Die Institution als Instrument. Ein Gespräch mit Nicolaus Schafhausen

Jan Winkelmann

Am 28. Mai eröffnet der Frankfurter Kunstverein sein neues Programm unter der Leitung von Nicolaus Schafhausen. Seine Karriere begann der 1965 in Düsseldorf geborene Kurator zunächst als Künstler und wechselte 1992 die „Fronten“. Zusammen mit Markus Schneider gründete er die Galerie Lukas & Hoffmann, die er bis 1994 betrieb. 1995 konzipierte Schafhausen zusammen mit Klaus Biesenbach die vielbeachtete und kontrovers diskutierte Ausstellung „nach Weimar“ im Landesmuseum Weimar. Von 1995 bis 1998 war Schafhausen Leiter des Künstlerhauses in Stuttgart, wo er mit dem „Umbauraum“ ein neues konzeptionelles Verständnis von Kunstinstitutionen zur Diskussion stellte. Seit 1998 arbeitet er als Berater des New Yorker Verlages Lukas & Sternberg und unterrichtet am Goldsmith College in London.

Du bist seit 1. Januar 1999 Leiter des Frankfurter Kunstvereins. Welche Ausstellung ist momentan zu sehen?

Noch bis Ende Februar ist mit Gian Franco Pradi die letzte Ausstellung meines Vorgängers, Peter Weiermair, zu sehen. Ich bin bereits seit August 1998 sogenannter „Künstlerischer Berater“ und hatte in dieser Funktion Zeit, um mich auf meine Aufgabe als Kunstvereinsleiter vorzubereiten. Ich sollte mich auf Wunsch des Vorstandes erst einmal umschauen, wie in Frankfurt die Strukturen funktionieren. Natürlich ist dafür ein halbes Jahr relativ kurz, aber man bekommt in etwa die Stimmung in der Stadt mit, man kann sich alles anschauen, sich überall vorstellen usw. Wir haben mit dem „Starter. Auftakt für den Frankfurter Kunstverein. Eine Abendveranstaltung mit Clémentine Deliss, Liam Gillick, Verena Kuni, Jonathan Meese, Daniel Pflumm, Stephen Prina, Anthony Rizzi, Laila Sadeghee und Nicolaus Schafhausen“ begonnen. Danach fand von September bis Dezember eine Veranstaltungsreihe mit dem Titel „Benutzeroberfläche Stadt – Performanzen für den Frankfurter Kunstverein“ statt. Jeden Montag gab es Vorträge, Performances oder Konzerte von Künstlern, Kunstwissenschaftlern, Musikern und DJ‘s mit dem Ziel, die Stadtstruktur und die Situation vor Ort einmal gründlich zu untersuchen. Diese Reihe war ganz bewußt lokal ausgerichtet. Es wurden Personen einbezogen, die in direkter Verbindung mit dem zukünftigen Programm des Kunstvereins stehen, z.B. auch der Architekt, der den Kunstverein umbaut. Wir können ja keinen „großen“ Umbau machen, sondern nur eine Umstrukturierung der Architektur im Innenbereich.

Wer finanziert diesen Umbau?

Das Wort ‘Umbau‘ ist nicht wirklich zutreffend, es ist vielmehr eine Umstrukturierung. Der Kunstverein ist zunächst Anfang der 80er Jahre und dann nach zwei Bränden Anfang der 90er Jahre „white-cubed“ worden. Das heißt fast sämtliche Fenster wurden zugebaut, wodurch keine Anbindung mehr von innen nach außen gegeben war. Was wir nun tun, kann man als eine Form der Kosmetik bezeichnen, um die eigentliche Struktur des Hauses wieder sichtbar zu machen.

War es von vornherein geplant, daß sich das Haus mit einem Führungswechsel architektonisch verändern soll?

