Wenn einer eine Reise tut... Ein immaterielles Projekt von Asier Peréz González & Hinrich Sachs

Jan Winkelmann

Leipzig beteiligt sich mit vier großen, sogenannten ‚dezentralen‘ Projekten an dem Weltereignis EXPO2000. Diese treten im Vergleich zu den fast täglich in den unterschiedlichen Medien präsenten Meldungen über Hannover fast ein wenig in den Hintergrund. Das mag vielleicht daran liegen, dass es bei den Leipziger Projekten keinesfalls um kurzzeitige „Höher, Schneller, Weiter“-Ambitionen geht sondern vielmehr und vor allem um langfristig angelegte strukturverändernde Maßnahmen, wie beispielsweise die Renaturierung des ehemaligen Tagebaugebietes in Cospuden oder der Ausbau des Zentrums für Bucherhaltung, das mit innovativen Technologien dem bedrohlichen Verfall von unzähligen Büchern und dem damit zwangsläufig verbundenen Verlust von kollektivem kulturellem Erbe Einhalt zu gebieten versucht. Diese Beispiele sind, und das liegt in der Natur der Sache, weniger spektakulär und bei weitem nicht so besucherkompatibel wie die auf Höchstleistung getrimmte Weltausstellungs-Maschinerie in Hannover, die ja, wie mittlerweile bekannt, die angepeilten und zur finanziellen Deckung der Ausgaben notwendigen Besucherzahlen bei weitem nicht mehr erreichen wird. Im Gegenteil, beide EXPO-Konzepte scheint zunächst wenig miteinander zu verbinden und so nimmt es kaum wunder, dass die EXPO-Liaison zwischen Leipzig und Hannover zwar eine freundschaftlich respektvolle, aber dann doch keine zutiefst leidenschaftliche Seelenverwandschaft darstellt.

An dieser Schnittstelle treten die beiden Künstler Asier Pérez González & Hinrich Sachs auf den Plan. Sie haben im Rahmen des „Neuen Lebens“ ein Projekt konzipiert, das unterschiedliche Bereiche, Institutionen und Sphären, die eigentlich primär nichts miteinander zu tun haben, verbindet und dabei ein mögliches Erlebnismoment kreiert, das man einer Erfahrung, die man üblicherweise mit Kunst assoziiert, nicht zuordnen kann.

Zur Erklärung: In Zusammenarbeit mit der EXPO2000 Leipzig-Leitstelle, der Leipziger Volkszeitung und den beiden Künstlern wird das große EXPO2000 Leipzig Gewinnspiel realisiert. Zehn Fragen rund um die EXPO-Projekte der Stadt wurden ausgearbeitet. Wer diese richtig beantwortet, nimmt an der Verlosung von zehn dreitägigen Reisen zur Weltausstellung nach Hannover teil. Um eine möglichst breite Öffentlichkeit zu erreichen, wird das Gewinnspiel redaktionell aufbereitet und mehrmals im Lokalteil der LVZ veröffentlicht. Neben dieser medialen Präsenz (vgl. „Zeitung zum Projekt #3“, Websites der beteiligten Institutionen) werden zusätzlich Faltblätter mit den Fragen und Teilnahmebedingungen verteilt, wie z.B. in und um die „Neues Leben“-Projekte, in der Galerie und rund um die Expo-Bühne am Leipziger Hauptbahnhof. Mit ihrem Vorgehen erwecken beide Künstler naturgemäß das Interesse an den Leipziger EXPO-Projekte, zumindest jedoch eine Auseinandersetzung damit.

Dreh- und Angelpunkt des Projektes ist der Gewinn, die Reise zur EXPO2000 nach Hannover, die von der beiden Künstler inhaltlich vorbereitet, begleitet und geleitet wird. Hierbei treten Pérez González und Sachs nur bedingt als Animateure und Reiseleiter auf. Sie fungieren als eine Art Vermittler zwischen den Gewinnern der Reise und dem sie erwartenden Angebot auf der Weltausstellung. Unnötig zu betonen, dass die Teilnehmer der Reise keine Führung erwartet, wie sie sie von offizieller Seite der EXPO bekommen hätten. Vielmehr werden Sie aus der reflektierten und sehr individuellen Sicht der Künstler an den drei Tagen über die Weltausstellung geführt. Hierbei spielt die private Erfahrung des Einzelnen, die sich bestenfalls auch in einem Neben- und Miteinander gegenüber der kollektiven Wahrnehmung innerhalb der Gruppe wiederspiegelt eine zentrale Rolle. Das kommunikative Moment untereinander tritt an die Seite des individuellen Erlebens. Alles in allem ergibt sich im Idealfalle für alle Beteiligten ein unvergeßliches, wie auch einmaliges Erlebnis, eine Verdichtung von Realität und Erfahrung, die abschließend noch einmal aus der Sicht eines mitreisenden Redakteurs der LVZ zusammengefaßt, wiedergegeben und in der Zeitung veröffentlicht wird.

Das gesamte Projekt von Peréz González und Sachs operiert gänzlich in kommunikativen Bereich. Es findet im Spannungsfeld der Pole Öffentlichkeit (Ankündigung/Berichterstattung) einerseits und privatem Erlebnis andererseits statt (entweder mit den oder in Auseinandersetzung um die Leipziger EXPO-Projekte und/oder als Gewinner der Reise). Zwischen diesen entwickelt sich eine vielfältiges Wechselspiel, indem die verschiedenartigen Dualismen wie privat-öffentlich, kollektiv-individuell aber auch die beiden EXPO-Veranstaltungsorte Hannover und Leipzig auf unterschiedliche Weise zueinander in Beziehung gesetzt werden bzw. im Nebeneinander und ihrer teilweisen Durchdringung, nicht zuletzt auch in der Übersetzung und durch die Präsenz in den Medien außergewöhnliche Erfahrungsmomente ergeben.

Veröffentlicht in: Neues Leben. Die Zeitung zum Projekt #4, Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig 2000

© 2000 Jan Winkelmann

Englische Version

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