Von der relativen Relativität des Erfolgs – Artist Polemik

Jan Winkelmann

Erst kürzlich hatte sich wahrscheinlich die halbe Menschheit des nächtens begleitet von Strömen mehr oder weniger edlen Schaumweines mal wieder nahezu kollektiv „viel Erfolg“ gewünscht. Zumindest mit Sicherheit derjenige Teil der Weltbevölkerung, der nach dem julianischen Kalender lebt und sich eben zu Beginn des neuen Jahres pathetisch und wie immer viel Gesundheit und Erfolg und Wasweißichnochalles wünscht. Meine verehrte Frau Großmama wünscht mir bei dieser Gelegenheit vor allem und ausdrücklich beruflichen Erfolg. Immerhin hat der Enkel eine Anstellung, keinen Job, nix Arbeit: eine Anstellung. Eine dieser Vokabeln, die sich nicht mehr im aktiven Wortschatz vieler Zeitgenossen befindet und einer dieser herrlich altmodischen Begriffe ist, die immer weiter aussterben und irgendwann wahrscheinlich ganz aus dem Sprachbewusstsein verschwunden sein werden. Wie dem auch sei. Immerhin steckt hier das Wort Stellung drin und das suggeriert unterschwellig ein Ich-kann-auf-meinen-Enkel-stolz-sein-Potential (wobei es dabei eigentlich gar keine Rolle spielt wo und was man wo eigentlich wie tut). Bei meinem Vater ist das dann schon etwas konkreter oder sagen wir praxisbezogener. Bis vor kurzem rief er mich noch regelmäßig nach dem Erscheinen des neuesten Capital-Ranking-Updates an, um mir in einem unterschwellig mitschwingenden anerkennenden Unterton mitzuteilen, wie viele der Künstler, mit denen ich bisher gearbeitet habe darin vertreten sind (was ja auch nicht wirklich eine große Leistung darstellt, aber – wie das Beispiel zeigt – für Branchenfremde immerhin gewisse Identifikationsmöglichkeiten bietet).

Bereits mit diesen beiden Beispielen wird ansatzweise deutlich, wie unterschiedlich Begriffsdefinitionen, Betrachtungswinkel und Beurteilungskriterien für den Erfolg sein können. Lassen Sie unseren Blick auf den inneren Zirkel des gravitätisch rotierenden zentrifugalen Kunstkarussells fokussieren. Aber auch hier stößt man unversehens auf ziemlich viele Schwierigkeiten bei dem Versuch in Sachen „Erfolg“ zu einem kleinsten gemeinsamen Nenner zu kommen.