Eigentlich nicht. Ich hatte bei meiner Berufung bestimmte Forderungen, z.B. daß wir, wenn es uns gelingt die Finanzierung hierfür zu sichern, gezielte Umstrukturierungsmaßnahmen im Inneren vornehmen können. Auch was die Umstrukturierung im Personalbereich angeht, so haben wir z.B. mit Sören Grammel einen Assistenten eingestellt, der gerade am Goldsmith College den Kuratorenkurs abgeschlossen hat und hier auch selbständig eigene Projekte entwickeln wird.
Das Haus selbst ist ja in einen interessanten urbanen Kontext eingebunden. Es liegt in unmittelbarer Nachbarschaft des Römers, einem der ältesten Plätze Frankfurts und hat selbst einen sehr alten Gebäudeteil mit zum Teil gotischer Substanz. Der Kunstverein ist, neben dem Städel Museum, die älteste bürgerliche Institution der Stadt. Er wurde 1829 gegründet und ich finde die Tatsache sehr interessant, daß aufgrund eines Bürgerinteresses solche Kunstvereine überhaupt entstanden sind. Aus diesem Grund kann ich es überhaupt nicht verstehen, warum viele Personen denken, daß diese Art von Institutionen überflüssig wären, nur weil Museen bestimmte Vermittlungspraktiken übernehmen, die früher von Kunstvereinen geleistet wurden.

Das kann man nicht so pauschalisieren. Immerhin ist die Institutionsdichte wesentlich stärker geworden und die Struktur der einzelnen Institutionen hat sich im Vergleich zu früher wesentlich verändert bzw. erweitert und zum Teil auch diversifiziert.

Du hast schon Recht. Aber aus diesem Grunde hat der Kunstverein heute andere Aufgaben als vor 100 Jahren, aber auch noch als vor 30 Jahren. Das Schöne im Vergleich zu Museen ist, daß man nicht so sehr vom Publikum abhängig ist. Ein so großer Kunstverein hat einfach seine Mitglieder, die nicht immer mit dem Publikum identisch sein müssen.

Zurück zu den „vorbereitenden“ Veranstaltungen. Nach dem „Starter“ fand jeden Montag ein Event statt, mit dem Du das Publikum theoretisch auf das zukünftige Programm vorbereiten wolltest.

Die ganze Zeit über lief ja noch das Programm von Herrn Weiermair, mit einem sehr musealen Profil, das ein eher bürgerliches Publikum angesprochen hatte. Es ging mir darum herauszufinden, was für eine andere Publikumsstruktur man mit solchen Veranstaltungen, u.a. mit Musikern, Clubbetreibern, die aus der lokalen Kunstszene kommen, erreicht. Mich interessierte, ob man auch Leute ansprechen kann, die dieses Haus nie wahrgenommen oder genutzt haben. Weder der Portikus noch das Museum für Moderne Kunst machen solche Veranstaltungen. Es gibt etwas Vergleichbares in der Städel-Schule, jedoch nur für Studenten.

Wie waren die Erfahrungen, gab es tatsächlich einen Bedarf und wie wurde diese Form der theoretisch-diskursiven Vorbereitung angenommen?

Es waren eigentlich alle Veranstaltungen durchgängig sehr gut besucht. Ich sehe es zunächst einmal als ein Anfang, denn es ging ja nicht um ein überregionales oder gar internationales Profil, wie es beim „Starter“ der Fall war, sondern es richtete sich in erster Linie an die Menschen vor Ort und diese haben das Angebot mit großem Interesse wahrgenommen.

Was zeigst Du zur Eröffnung?

Es sind drei größere neue Produktionen von Olafur Eliasson, Octavian Trauttmansdorff und Jeroen de Rijke/Willem de Rooij geplant. Das sind drei Künstler, mit denen ich auch langfristig kooperieren werde. Für mich als Kurator war es immer sehr wichtig, über einen längeren Zeitraum mit einzelnen Künstlern zusammenzuarbeiten. Olafur zeigte ich erstmals 1991, mit Octavian arbeite ich seit 1990 zusammen. Durch die räumliche Situation des Kunstvereins ist es möglich, den solitären Charakter der einzelnen künstlerischen Positionen herauszustellen. Für de Rijke/de Rooij erscheint in Zusammenarbeit mit dem Museum Abteiberg in Mönchengladbach ein Taschenbuch, in dem hauptsächlich die Filmhistorikerin Vanessa Joan Müller das Werk der beiden niederländischen Künstler untersucht. Zudem wird unsere Homepage auf das Netz gelegt, die Bar im Frankfurter Kunstverein wird eröffnet und der wissenschaftliche Bereich der Bibliothek wird öffentlich zugänglich.

