Dj-ing auf der Meta-Ebene. Ein Interview mit Gerwald Rockenschaub

Jan Winkelmann

Der Begriff Cross-over wird in letzter Zeit immer häufiger in Bezug auf gewisse aktuelle künstlerische Phänomene gebraucht. Wie bewertest du die Tendenz, daß nach dem Hype der 80er Jahre, der selbstreferentiellen Kontext-Kunst, Anfang der 90er, nun ein Cross-over verschiedener Bereiche der Populärkultur, wie Kunst, Musik, Werbung, Design etc., die zweite Hälfte der 90er Jahre zu bestimmen scheint?

Ich frage mich, ob es das im letzten Jahrzehnt nicht ohnehin schon immer gegeben hat. Speziell in der Kontext-Kunst wurden sehr oft verschiedene Aspekte aus unterschiedlichen Bereichen vermischt. Christian Philipp Müller zum Beispiel greift permanent auf pseudo-, oder fast-wissenschaftliche Strategien zurück, um sie mit Kunststrategien zu vermischen. Natürlich findet das jetzt auf eine ganz andere Art und Weise statt. Daß sich die Dinge abwechseln, halte ich aber für eine relativ natürliche Sache. Es ist ganz normal, daß es auf die Kontext-Kunst, die ja sehr streng, oder sagen wir, sehr reduziert war, Reaktionen gibt. Das resultiert meines Erachtens aus der gelebten Realität, einer jüngeren Generation. Ein Mensch, der permanent zwischen 40 TV-Programmen wählen kann, hat ein vollkommen anderes kulturelles Bewußtsein, in Bezug auf Sampling-Culture und den daraus resultierenden Möglichkeiten, als jemand, der seinen kulturellen Background vor 10 oder 20 Jahren erworben hat.

Bei dieser gelebten Realität, spielt Techno eine entscheidende Rolle. Seit der Punk-Bewegung in den 70er Jahren, wird mit Techno erstmals wieder ein kollektives Erlebnisbewußtsein, bzw. ein bestimmtes Lebensgefühl geschaffen, dessen Ursprung in einer Musikrichtung liegt. Mit Techno kamen verschiedene Faktoren zusammen, die etwas auf einen Punkt gebracht haben, daß es vorher noch nicht gab.

Punk war, nach dem ganzen Glamour-Rock, eine Rückbesinnung auf die Grundwurzeln der Rockmusik und in diesem Sinne, nicht unbedingt etwas wirklich Neues. Techno ist vollkommen neu, weil es die Möglichkeiten der technischen Instrumente in ihrer ganzen Bandbreite ausnutzt. Techno-Musik ist auch vom Aufbau her total anders. Es bricht mit dem üblichen Refrain-, Strophen-, Lied-Mechanismus der traditionellen Musikgeschichte. Techno ist musikalisch wesentlich weiter, als es Punk je war.

Es ist ja nicht nur die Musik, wo sich im Vergleich zur Musikgeschichte ein Bruch ergibt. Ein weiteres Grundmerkmal von Techno ist das tendenzielle Verschwinden des Autors.

Es geht den Musikern nicht um ihre eigene Person, weswegen sie oft auch nicht mit ihrem eigenen Namen auftreten, oder aber ihre Namen permanent verändern. Einmal trittst du unter diesem Namen auf, das nächste Mal mit einem anderen. Jedoch gibt es schon auch Stars, so ist es nicht. Mit der Zeit kristallisiert sich immer mehr eine Hierarchie heraus.

Was, so denke ich, mit der immer weiter fortschreitenden Kommerzialisierung von Techno zu tun hat.

Damit hast du einerseits sicherlich recht. Andererseits hat es auch damit zu tun, daß verschiedene Leute einfach schon ziemlich lange im Geschäft sind und dadurch einfach eine sehr große Akzeptanz haben.

Aber grundsätzlich tritt das Individuum sehr weit in den Hintergrund. Es geht nicht um dich als Persönlichkeit, der du Spaß hast in der Menge, mit deinem geistigen und gewachsenen historischen Hintergrund, sondern es geht um eine auf öffentlichkeit zielende Musik, die nur im sozialen Zusammenhang einer ekstatischer Masse funktioniert. Was aber wiederum ein extremer Widerspruch ist, da es letztendlich um das persönliche Miterleben des Einzelnen geht.

