Holger Nickisch: Kompatibel

Jan Winkelmann

Die Architektur als älteste und am meisten zweckgebundene der Bildenden Künste ist Ausgangspunkt für die Skulpturen Holger Nickischs. In einem quadratischen Raum im Tiefbunker unter dem Mannheimer Schloß hat der Künstler für die Ausstellung TIEFGANG. Bildräume im Schloßbunker eine Skulptur geschaffen, die aus variablen und frei kombinierbaren Modulen besteht.

Außen
Der Korpus, gefertigt aus gewachsten Hartfaserplatten, nimmt 3/4 des vorgegebenen Raumvolumens der Kammer ein. Dem Betrachter bleibt ein schmaler Korridor, der an jeder der drei Seiten enger wird. Die äußere Form des Containers, die rein funktionsbestimmt ist und auf verzierende und ornamentale Elemente verzichtet, erinnert in ihrer Massivität und Monumentalität an die Fassaden von Hochbunkern. Diese Eindruck wird nicht zuletzt durch die verwendeten Materialien evoziert, die eine geschlossene graue Oberfläche, ähnlich der von Stahlbeton bilden. Die mittleren Wände des Containers lassen sich nach oben schieben und geben so Einblicke in das Innenleben frei.

Innen
Im Innenraum befindet sich eine Architektur von Säulen und Wänden, die aus dem selben Material wie der Korpus, in kleinerem Maßstab gefertigt sind. Die quadratische Säulen und Platten lassen sich durch eine Nut aneinanderfügen und miteinander kombinieren. Für den Betrachter sind keine Anhaltspunkte für die tatsächliche Größe des Modells erkennbar. Das System ist nicht nur in seiner Form, sondern auch in seiner Größe beliebig veränderbar. Da die Außenarchitektur aus den gleichen Einzelteilen der Innenarchitektur zusammengesetzt ist, stellt sie eine der möglichen Kombination der Module dar. Das Innen verweist auf das es umgebende Außen.

Architektur ist ihrem Wesen nach funktionsbestimmt. Jede Architektur ist nicht in erster Linie durch ihre Form, sondern durch ihren Zweck, dem Grund ihrer Errichtung, determiniert. Die Form ordnet sich diesem unter. Die vorgegebene Grundform ist in einem zweiten Schritt gestalterisch veränderbar, jedoch nur innerhalb der Grenzen seiner Funktion.

Nickischs Skulpturen haben keine Funktion im Sinne von Architektur. Es sind weder Architekturmodelle noch Miniaturarchitekturen, die die oben genannten Kriterien erfüllen. Es sind vielmehr Inszenierungen mit Hilfe eines architektonischen Vokabulars, das, wie bei der Installation im Bunker, aus der Beschäftigung mit der Architektur des Todes resultiert. Die einzelnen Bauteile treten weniger als historisches Zitat auf, sondern eher als Bedeutungsträger für die Darstellung komplexer Ordnungen. Sie sind nicht als ein finales Produkt zu verstehen, sondern lassen durch ihre Veränderbarkeit und Prozeßhaftigkeit dem Betrachter die Möglichkeit Raum experimentell zu erfahren.

veröffentlicht in: TIEFGANG. Bildräume im Schloßbunker, hrsg. von Roland Scotti und Jan Winkelmann, Mannheim: Signet Verlag 1992

© 1992 Jan Winkelmann

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