Perspektivwechsel. Ein Gespräch mit Tobias Rehberger

Jan Winkelmann

Tobias Rehbergers Werk definiert mehrere Schnittstellen. Seine Arbeiten oszillieren zwischen Objekt und Design, sie changieren zwischen den unterschiedlichen Stadien vom autonomen Kunstwerk einerseits und angewandter Gestaltung andererseits. High and Low stehen sich gleichberechtigt gegenüber und gehen oftmals ungewöhnliche und interessante Verbindungen ein. Viele von Rehbergers ästhetischen Entscheidungen gehen – vereinfacht gesagt – auf einen Input von anderen Personen zurück. Freunde und Bekannte, aber auch Fremde und Unbekannte werden im Vorfeld einer Arbeit sehr oft mit, ab und zu aber auch ohne deren Wissen, in den Entstehungsprozeß eingebunden. Rehberger initialisiert kommunikative Situationen, die von den jeweiligen eingebundenen Personen eine gedankliche, meist kreative Leistung einfordert. Diese dienen ihm dann als Ausgangspunkt für weiterführende konzeptionelle oder spezifische gestalterische Lösungen.

Jan Winkelmann: Lass uns mit Deiner aktuellen Ausstellung „... (whenever you need me)“ im Westfälischen Kunstverein in Münster anfangen. Sie ist die letzte Station einer dreiteiligen Ausstellungsreihe, die 1999 mit „The Secret Bulb in Barry L.“ in der Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig begann, dann im Sommer letzten Jahres im Frac Nord – Pas de Calais in Dunkerque unter dem Titel „Seascape and other Portraits“ ihre zweite Station hatte und nun in Münster endet. Die Idee, die dieser Tournee zugrunde lag, war, dass an den drei Orten jeweils unterschiedliche Werkkomplexe gezeigt werden und anhand der jeweils ausgestellten Arbeiten die unterschiedlichen Ansätze, Strategien und künstlerischen Vorgehensweisen in Deinem Oeuvre exemplarisch dargestellt werden, die dann auch im Katalog eine Art retrospektive Sicht auf Dein Werk ergeben.

Tobias Rehberger: „Retrospektive Sicht“ stimmt nicht ganz, denn es waren hauptsächlich neue Arbeiten aus den letzten beiden Jahren zu sehen. Im Prinzip ging es in allen drei Ausstellungen um das Gleiche: die unterschiedlichen Repräsentationsformen eines einzigen Themas. In Leipzig ging es um das Licht, Lampen, sagen wir Beleuchtung im weitesten Sinne. Dieses Thema wurde in der Ausstellung von unterschiedlichen Seiten „beleuchtet“. In einigen Arbeiten ging es um verschiedene Lichtquellen, in anderen um den ästhetischen Wert von Beleuchtungsträgern, bis hin zu Arbeiten, wo das Licht nur marginal, quasi am Rande eine Rolle spielte. In ähnlicher Weise funktionierte das auch in der Ausstellung in Dunkerque, bei der es um das „Porträt“ ging. Zum einen im klassischen Sinne, wo es um das Porträtieren von bestimmten Menschen ging, dann aber auch um Arbeiten, bei denen sich Leute selbst porträtieren. Darüber hinaus waren Arbeiten zu sehen, die immer noch bestimmte Mechanismen von Porträts bedienten, sich aber über verschiedene Arbeitsabläufe so weit von einem Porträt wegbewegt haben, dass das, was normalerweise bei einem Porträt ausschlaggebend ist, die Nähe zum Porträtierten, gänzlich weggefallen ist. Bei der Ausstellung in Münster ging es um Repräsentationsformen von „Unsichtbarkeit“. Wie stark ist etwas noch präsent, wenn man es unsichtbar macht? Auf welche Weise kann man sich diesem Thema nähern.

Was ist im Einzelnen zu sehen?

Im kleinen Raum eine große Metallkiste, die nach den Maßen eines Maserati Quattroporte gefertigt wurde und als eine Art Verpackung für dieses Auto dienen könnte.

Warum ausgerechnet ein Maserati Quattroporte?

Zum einen ist es eine Art Oldtimer, fast schon ein Sammlerauto. Da es sehr selten ist, kennt es nicht jeder. Was mich dabei interessiert hat, war: Was passiert beim Betrachter, wenn ich dieses Auto in einer Kiste verschwinden lasse. Wäre es ein VW Käfer, würde natürlich etwas anderes geschehen, als bei einem Wagen, der eine Art Traumauto ist und viele vom Namen her kennen, aber nicht genau wissen, wie er aussieht. Die Projektion die dabei passiert, hat dadurch einen viel breiteren Rahmen, als bei einem Auto, das wirklich jeder kennt.