Von der Grundidee her sicher, doch leider hat sich das aufgrund der Kommerzialisierung schon wieder ein wenig relativiert. Gerade das war es auch, was mich anfangs, als es wirklich noch viel extremer war, sehr stark fasziniert hat. Daß der Autor verschwindet, finde ich einen sehr spannenden Aspekt. Aber gleichzeitig ist es auch sehr theoretisch. In der Realität sieht es doch ein wenig anders aus. Seit Techno Mainstream geworden ist, gibt es ganz einfach wieder Stars, die in den Vordergrund treten.

Empfindest du es als eine reizvolle Situation, einerseits Künstler zu sein, und als Autor im Vordergrund zu stehen, und andererseits Musiker und Techno-Produzent zu sein, wo deine Autorenschaft eine eher unbedeutende Rolle spielt?

Ich empfinde das nicht unbedingt so. Das Thema, mich persönlich zurückzunehmen, in dem Sinne, daß ich als Autor verschwinde, finde ich gar nicht so interessant, weil ich meine Autorenschaft nicht überbewerte. Ich gehe relativ unsentimental mit meinen Ideen um, denn ich messe ihnen keine große Bedeutung bei. Entweder kann ich sie realisieren, oder eben nicht, daß ist mir ziemlich egal. Wenn es nicht funktioniert, ist die Idee gestorben. Ich habe nicht das Bewußtsein eines Autors, der jede seiner Ideen großartig findet und sie deshalb um jeden Preis realisieren muß. So gesehen relativiere ich meine Rolle als bildender Künstler. Aber auch als Musiker ist das eine unkomplizierte Sache. Die Möglichkeiten des Computers führten dazu, daß sich der Kompositionsvorgang grundlegend verändert hat. Eine bestimmte Idee für einen Track ist deshalb nichts besonderes mehr, weil du jederzeit alles verändern kannst. Wenn mir etwas einfällt, schreibe ich das in mein Sequenzing-Programm und wenn es mir nicht gefällt, korrigiere ich es oder lösche es wieder. Es hat immer mit den Produktionsbedingungen zu tun, die bestimmte Konsequenzen haben und dadurch ein bestimmtes Bewußtsein kreieren. Natürlich sehe ich mich in beiden Bereichen auch als Autor, aber weder da noch dort bin ich ein Star. Ob ich als Autor verschwinde, interessiert weder mich, noch sonst irgend jemanden. Darüber mache ich mir keine Gedanken.

Techno kann potentiell jeder machen, nicht nur wegen der einfachen Zugangsmöglichkeiten zur benötigten Soft- und Hardware, sondern auch aufgrund der Tatsache, daß man von Musik im herkömmlichen Sinne keine Ahnung haben muß. Um einen Techno-Track zu produzieren ist es nicht unbedingt notwendig, Noten lesen zu können, oder etwa ein Instrument zu beherrschen.

Das kann man nicht miteinander vergleichen. Ich muß als Musiker den Computer als Instrument genauso lernen und beherrschen, wie beispielsweise eine Geige. Ich könnte nicht einmal sagen, welches von beidem einfacher ist. Man muß sich in jedem Fall eine gewisse Technik aneignen. Wenn ich einen Synthesizer kaufe, bekomme ich ein Handbuch dazu, daß ich zunächst einmal studieren muß, um zu sehen, was das Gerät kann. Wenn ich das dann weiß, geht es darum, die technischen Möglichkeiten des Instruments kreativ zu nutzen. Dabei nützt es mir nichts, ob ich Klavier spielen kann oder nicht, der Synthesizer muß mit einem bestimmten Know-how bedient werden.

Das bestätigt ja, was ich vorher sagte, daß Musik zu machen vor Techno eben etwas vollkommen anderes war.