Was wird von Olafur Eliasson zu sehen sein?

Olafur ist eingeladen, über ein ganzes Jahr, auch bei anderen Ausstellungen, Interventionen vorzunehmen. Dieses Projekt schließt mit einer Einzelausstellung ab, zu der auch eine Publikation erscheinen wird. Bei Octavian Trauttmansdorff ist es ähnlich, allerdings wird er eher für den Publikationsbereich arbeiten.

Wie geht es dann weiter?

Im Sommer zeige ich Bernd Krauß und Jonathan Meese. Mit beiden habe ich im Künstlerhaus Stuttgart schon zusammengearbeitet. Danach bespielt Liam Gillick das ganze Haus. Wir haben bisher sehr oft zusammengearbeitet, denn Liam ist für mich einer der wichtigsten Künstler, der meine Arbeitsweise sehr stark geprägt hat. Es wird die erste Einzelausstellung im Kunstverein sein und die erste größere Ausstellung von Liam überhaupt. In dieser Zeit findet auch ein Kongreß mit dem Titel „Neue Kunstkritik“ statt, den ich zusammen mit Christoph Blase konzipiere. Es geht darum, spezifische Problemfelder der Kunstkritik zu thematisieren, wobei es nicht nur um Kunstkritik in Fachzeitschriften geht, sondern auch um Tagesfeuilletons usw.

Sind Kongresse ein fester Teil der Programmstruktur? Weg vom Einzelvortrag hin zu theoretischen Großereignissen?

In Leipzig mögen Einzelvorträge funktionieren, in vielen anderen Städten auch. Ich habe es ja auch in Stuttgart so gemacht. Aber mittlerweile denke ich, daß es mehr Sinn macht, solche Veranstaltungen en bloc durchzuführen.

Was dann natürlich gleich ein ganz anderes Publikum anspricht.

Natürlich. Es wird aber auch Vorträge geben, die sich ganz präzise auf einzelne Ausstellungen beziehen. Darüber hinaus arbeite ich an einem Kongreß, der als eine Weiterführung meiner Osteuropa-Konferenz, die ich für das Institut für Auslandsbeziehungen in Stuttgart im Herbst letzten Jahres konzipiert hatte, gedacht ist. Wir werden 10 bis 14 Kuratoren, Künstler und Kritiker mit dem Schwerpunkt Osteuropa einladen, verschiedene Ausstellungsprojekte zu entwickeln.

Laß‘ uns auf die Umstrukturierung zurückkommen. Was wird sich in der Institution ändern? Könntest Du etwas über Deine Zielsetzung sagen.

Dieser Job hat mich in erster Linie wegen der Institution an sich interessiert. Kunstvereine sind ja eine sehr deutsche Angelegenheit und haben hier die ganze Institutionslandschaft sehr stark geprägt. Mit der Gründung von Kunstvereinen hat sich ein bürgerliches Interesse und eine Öffentlichkeit für Kunst überhaupt erst entwickelt. In den letzten 30 Jahren haben sich in Deutschland die Museen insofern verändert, daß das Interesse an zeitgenössischer Kunst und ihrer Entwicklung immer stärker wurde und gleichzeitig auch massiver darauf eingegangen werden konnte. So wie ich es wahrnehme, allerdings immer mit einem Blick auf das allgemeine Amüsement einerseits und Kostendeckung und Publikumszahlen auf der anderen Seite.

Was im letzteren Fall aber auch verständlich ist.

Na klar, da habe ich auch überhaupt nichts dagegen. Aber gerade aufgrund dieser Entwicklung kann der Frankfurter Kunstverein seiner Öffentlichkeit Projekte anbieten, die in diesen Institutionen inhaltlich keinen Platz haben.

