Ausstellungen in ungewohnter Umgebung inszenieren: TIEFGANG. Bildräume im Schloßbunker

Jan Winkelmann

Industrietempel e.V., Mannheim: der Veranstalter
Der Industrietempel e.V., Mannheim ist ein gemeinnütziger Verein zur Förderung von Kunst und Kultur in leerstehenden Gebäuden. Er hat sich zur Aufgabe gemacht, kulturelle Veranstaltungen, wie Ausstellungen, Theater- und Tanztheateraufführungen, Performances usw. in ungenutzten und leerstehenden Gebäuden mit soziokultureller oder historischer Bedeutung durchzuführen. Seit dem Gründungsjahr 1989 fanden Veranstaltungen unter anderem in einer alten Stahlgießerei, einem leerstehenden Verwaltungsgebäude, einem ungenutzten Werkswasserturm, einer chemischen Großwäscherei und einem stillgelegten Kanalpumpwerk statt. Die jeweiligen Veranstaltungsorte werden nicht mehr genutzt und erfahren durch die jeweilige Veranstaltung eine funktionale und ästhetische Umfunktionierung.

Zwei Ziele stehen hierbei im Vordergrund. Neue Räume zur Vermittlung von Kunst und Kultur zu erschließen und "städtebauliche Besonderheiten", die trotz ihrer historischen Prägnanz leicht übersehen werden, ins öffentliche Bewußtsein zu bringen.

Daß die Architektur eines Ortes oft die Voraussetzung für die Konzeption eines Projektes ist, zeigt das Beispiel TIEFGANG. Der ehemalige Luftschutzbunkers unter dem Ehrenhof des Kurfürstlichen Residenzschlosses in Mannheim mit seiner bunkerspezifischen Architektur – 63 unterschiedlich proportionierte Räume, die sich rechts und links von vier parallelen Gängen aneinanderreihen – forderte eine Präsentation zeitgenössischer Kunst geradezu heraus. In keinem anderen traditionellen Ausstellungsraum gibt es die Möglichkeit, ein einzelnes Werk isoliert und ohne Beeinflussung durch benachbarte Kunstwerke zu präsentieren.

Ein Kommunikationsmodell
Ausgehend von dem Raumangebot luden zwei Ausstellungsmachern, Roland Scotti und Jan Winkelmann, elf Kunsthistoriker aus dem ganzen Bundesgebiet ein. Diese hatten die Aufgabe, Künstler der jüngeren Generation, deren Werk sie für innovativ und richtungsweisend erachten, für die Teilnahme an der Ausstellung vorzuschlagen. Bedingung für die Auswahl war, daß die Künstler einerseits seit längerer Zeit kontinuierlich arbeiten und andererseits auf dem Kunstmarkt noch nicht überrepräsentiert sind.

Die Kunsthistoriker ihrerseits sollten nach Möglichkeit nicht fest an einem Museum oder an einer kommerziell ausgerichteten Institution arbeiten. Dadurch sollte verhindert werden, daß bei der Auswahl der Künstler gewisse Sachzwänge gar nicht erst entstehen. Die Kunsthistoriker sollten frei entscheiden können, welche Künstler sie für diese Ausstellung einladen. Die eingereichten Vorschläge wurden von den Organisatoren, ohne Jurierung angenommen, es fand keine Endauswahl statt.

Ein weiterer Anreiz war die Idee, in einer Stadt wie Mannheim, die im Bereich der zeitgenössischen Kunst, gerade im Vergleich mit anderen Großstädten eine eher unbedeutende Rolle spielt, eine Form von Kunst zu präsentieren, die ansonsten in dieser Stadt nicht zu sehen ist.

Der Ort und seine Geschichte
Im Gegensatz zur barocken Schloßanlage des Fürstenhauses, diente der Luftschutzbunker unter dem Ehrenhof ausschließlich dem Zweck, das Leben der Zivilbevölkerung Mannheims zu schützen. Zusätzlich wurde der 1943 erbaute Bunker auch als Schutzraum für einen Teil der Kunstsammlung des Schlosses, das unter dem Bombenhagel fast gänzlich zerstört wurde.

