Frische Luft. Zu den Arbeiten von An Te Liu

Jan Winkelmann

An Te Liu ist ausgebildeter Architekt und studierter Kunsthistoriker. Seine künstlerische Arbeit speist sich einerseits aus dem fundierten Wissen über diese Felder kultureller Produktion, ist andererseits aber auch von dem Unbehagen geprägt, den eine Fokussierung (im Sinne einer ausschließlichen Tätigkeit) auf nur einen dieser Tätigkeitsbereiche mit sich bringen würde.

Die Installationen und Skulpturen des Künstlers bestehen häufig aus industriell gefertigten Produkten und Geräten, die durch den Gebrauch und die Funktion in anderen als den ihnen angestammten Kontexten neue Bedeutungszuschreibungen erfahren. Die Arbeiten mit Luftreinigungsgeräten bilden im Schaffen des Künstlers eine Art Kristallisationspunkt, an dem verschiedene inhaltliche Stränge zusammenfinden.

Die Skulptur Airborne (2000) kann hierbei in mehrfacher Hinsicht als exemplarisch für An Te Lius künstlerische Praxis gesehen werden. Auf einer lackierten Platte, die über dem Boden zu schweben scheint, gruppierte der Künstler unterschiedliche Modelle von Heim-Klimageräten, portablen Klimaanlagen, Ionisatoren und Luftreinigern. Die Gehäuse sind allesamt in gebrochenen Weißtönen gehalten, wodurch sich auch nach außen das ihrer Funktion eingeschriebene Moment von (Luft-)Hygiene und Sauberkeit vermittelt.

Die größtenteils längsrechteckigen, ab und zu runden und sehr oft gedrungenen Formen sowie die für diese Art von Geräten typischen Lüftungsschlitze beziehungsweise -lamellen erinnern an Häuserblocks mit entsprechenden architektonischen Bestandteilen wie Lüftungsanlagen auf Dächern oder Fensterfassaden mit Lichtschutzrollos. Demzufolge assoziiert man mit Gruppierungen von Geräten gleicher Bauart Reihen von Häuserblocks, und diese im Nebeneinander mit anderen Gruppen lassen wiederum an Masterpläne für städtebauliche Konzepte denken. Das Ensemble mutet dabei an wie eine sterile Miniatur eines von modernistischen Bauten geprägten Areals. Neben diese mimetische Qualität tritt fühl- und hörbar die funktionelle. Alle Geräte sind in Betrieb und verändern die unmittelbare Umgebung, indem sie die Luft des Galerie- beziehungsweise Ausstellungsraumes filtern, ionisieren, kühlen und reinigen.

Hiermit kommt eine weitere Referenzebene ins Spiel: Die enorme Präsenz dieser Art von Geräten in unserem Lebensumfeld ist ein Indiz wie auch ein Symptom für den in den Industrieländern immer weiter um sich greifenden Reinlichkeitswahn, der sich in einem gesteigerten Bedürfnis nach Sauberkeit und Hygiene – vor allem in urbanen Kontexten – niederschlägt. Dabei steht deren Zweck interessanterweise deutlich im Widerspruch zu der durch ihre Produktion und vor allem durch deren Betrieb verursachten Umweltverschmutzung.

Für An Te Liu greift dieser Aspekt jedoch viel weiter zurück: "Die Vertreter der Moderne hatten in Sachen frischer Luft, Hygiene und Begrünung eine überzeugende Rhetorik, die von gewaltigen utopischen Architekturentwürfen begleitet war wie etwa dem von Le Corbusiers Ville Radieuse."(1) In La Ville Radieuse publiziert Le Corbusier 1935 seine städtebauliche Vision einer utopischen Stadt, mit großen Apartmenthäusern umgeben von "Serviceeinheiten" inmitten weitläufiger Parkflächen, in der sich die Individuen frei entfalten können.