Erst letzte Woche hatte ich das Vergnügen, bei einer Gesprächsrunde neben einer Ethnologin zu sitzen, mit der ich mich schon beim letzten Mal gestritten hatte. Diesmal ging es um „-ismen“. Keine wirklich erquickliche Diskussion, da jeder etwas anderes darunter verstand, wobei es doch so einfach gewesen wäre, einmal zu analysieren, wo sie denn geblieben sind, die -ismen und warum sie geblieben sind, wo sie geblieben sind und so weiter. Stattdessen redete jeder an jedem vorbei. Die Young British Art war plötzlich ein -ismus und stand in der kategorialen Einordnung damit unversehens auf einer Stufe mit dem Expressionismus. Als meine Tischnachbarin dann äußerte, dass man bedeutsame Künstlerpositionen sowieso erst dann abschließend auf ihre historische Relevanz beurteilen könne, wenn sie mindestens zwei Generationen tot seien, bekam ich fast eine Gallenkolik. Sehr aufschlussreich, Andy Warhol hätte dieser Theorie zufolge dann immerhin nur noch eineinhalb Generationen vor sich, bis man seinen Wert für die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts offiziell zuzuschreiben in der Lage ist. Alles wasserdicht, hieb- und stichfest, historisch verbrieft, keine Zweifel mehr. So so, wohl noch nie was von Rezeptionsgeschichte gehört. Naja, zu viel des Enervierens. Es ist doch aber durchaus bemerkenswert, dass es ungefähr so viele Vorstellungen von Erfolg gibt, wie Kunst- und Gattungsbegriffe. Was macht ihn denn nun aus, den Erfolg in unserem Tätigkeitsfeld. Schade, dass wir keine Wissenschaftler sind. Dort zählen in erster Linie die Zahl der Veröffentlichungen und der so genannten Peer-Reviews, das sind kritische Würdigungen von Kollege zu Kollege. Dort am Firmament der wissenschaftlichen Intelligenz ist die Luft anscheinend so dünn, dass man sich nur noch untereinander beurteilen kann. Nix mehr mit unabhängiger kritischer Distanzinstanz. Soll mir recht sein, aber die Idee ist gar nicht so schlecht. Das wäre ja mal was neues: Kuratoren schreiben ausschließlich über Kuratoren, Künstler nur noch über Künstler und Kritiker beurteilen die Ergüsse ihrer Kollegen. Dann wird das Machtgefüge noch etwas mehr aufgemischt, indem die Museen dann plötzlich Kunst nicht mehr nur ausstellen, sondern auch verkaufen und Schwuppdiwupp hätten auch Galeristen Kapazitäten frei, um sich kunstkritischen Ambitionen hinzugeben. Derlei Grenzüberschreitungen sind seit den 90er Jahren ja nichts wirklich Neues mehr, da die Gattungs- und Begriffsgrenzen sowieso immer weiter verwischen, Künstler kritisieren, Kritiker kuratieren und Kuratoren machen Kunst. Aber was ist denn nun mit dem Erfolg? Hat ihn schon mal jemand gehabt, heute, kürzlich oder dauerhaft?

Wenn man ganz allgemein von beruflichem Erfolg spricht, assoziiert man damit landläufig zunächst einmal Geld. Finanzielle Entspanntheit ist per se ja schon mal nicht verkehrt. Wenn wir es allerdings als alleinigen Erfolgsfaktor anerkennen wollten, dann gäbe es zumindest für Kuratoren und Kustoden nur geringen Erfolg. Denn solange sich deren Gehälter an BAT-Besoldungsgruppen orientieren, werden sie nicht wirklich (erfolg)reich. Noch schlimmer ist es mit den Angehörigen der schreibenden Zunft, den Kritikern. Diese befinden sich im Kunstbetrieb grundsätzlich am Ende der nach unten offenen Honorarskala. In diesem Zusammenhang las ich vorgestern einen Text von einem französischen Kollegen, in dem er die Ausbeuterei in Sachen Texteschreiben (vor allem dem Schreiben für Ausstellungskataloge) auf einen Punkt brachte: Besonders bemerkenswert fand er die Tatsache, dass, egal welche Institution den Katalog herausgibt, die ihn gestaltenden Grafiker im Vergleich zu den an ihm beteiligten Autoren grundsätzlich relativ fair, will heißen: korrekt bezahlt werden. Als ob die Gestaltung wichtiger als der zu gestaltende Inhalt wäre. Um diesem merkwürdig unlogischen Sachverhalt Einhalt zu gebieten, wird er in Zukunft immer das Doppelte dessen verlangen, was der/die Grafiker für ihre Arbeit bekommen. Ein interessanter Gedanke, der bitteschön auch hier Schule machen sollte.

Da wir uns aber nicht alleine am schnöden Mammon messen (lassen wollen) gelten eben auch noch andere, nicht weniger wachsweiche Beurteilungskriterien für den Erfolg.