Der Ehrenhofbunker wurde für den Schutz von ca. 250 Menschen konzipiert und hatte weder militärische noch strategische Funktionen. Die Aufteilung der 2500 Quadratmeter großen Grundfläche in 63 unterschiedlich große Räume (zwischen 5 und 15 Quadratmeter) hatte in erster Linie statische Gründe: Bei einem etwaigen "Treffer" wäre nur ein kleiner Teil der Räume getroffen und zerstört worden, die übrigen Räume hätte eine Detonation unbeschadet überstanden.

Trotz der Zerstörung des Mannheimer Schlosses, das aufgrund seiner relativen Nähe zum Hauptbahnhof (Luftlinie 150 Meter) zwangsläufig ein Opfer der Bombardements war, wurde der Ehrenhofbunker nicht direkt getroffen. Nach dem Krieg, wurde er notdürftig renoviert und diente bis Anfang der 50er Jahre als Hotel für entlassene Kriegsgefangene, Durch- und Handlungsreisende.

Erst Anfang der 60er Jahre, zu Beginn des Kalten Krieges wurde er im Rahmen einer Sofortmaßnahme noch einmal notdürftig renoviert, frisch gestrichen und mit neuen Stromleitungen versehen. Seit dieser Zeit steht er leer, ist nicht mehr möbliert und für den Krisenfall als Schutzraum nicht mehr vorgesehen, da er den heutigen Sicherheitsanforderungen nicht mehr entspricht.

Das wiedererbaute Schloß dient heute als Universität, als Ort der Vermittlung von wissenschaftlichen, geistesgeschichtlichen und kulturellen Gütern. An den architektonischen Zeugen unter dem von Rosenbeeten umkränzten Rasenfeld des Ehrenhofes erinnert sich kaum jemand.

Als kultureller Nicht-Ort, der dennoch als Bauwerk viel von der jüngsten Geschichte und der menschlichen Kultur der Zerstörung bewahrt, bietet er einen geeigneten, von jeglicher kulturellen Bindung unbelasteten Rahmen, um wesentliche Kunst zu zeigen oder erst entstehen zu lassen.

Die Netzwerkidee
Wenn man einen Stein in ein stilles Gewässer wirft, bilden sich konzentrische Kreise, die sich regelmäßig ausbreiten. Wirft man fünfzehn Steine, überschneiden sich die Wellen. Bei fünfundfünfzig Steinen bildet sich auf der Wasseroberfläche ein Netz, alle Kreise kommunizieren miteinander. In dieser Netzwerkidee fand der oben erläuterte Auswahlmodus seinen Ursprung. Ausgangspunkt war die Idee der umgekehrten Pyramide. Zwei Ausstellungsmacher benennen elf Kunsthistoriker, diese wiederum vierzig Künstler. Das Fundament für jeden Diskurs über Kunst – die Künstler, ihre Werke und ihr Standort in der bundesrepublikanischen Kunstlandschaft – sollte im Prozeß der Realisation der Ausstellung wieder transparent und zum Ziel der Betrachtung werden.

Vierzig Positionen zeitgenössischer Kunst, jeweils in einen Raum isoliert präsentiert, ließen im Rundgang durch die Ausstellung jedoch einen Kontext, die Pluralität der heutigen Kunstlandschaft, erkennen. Die kunstkritischen Essays, die von den Kunsthistorikern jeweils zu den von ihnen vorgeschlagenen Künstlern geschrieben wurden, machen das pluralistische Konzept auch im ausstellungsbegleitenden Katalog transparent. Sie weisen – wie die unterschiedlichen, teilweise auch gegensätzlichen, künstlerischen Positionen – auf die verschiedenen theoretischen Ansätze der Kunstbetrachtung hin.

Den Künstlern wurde kein Thema vorgeschrieben. Sie konnten frei entscheiden, was und wie sie etwas in den ihnen zugewiesenen Räumen präsentieren wollten. Lediglich die Beschränkungen auf einen einzigen Raum mit seinen architektonischen Besonderheiten – relativ kleine Zellen, niedrige Decken, schmale Türen – bildete gewisse Vorgaben.