Zu beidem gehört aber eine gewisse Grundbegabung, sehr viel Zeit, der Wille, Musik zu machen und in letzter Konsequenz eine gewisse Professionalität, die man sich erarbeiten muß. Insofern gleicht sich beides doch sehr stark. Ich sehe da vom Grundprinzip nicht so sehr viele Unterschiede, denn auch der Kostenfaktor ist ähnlich. Eine Geige zu kaufen ist eine Investition und vergleichbar mit den Anschaffungskosten eines einigermaßen leistungsfähigen Synthesizers. Andererseits gibt es enorme Unterschiede in der Art und Weise, wie die Musik gemacht wird. Einen Synthesizer, bzw. ein Sequenzing-Programm wie Q-Base oder Soundvision zu bedienen, ist sehr komplex und wird erst dann interessant, wenn man die Grundprinzipien des Programmes so weit verinnerlicht hat, daß man alle Tricks des Mediums auf einer spielerischen Eben nutzen kann.

Der Ausgangspunkt für deine Beschäftigung sowohl mit der Kunst, als auch mit der Musik, war die Kunstakademie in Wien.

Damals ist das vor allem aus der Punk-Bewegung entstanden. Als wir auf der Akademie waren, ging es mit dem Punk gerade richtig los. Wir waren ununterbrochen in irgendwelchen Musikkneipen und haben uns die absurdesten Bands angehört, die gerade mal drei Noten spielen konnten. Diese drei Noten haben sie zehn Mal hintereinander gespielt und wir waren alle total begeistert. Ungefähr seit meinem 6. Lebensjahr interessiere ich mich für Musik, genauso wie ich mich auch immer für das Zeichnen interessiert habe. Die Beatles und die Rolling Stones waren dann der Ausgangspunkt, mich ernsthaft mit Musik zu beschäftigen. Musik ist für mich in erster Linie eine persönliche Obsession.

An der Akademie hat sich dann die Gruppe "Molto Brutto" zusammengefunden. War das damals vergleichbar mit dem Cross-over von heute? Hatte Musik einen großen Einfluß auf die Kunst?

Es wird Zeit, das Ganze von der theoretischen Ebene runterzuholen. Wir haben uns nicht gefragt, ob wir Musik mit der bildenden Kunst zusammenbringen wollen, denn wir haben uns überhaupt nicht als bildende Künstler verstanden. Wir kamen aus den unterschiedlichsten, zum Teil banalsten Motiven an die Akademie, weil es einem auf der Universität zu langweilig war oder weil man in der Mode-Klasse die hübschesten Mädchen von ganz Wien antreffen konnte. Wir befanden uns damals in einer Situation, die aufgrund diverser kultureller Phänomene interessant war. Wir fühlten uns einfach motiviert etwas zu tun, und setzten das auch um. Wir haben nichts anderes getan, als daß, was uns Spaß gemacht hat. Kunst und Musik hat sich von ganz alleine vermischt, nicht weil man sich überlegt hatte, daß man Grenzen verwischen will, sondern weil es ganz einfach natürlich, plausibel und zwangsläufig war.

Es hat sich dann aber von einem gewissen Punkt an verselbständigt. Kunst in die eine, Musik in die andere Richtung.

Das hatte einen ganz einfachen Grund. Wenn das, was du tust, eine gewisse Relevanz haben soll, mußt du es ab einem bestimmten Zeitpunkt professionalisieren. Durch verschiedene Umstände hat es mich auf die Seite der Kunst gezogen. In der bildenden Kunst konnte ich alleine für mich entscheiden. In einer Gruppe hat man immer ein ganze Reihe von verschiedenen Meinungen und möglichen Entscheidungen. Es ist sehr schwierig fünf Leute ständig unter einen Hut zu bringen. Es war dann einfach auch leichter zu sagen: Okay, ich treffe meine eigenen Entscheidungen. Andererseits hatte ich damals auf dem Gebiet der bildenden Kunst einfach auch attraktivere und bessere Möglichkeiten.

Gerade das, was es damals so schwer gemacht hat, innerhalb einer Gruppe demokratische Entscheidungen zu fällen, fällt bei Techno ja weg. Es gibt keine Gruppen mehr. Wie in der Kunst, ist jeder eine Art Einzelkämpfer und produziert für sich.

Darum ist auch vieles leichter geworden. Aber es war nicht nur das. Ab einem bestimmten Zeitpunkt war mir die ganze Gitarrenmusik auch viel zu traditionell. Ich habe mich dann immer mehr für elektronische Musik von Gruppen wie Yello und Kraftwerk interessiert. Die Urväter des Techno, wenn man so will. Am Anfang habe ich die Musik von Kraftwerk gar nicht ausgehalten, weil ich das Prinzip dieser Musik nicht verstanden hatte. Je öfter ich es allerdings hörte, um so mehr habe ich gemerkt, daß mich genau das fasziniert.