Was ich in diesem Zusammenhang ganz interessant finde, ist, dass wir das erste Mal bei der Ausstellung „fast nichts/almost invisible“, die 1995 in Singen am Bodensee stattfand, wo es ja um ein ganz ähnliches Thema ging, zusammenarbeiteten. Dein Ausstellungsbeitrag damals war ein Strickpulli, den die Aufsicht während der Öffnungszeiten nach Deinen Vorgaben strickte. Das war, glaube ich, auch Deine erste „Strickarbeit“ überhaupt. Im Grunde genommen war dieser Vorgang schon sichtbar, nur sah es eben nicht so aus, wie eine Arbeit, denn es hatte den Anschein, dass die ältere Dame, die die Ausstellung beaufsichtige, einen Pulli für ihre Enkel oder sonst wen strickte. Die Umgebung und der Kontext brachten die Arbeit letztlich zum „verschwinden“.

Das war ja auch das Interessante bei den drei Ausstellungen: dass bestimmte Arbeiten, die an den einzelnen Orten zu sehen waren, in einer der anderen Ausstellungen genauso gut funktioniert hätten. Z.B. die Arbeit „Absolut“ mit den Hängelampen von George Nelson, die in Leipzig zu sehen war. Sie hätte auch in Dunkerque funktioniert und man hätte sie ebenso gut in der Ausstellung in Münster zeigen können. Am Boden lag ein zerknüllter Papierzettel mit der Beschreibung einer Frau, die eben nicht zu sehen war und nur über die verbale Beschreibung in Form einer Imagination „sichtbar“ wurde. Das war auch genau das, was mich an der Idee für diese Ausstellungsreihe interessiert hatte: der Fokus lag immer auf einer bestimmten Perspektive, die Arbeiten hätten aber auch unter einem anderen Aspekt in einem anderen inhaltlichen Zusammenhang funktioniert.

Was war außerdem in Münster zu sehen?

Auf dem Fußboden des großen Ausstellungsraumes war ein von mir gestaltetes Muster zu sehen. Der graue Steinfußboden wurde in Form dieses Musters gewachst. Dort wurde der Stein „angefeuert“, d.h. er wurde dunkler und bunter und durch das Wachsen kamen bestimmte Details des Steins heraus. Das ganze bekam als Skulptur eine bestimmte physische Qualität ohne wirklich physisch real zu sein. Dabei passieren Dinge, bei denen es sich nicht mehr genau unterscheiden lässt, wo die Skulptur anfängt: ist sie wirklich nur das, was im Boden, in den Poren des Steins vorhanden ist oder schließt sie die nicht gewachsten Stellen mit ein, da diese ja als Negativstellen Teil des Musters und des Designs waren. Der Raum an sich war ansonsten komplett leer und das Muster bezog sich auf die Architektur des Raumes und dadurch war nicht mehr zu trennen, was genau was ist und es ließ sich auch nicht mehr allein auf das reduzieren, was in Form eines physischen Aktes von mir gemacht wurde.

Das dritte war ein Wandgemälde, das aus vier verschiedenen Weißtönen bestand. Ein rotes Weiß, ein blaues Weiß, ein gelbes Weiß und ein graues Weiß. Die unterschiedlichen Weißtöne sind nur dadurch, dass man sie nebeneinander gesetzt hat, das heißt durch ihre Differenz zueinander, sichtbar geworden. Würden sie alleine stehen, hätte man sie nur als weiß wahrgenommen. Über alle vier Farbfelder war ein Schriftzug mit dem Wort „Breungesheim“ negativ ausgespart. Breungesheim ist das Gefängnis in Frankfurt und das Ganze stellt eine Referenz dar zu dem Wort „Stammheim“, das in den 70er Jahren ein sehr beliebtes Graffiti und dadurch so gut wie in jeder deutschen Stadt präsent war. Eine weitere Ebene der Unsichtbarkeit kam dadurch ins Spiel, dass das Wort selbst nicht geschrieben, sondern lediglich ausgespart war, wie eine Art Negativgraffiti.

Die „soziale Komponente“ ist ja in Deiner Arbeit eigentlich von Anfang an immer ein integraler Bestandteil. Mit sozial meine ich, dass Du andere Menschen, Situationen, Gegebenheiten als eine Art Transferprozess in den Vorgang der Werkgenese einbindest.