Der Tiefbunker vermittelte durch seine räumliche Aufteilung, mit seiner klaustrophob anmutenden Atmosphäre – Dunkelheit, bzw. fehlendem Tageslicht, Enge etc. – ebenso wie inhaltlich im Hinblick auf seine Historie bereits im Vorfeld ein breites Spannungsfelder, das sich auf unterschiedlichste Weise in der Arbeiten der Künstler reflektierte, bzw. den Künstlern als Ausgangspunkt für Ihre Arbeit diente.

Bildräume, Raumbilder
Die thematische Spannbreite umfaßte die historisch sensible Reflexion des Zusammenhangs von Kultur und Krieg bis zur formalästhetischen Verfremdung, Nutzung oder Umfunktionierung der vorgegebenen räumlichen Situation. Konzeptuelle Ansätze, die Raum für spekulative Interpretationen bieten, standen hermetischen Kunstwerken gegenüber, die ausschließlich auf sich selbst verweisen. Gemeinsam war allen Bildwerken, Installationen, Rauminszenierungen und Objektgestaltungen das eindringliche Nachdenken über den Ausstellungsraum mit all seinen ihn spezifisch definierenden Eigenschaften, wie Dunkelheit, Enge, Kälte, Bewegungslosigkeit, Kahlheit usw., und darüber hinaus die intensive Beschäftigung mit der Wirkung des Kunstwerkes innerhalb eines solchen topographischen und historisch geprägten Ausstellungsortes.

Die vielfältigen Wechselbeziehungen zwischen Umfeld, Raum und Kunstwerk wurden im Rundgang durch die Ausstellung für den Besucher erfahrbar. Manche Räume täuschten die Atmosphäre eines Geheimarchivs, eines Museumsdepots, eines verlassenen unterirdischen Labors, oder einer zweckentfremdeten Arbeitsstätte vor, die allesamt den Eindruck erweckten nur für kurze Zeit dem Publikumsverkehr freigegeben worden zu sein, um alsbald wieder verschlossen und vergessen zu werden. Diese Räume inszenierten Geschichte, boten dem Betrachter Möglichkeiten für Assoziationen, oder die Gelegenheit, Fragen nach den Möglichkeiten und Bedingungen historischen Handelns, bzw. Nicht-Handelns zu stellen, ohne dabei auf gängige, eindimensionale Klischees zurückzugreifen. Die dadurch erzielte semantische Offenheit, nicht Unverbindlichkeit, verstärkte den Eindruck der einzelnen Kunstwerke.

Andere Raumbilder verneinten die unmittelbar spürbare historische Präsenz, indem sie sich mit den formalen Gegebenheiten der Ausstellungsräume auseinandersetzten und diese als Vorgaben, gewissermaßen als Bestandteil des Kunstwerkes verstanden. Das Kunstwerk behauptete seine eigene Identität, der Blick des Betrachters wurde im Werk konzentriert. Der Umraum diente hier höchstens noch als Projektionsfläche der gänzlich in den Dienst der Bildwirkung gestellt wurde.

Wieder andere Nischen benutzten das viereckige Raummuster als Hintergrund oder Rahmen der Werkpräsentation. Die Aura des Gewölbes wurde hier genutzt, um Bedeutungsschichten freizulegen, die das Kunstwerk in anderen, für die Rezeption von Kunst entworfenen Räumen nicht hätte entwickeln können. Hierzu gehörten auch die Arbeiten, die in dem unterirdischen Raum, der an sich unveränderlich ist die Außenwelt, die vergängliche Natur, das Licht der Sonne anmahnen.

Eine letzte Gruppe von Kunstwerken intervenierte kaum sichtbar in den Räumen; hier verschmolzen der ursprüngliche Zustand des Tiefbunkers mit den eingebrachten künstlerischen Veränderungen zu einer Einheit, die kaum mehr auflösbar war: Die ästhetische Manipulation machte sich beispielsweise das Unfertige oder Zerbröckelnde eines Raumes zunutze, um das Werk darin fast unsichtbar werden zu lassen. Die Kunst integrierte sich in ein anderes Sinnsystem, um dadurch die Strukturen des anderen Systems sichtbar und für den Betrachter erlebbar zu machen.

