Architektur, Design und Landschaft durchdringt – das urbane Leben als Ganzes.

Simon: Ja, diese Idee findet sich zum Beispiel in der Arbeit, in der ich „handgemachte“ Kopien eines Fiberglas-Stuhls von Ray Eames angefertigt habe. Die Stühle wurden in den 50er Jahren für die Massenproduktion entworfen, als „Möbel fürs Volk“, und stehen heute als Design-Klassiker in Museen und schicken New Yorker Lofts. Es wurde ihnen ein neuer Wert zugeschrieben. Mit der Anfertigung meiner groben Nachbauten wollte ich diese Neubewertung auf den Kopf stellen, wollte den Stühlen wieder Leben einhauchen, als Prototypen. Das ist vergleichbar mit der neuen Arbeit für Leipzig, bei der es darum geht, die Vergangenheit wieder aufleben zu lassen.

(Übersetzung: Alexandra Bootz/Andrea Honecker)

veröffentlicht in: Simon Starling, Ausst. Kat. Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig 1999

© 1999 Jan Winkelmann

Englische Version

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