Vermittlung als
künstlerische Praxis
Jan
Winkelmann
Im Zentrum des
Werks von Tilo Schulz steht die Frage nach den systemspezifischen Bedingungen
der Kunstproduktion und deren Vermittlung. Ausgangspunkt für Schulz Interesse
an der Mediatisierung anderer künstlerischer Positionen ist die Beobachtung,
daß in den 90er Jahren viele Künstler vermehrt losgelöst von einer reinen
Objektproduktion arbeiten und sich in erster Linie Strategien aus anderen,
meist kunstfremden Produktionssystemen bedienen, um diese in ästhetische und
funktionale Prozesse bzw. Inszenierungen innerhalb des Kunstkontexts
umzusetzen. Auf diese Grenzüberschreitungen in andere Bereiche kultureller und
nicht-kultureller Produktion antwortet Schulz mit einer dezidiert
kunstimmanenten Vorgehensweise. Seine Handlungsmodelle erweitern den üblichen
Vermittlungsansatz, wie er im jeweiligen institutionellen Rahmen vorgegeben
ist, oder reagieren auf ein diesbezüglich bestehendes Defizit, indem sie eine
diskursive Vermittlungspraxis einführen. Im einen wie im anderen Fall geht
Schulz Projekten eine intensive kritische Analyse der jeweiligen existierenden
Struktur voraus, um dann in entsprechender Weise auf die vorgegebenen Parameter
zu reagieren.
Tilo Schulz
Konzept im Rahmen des Kunst-am-Bau-Projekts in der Neuen Messe in Leipzig
bestand darin, die jeweiligen, den ausgeführten Arbeiten zugrunde liegenden
künstlerischen Positionen bzw. Strategien auf unterschiedlichen Ebenen
inhaltlich den entsprechenden Zielgruppen angepaßt zu kommunizieren. Neben einer
Einführung für die Beschäftigten der Neuen Messe fand ein Workshop für
Schulklassen statt, wohingegen in Vorträgen an der Universität spezifische
inhaltliche Aspekte einem Fachpublikum erläutert wurden. Ergänzend sind durch
unterschiedliche Maßnahmen im medialen Raum (Anzeigen in regionalen Zeitungen
und Zeitschriften, Gratispostkarten etc.) Informationen zu den Projekten einem
breiten anonymen Publikum zugänglich gemacht worden.
Wo der Künstler
hier auf eine ästhetische Umsetzung der eigenen Arbeit gänzlich verzichtete,
materialisierte sich in seinem Beitrag für ONTOMTWC, der
Eröffnungsausstellung der Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig, die
Vermittlungsstrategie in Form von Polo-Hemden, deren Vorderseite durch ein von
Schulz entworfenes Logo eine Art Corporate Design erfuhr; deren Rückseite
hingegen mit einem von den teilnehmenden Künstlern gestaltetes Statement zu dem
von ihnen in der Ausstellung realisierten Projekt bedruckt war. Als eine Art
Uniform wurden sie von allen Mitarbeitern der Galerie während der Dauer der
Ausstellung getragen. Daneben initiierte Schulz eine Promotion-Aktion, bei der
Werbematerial über die Ausstellung selbst und die im Zusammenhang mit ihr
stattfinden Sonderveranstaltungen von Promotion-Teams in der Innenstadt
Leipzigs verteilt wurden. Während er im Projekt für die Neue Messe Leipzig auf
ein defizitäres strukturelles Element reagiert, wird in diesem Projekt der
institutionelle Vermittlungsrahmen mit Merchandising- und Promotion-Strategien,
die üblicherweise hauptsächlich außerhalb des Kunstkontexts Anwendung finden,
erweitert.
»e.w.e.
exhibition without exhibition« ist der Titel seines jüngsten work in progress.
Schulz lud sechs Künstler zu einer Ausstellung ein, die alle konstitutiven
Funktionsteile einer Ausstellung beinhaltet, bis auf die Ausstellung selbst. Es
wurden Anzeigen geschaltet, Pressemitteilungen verschickt, Interviews
publiziert, Einladungen gedruckt, Poster gestaltet, eine Publikation
herausgegeben etc., die eigentliche Ausstellung hingegen gab es nicht. Schulz
verläßt mit diesem Projekt nicht nur den institutionellen Rahmen, vielmehr
erweitert er den Begriff der Ausstellung ebenso ins konzeptuelle, wie bei den
eingeladenen künstlerischen Positionen eine materialisierte Umsetzung ihrer
Konzepte nicht notwendigerweise vorgesehen ist. In diesem Projekt bringt Schulz
zeitgenössische künstlerische Strategien mit den für sie optimalen
Vermittlungsansätzen zusammen und greift damit einerseits auf die Strategien
der kritischen Analyse von Ausstellungspraktiken aus den 70er Jahren zurück,
erweitert diese jedoch gleichzeitig um eine aktive Vermittlungshaltung, womit
der analytischen Dekonstruktion des Instruments »Ausstellung« ein konstruktiver
Ansatz gegenübertritt.
In seinem
Langzeitprojekt »body of work the ideal exhibition« deduziert Schulz
allgemeinere Kriterien und Charakteristika künstlerischer Praxis modellhaft
anhand verschiedener medialer Kategorien: Neben traditionellen künstlerischen
Ausdrucksformen wie Malerei, Skulptur und Photographie werden zeitgenössische
Kommunikationsträger (Poster, Buch, Einladungskarte etc.) in Bezug auf ihre
medienspezifischen Eigenschaften analysiert. Als eine Art kleinster gemeinsamer Nenner dienen diese als
Ausgangspunkt für vom Künstler gestaltete »Modelle«, die mit der Bezeichnung
der jeweiligen Kategorie und hierfür relevanten und symptomatischen
Referenzmaterialien präsentiert werden. Im Vergleich mit den eingangs
beschriebenen Projekten wird hier nicht der institutionelle Funktionsapparat
hinterfragt, vielmehr verläßt der Künstler den Bereich der konkreten
Kunstvermittlung zugunsten einer Hinwendung zu allgemeineren Analysen der
spezifischen systemimmanenten Grundbegriffe zeitgenössischer Kunstproduktion.
Veröffentlicht
in: German Open. Gegenwartskunst in Deutschland, Ausst.kat. Kunstmuseum
Wolfsburg (Cantz-Verlag), 1999
© 1999 Jan
Winkelmann