Du planst aber auch retrospektiv angelegte Ausstellungen, die ein eher museales Format haben.

Es ist Teil der Programmstruktur, von Zeit zu Zeit auch Retrospektiven zu zeigen, z.B. von Ketty La Rocca, die genauso gut auch in einem Museumskontext stattfinden könnten. Aber dagegen spricht zunächst auch nichts. Dirk Snauwaert macht das ja im Kunstverein München ganz ähnlich. Er zeigt Übersichtsausstellungen von Randpositionen, die in Museen keinen Platz haben. Ich finde es sehr interessant, solche Leute in die zeitgenössische Diskussion einzubinden. Aber ich sehe das auch als didaktisches Mittel, um bestimmte Positionen, die für jüngere Künstler wichtig sind, einmal der Öffentlichkeit zu präsentieren. Wobei ich aber glaube, daß ich viel weniger auf solche Referenzen eingehen werde, wie ich es noch in Stuttgart gemacht habe.

Was ist der Grund dafür? Hat sich Deine Haltung diesbezüglich verändert oder ist es ganz einfach strukturbedingt.

Mein Standpunkt hat sich verändert. Viele der Künstler mit denen ich schon sehr lange arbeite sind heute durchgesetzte Positionen, zumindest in dem Kontext in dem wir arbeiten. Das war damals noch nicht der Fall. Zum Teil reicht das in meine Zeit mit Lukas & Hoffmann zurück und noch weiter, als ich selbst noch künstlerisch tätig war. Ich habe mit Liam Gillick zusammen ausgestellt, als ihn noch niemand kannte. Mit Kai Althoff, Carsten Höller und Cosima von Bonin verhält sich das ähnlich. Bei mir war das ja ein anderer Weg als bei Dir. Ich bin ja nicht über das Studium eingestiegen, sondern über meine eigene künstlerische Arbeit und den Freundeskreis bzw. dem Kontext in dem ich mich bewegt habe. Das heißt mein Zugang zur Kunst kam durch meine persönliche Umgebung. Man hat sich als eine Art weitläufige Familie begriffen, ohne daß man jemals eine Gruppe war. Aber heute ist da ja sowieso ganz anders. Ich bin jetzt 33 und nicht mehr ganz so eng an den ganz jungen Positionen dran. Ich habe zwar noch einen Zugriff auf die zehn Jahre jüngeren, aber das ausgedehnte Clubbing, wie ich es noch vor wenigen Jahren exzessiv betrieben habe, langweilt mich mittlerweile. Das bringt auch mit sich, daß mich viele Positionen bei ganz jungen Künstlern strapazieren, weil sie sich mir zu oft als Wiederauflage der vergangenen zehn Jahre herausstellen. Aber ich finde es spannend wie die Entwicklung zur Zeit weitergeht und mir macht es Spaß, neue Entwicklungen etwas distanzierter zu betrachten als ich dies vor einigen Jahre konnte.

Wie verstehst Du Deine Rolle als Kurator?

Ich sehe mich jedenfalls nicht als Autor.

Eher als Regisseur oder als Produzent?

Am ehesten als Produzent, bei Symposien eher als Regisseur. Ich habe Probleme mit kuratorischen Autorenschaften, vor allem dann, wenn der Kurator stärker in den Vordergrund tritt als die beteiligten Künstler oder Architekten. Es verhält sich wie beim Regietheater. Ich bin der festen Überzeugung, daß man sich als Kurator sehr eng an den Bedürfnissen der Künstler orientieren muß.

In Bezug auf „Autorenschaften“ denkst Du an Positionen wie Eric Troncy, Harm Lux oder Hans-Ulrich Obrist?