Obwohl alle Kunstwerke als autonome Arbeiten, die für sich selbst stehen können, konzipiert wurden, wurden sie im Kontext ihrer Präsentation in einem Bunker zu Teilen eines Gesamten, das im Rundgang durch die Ausstellung vom Betrachter erlebbar wurde. Jedes der Kunstwerke sollte zwar für sich, als Stellvertreter des semantischen Feldes KUNST gesehen, gelesen und gedeutet werden, erlangte aber in der konkreten Aufstellung innerhalb dieser Architektur und im Zusammenklang mit den jeweils benachbarten Werken, die durch die räumliche Aufteilung zwar nicht real, aber doch zumindest im Geist gegenwärtig waren, eine metaphorische Qualität, die sich auch verselbständigen und zu einem übergeordneten Sinnzusammenhang werden konnte.

Finanzierung und Organisation
Der Industrietempel e.V. als Veranstalter der Ausstellung verfügt über keine festgelegten Organisationsstrukturen, wie sie beispielsweise in einem Museum oder Kunstverein bestehen und für die Organisation eine solch umfangreichen Ausstellung eigentlich notwendig wäre. Es existieren weder ein Büro, noch eine Sekretärin noch sonstige für die Organisation einer Ausstellung wichtigen Infrastrukturen. Die Umsetzung und Organisation des Ausstellungskonzeptes lag also in den Händen der beiden Ausstellungsorganisatoren. Wobei auch hier notwendigerweise eine Arbeitsteilung vorgenommen wurde, da es sich nach kurzer Zeit als sinnvoll erwies die organisatorischen "Fäden" in einer Hand zu vereinigen.

Eine erste Besichtigung des Bunkers fand im Februar 1991 statt. Zwei Monate später entstand in einem ersten Arbeitsgespräch die Idee für TIEFGANG. In den darauffolgenden Wochen konkretisierte sich die Idee zu einem schriftlichen Konzept. Ursprünglich sollte die Ausstellung bereits im Herbst 1991 stattfinden.

In einer ersten großangelegten Mailing-Aktion wurde das Konzeptpapier an Kunsthistoriker und Kunstkritiker im ganzen Bundesgebiet verschickt, um sie für die Mitarbeit an der Ausstellung zu gewinnen. Eine erste Resonanz war überwältigend, nur wenige Absagen, allgemein positive Kritiken für das ungewöhnliche Konzept an dem noch ungewöhnlicheren Ort.

Allerdings zeichneten sich hier auch schon die erste Schwierigkeiten ab: einige der Kunsthistoriker machten ihre Mitarbeit von einem Honorar abhängig. Da zu diesem Zeitpunkt jedoch weder eine Kalkulation der zu erwartenden Kosten, noch ein Budget feststanden, konnten den Kunsthistorikern und Künstlern keine Zusagen über Honorare gemacht werden.

Eine erste Kalkulation ging von 40 teilnehmenden Künstlern aus, die für ihre Teilnahme eine Material- und Transportkostenpauschale von DM 400,- erhalten sollten. Die Druckkosten für Einladungen und Plakate wurden nach Erfahrungswerten geschätzt, Kostenvoranschläge hierfür lagen zu diesem Zeitpunkt noch nicht vor.

Erste Kalkulation
 Material- und Transportkostenpauschale 

für 40 Künstler á DM 400,-

 DM 16.000,-
 Druckkosten für Einladungen und Plakate  DM 6.000,-
 Druckkosten für Katalog  DM 30.000,-
 Versicherung  DM 2.000,-
 Personalkosten (Aufsicht)  DM 3.000,-
 Bürokosten (Porto, Telefon etc.)  DM 1.000,-
 Abbildungsvorlagen (Photos) für Katalog  DM 6.000,-
 Miete für Monitore und Videorecorder  DM 5.000,-
 Getränke für Eröffnung  DM 2.000,-
 sonstige Auslagen  DM 2.000,-
   
