Eines schönen Sommertages trafen sich
Olafur Eliasson und ich in einem Restaurant in den Hackeschen Höfen in Berlin
Mitte. Es war unser erstes Treffen. Ich sollte einen Text über ihn für die
australische Kunstzeitschrift Art & Text schreiben und wollte einen
Atelierbesuch machen. Zu meinem Erstaunen schlug Eliasson vor, statt zu seinem
Atelier auf ein Golf-Übungsgelände im Ostteil der Stadt zu fahren. Ich sollte
an diesem Tag noch nicht ganz den Zusammenhang zwischen Eliassons Werk und dem
Golfspiel erfahren. Erst kürzlich, als ich im Urlaub jeden Tag auf dem
Golfplatz verbrachte, um für die Platzreife zu trainieren, wurde mir bewußt,
wie sehr Golf als ein Sinnbild und als ein Verständnisinstrument für Eliassons
Haltung und somit auch für seine Arbeit und den Umgang mit dieser gesehen
werden kann. So will ich nun ein wenig vom einen schreiben, um auf das andere
zu verweisen.
Zunächst einmal ist es nicht
gerade einfach, den Golfschwung zu erlernen. Die pure Verzweiflung herrscht,
solange der Ball nicht getroffen wird. Fliegt er jedoch zum ersten Mal, ist man
dem Sport verfallen. Der Ehrgeiz treibt zu weiteren Erfolgserlebnissen, die
selbstverständlich zunächst einmal ausbleiben, weil der Ball eine ganze Weile
nicht mehr fliegt. Viel Übung, die ob vieler Rückschläge bisweilen Nerven
kostet und in harte Arbeit ausartet, ist notwendig, um mit einer gewissen
Konstanz den Schwung in der Form zu beherrschen, daß die Zufallstreffer
zugunsten gut getroffener Bälle langsam aber stetig abnehmen. Der Tag kommt, an
dem man nicht mehr nur mit dem Eisen 7 den Abschlag übt. Chippen (kurze
Annäherungsschläge) und Putten (Einlochen auf dem Grün) sind die nächsten
Schritte, sich das Schlaginstrumentarium, das für die erfolgreiche Absolvierung
des Platzes in der vorgegebenen Schlagzahl notwendig ist, Stück für Stück
anzueignen. Die hohe Schule des Drivers (lange Schläge mit dem Holz) steht
hierbei am Schluß und bietet noch einmal ein überraschendes
Frustrationspotential, da anscheinend alles üben nichts nützte, und man hier
noch einmal von vorne anfängt. Bis man sein Zeil erreicht hat, geht man einen
mühsamen Weg der vielen Trial and Errors. Es sind zu viele Komponenten, die
einen guten Schlag ausmachen: Stand, Griff, Schwung, Konzentration und Automatisierung
des Ablaufs. Bis die Summe der Einzelteile ein optimales Ganzes ergibt, nähert
man sich diesem Stück für Stück in oftmals sehr kleinen Schritten, indem man
die Kombination unterschiedlicher Einzelelemente auf ihren individuellen Erfolg
hin ausprobiert.
Nach unzähligen Bällen auf der
Range (Übungsplatz) kommt, je nach Intensität und Dauer des Trainings, früher
oder später der Zeitpunkt, an dem man zum ersten Mal auf den Platz geht und die
ersten Löcher spielt. Der Platz selbst ist zunächst einmal nichts anderes als
ein Stück künstlicher Natur. Von einem Architekten entworfen, bietet er ein
cleanes, weil extrem gepflegtes Abbild von Natur, das wiederum selbst Natur
wird, weil es sich im Idealfall möglichst harmonisch an die vorgegebene
Landschaft anpaßt und sich, was seinen Charakter anbelangt, möglichst nah an
der umgebenen natürlichen Flora orientiert. Hierbei bietet der Platz in einer
Art Mikrostruktur die gesamte Bandbreite der von der Natur zur Verfügung
gestellten Attraktionen. Wilde Wiesen, kurzer Rasen, Bäume, Seen, Teiche,
kleine Wasserlöcher, alles das findet sich in bisweilen unnatürlicher Dichte
zueinander auf einem abgegrenzten Areal wie es in dieser Komplexität in der
natürlichen Natur nur selten zu finden ist. Das einzige was offensichtlich aus
dem harmonischen Ganzen der Anlage heraussticht sind Sandbunker, die die Natur
wie kleine Wüsten durchschneiden, bzw. aufbrechen und dem Spieler bewußt werden
lassen, daß er sich ganz und gar nicht in einem natürlichen, sondern in einer
mit Mitteln der Natur geschaffenen künstlichen Umgebung befindet. Trotz dieser
rationalen Erkenntnisse überwältigt die Naturerfahrung und es bleibt
indifferent, daß diese Natürlichkeit zu perfekt ist, um in der realen Natur
existieren zu können. Die Gegensätzlichkeit von Natur und Kultur scheint
aufgehoben. Wind, Wetter, Luft und Sonne tun ein übriges, um diesem
idealtypischen Rahmen einen Nimbus zu geben, der ob nun natürlich oder
künstlich, durch seine Intensität besticht. Hierbei spielt es keine Rolle, ob
diese Natur-Erfahrung durch reale natürliche oder künstlich-natürliche Faktoren
hervorgerufen wird. Der Spieler setzt sich dieser Erfahrung aus, die er in
solcher Vielfalt ansonsten nur mit wesentlich größerem (logistischem) Aufwand
erleben könnte. Hierbei gilt es zu differenzieren, daß die Wahrnehmung von
Spieler zu Spieler nicht unbedingt immer gleich intensiv ausfällt, vielmehr
abhängig ist von der Sensibilität des Individuums und der Offenheit seiner Wahrnehmung.
Zurück zum ersten Erlebnis mit
dem Platz. Die in der stillen Eintönigkeit geübten Schläge werden nun auf ihre
Tauglichkeit in einem komplexeren Zusammenhang geprüft. An die Stelle der immer
gleichen Umgebung der Range tritt das Naturerlebnis von Landschaft, Wetter und
Licht. Der Spieler ist auf sich selbst gestellt. Er tritt an, den Platz zu
bewältigen, um mit möglichst wenigen Schlägen die vorgegebenen Distanzen zu
überbrücken und die darin befindlichen Hindernisse zu überwinden. Im Raum-Zeit
Kontinuum des Spiels auf dem Platz manifestiert sich eine Naturerfahrung, die,
obzwar sie auf der Polarität von natürlich wirkender, jedoch künstlich
geschaffener Natur gründet, dem Spieler die Gegenwart seiner selbst bewußt
werden läßt.
Die bereits angesprochene
Komplexität der Abfolge von Schlägen unterschiedlicher Art wird durch die zu
bewältigende Landschaft zusätzlich erweitert bzw. verkompliziert. Das
Aufeinandertreffen der unterschiedlichen Faktoren, sowohl
individuell-persönlicher wie Können, Konzentration, geistige und körperliche
Verfassung als auch der objektiv-unveränderbaren, wie sie vom Platz vorgegeben
sind, ergibt eine nahezu endlose Vielfalt von Möglichkeiten, die jedes Spiel
und jedes Begehen des Platzes zu einem einmaligen Erlebnis werden lassen, das
den Spieler jedes Mal aufs Neue fordert, Routine wenn überhaupt nur begrenzt
zuläßt und immer wieder neue Überraschungen bereithält.
veröffentlicht
in: Users, Publikation zu Olafur Eliassons Beitrag auf der São Paolo
Biennale 1998
© 1998 Jan Winkelmann