War das wirklich eine intellektuelle, kopfgesteuerte Entscheidung? Als ich 1988 im Mazzo in Amsterdam zum ersten Mal Acid-House hörte, hat mir diese Musik sofort einen totalen Kick gegeben. Ich kann es deshalb nicht so richtig nachvollziehen, wenn du sagst, daß dich die elektronische Musik anfangs relativ kalt gelassen hat.

Es war einfach total ungewöhnlich. Sicherlich hat es mich fasziniert, denn vorher hat es das in diesem Ausmaß nicht gegeben. Mein Schlüsselerlebnis in diesem Zusammenhang, als es mich zum ersten Mal so richtig gepackt hat, war die amerikanische New-Wave Band Devo. Ab diesem Zeitpunkt hat es dann angefangen, mich richtig zu interessieren.

Wann war das genau?

1980.

Mit deiner künstlerischen Produktion hatte das aber relativ wenig zu tun.

Das kann man so nicht trennen. Als bildender Künstler schöpft man aus seinem gesamtkulturellen Bewußtsein. Wenn ich täglich in einen Club gehe, habe ich ein anderes kulturelles Bewußtsein, als wenn ich täglich in die Oper gehe. Insofern wird es sich zwangsläufig in meiner künstlerischen Tätigkeit niederschlagen. Was jetzt wiederum nicht heißt, daß es unreflektiert einfließt. Es ist einfach ein genereller Bewußtseinszustand, der alle weiteren Aktionen und künstlerischen Aussagen bedingt.

Wenn man deine formal sehr reduzierten Arbeiten betrachtet, wie zum Beispiel die Plexiglas-Platte, die auf einem Messingnagel hängt (Ohne Titel, 1990), oder die Installation, in der Galerie Walcheturm/Zürich (1990), wo du zwischen die Säulen im Raum lediglich ein paar Wände eingezogen hast und ansonsten nichts zu sehen war, fragt man sich zwangsläufig nach den Schnittstellen, bzw. den Berührungspunkten deiner künstlerischen Produktion zu deiner Tätigkeit als DJ und Techno-Produzent.

Um es sehr vereinfacht auszudrücken: wenn ich es als bildender Künstler aufregend finde, Wände zwischen existierende Säulen einzuziehen, und es andererseits scharf finde, eine Platte von DJ Rush oder Robert Armani zu hören, die lediglich durch eine extrem minimale Programmierung hergestellt wurden, frage ich mich: Wo ist da ein Unterschied? Das eine findet in einem Kunstkontext statt, das andere auf dem Gebiet Techno. Die Grundideen, so verschieden die Realisation in beiden Fällen aussehen mag, sind sehr ähnlich. Ich habe diese spezielle Beispiel erwähnt, weil es gerade die Platten von DJ Rush und Robert Armani waren, die mich dazu motiviert hatten, solche Arbeiten zu machen, wie sie z.B. in Zürich zu sehen war.

Aber du gibst mir schon recht, wenn ich feststelle, daß auf den ersten Blick, ein großer Unterschied zwischen beidem besteht. Das eine tritt visuell sehr sparsam auf, das andere ist rein akustisch das genaue Gegenteil.

Musikalisch gesehen, sind die frühen Techno-Platten so sparsam produziert, daß es fast nicht mehr sparsamer geht, ohne viel Aufwand und mit minimalstem Instrumentarium.

Was mich bei Musik ganz generell fasziniert, ist das sie etwas auslöst, ohne das zuvor eine geistige Reflexion stattfindet. Ein ähnliches Phänomen trifft vielleicht noch für gewisse malerische Strömungen zu, jedoch sehe ich deine Arbeiten größtenteils als sehr intellektualisiert, bzw. als in erster Linie theoretisch zu reflektieren.