Das sind andere Positionen, die ich zwar schätze, die meiner Arbeitsweise aber doch sehr fern liegen. Ich habe mir lange überlegt, ob ich nach meiner Zeit in Stuttgart nicht als freier Kurator arbeiten soll und ob ich überhaupt noch einmal eine Institution leiten möchte. Die Arbeit im Künstlerhaus Stuttgart war ja hauptsächlich auf experimentelle Projekte ausgelegt. Diese Zielrichtung ist in Frankfurt eine andere. Hier werde ich eher solitäre Positionen vorstellen.

Richtig frei hast Du ja nie gearbeitet? Du hast zwar freie Projekte gemacht, aber nie den Status eines „Freelance Curators“ gehabt.

NS: Das stimmt. Im Moment interessiert mich die freie Arbeit nur begleitend zur Arbeit in einer Institution. Mein Vertrag läßt freies Arbeiten oder Unterrichten zu. Es wird sich zeigen, was ich in fünf Jahren machen werde. Frei arbeiten kann man immer. Für mich persönlich ist es viel interessanter, von einem bestimmten Ort auszugehen, einem urbanen Setting. Im Moment ist es Frankfurt, es könnte aber auch eine ganze Reihe anderer Großstädte sein. Kunstvereine hatten historisch gesehen ja immer etwas mit aktueller, junger, nicht durchgesetzter Kunst und ab und zu auch mit historischen Referenzen zu tun. Das war in Frankfurt in den letzten Jahren nicht der Fall. Die Chance des Kunstvereins ist es, im Gegensatz zum Museum, konzentrierter und langfristiger auf verschiedene unterschiedliche Positionen eingehen zu können. Ein wichtiger Aspekt dabei ist es, nicht unbedingt eine Öffentlichkeit zu haben, die sich mit der von Museen deckt, sondern eine anderes Publikum zu gewinnen. Man kann es ja sowieso nicht jedem Publikum recht machen – das meine ich jetzt nicht negativ – aber es geht einfach nicht, alle gleichermaßen zufriedenstellend zu bedienen.

Wobei natürlich zu sagen ist, daß es in Frankfurt eine relativ diversifizierte kulturelle Struktur gibt und der Kunstverein ein Teil der komplexen Institutionslandschaft ist.

Mich interessiert die Frage, wie eine Institution funktionieren kann, die nicht auf wenigen reichen Fördermitgliedern basiert, sondern aus Mitgliedern ganz unterschiedlicher Schichten. Das heißt zum Beispiel auch, daß man sich Gedanken darüber machen muß, wie man das Vermittlungsprogramm strukturiert. Hier ist es zukünftig enger an die jeweiligen Ausstellungen angebunden. Wir werden in der Regel keine Kataloge publizieren, sondern eine Art Taschenbücher zu den jeweiligen Einzelpositionen, die konzentriert auf das Werk, einzelne Projekte und dem Kontext des jeweiligen Künstlers eingehen. Sie sollen insgesamt eher textlastig sein, mit wenigen Abbildungen zu rein dokumentarischen Zwecken. Bisher wird das kaum gemacht, was ich wirklich als Defizit empfinde. Auch hier gilt es sich gegenüber den Museen abzugrenzen. Mit deren Katalogpublikationen kann man sowieso nicht konkurrieren, was in einer Institution wie einem Kunstverein auch gar keinen Sinn macht, wenn man nicht im großen Stil mit anderen Orten kooperiert oder eine retrospektiv angelegte Ausstellung zeigt.

Die Vermittlung stärker an die Ausstellungen anzubinden heißt, das Du die Kataloge eher als ein Instrument siehst, die Ausstellung intensiver mit einem theoretischen Diskurs zu kontextualisieren? Weg von der Dokumentation, hin zum Inhalt?

Ja, das bringt aber einen erheblichen Mehraufwand an Vorbereitung und Recherche im Vorfeld mit sich. Ansonsten gibt es bei uns die üblichen Standards der klassischen Vermittlungsstruktur, wie Vorträge, Führungen, ohne das geht es ja gar nicht.

Was hat es mit diesen vier „Säulen“ auf sich, die im Zusammenhang mit der Umstrukturierung immer wieder erwähnt werden?

