Und alles bleibt besser
Jan Winkelmann mit Michael Krome im E-Mail-Dialog über Berlin


Jan Winkelmann: Was ist aus der Berliner Kunstszene der 1990er Jahre geworden?

Michael Krome: Wenn Du mit dem "Berlin der 1990er Jahre" einen Standort meinst, der sich von Null weg auf die internationale Relevanzkarte katapultiert hat, dann haben sich nach meiner Beobachtung manche Felder des Kunstbereiches besser und schneller, andere langsamer oder sogar rückläufig entwickelt. Warum z.B. eine Berliner Messe eine Global-Player-Messe simulieren muss, bleibt mir ein Rätsel. Authentischere, in der Stadt verankerte oder dezentrale Veranstaltungen wie etwa der "Designmai" oder die Modemessen "Premium" oder "Bread and Butter", wären der dynamischere Weg.

Winkelmann: Eine von Dir als berlin-typisch bezeichnete dezentrale Veranstaltungsform gibt es ja seit 2005 mit dem "Gallery Weekend". Von Galeristen initiiert und organisiert, stellt sie konzeptionell durchaus eine Alternative zu einer Messe dar und war damit bisher sehr erfolgreich. Im Vergleich zum Art Forum eine reine Berlin-Veranstaltung, die den vielen Nachteilen des grossen internationalen Messekarussells trotzt und den Weg wieder zurück in die Galerien sucht, wo letztlich ja die Hauptarbeit geleistet wird.

Krome: Und wenn es geläge, dass man das noch durch weitere neue Formate oder eine Kunsthalle ergänzt, würde sich viel besser das abbilden, was an Berlin wirklich interessant ist. Trotzdem glaube ich, dass Berlin eine der besten B-Messen ist und das Potenzial hätte, sich signifikant von den grossen Messen abzusetzen.
Ich möchte einmal etwas weiter auszuholen: In den 1990ern hat Berlin gehofft, auch auf der Ebene der kulturwirtschaftlichen Entwicklung schnell eine starke Rolle zu spielen. Dieser Prozess ist immer noch im Gange und es ist zu hoffen, dass der bundesrepublikanische Neid auf die Berliner Akteure und Berlin-Freunde zu einer Stäkung der selbstverantwortlichen Strukturen führt, denn zurück nach Karlsruhe, Köln oder Frankfurt will man eher selten. Im institutionellen Geschehen hinkt Berlin nach wie vor hinterher nicht nur, weil restaurative Kräfte Berlin als homogene Urbanität sehen wollen und lieber ein Stadtschloss ins Zentrum setzen, anstatt ein Kulturzentrum nach Pompidou-Format. Aber dieses Thema wird nun immer aktiver aus der Szene selbst angegangen, und das zu sehen macht gute Laune. Im Bereich der Galerien hat sich die kontinuierlichste Entwicklung ergeben. Das halte ich auch für die zentrale und erfreulichste Säule der internationalen Präsenz von Berliner Kunst.

Winkelmann: Es hat ja bei den Galerien gerade durch die Gentrifizierung von Mitte ein Verlagerungsprozess stattgefunden. Daneben sind ganz neue Galerienstandorte entstanden, wie hier die Brunnenstrasse. Andererseits gibt es auch eine zu den Agglomerationen gegenläfige Bewegung: siehe Guido W. Baudachs Standort in den Weddinger Osram-Höfen, was ja jedem gesunden Menschenverstand widerspricht, weil es so weit draussen und kompliziert zu erreichen ist – aber trotzdem zu funktionieren scheint. Oder Giti Nourbakhsch und Johann König, die sich aus den unmittelbaren Nachbarschaften anderer Galerien und damit von den Galerie-"Trampelpfaden" entfernt haben. Auch Peres Projects liegt weit ab vom Schuss.

Krome: Die von dir angesprochen Dezentralisierung verstehe ich in jedem Einzelfall ist aber meines Erachtens keine abgestimmte "Bewegung". Im Gegenteil, mir erscheint die Szene nicht so gewachsen, dass sie donnerstags nach Wedding mit After-Opening in Wilmersdorf zieht, um Freitag nach Friedrichshain mit After-Opening in Mitte und Samstag dann nach Kreuzberg mit anschliessendem Dinner im Prenzlauer Berg zu pilgern.

Winkelmann: Erstaunlich auf der einen Seite und bedenklich auf der anderen finde ich den Zuzug von immer mehr Galerien, die ihren Standort entweder ganz hierher verlagern (Buchmann, Scheibler, Jablonka) oder eine Dependance eröffnen (Peres Projects, Goff+Rosenthal, Conrads etc.). Offensichtlich gibt es wieder ein neues Heilsversprechen, dass die Galerien so zahlreich nach Berlin lockt. Als Galerie in Berlin mit Berlin Geld zu verdienen ist ja leider immer noch kaum möglich. Zumal der sich entwickelnde (aber doch sehr zaghaft entwickelnde) Sammlernachwuchs so finanzstark auch wieder nicht ist. Demzufolge muss es andere Gründe geben, warum man nach Berlin will.