Mir ist vollkommen klar, daß das, was sich in einem Club und in einer Galerie abspielt, jeweils eine ganz andere Geschichte und andere Bedingungen hat. Es sind ganz einfach zwei vollkommen unterschiedliche Bereiche, die miteinander nichts zu tun haben. Mir geht es jetzt nicht unbedingt darum, diese Ebenen bewußt zu vermischen. Mittlerweile ist es jedoch möglich, diese beiden Bereiche zusammenzubringen, da eine Generation junger Künstler herangewachsen ist, für die es ganz natürlich ist, Dinge zu vermischen. Es ist mir aber schon klar, daß es in meinem Fall nicht naheliegt, beide Bereiche zusammenzuführen. Eindimensionale Kunst hat mich nie interessiert. Wenn ich dem Betrachter etwas anbiete, sollte es vielschichtig sein und mehrere Möglichkeiten zur Reflexion bieten. Auf der anderen Seite kann ich durchaus auch eingezogene Wände, ohne jegliche intellektuelle Reflexion, ziemlich scharf finden. Aber nur weil ich weiß, das es auch die anderen Aspekte gibt, die mich im Moment lediglich nicht interessieren. Genauso kann man, was auch geschieht, Techno intellektuell zu Tode analysieren. Aber im Grunde genommen geht es um das emotionale Erlebnis. Daß diese Ebene in einem Club vom intellektuellen Anspruch her anders codiert ist, der Zugang eher unbelastet und somit einfacher ist, ist ohnehin klar. In der bildenden Kunst ist es von vornherein eben vielschichtiger. Wobei ich mit dem ganzen šberintellektualisieren in der Kunstszene auch nicht gerade glücklich bin, weil der emotionale, oberflächliche Aspekt, der nicht zu unterschätzen ist, dadurch ganz einfach außer acht gelassen wird, bzw. in den Hintergrund gerät.

Könnte man sagen, daß der kleinste gemeinsame Nenner zwischen deiner künstlerischen Produktion und deiner Arbeit als Produzent und DJ das sinnliche Erleben ist?

Ich bin mittlerweile mit solchen pauschalen Urteilen sehr vorsichtig. Wenn ein Musiker eine Platte produziert, mit dem was minimalst an Sounds gerade noch kreierbar ist, und wenn ich mich hinstelle und mit minimalsten bildnerischen Mitteln noch ein bildnerisch-künstlerisches Statement abgebe, dann sehe ich da von der Grundintention relative wenige Unterschiede. Wenn man die Vorgangsweise grundlegend betrachtet, ist sie in beiden Fällen sehr ähnlich, das Resultat ist ein anderes, denn die intellektuellen Schlüsse sind grundsätzlich verschieden. Ich reduziere mich so weit, weil ich eine gewisse Kunstgeschichte im Kopf habe. Aber auch ein Musiker hat in gewisser Weise im Kopf, was vor ihm war, um ein solches Statement machen zu können. Ich rede jetzt von der künstlerischen Vorgehensweise und davon, wie solche Entscheidungen zustande kommen. Ich sehe bei der Musik immer mehr Analogien zu meinem Vorgehen als Künstler. Damit meine ich die grundsätzliche Bereitschaft, gewisse Reduktionen, bzw. Dekonstruktionen vorzunehmen. Wenn ich diese Grundbereitschaft auf dem einen Gebiet nicht habe, kann ich sie auch auf dem anderen nicht aufbringen. Genau da sehe ich die Schnittstelle, denn bis auf die medienspezifischen, gibt es keinen sehr großen Unterschiede.

Als DJ trittst du auch innerhalb des Kunstbetriebs auf. So hast du hast im letzten Juni auf der Liste 96. The Young Art Fair in Basel Musik gemacht und auch anläßlich der Manifesta in Rotterdam in einem Club aufgelegt. Bist du auf diesen Veranstaltungen einfach nur DJ?

So einfach kann man das natürlich nicht sehen.

Gerade wenn, wie in Basel, mit Flyern, auf denen zu lesen ist "Gerwald Rockenschaub is performing definitely something", für diese Veranstaltungen geworben wird, erweckt das den Eindruck, es handelt sich um eine Art Performance.