Mich interessieren die unterschiedlichen Einflüsse bei der Entstehung einer Arbeit. Diese schaffe ich „künstlich“, indem ich bestimmte Prozesse auf eine gewisse Art und Weise generiere und dabei immer Dinge „querschiessen“. Dadurch dass der Produktionsprozeß eben nicht von Anfang bis Ende kontrolliert wird, passieren eben Dinge, von denen ich denke, dass sie eine Arbeit einfach reicher machen. So werden von außen Einflüsse aufgenommen und zwar auf andere Art, als das üblicherweise geschieht.

Siehst Du Dich dabei nicht oftmals der Gefahr gegenüber, dass es sehr leicht auch ins Anekdotische abgleiten kann. Wenn Du zum Beispiel bei den „I’d really love to“-Arbeiten Freunde und Bekannte nach ihren sehnlichsten, unerfüllten Wünschen befragst und für diese eine Art materialisierte „Wunschprothese“ gestaltest, die eine erste Stufe zur Verwirklichung der jeweiligen „Träume“ darstellen, die gleichzeitig das Warten auf die Erfüllung erträglicher machen.

Das Anekdotische ist ja nur gegeben, wenn jemand die Geschichte der Arbeit von Anfang bis Ende kennt. Und eigentlich ist das ja bei allen Arbeiten so. Jedes Kunstwerk hat eine Geschichte und diese ist insofern auch Bestandteil der Arbeit. Bei vielen meiner Arbeiten ist die Geschichte zwar der Ausgangspunkt aber nicht unbedingt für jeden sofort ersichtlich. In diesem Sinne ist sie ja nicht erzählerisch. Was mich dabei interessiert, ist das Verhältnis von Geschichte und Präsenz der Arbeit selbst.

Die Geschichte ist eben nur ein Teil eines komplexeren Gesamtgefüges und nicht darauf reduzierbar.

Im Prinzip ist die Arbeit ja nicht erzählerisch. Sie hat aber eine Geschichte und im Unterschied zu vielen anderen, ist sie bei meinen Arbeiten eben immer mitgedacht. Ich versuche die Geschichte dabei so weit offenzulegen, dass sie nicht von der Arbeit losgelöst werden kann, sondern dass sie eben ein Teil dieser bleibt.

Eine zentrale Referenz in Deiner Arbeit ist das Design. Was interessiert Dich daran im speziellen und wo siehst Du Deine Quellen.

Ich halte Design nicht für etwas Wichtigeres oder Interessanteres als Kunst selbst. Es geht in meinen Arbeiten nicht darum, Design in die Kunst einzuführen. Meine Perspektive ist die eines Künstlers, aber es gibt eben verschiedene Fragestellungen, z.B. wie ich mit Design umgehe, wie ich es benutze und wie ich darüber nachdenke, weil ich es in Beziehung zu einer Skulptur interessant finde. Interessanterweise ist die Geschichte, worüber wir eben gerade gesprochen haben, das Anekdotische nie wirklich vom Design losgelöst. Beim Design ist die Geschichte – und wenn sie nur heißt: Sitze ich auf dem Stuhl gemütlich – d.h. der Formfindungsprozeß nicht wirklich losgelöst vom Endprodukt zu sehen, d.h. er ist immer ein wesentlicher Bestandteil des Ergebnisses. Aber es ist eben immer nur ein Teil dessen. Mich interessieren dabei zum Beispiel Fragen danach, wie man sich in der Kunst darüber unterhalten kann, z.B. bei einer Stahlplatte von Richard Serra, bei der ich einen kalten Hintern bekomme, wenn ich mich draufsetze. Kann man sich auch so über Kunst unterhalten und welche Auswirkungen hat das auf den Status quo und meine Gesamtidee von Kunst? Diese Fragen in eine Kunstdiskussion einzuführen finde ich sehr interessant. Inwiefern unterscheidet es sich, wenn ich einen Serra mit einem kalten Hintern oder im Verhältnis dazu betrachte, wenn ich nur davor stehe und lediglich eine ausschließlich ästhetische Seherfahrung mache. Diese Fragen zu stellen halte ich für ganz interessant, dabei ist es nicht wichtig, wo sie uns letztlich hinführen, denn es geht einfach darum, die Perspektive zu wechseln.

Wobei ja gerade bei der Minimal Art die physische Präsenz des Betrachters und die damit verbundene körperliche Erfahrung mit dem Werk von vornherein schon „mitgedacht“ und „einkalkuliert“ war.