Einige hatte ich bereits erläutert. Das Theorie-Programm mit Kongressen und Symposien, die ein sehr dichtes und konzentriertes diskursives Angebot darstellt. Dazu gehört das bereits erwähnte Vermittlungsprogramm, das ich eigentlich als ein Standard-Angebot verstehe – wobei ich es überraschend finde, daß es in sehr vielen Institutionen eben gerade nicht so ist.

Ich bin immer wieder überrascht von dem „Hunger nach Theorie“ und dem Interesse an Vorträgen, die das „praktische“ Programm mit einem „theoretischen“ begleiten.

Ich denke, das Interesse daran hat auch sehr viel mit der „Live-Erfahrung“ zu tun. Dabei ist es ganz egal, ob es ein wissenschaftlicher Vortrag ist, ob ein Künstler oder ein Kurator spricht, der Performance-Charakter spielt für das Publikum eine wichtige Rolle.
Eine dritte Säule sind die Events, die natürlich auch dazu dienen, eine bestimmte Finanzierung herzustellen.

Der Club-Event als Mittel zum Zweck, um eine bestimmte Finanzierung abzusichern?

Natürlich nicht nur. Auf jeden Fall auch ein konzeptioneller Gedanke.

Diese Art der Veranstaltung ist als eine Schnittstelle zu einer ganz anderen Öffentlichkeit heute ja gar nicht mehr wegzudenken. Ich denke man muß Club-Culture als Teil der zeitgenössischen Kultur einfach ernst nehmen.

Es gibt diesbezüglich in vielen Institutionen immer noch viel zu viele Berührungsängste. Es wäre töricht, das Bedürfnis nach dieser Form der Veranstaltung einfach zu ignorieren. Wir haben das in anderem Maßstab ja auch im Künstlerhaus gemacht. Der Unterschied besteht in Frankfurt in der Publikumsstruktur. Das Publikum ist hier viel gemischter und nicht einfach nur Zielpublikum, wie es in Stuttgart der Fall war. Dazu kommt, daß das Künstlerhaus am Rande der Innenstadt lag, wohingegen wir hier in Frankfurt mitten im Zentrum sind. Das ist ein großer Unterschied, weil einfach viel mehr Touristen reinkommen. Aber man muß die Bereiche schon voneinander trennen. Natürlich gibt es Durchlässigkeiten, aber nicht auf allen Ebenen. Der von uns geplante Kommunikationsraum wird abends zu einem Café mit Barbetrieb. Man kann ihn unabhängig von den Ausstellungen besuchen und er funktioniert eben nicht wie ein Museums-café, wo man nach dem Ausstellungsbesuch ein Stück Kuchen ißt. Ich gehe auch nicht davon aus, das wir mit den Besuchern hier viel Geld einnehmen.

Aber es ist ein möglicher Kristallisationspunkt und eine Schnittstelle.

Eben darum geht es mir. Der Ort wie wir ihn planen eignet sich auch ganz gut für die unterschiedlichen Begleitmaterialien und die Handbibliothek, die in diesem Bereich integriert wird. Es war mir auch wichtig, daß dieser Raum nicht von einem Künstler, sondern von einem Architekten gestaltet wird. Es soll eine variable Struktur geben, mit Einbauten, die ohne Probleme wieder entfernt werden können. Ich möchte keine feste Cafeteria-Struktur haben, die für immer und ewig dort steht. Die einzelnen, vorhin beschriebenen Bereiche sind zwar getrennt, aber gegeneinander durchlässig. Es werden sich ganz automatisch Überschneidungen ergeben.
Ein weiterer wichtiger Programmpunkt ist die Verbindung mit den Hochschulen. Beispielsweise mit dem Kunsthistorischen Institut der Universität. Es soll eine sehr enge, praxisbezogene Kooperation mit dem Kunstverein geben. Ich plane gerade ein Großprojekt mit dem Titel „892001“, das 2002 stattfinden soll. Die Vorbereitungen hierfür beginnen ab Ende 1999. Zu diesem Zweck lade ich Ende des Jahres 12-15 Personen zu einem internen Workshop ein. Es geht darum, wie man die deutsche Umbruch-Situation in der Zeit von 1989 bis 2001 in der zeitgenössischen Kunst reflektiert hat. Dabei soll es keine nationale, auf Deutschland ausgerichtete Ausstellung sein. Das Projekt soll im Team entstehen, zum Teil auch durch einzelne Recherchen, die als Aufträge an Hochschulen vergeben werden. Auch zu diesem Projekt wird es bis zur Eröffnung einzelne Vorveranstaltungen geben. Es geht darum, lineare Positionen herauszuarbeiten, die eine Kontinuität aufweisen. Das ist einfach meine Arbeitsweise und betrifft auch wieder das von Dir angesprochene Thema bezüglich der Autorenschaft von Kuratoren. Es geht mir nicht darum, möglichst schnell einzelne unzusammenhängende Projekte zu realisieren, die dann ebenso schnell wieder verschwinden. Ich sehe keinen Sinn in unreflektierten Großveranstaltungen, die ja – nebenbei erwähnt – in den letzten Jahren alle irgendwie nicht funktioniert haben.