"definitely something" ist mein Plattenlabel. Dieses Wortspiel ist eine branchenübliche Spielerei. Meine Auftritte als DJ im Kunstkontext sind ja nicht das einzige was ich tue. Ich mache DJ-ing ja auch auf einer anderen Ebene. DJ-ing in einem Kunstkontext ist immer irgendwie ein Experiment, gleichzeitig erscheint es mir für meine gesamte künstlerische Tätigkeit auch als sehr wichtig, denn Musik zu machen, ist für mich einfach essentiell. Andererseits wollte ich das auch als ein Statement in den Kunstbetrieb einbringen. Es gibt immer ein gewisses Risiko, z.B. daß es das eine oder andere Mal schiefgeht, aber auch, daß es von manchen Leuten fehlinterpretiert wird. Auf der Liste 96 war es am Anfang irrsinnig steif und zum Schluß haben sie alle wie verrückt getanzt. Das war okay. Ich sehe das Ganze auch relativ unkompliziert: ich bin da, lege gerne Platten auf und wenn zum Schluß alle tanzen, habe ich meinen Auftrag erfüllt.

Vor dem Hintergrund des Werkes von Rirkrit Tiravanija, könnte man deine Auftritte als DJ, im Sinne einer möglichen Kommunikationsplattform, auch als eine eigenständige künstlerischen Ausdrucksform verstehen?

Ich mache ja nicht nur das. Ich kann das machen, weil ich auch andere Sachen im Kunstbetrieb mache. DJ-ing ist eben ein zusätzlicher Service, den ich gerne anbiete. Ich werde das jetzt aber nicht bis zum Erbrechen reproduzieren. Ich würde nie auf die Idee kommen, mich künstlerisch nur durch mein DJ-ing zu definieren. Mittlerweile suche ich es mir schon sehr präzise aus, wann und wo ich im Kunstbetrieb auftrete.

Was genau war dein Beitrag zur Manifesta? So wie ich es verstanden habe, hattest du den Auftrag, eine Party zu organisieren.

Wenn es so einfach gewesen wäre, und sie mich hätten machen lassen, dann wäre das sicher sehr gut geworden. Ich hätte ihnen eine perfekte Party anbieten können, nur kostete das eben Geld. Ich mußte mit den Organisatoren der Manifesta über Honorare streiten, worauf ich keine große Lust hatte. Ein perfektes Set auf die Beine zu stellen, wäre sehr einfach gewesen. Damals lief gerade die "cheap and clear"-Tour der beiden Labels Cheap-Records von Patrick Pulsinger aus Wien und Clear-Records aus London. Es wäre kein Problem gewesen, sie für "ein Butterbrot" zu bekommen. Eine solche Party wäre nicht allein von der Kunstszene abhängig gewesen. Man hätte einen solchen Event publizistisch ausschlachten, und großartig Werbung dafür machen können. Ganz Rotterdam wäre gekommen. Ich weiß nicht, ob ich in diesem Fall dann überhaupt selbst aufgelegt hätte. Jedenfalls war das meine Intention, weil ich meinen Auftrag in erster Linie so verstanden hatte.

Von offizieller Seite der Manifesta, hatte man demnach andere Vorstellungen?

Ich denke schon, daß Hans-Ulrich Obrist es genauso verstanden hat. Als ich jedoch angefangen hatte, mit ihnen finanziell zu verhandeln, erklärten sie mir, daß dafür kein Geld Geld vorhanden wäre. Ab einem bestimmten Punkt, waren mir die Diskussionen einfach zu anstrengend. Ich bin dann nach Rotterdam geflogen und habe an dem geplanten Abend aufgelegt. Sie hatten einen Club gemietet, wo derartige Veranstaltungen üblicherweise stattfinden. Es gab drei Dancefloors, wo auch andere Musik gespielt wurde. Unsinnigerweise haben sie diese dann abgesperrt. Das wollte ich auch nicht. Meine Intention wäre es gewesen, daß sich alles vermischt und sich nicht wieder abgrenzt. Die einen sind da und die anderen dort, das ist Nonsens. Es hemmt einfach den natürlichen Fluß und wird dann krampfhaft. Damit verhindert man genau das, was passieren soll, daß sich einerseits die verschiedenen Besuchergruppen mischen und andererseits, was für mich eigentlich wichtiger ist, als die ganze Theorie, daß es ganz einfach funktioniert. Für den DJ ist das unmittelbare Feedback sehr wichtig. Du spielst zwei Stunden und von Minute zu Minute kämpfst du immer wieder gegen den Absturz in der nächsten Sekunde an.