Aber wie man mit diesen Arbeiten heute umgeht, das ist die Frage, die mich interessiert. Deshalb ist es klarer formuliert, wenn man sagt, dass z.B. das ein Stuhl ist, und ich mich frage, wie ich mit ihm umgehen kann? Zum einen kann ich den klassischen Weg gehen und ihn als ein Objekt sehen, das ich betrachte und um das ich mich herum bewege. Ich kann aber auch fragen: Inwiefern verändert es meine Wahrnehmung, wenn ich mich auf ihn setze und von dort aus etwas anderes anschaue? Was passiert dann mit meiner Idee von Kunst und wie funktioniert sie, wie muss ich dann damit umgehen? Dabei geht es primär um eine Fragestellung, nicht darum, eine Ideologie zu illustrieren. Es interessiert mich dabei z.B. nicht der Gedanke, dass man sich auch auf Kunst draufsetzen können muss. Aber interessant ist doch eine Möglichkeit zu bekommen, die Perspektive zu verändern. Was bedeutet das für meine Kunstrezeption, aber auch für meine Designrezeption? Was mich interessiert, ist die Frage, was passiert, wenn man anders damit umgeht, mit dem Produktionsprozess, mit dem Werk und dem Betrachter. Was heißt das für meine Wahrnehmung?

Es geht letztlich darum, Seh- und Wahrnehmungsgewohnheiten ein Stück weit aufzubrechen und nach neuen Möglichkeiten auf diesem Feld zu suchen.

Wie gesagt, es geht vor allem immer um Dinge, die mir nicht ganz klar sind.

Bist Du denn dann irgendwann schlauer?

Irgendwie schon. Wobei das Ganze nicht nach dem Schema funktioniert: jetzt mache ich eine Arbeit und hinterher bin ich schlauer. Mit der Zeit passiert immer etwas. Ich habe das bei früheren Arbeiten festgestellt. Beispielsweise hat sich im Laufe der Jahre der Produktionsprozess meiner Arbeiten relativ stark verändert. Das hat unter anderem mit den Arbeiten zu tun, die andere Leute auf meine Anregung hin entworfen haben und die ich dann ausgeführt bzw. gebaut habe. Das heißt, ich habe Momente eingebaut, die einem normalen Produktionsablauf nicht entsprechen und diese sind mittlerweile – zumindest teilweise – in meine Produktion eingeflossen, auch in anderen Arbeiten, bei denen es nicht vordringlich darum geht Produktionsabläufe zu hinterfragen. Ein gutes Beispiel ist, wie wir hier in meinem Büro arbeiten: außer mir sind grundsätzlich auch andere, in der Regel meine Assistenten an den ästhetischen Formulierungen beteiligt. Dabei führen sie nicht das aus, was und wie ich es haben will, sondern sie sind in den kreativen Prozess aktiv mit eingebunden. Das ist mittlerweile ein ganz natürlicher und alltäglicher Vorgang.

Das heißt jetzt aber nicht, dass der Formfindungsprozess jetzt ganz demokratisch abläuft.

Natürlich nicht, ich habe das schon alles unter Kontrolle, denn ich bin ja hinterher auch derjenige, der dafür „unterschreiben“ muss. Mit Demokratie hat das nichts zu tun, eher mit dem Zulassen von Einflüssen anderer, aber auch mit dem Hinterfragen durch andere, beim Werkprozess selbst. Man hinterfragt sich natürlich auch ständig selbst, aber trotzdem ist es interessant, wenn einer meiner Assistenten bemerkt, dass es vielleicht ganz gut wäre, wenn man es eben nicht so, sondern anders macht. Diese Abläufe haben sich mittlerweile ganz gut eingespielt und kommen letztlich aus der Beschäftigung mit den oben genannten Fragestellungen. Und wenn wir wieder dahin zurückgehen, wovon wir ausgegangen sind: Ist man schlauer, wenn man sich mit einer Arbeit bestimmte Frage stellt? Insofern natürlich schon, da es im Laufe der Zeit immer Auswirkungen auf die Realität hat.

Wie würdest Du den Umgang mit vorhandenem Design, mit existierenden visuellen und ästhetischen Codes beschreiben? Nehmen wir als Beispiel die Arbeiten in der Ausstellung „fragments of their pleasant spaces (in my fashionable version)“ (Galerie Bärbel Grässlin 1996 + 1999). Hier hattest Du Freunde und Bekannte nach ihren Lieblings Chillout bzw. Entspannungssituationen gefragt. Davon ausgehend hast Du Möbel entworfen und diese dann im Abstand von drei Jahren re-designt. Offensichtlich waren bei diesen Arbeiten unterschiedliche Designeinflüsse von Memphis aus den 80er Jahren aber auch von Panton und dem Design der 70er Jahre zu spüren.