Der Team-Gedanke und die Zusammenarbeit mit Leuten aus unterschiedlichen Bereichen scheint mir sehr wesentlich für Dein Vorgehen zu sein. Du arbeitest ja in Frankfurt mit verschiedenen Beratern. Wie funktioniert das Beratermodell?

Im wesentlichen ist das Verena Kuni, mit der ich die am Anfang erwähnte lokale Veranstaltungsreihe zusammen konzipiert habe. Zukünftig wird sie ein Video-Programm entwickeln und am Vermittlungsprogramm mitarbeiten. Sie fungiert hier als Berater für die lokale Szene, hat aber mit dem Ausstellungsprogramm als solches gar nichts zu tun.

Das klassische „Outsourcing-Modell“?

Ja klar, ich halte es für wichtig, wissenschaftlich arbeitende Personen verstärkt in die Institutionen zu integrieren, was bisher eigentlich kaum der Fall war. Auch in den Museen entfernt man sich ja mehr und mehr von einer wissenschaftlichen Arbeitsweise, was ich sehr bedauerlich finde.

Das Beratermodell ist ja gar nicht so neu. Harald Szeemann hat bei der documenta 5 erstmals verschiedene Bereiche ausgelagert und von anderen Kuratoren entwickeln lassen. Seither ist das – zumindest bei der documenta – gang und gäbe. Du warst ja selbst, wenn auch nur kurze Zeit, Berater von Catherine David für junge Kunst. Heutzutage geht es kaum mehr ohne Berater, wobei ich denke, das das auch symptomatisch für die zeitgenössische Kunst ist.

Ich halte es für zynisch und selbstüberschätzend, als Kurator alles alleine machen zu wollen. Meine Arbeitsweise verlangt es, Spezialisten für bestimmte Fachgebiete miteinzubeziehen. Das ist dann eher wie bei einer Band, wo jeder eine bestimmten Aufgabe zu erfüllen hat und das Ganze nur als Teamwork funktioniert.

Auf der anderen Seite hat sich dieses Bewußtsein – außer bei den Großveranstaltungen – noch nicht so durchgesetzt. Die meisten Kuratoren folgen immer noch der Einzelkämpfer-Mentalität.

Dort mangelt es auch oft. Das ist dann ein viel zu oberflächliches Arbeiten. Ich mache lieber weniger, konzentriere mich auf das Wesentliche und produziere nicht wie am Fließband.

Das kannst Du Dir in dieser Situation in Frankfurt und in dem gegebenen institutionellen Kontext auch leisten. Ein anderer Ort würde möglicherweise eine andere Arbeitsweise verlangen.

Gerade das ist ja das Spannende und der Luxus, den ich mit der Institution Frankfurter Kunstverein auch als Machtinstrument habe.

in gekürzter Form in holländischer Sprache veröffentlicht in: Metropolis M. Tijdschrift over hedendaagse kunst, Nummer 2, April 1999

© 1999 Jan Winkelmann

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