Das Olympiabüro von Norbert Kottmann

Jan Winkelmann

"Diese Jahrhundert ist immer wieder in Ansätzen durch große Entwürfe utopischen Charakters, in Verbindung mit innovativen bildnerischen Sprachen, und der Idee des Fortschritts bestimmt worden.
(...)
Die Zeit dieser großen Entwürfe ist vorbei. ... Und wenn es in der Tat diese großen Entwürfe nicht mehr gibt, dann ist davon auszugehen, daß jeder einzelne, wenn er heute als Künstler tätig ist, einen solchen Entwurf aus sich heraus projizieren muß."
Jean-Christophe Ammann, 2. Mai 1992

Von den großen Ideen des 19. Jahrhunderts hat am Ende des 20. Jahrhunderts kaum eine überlebt. Und es ist fraglich ob selbst die olympische Idee in ihrer ursprünglichen Form den Schritt ins nächste Jahrtausend überleben wird. Der große Entwurf von Internationalität und Völkerverständigung wich dem wissenschaftlich technologisch geführten Kampf um Medaillen, der zu allem Überfluß von einer Medienschlacht um Fernsehrechte und Einschaltquoten begleitet wird.

Die Idee dieser Entwicklung entgegenzuwirken, und die olympischen Spiele im Sinne eines übernationalen, kollektiven Gesamtkunstwerkes in das nächste Jahrtausend zu retten indem die Planung und Gestaltung der Spiele in die Hand von Künstlern gelegt wird, um sie zu einer ursprünglichen, quasi archaischen Form zurückzuführen, bildet den Ausgangspunkt der Rauminstallation "Olympiabüro" von Norbert Kottmann.

In einem Raum wurde ein fiktives Bewerbungs- und Organisationsbüro für die Olympischen Sommerspiele im Jahre 2004 eingerichtet. Als möglichen Austragungsort stellt der Künstler den elterlichen Hof und deren Grundbesitz im Münsterland zur Verfügung. Um dieses Vorhaben anzudeuten wurde bereits ein entsprechendes Bauschild mit der Aufschrift "Olympia 2004" am Rande des elterlichen Landbesitzes installiert. Ein Photo dieses Schildes und der Aushub eines Quadratmeters Weideland in einem sockelähnlichen Kasten, stellen innerhalb des Olympiabüros einen direkten Bezug und die Nähe zum möglichen Austragungsort her. Das reale Stück Land, es handelt sich tatsächlich um Weideland des Kottmannschen Hofes, steht stellvertretend für den ganzen Grundbesitz und stellt für den Künstler ein "symbolisches Einbringen von Grundkapital" dar.

Zur weiteren Ausstattung des Büros gehören zwei Archivschränke. Der erste dient als Archiv der Olympischen Spiele, in 28 Fächern, beginnend mit "I. Athen 1896" und endend mit "XXVIII. ..... 2004" wird die Geschichte der Olympischen Spiele der Neuzeit dokumentiert. Das hierbei auch ein Stück Zeitgeschichte zutage tritt, die Spiele 1916, 1940 und 1944 mußten aufgrund des I., bzw. II Weltkrieges ausfallen, wurden jedoch in der Gesamtrechnung mitgezählt, gibt dem Olympiaarchiv eine zusätzliche weltgeschichtliche Dimension. Das zweite Archiv dokumentiert in acht Aktenordnern allumfassend das kulturelle Umfeld der Menschheit an der Schwelle zum 3. Jahrtausend. Er dient zur Aufarbeitung der "nichtolympischen Vergangenheit" und verweist im Sinne des Gesamtkunstwerkes auf ein übergeordnetes System, das eine generelle Bilanz am Ende des 20. Jahrhundert darstellt.

Eine Pinnwand mit Zeitungsausschnitten, Entwürfen utopischer Architekturen des Revolutionsarchitekten Boullée und nicht verwirklichte Entwürfe des Architekten Bruno Taut, Photographien der Olympiadörfer aus Berlin 1936 und München 1972 und einer Karte des Heimatlandes Kottmanns mit dem eingezeichneten Areal für das Olympiagelände erwecken den Eindruck eines architektonischen Planungsbüros und verdeutlichen den utopischen Charakter des Vorhabens. Dazu gruppieren sich einige Farbphotographien aus dem bisherigen Leben des Künstlers, die, wie beispielsweise der Katholikentag 1978 in Freiburg, ähnlich den Olympischen Spielen, Massenveranstaltungen temporärer Art darstellen.

Die Büroeinrichtung wird vervollständigt durch einen raumgreifenden Schreibtisch mit Stuhl und einer Besucherbank, die in ihrer robusten Bauweise eher an eine Trainerbank erinnert, und in ihrem rohen Zustand auf den archaischen und handwerklichen Charakter der Spiele verweist.

Das für die Fertigung des Büroinventars verwendete Material und die robuste und einfache Bauweise sind von absoluter Funktionalität geprägt. Die unbehandelte Oberfläche des Rohspans verstärkt den Eindruck daß es sich hierbei lediglich um ein Modell handelt. Dies steht jedoch im Gegensatz zum realen Maßstab des Inventars. Der Besucher erkennt sich in der Wirklichkeit, inmitten eines Rohbaus wieder. Das Büro erweckt den Eindruck als ob es gerade frisch bezogen und eingerichtet wurde. Der Zustand eines Noch-Nicht-Fertigen aber Schon-Funktionierenden wird suggeriert. Der reale Maßstab des Büros steht im Kontrast zum utopischen Maßstab seiner Idee. Diese Idee bietet durch ihren utopischen Gehalt dem Betrachter die Möglichkeit sich zu eigenen Vorstellungen und Entwürfe für Olympia 2004 anregen zu lassen. Das offene Konzept Kottmanns gibt weder eine absolute Wahrheit vor, noch nimmt sie etwas vorweg und ermöglicht somit dem Betrachter seine Visionen von der Zukunft in dieselbe zu projizieren.

Verschiedene künstlerische Ausdrucksformen wie Objekt, Skulptur, Schrift, Architektur, Photographie werden in einem Raum als Teile eines großen Konzeptes präsentiert. Obwohl jedes der Einzelteile auch für sich, als autonome Skulptur gesehen werden kann, ergänzen sie sich innerhalb der Rauminstallation zu einem Ganzen, das in seiner Gesamtheit die inhaltliche Dimension der olympischen Idee als Gesamtkunstwerk aufgreift und in Verbindung mit dem Konzept "Olympia 2004" dieses verdeutlicht und in seinem Gehalt verstärkt.

In diesem Sinne kann der Versuch Kottmanns mit Hilfe und zur Hilfe eine der letzten großen Ideen des 19. Jahrhunderts einen utopischen Entwurf aus sich heraus in die Zukunft zu projizieren verstanden werden. Um es mit den Worten des Künstlers zu sagen: "Der Künstler hat die Aufgabe Utopien zu entwerfen, die obwohl, oder gerade weil sie nicht realisierbar sind, auch nicht auf ihre Durchführbarkeit überprüfbar sein müssen."

veröffentlicht in: Elisabeth Schneiderpreis 92, Ausst. Kat. Elisabeth-Schneider-Stiftung, Freiburg 1992

© 1992 Jan Winkelmann

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