Das ist ja sehr interessant, wie verschieden das im Einzelnen wahrgenommen wird. Du sprichst von Memphis Design und wenn ich es mir heute anschaue, bin ich tatsächlich auch schon auf diese Idee gekommen. Andere Leute sehen nur die Nähe zu den Seventies und ich hatte ganz schnell dieses Label das alle meine Arbeiten nach 60er und 70er Design aussehen, was ja totaler Quatsch ist.

Ganz so unsinnig ist es nicht, denn diese Formen sind in Deinen Arbeiten schon immer sehr präsent. Was aber auch mit dem in den letzten fünf Jahren zum Mainstream verkommenen Seventies- und Sixties-Revival zu tun hat. Wobei ich damit nicht behaupten will, dass sich alle Deine Arbeiten darauf zurückführen ließen.

Die erwähnte Arbeit hat natürlich schon sehr viel mit modischem Design zu tun und das ist für diese spezielle Arbeit auch sehr wichtig. Bei einem Großteil meiner Arbeiten spielt der Aspekt des „modischen“ jedoch keine Rolle. Wobei ich ihn schon sehr interessant finde und deshalb auch einige Arbeiten gemacht habe, die damit zu tun haben. Insgesamt ist er aber weit weniger wichtig und relevant als zum Beispiel die drei Themenkomplexe, die wir in den drei Anfangs erwähnten Ausstellungen reflektiert haben.

Diese Wahrnehmung, das was Du Labeling nennst, ist aber auch insofern interessant, als dass man, wenn man auf bestimmte Design-Codes und Formen rekurriert, diese auch ganz schnell wieder erkennt, wobei das bei Kunst nicht ganz so einfach geht.

Ich weiß gar nicht, ob man es sich bei der Kunst nicht abtrainiert hat, das sozusagen tabuisiert hat. Aber genau diese Beziehungen, die Wiedererkennbarkeit von bestimmten Formen interessiert mich auch in meiner Arbeit. Im Grunde genommen ist ja alles nicht so weit voneinander entfernt.

Aber auch nur deshalb, weil es sich alles aus dem gleichen gesamtkulturellen Kontext speist. In diesem Zusammenhang habe ich lange über den Bücherschrank bei Dir zu Hause nachgedacht. Dieser ist nicht, wie üblich, nach bestimmten inhaltlichen Kriterien, sondern nach der Farbe der Buchrücken sortiert. Dass der Buchrücken, der marginalste Teil der äußeren Erscheinung eines Buches, der wenn es hoch kommt ein bis zwei Zentimeter eines Buches ausmacht, letztlich zum Repräsentanten eines Ordnungssystems wird, fand ich sehr interessant.

Das knüpft wieder daran an, worüber wir vorhin gesprochen haben: Inwieweit haben meine Arbeiten Einfluss auf meine Art zu denken. Diesem Ordnungssystem in meinem Bücherschrank gingen zwei Arbeiten voraus. Zum einen waren das die Regale, die in der Edition Artelier erschienen sind und die jeweils nur für eine Farbe von Büchern gemacht wurden. Es gab ein Regal nur für gelbe Bücher und eines für rote und so weiter. Die zweite Arbeit war die „Bibliotheque horizontale“, die ich 1999 in der Galerie Micheline Szwajcer in Antwerpen gezeigt habe, wo es nur bestimmte Versatzstücke von Mobiliar gab, eine zusammenklappbare Hockerliege, Aschenbecher, Lampen etc. Diese Arbeit nutzt, dort wo sie aufgebaut oder gezeigt wird, die jeweilige Bibliothek, um mit den vorhandenen Büchern den Fußbodenbelag zu machen. Sie werden nach Farben sortiert, sind in Form eines bestimmten Musters auf dem Cover liegend angeordnet und dienen als Fußboden für die Bibliothek. Es geht auch hier um ein neues Ordnungssystem. Auch ein sehr schönes Beispiel zum Thema: „Wie wird man aus den eigenen Arbeiten schlau und inwiefern haben sie Einfluss auf das tägliche Leben“. Ich finde meine Bücher jetzt viel schneller seit sie nach Farben sortiert sind, da ich mich am ehesten daran erinnere, welche Farbe ein Buch hat.

In holländischer Sprache veröffentlicht in: Metropolis M. Tijdschrift over hedendaagse kunst, No. 2, April 2001

© 2001 Jan Winkelmann

home