Ist eine Ausstellung erfolgreich, wenn sie viele Besucher hat? Das hängt, wie so oft, auch wieder vom jeweiligen Blickwinkel ab. Für Politiker sind traumhafte Besucherzahlen die beste Argumentationsgrundlage gegen die immer wieder insbesondere aus dem Lager der Baut-mehr-Kindergärten-statt-Museen-Fraktion anklingenden Vorwürfe, dass man doch für die Kunst nicht so einen immensen finanziellen Aufwand betreiben müsse. Insofern sind Besucherzahlen da ganz praktisch, denn sie belegen, dass man wahrgenommen wird. Aber ist das auch gleichzusetzen mit einer Auseinandersetzung in Bezug auf das Wahrgenommene? Na ja, das darf man dann aber doch zu bezweifeln wagen, wenn man vor lauter, auf übermäßige Transpiration zurückzuführenden olfaktorischen Zumutungen und umgeben von kleinen Kindern, die im Zweiminutenabstand litaneiartig die Wann-gehen-wir-endlich-zu-MC-Donalds-Frage stellen und ständig mit einem Slalom um jene Spezies von besonders rücksichtsvollen Zeitgenossen bemüht, die sich gerne in 15 Zentimeter Abstand immer so vor ein Exponat stellen, dass man rein gar nichts mehr sieht, mit allem anderen nur nicht mit der Wahrnehmung von Kunst beschäftigt ist. Diese Ausstellungen könnte man auch wesentlich entspannter in Form von Kataloglektüre goutieren. Das wäre vielen der Besucher auch zu empfehlen, weil es für sie wahrscheinlich prinzipiell egal sein dürfte, ob sie ein Original, eine Fälschung oder eine Reproduktion sehen. Aber, und insofern sind mir diese Ausstellungen auch wieder ganz lieb: Sie lassen hoffen und sie gehen in jene wunderbare Statistik ein, die belegt, dass in Deutschland immerhin doppelt so viele Menschen in Museen gehen, wie in Fußballstadien. Okay, aber wer ist dabei nun der Gewinner, erfolgsmäßig? Kuratoren oder/und Direktoren aalen sich im Lichte der Besucherzahlen, Politiker frohlocken, weil sie darin eine Bestätigung ihrer kommunalen Kulturpolitik sehen, Besucher fühlen sich toll dabei gewesen zu sein. Nur die Kunst leidet bei solchen Ausstellungen übermäßig (insbesondere wenn es sich um ältere Kunst handelt), da helfen die hübschen, überall herumstehenden Klimakisten auch nicht wirklich.

Bliebe noch eine weitere zu erörternde Erfolgs-Kategorie: die „Ehre“, die ich der Einfachheit halber einmal mit „Medienpräsenz“ gleichsetze. Wenn bei einer Ausstellung, einem Projekt oder für einen Künstler schon nichts finanziell rumkommt, ebendieses auch nicht wirklich von Besucherströmen gesegnet wurde, dann kann und wird das Ganze, um dennoch als erfolgreich gegolten zu haben an der Beachtung durch die Medien und/oder der Diskussion, die es generierte, beurteilt. Für viele kämpferische Positionen die einzig Wahre der genannten Erfolgskategorien, denn Publikumsnähe wird naserümpfend als zu populistisch und zu wenig „modellhaft“ (früher nannte man das „avantgardistisch“) abgetan. Leider kann man sich dafür nichts kaufen und so schön es ist, im Himmel der theoretischen Diskussionen zu philosophieren, es bringt letztlich leider auch nichts, wenn das, worüber diskutiert wurde nicht gesehen wird. Aber immerhin war das Besprochene wert besprochen zu werden, was ja auch nicht gänzlich ohne Grund geschehen sein wird.

Sie sehen, es ist gar nicht so einfach das greifbar zu machen oder zumindest einigermaßen einzugrenzen, was man Erfolg nennen könnte. „Und überhaupt...“ so erklärte mir meine Begleiterin am gestrigen Abend „...ist Erfolg ja auch egal, solange man glücklich ist“. Was ist Glück?

Veröffentlicht in: Artist Kunstmagazin, Nr. 50, Jan-Apr 2002

© 2002 Jan Winkelmann

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