Le Corbusier verlangte eine radikale Änderung der Architektur als logische Konsequenz auf die rasante technische Entwicklung und den damit einhergegangenen Wandel der Lebensgewohnheiten zur Wende vom 19. ins 20. Jahrhundert. Ähnlich wie bei den Ideen des Bauhauses wurde hier eine Gestaltung des gesamten Lebensumfelds propagiert. An Te Liu sieht hier den Ursprung für die im 20. Jahrhundert weiter fortschreitenden Bemühungen, das individuelle Lebensumfeld nicht nur selbst aktiv zu gestalten, sondern es dadurch auch zunehmend zu kontrollieren.

Im Jahr 2001 realisierte der Künstler mit der Installation Exchange, die im Rahmen seiner Einzelausstellung Condition in der Henry Urbach Architecture Gallery in New York zu sehen war, eine weitere Arbeit innerhalb dieser Werkreihe. Durch das Übereinanderstapeln von jeweils acht gleichen Geräten entstanden sieben Säulen, die vom Boden bis zur Decke reichend an reale Pfeiler erinnerten. Die Apparate sind über von der Decke herabhängende Kabel ans Stromnetz angeschlossen und konstant in Betrieb. Durch die Kraft der Ventilatoren wird die Luft des Ausstellungsraums alle 21 Sekunden vollständig umgewälzt, gefiltert und gereinigt.

Im Vergleich zu der eher modellhaft anmutenden Präsentation von Airborne bespielt An Te Liu den Raum hier in einem 1:1-Maßstab gegenüber dem Betrachter. Die Säulen werden als architektonische Intervention wahrgenommen, und in gleichem Maße ist die Wirkung der Geräte durch die Bewegung und Kühlung der Luft fühlbar. Obgleich die Funktion der Maschinen für den Betrachter unmittelbar körperlich spürbar ist, bleibt deren nutzbringender Effekt – die Reinigung der Luft von mikroskopisch kleinen Schmutzpartikeln – nicht wirklich nachvollziehbar und somit lediglich der Vorstellungskraft überlassen.

Für seinen Beitrag zur Architektur-Biennale in Venedig 2008 schuf der Künstler nun eine Weiterführung innerhalb dieser Werkreihe. Hier wurden mehr als 120 Luftreiniger, Klimageräte und Ionisatoren zu einem großen Cluster verschraubt. Von der Decke hängend schwebt er über den Köpfen der Betrachter wie das Modell eines futuristischen Raumschiffs, umgeben von mehreren kleineren Clustern. Kinematografische Assoziationen an Star Wars, Blade Runner oder 2001: Odyssee im Weltraum kommen dabei ebenso zum Tragen wie architektonische Verweise, beispielsweise an Moshe Safdies modulares Fertighauskonzept Habitat 67, das im Rahmen der Weltausstellung in Montreal 1967 realisiert wurde.

Wenngleich der Künstler hier noch einmal an das Modellhafte der eingangs erwähnten Arbeit anknüpft, findet durch die Vielzahl der Geräte und qua Größe der Installation dennoch eine gefühlte Maßstabsverschiebung und gleichzeitig eine Art von Monumentalisierung statt. Wo in der zuvor beschriebenen Arbeit Subtexte von Modernismus, Architektur, Städtebau und Urbanismus anklingen, werden hier Referenzen zu Utopismus und Science Fiction deutlich. "Wir sind es gewohnt uns die Zukunft als Fortschreibung der Gegenwart vorzustellen. Die Visionen von zukünftigen oder fantastischen Welten konstruieren wir im Wesentlichen gemäß dem Modell der Gegenwart."(2) In diesem Sinne stellen für den Künstler Projektionen in die Zukunft nicht zuletzt auch immer eine Auseinandersetzung mit der Gegenwart dar.

(1) Zit.n.: Safe Haven, Interview mit Aaron Betsky, Surface, Nr. 25, Herbst 2000.
(2) An Te Liu im Gespräch mit dem Autor, April 2008.

Veröffentlicht in: BE Magazin, Nr. 15, 2008.

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© 2008 Jan Winkelmann

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