Krome: Banal zu sagen, aber immer noch ziehen internationale Künstler, Kritiker wie auch junge Sammler aus New York, Paris, London, Warschau, Prag oder Barcelona in die Stadt. Ich denke, das macht die Stadt mit grossem Abstand zum interessantesten Kreativ- und Kunststandort in Deutschland und sicher auch in Europa. Insofern finde ich es im Sinne einer wirklich ambitionierten Galeriearbeit durchaus plausibel, dies genau von dem Ort aus zu betreiben, an dem sich das "Material" befindet: die Künstler, die Kritiker, die Intellektuellen, die Diskurse und weitere weiche Standortfaktoren, die hierfür wichtig sind. Die Zeit, in der mir Galeriearbeit grossen Spaß gemacht hat, hing sehr stark mit dem engen Vor-Ort-Bezug zu den Künstlern zusammen. Das motiviert und hilft einer Galeriearbeit ungemein, wenn die Künstler, um die es ja eigentlich geht, die Galerie vor Ort unterstützen.

Winkelmann: Na ja, ich möchte bezweifeln ob manche Kollegen so ambitioniert sind, die unbedingte Nähe der Künstler suchen und den Puls des Diskurses spüren möchten. Mich beschleicht immer öfter das Gefühl, dass es dabei schon mehr und mehr auch um einen Hipness-Faktor geht. Es gilt als cool, in Berlin zu sein. Aber das sind eben die Randerscheinungen einer sich verstetigenden internationalen Aufmerksamkeit und ich denke mal, das wird sich früher oder später auch von selbst wieder regulieren.
Lass uns kurz auf den Münzsalon* zu sprechen kommen. Nach einer euphorischen Hochphase und der darauf folgenden Schliessung durch die Behörden wurde der Betrieb wieder aufgenommen und scheint mir momentan mehr als zuvor an seiner selbst gestellten Aufgabe zu arbeiten, einen besonderen Ort des Austauschs für kulturaffine Menschen zu schaffen. Gab es aus deiner Sicht konzeptionelle Irrtümer, die nach dem Abgleich mit der realen Situation verändert werden mussten?

Krome: Irrtümer bzw. Fehleinschätzungen und daraufhin notwendige Korrekturen muss es ja geben bei neuen Modellen und Formaten. Und ich denke es macht auch den Charme aus, dass alle Akteure eigentlich Laien in dem Bereich sind.
Dass jetzt reihenweise Leute aus dem China Club oder ehemalige Aktionäre aus dem vollmundig beworbenen (und mittlerweile nicht mehr existenten) Goya Club kommen ist natürlich auch ein Problem. Wie kann man diese extrem verschiedenen Soziotope miteinander verbinden? Ich selbst wüsste auch gar nicht ob ich das will. Ich finde zum Beispiel die Abende, an denen vielleicht 20 Leute semi-privat aufeinander treffen, oft viel interessanter als die ganze hippe Eventindustrie. Nachdem Bret Easton Ellis da war, hagelte es am nächsten Tag Mitgliedsanträge von Leuten, die man gar nicht kennt und manchmal eigentlich auch nicht kennen lernen will.
Unsere Motivation war und ist es, einen Ort zu schaffen, an dem sich kulturelle Akteure treffen können, wo im Idealfall vielfältige Synergien entstehen. Wir haben uns irgendwann für ein langsameres Wachstum entschieden, und wenn bis dahin von diesem Ort weiterhin Impulse ausgehen, wie etwa zu einer Kunsthalle Berlin, dann wäe das sehr schön und wir hätten viel erreicht.

Winkelmann: Es kommt mir so vor, als ob die Berlin Biennale dieses Jahr, mit dem typischen Berlin-Ruinen-Charme spielend, eben erst jetzt erfolgreich sein konnte. Ein ähnliches Konzept wäre vor ein paar Jahren mit Sicherheit nicht so goutiert worden.

Krome: Mir war gerade diese romantisierende Sicht ein bisschen zuviel des Guten, alles in allem zu viel künstlich authentisiert. Kuratorisch gesehen machte das ja Sinn, aber dieses Hinterhof-Einschuss-Tapeten-Voyeurismus-Theater erinnerte mich zu sehr an amerikanisches "Wow"-Gehampel in Venedig. Ich denke, dass dieser Zirkelschluss aber nicht zuletzt den Zweck hatte, eine sehr authentische Entstehungsgeschichte, nämlich die der Ausstellung "37 Räme" aus dem Jahr 1992 zu referenzialisieren. Gleichwohl hoffe ich aber, dass es die letzte Biennale war, die Berlin als Mausoleum herunterputzte.

* Der Münzsalon ist ein Members-Club in Berlin nach englischem Vorbild.

Veröffentlicht in: spike, No. 10, Winter 2006.

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© 2006 Jan Winkelmann

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