 Gesamt  DM 73.000,-

Die Finanzierung sollte hauptsächlich durch die finanzielle Unterstützung von privaten Sponsoren realisiert werden. Erste Anfragen bei der Stadtverwaltung über eine städtischen Zuschuß wurden negativ beantwortet, allerdings wurden Sachleistungen und unbürokratische Hilfestellungen in Aussicht gestellt. Die Miete und Kosten für Wasser und Strom wurden von der Stadt übernommen, ebenso die Kosten für die Belegung der Plakatsäulen der Stadt etc.. Der Bürgermeister des Dezernates V, Kultur Schulen und Sport, Lothar Mark verfaßte ein Empfehlungsschreiben, das den ersten Anschreiben an Firmen der Region beigelegt wurde. Dies war sinnvoll und notwendig, da die Organisation einer Ausstellung in freier Trägerschaft von einer nicht etablierten Kulturinstitution von vornherein eine schlechte Ausgangsposition darstellt. Der Industrietempel e.V. als Veranstalter hat sich zwar mittlerweile in der städtischen Kulturlandschaft etabliert und eine Nische im Kulturleben der Stadt ausgefüllt, doch aufgrund des eigenwilligen Ausstellungsortes und den relativ unbekannten teilnehmenden Künstlern ergaben sich von Seiten der Sponsoren gewisse Berührungsängste.

Eine erster Versuch der Sponsor-Akquisition zeigte kaum fruchtbare Ergebnisse. Die Ursachen hierfür lagen nicht zuletzt im ungünstigen Zeitpunkt unserer Anfragen (Juli/August 1991). Gezwungenermaßen wurde der Termin auf das Frühjahr 1992 verschoben. Dies war nicht die schlechteste Entscheidung, da sie allen Beteiligten mehr Zeit gab und somit nicht zuletzt auch der Qualität der Ausstellung zugute kam.

Um einer zweite Welle der Sponsorakquisition von vornherein mehr Erfolgsaussichten einzuräumen, wurde versucht eine erneute Anfrage terminlich so zu legen, daß sie in die Zeit der Budgetplanungen für das Geschäftsjahr 1992 fiel. Nahezu 150 mittelständische Betriebe und Großunternehmen mit Firmensitz in der Rhein-Neckar-Region wurden im November/Dezember 1991 angeschrieben. In dem Anschreiben wurden das Ausstellungsprojekt und der Veranstalter kurz vorgestellt und um eine Berücksichtigung im kommenden Haushalt für Werbung und Öffentlichkeitsarbeit gebeten. In einer zweiten Phase wurden die angeschriebenen Unternehmen telefonisch kontaktiert, um gegebenenfalls detaillierter über das Ausstellungskonzept zu informieren und die Möglichkeiten der Werbung auf den ausstellungsbegleitenden Drucksachen zu erörtern.

Nahezu 80% der angeschriebenen Firmen gaben bereits bei dieser Gelegenheit zu erkennen, daß sie an einer Zusammenarbeit nicht interessiert seien. Die übrigen Firmen wußten entweder noch nicht, ob und inwieweit sie sich einbringen möchten oder vertrösteten auf einen späteren Zeitpunkt. Parallel hierzu versuchten die Organisatoren, bereits bestehende Kontakte zu Sponsoren zu reaktivieren. Zeitgleich wurde auch die Möglichkeit genutzt sich mit dem Projekt beim Kunstfonds e.V. in Bonn und beim Fonds Soziokultur e.V. in Hagen zu bewerben. Beide Fonds vergeben Projektstipendien in Form von Teilfinanzierungen beispielhafter Ausstellungsprojekte.

Die Bemühungen, den budgetierten Kostenplan durch Sponsorgelder zu finanzieren, zog sich von Januar bis März 1992 hin. Die etablierten Kulturinstitutionen Mannheims zeigten sich hierbei nicht gerade kollegial und kooperativ, vielmehr wurden den Organisatoren Steine in den Weg gelegt, die das Projekt beinahe zum Scheitern brachten.