In Wien machst du einen eigenen Club.

Wir nennen uns Audioroom und organisieren Partys und Club-Veranstaltungen. Ich mache das mit einem Partner. Wir sind ein gutes Team, er ist ein guter Organisator, während ich lieber konzipiere. Angefangen hat Audioroom mit den Veranstaltungen in der Künstlerkneipe Trabant, danach hat es in der Marek-Garage stattgefunden. Im Moment sind wir gerade in der alten Veterinär-Medizin, die im Frühjahr umgebaut wird. Bis dahin können wir dort zwei bis drei Veranstaltungen machen. Es ist weder ein Kunstszene-Event, noch ein reiner Techno-Club. Es gibt immer verschiedene musikalische Schwerpunkte, von Jungel über Trip Hop bis Salsa. Die Verbindung von Kunst und Musik im Audioroom funktioniert ganz gut. Die Kunst sehen wir nicht so sehr im Vordergrund, eher als eine Art Dekoration. Ab und zu findet auch eine Performance statt, doch im großen und ganzen sind es keine ausgesprochenen Kunstaktionen. Die Musik soll nicht der Soundtrack zur Kunst sein. Die Hauptsache ist, verschiedene Aspekte zu vermischen.

Wobei die Musik doch schon im Vordergrund steht?

Die Musik ist das wichtigste. Es hat sich zufälligerweise in diese Richtung entwickelt und ich muß sagen, es funktioniert hervorragend. Innerhalb der Wiener Clubszene besetzen wir eine Nische und haben dadurch unser spezielles Publikum. Es sind auch keine Künstler-DJ's, die dort unbedarft etwas zusammenmixen, sondern eben Profis.

Ist es etwas anderes, wenn du in Rotterdam spielst, oder in London in einem Club auflegst? Gibt es diesbezüglich für dich einen kategorischen Unterschied zwischen Kunstkontext und Nicht-Kunstkontext?

Es ist einfach alles anders, aufgrund der verschiedenen Grundvoraussetzungen. Erstens ist das Publikum ein vollkommen anderes. Wenn ich in einem Club auflege, bin ich in der Regel nicht der einzige DJ, meistens legt noch ein Local-DJ auf. Es gibt einen Clubveranstalter, der sich aus professioneller Sicht etwas dabei denkt, mich einzuladen und aufgrund dessen, seinem Publikum verantwortlich ist. Der ganze Event wird von dem Veranstalter im Rahmen der spezifischen "Club-Logik" organisiert und nicht weil ich ein DJ bin, der zufälligerweise auch Künstler ist. Hans-Ulrich Obrist hat mich zur Manifesta eingeladen, weil ich Künstler und gleichzeitig auch DJ bin. Zwischen beidem besteht ein Unterschied. Es befindet sich sozusagen eine Ebene dazwischen, man könnte sogar fast sagen, im Kunstkontext bin ich eine Art DJ auf der Meta-Ebene.

Um es noch einmal auf den Punkt zu bringen: Ist es für dich eine äquivalente künstlerische Aussageform, eine Plexiglas-Scheibe auf einen Nagel zu hängen, wie einen Abend im Kunstkontext als DJ Musik zu machen?

Natürlich nicht. Wenn ich eine Plexiglas-Scheibe auf einen Nagel hänge, kann ich das insgesamt besser einschätzen. Bei dieser Aktion kann ich von mir aus besser codieren, was es bedeuten soll. Ich kann so etwas bewußter spielen, als wenn ich in Rotterdam auflege, wo ich nicht alles selbst codieren kann, weil es einfach Umstände gibt, aufgrund derer ich nicht so gut abschätzen kann, was letztendlich passiert. Und so gesehen, ist es auch eine wesentlich unpräzisere Aussage. Wenn du mich jetzt fragst, was ich vorziehe, würde ich selbstverständlich die Plexiglas-Scheibe nennen, weil sie einfach eine präzisere Position darstellt.

Das Gespräch fand am 13. Februar 1997 in Hamburg statt.

in gekürzter Form in holländischer Sprache veröffentlicht in: Metropolis M. Tijdschrift over hedendaagse kunst, No. 2, April 1997

© 1997 Jan Winkelmann

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