Schattenmaschinen von Anke Schulte-Steinberg

Jan Winkelmann

Wer Anke Schulte-Steinbergs Raum innerhalb der Bunkeranlage unter dem Mannheimer Schloß betritt, sieht zuerst zwei sich gleichförmig bewegende Maschinen auf dem Fußboden. An den Enden der Auslegern, die von der eigentlichen Maschine weg, ein stückweit in den Raum greifen und sich mit leicht zittrigen Auf- und Abbewegungen dem Boden nähern, bzw. sich davon wieder entfernen, sind kleine Glühbirnen angebracht. Einzige Lichtquelle im Raum bewegen sie sich auf und ab, über den abgebrochenen Ecken von vier Bodenplatten, den Mittelpunkt des von ihnen angedeuteten Quadrates bezeichnend. In der Gesamtheit ihrer Bewegung wirken sie wie Körner pickende Hühner, die nie satt werden und das Loch im Boden tiefer und immer tiefer graben.

Das Lichtvolumen im Raum, die Helligkeit verändert sich analog zu der Bewegung der Ausleger. Wenn der Abstand zur Fuge am größten ist, ist auch der Raum am hellsten, die Schatten um die Fugen am kürzesten. Taucht das Birnchen ein stückweit in die Fuge ein, wird der Raum dunkler, die Schatten der Fugen größer. Sieht der Betrachter von oben auf dieses Licht- und Schattenspiel bekommt er durch diese pulsierende Bewegung von Licht und Schatten das Gefühl, der Boden hebe und senke sich. Ein längeres Betrachten ruft nach kürzester Zeit unangenehme Gleichgewichtsstörungen hervor. Die Gleichförmigkeit der Bewegung wird lediglich durch die zweite Maschine am anderen Ende des Raumes gebrochen, da diese sich in leicht versetztem Rhythmus bewegt. Eine Erfahrung von Licht und Schatten, wie wir sie in dieser Intensität selten erleben.

Anke Schulte-Steinbergs Werkstoff ist das Licht, vielmehr der Schatten, den das Licht erzeugt. Mit einfachsten Mitteln (Scheibenwischermotoren, Draht, Glühbirnen und Kabeln) baut sie ihre Schattenmaschinen, die den Betrachter verblüffen und seine Sehgewohnheiten radikal und ohne dessen Willen in Frage stellen. Das Kunstwerk ist nicht mehr ein vom Künstler geformter Gegenstand, der im Laufe des Entstehungsprozesses seine Form verändert und am Ende des selbigen vom Künstler für vollendet erklärt wird. Schulte-Steinbergs Schattenräume sind aufgrund ihrer Dynamik und Prozeßhaftigkeit nur durch längeres Betrachten erfahrbar und thematisieren so die vierte Dimension: Zeit.

Bei der traditionellen Skulptur fällt das Licht von außen auf einen festen Körper, modelliert diesen durch Reflexionen und Schatten. Materialien wie Bronze, Marmor etc., waren Oberflächen, die Licht erhalten, es sogar brauchen, da sie ohne Licht überhaupt nicht gesehen, bzw. erkannt werden könnten. Anke Schulte Steinberg stellt diese Tatsache auf den Kopf. Es wird kein Körper geformt, auf den das Licht fällt, sondern das Licht selbst, die Art und Weise wie es auf einen vorhandenen Körper trifft, wird zum zentralen Gestaltungsmittel. Räume durch Licht zu verändern, Volumen zu schaffen, wenn sich über den Betrachter plötzlich Licht und Schattenkanten bewegen. Die Statik der Räumen zu brechen, wenn sich, wie hier der Boden zu bewegen scheint, ist Ziel ihrer Arbeit.

Der Betrachter sieht nicht mehr lediglich auf ein Kunstwerk, vielmehr befindet er sich innerhalb des Kunstwerkes, erfährt und begreift es aus diesem Blickwinkel. Im Gegensatz zum traditionellen Ausstellungsraum, wo der Besucher nach Wahl stehen bleiben und ein Werk betrachten oder es unbeachtet lassen und daran vorbeigehen kann, wird er in Anke Schulte-Steinbergs Schattenräumen Teil der Installation. Der Betrachter als Teil des Kunstwerkes, nicht mehr nur flanierender Besucher einer Ausstellung, gefangen vom Eindruck des Lichtes. Einfacher und unmittelbarer kann Kunst nicht wirken.

veröffentlicht in: TIEFGANG. Bildräume im Schloßbunker, hrsg. von Roland Scotti und Jan Winkelmann, Mannheim: Signet Verlag 1992

© 1992 Jan Winkelmann

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