Durch die zögerliche Entwicklung der Bemühungen den Finanzierungsplan auf feste Beine zu stellen zeichnete es sich bereits im März 1992 ab, daß die kalkulierten DM 73.000 nicht zu beschaffen waren. Ein Umdenken und Umkalkulieren war erforderlich, als die Anträge bei den oben genannten Fonds für "nicht förderungswürdig" befunden und abgelehnt wurden.

Eine zweite Kalkulation, wurde erstellt. Die ersten Kostenvoranschläge für Einladungen, Plakate und Katalog ergaben für die Drucksachen einen zu veranschlagenden Kostenfaktor von insgesamt ungefähr DM 24.000,- (Einladungen DM 2.500,-, Plakate DM 1.500,-, Katalog, DM 20.000,-). Eine Möglichkeit die Kosten zu drücken, bzw. Geld zu sparen, war, die Künstler zu bitten, ihre Arbeiten in Sammeltransporten, z.B. aus Köln, Münster oder Düsseldorf nach Mannheim zu bringen. Es gelang den Organisatoren, die Künstler zu motivieren, ihre Arbeit selbst zu finanzieren und den Transport privat mit dem eigenen PKW oder kostengünstig mit anderen Künstlern zusammen zu organisieren. Somit konnten die relativ hohen Kosten für Transport und Materialzuschuß von DM 36.000,- auf ein Minimum reduziert werden.

Gleichzeitig wurde versucht, Kosten durch Sachspenden zu minimieren. Es gelang einen Photographen zu gewinnen, der die Abbildungsvorlagen für den Katalog zum Selbstkostenpreis herstellte. Eine Sektkellerei stellte den Sekt, ein Mineralwasserhersteller das Mineralwasser für die Eröffnung zur Verfügung, eine Papierfabrik lieferte das Papier für Einladungen und Plakate ohne Berechnung, ein Unterhaltungselektronikkonzern verlieh kostenlos Videorecorder und Monitore, ein Satzstudio stellte die Filme für Einladungen, Plakate und das Katalogcover her. Das Angebot einer koreanischen Lithoanstalt die Filme für den Katalog zum Selbstkostenpreis herzustellen, mußte aus Zeitgründen abgelehnt werden, da die Herstellung der Lithos in Korea drei Wochen in Anspruch genommen hätte. Auf diese Weise konnten von den veranschlagten DM 73.000,- fast DM 30.000,- eingespart werden.

Insgesamt wurden von sechs Sponsoren DM 16.000,- bereitgestellt, durch Einnahmen aus Eintrittsgeldern und Katalogverkauf wurden während der Ausstellung DM 15.000,- erwirtschaftet. Der Verkauf einer Teilauflage des Kataloges an einen Verlag, der eine Buchhandelsausgabe des Kataloges herausgab, brachte zusätzlich DM 3.000,-. Das sich ergebende Defizit von ca. DM 9.000,- wurde von den beiden Organisatoren privat aufgefangen.

Unabhängig von der relativ unsicheren finanziellen Situation liefen die Vorbereitungen zur Ausstellung seit Februar 1992 ungestört weiter. Die endgültige Liste der vorschlagenden Kunsthistoriker und der teilnehmenden Künstler stand zum Jahreswechsel 1991/92 fest. Ein Großteil der Künstler besichtigte im Januar/Februar 1992 den Bunker. Ein erster kollektiver Termin war der 15. März. Bis zu diesem Zeitpunkt sollten alle Künstler, die das Angebot des Photographen, ihre Arbeit innerhalb des Ausstellungsraumes zu photographieren, in Anspruch nehmen wollten, ihre Arbeit aufgebaut, bzw. gehängt haben. Etwas über die Hälfte der Künstler reiste zu diesem Termin an, um ihre Arbeit aufzubauen. Einige Kunstwerke waren bereits in den Ateliers entstanden und mußten nur noch im Bunker aufgebaut werden, andere Arbeiten entstanden vor Ort nach einem festgelegten Konzept und wieder andere entstanden, nachdem sich die Künstler zwei oder drei Tage im Bunker aufgehalten hatten.

Anfang April wurden Pressemitteilungen mit Abbildungsvorlagen an die verschiedenen monatlich erscheinenden Kunstperiodika und Stadtzeitschriften verschickt. Mitte April die Einladungen für die Pressevorbesichtigung an die Tageszeitungen, Rundfunk- und Fernsehanstalten. In der Woche vor der Pressevorbesichtigung wurden noch einmal per Fax die wichtigsten Zeitungen und Sender informiert.

Insgesamt wurden 8000 Einladungen und 1500 Plakate gedruckt. Aufgrund der pluralistischen Anlage der Ausstellung wurde, einem Schneeballsystem gleich, eine multiplikatorische Wirkung erzielt, die eine überregionale Werbewirksamkeit brachte. Jeder der teilnehmenden Künstler verschickte zwischen 50-100 Einladungen, in den Großstädten wurde von den Künstlern die Plakatierung der wichtigsten Kunstinstitute übernommen und nicht zuletzt durch Mund-Zu-Mund-Propaganda wurde für die Ausstellung erfolgreich geworben.

Nachdem die Texte gesetzt und die Abbildungsvorlagen hergestellt waren, begann im April die redaktionelle und gestalterische Arbeit am Katalog: Korrekturlesen, Layouten, Umbruch etc.. Mitte April ging der Katalog in Druck.

In der letzten Aprilwoche wurden die restlichen Arbeiten angeliefert und aufgebaut. Hierbei war einer der ausstellenden Künstler von großer Bedeutung: Norbert Kottmann aus Düsseldorf. Sein Ausstellungsbeitrag war die Übernahme der Funktion eines Hausmeisters. Aufgrund der obengenannten defizitären organisatorischen Strukturen ergab sich auch für die Betreuung der Ausstellung selbst ein Vakuum, das Kottmann als Hausmeister der Ausstellung ausfüllte und somit die Organisatoren erheblich entlastete.

Für die Dauer der Ausstellung (2. Mai - 21. Juni) verlegte er seinen Wohnsitz nach Mannheim. Er richtete im Rahmen seiner Tätigkeit ein Büro für die Ausstellungsleitung, einen Sozialraum und eine Werkstatt ein, half den Künstlern beim Aufbau, übernahm kleinere Renovierungs- und Instandsetzungsarbeiten, war während den Öffnungszeiten anwesend, verkaufte Eintrittskarten und Kataloge, koordinierte die Aufsichten und war kompetenter Ansprechpartner für die Presse und Fachpublikum. Ein Beitrag, der die klassischen Gattungsbegriffe der Kunstgeschichte sprengt und die Dienstleistung als künstlerische Arbeitsweise einführt und zur Diskussion stellt. Über die inhaltliche Dimension hinaus ein wertvoller Beitrag zum Gelingen der Ausstellung.

Für den offiziellen Teil der Eröffnung von TIEFGANG wurde einer der repräsentativen Prunksäle des Mannheimer Schlosses gemietet. Zum einen gab es innerhalb der Bunkeranlage keinen Raum, der groß genug gewesen für eine Eröffnungsfeier gewesen wäre, zum anderen wurde hierdurch eine direkte inhaltliche Verbindung zum Schloß geschaffen, die wiederum das Spannungsfeld Schloß-Bunker, Pracht-Ärmlichkeit, für den Vernissagegast direkt erlebbar machte. Kulturdezernent Lothar Mark und Jean-Christophe Ammann, Direktor des Museums für Moderne Kunst in Frankfurt eröffneten die Ausstellung vor 600 Gästen, die sich im Anschluß daran den Tiefbunker zentimeterweise durch die Ausstellungsräume voranschoben, wie es zuletzt am Ende des II. Weltkrieges gewesen sein könnte.

1.500 zahlende Besucher, zahlreiche Führungen und 200 verkaufte Kataloge wurden nach siebenwöchiger Dauer verbucht. Nicht nur für "Mannheimer Verhältnisse" ein außergewöhnliches Ergebnis.

veröffentlicht in: Der Kulturmanager. Erfolgskonzepte und Arbeitshilfen, hrsg. von Peter Braun, Stadtbergen: Kognos Verlag 1992

© 1992 Jan Winkelmann

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