AUSLÄNDER FREI
Jan Winkelmann
Jens Haaning agiert mit seinen
Projekten an der Grenze zwischen gesellschaftlicher Realität und institutionellem
Kontext. Diese lotet der dänische Künstler immer wieder auf ebenso
verblüffende wie hintergründige Weise aus. So verwandelte er
1997 die Berliner Galerie Mehdi Chouakri für die Dauer seiner Ausstellung
in ein Reisebüro. Die diesem Projekt zugrundeliegende Ausgangsüberlegung
war, dass für Kunstwerke und Reisen jeweils unterschiedliche Steuersätze
gelten (für Kunstwerke der reduzierte Mehrwertsteuersatz von 7% bzw.
für Reisen der normale von 16%). Der Kunde hatte also bei der Buchung
im Galerie-Reisebüro auf die gleiche Leistung eines Reiseveranstalters
automatisch einen Preisnachlaß von 9%. Wie dieses in einer steuerlichen,
operiert sein Projekt ”Office for Exchange of Citizenship”, das als ein
Work in Progress zunächst 1997 in der Wiener Secession und dann im
Rahmen der Ausstellung ONTOM
in der Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig 1998 zu sehen
war, in einer juristische Grauzone. Das Büro zum Tausch der Staatsbürgerschaft
ist vermittelnd, beratend und initiativ tätig. Ihm liegt die Idee
zugrunde, dass zwei Bürgern unterschiedlicher Nationalitäten,
die sich für die Staatsbürgerschaft des jeweils anderen interessieren,
die Möglichkeit gegeben werden sollte, diese gegenseitig zu tauschen.
Im internationalen Völkerrecht gibt es kein Gesetz, das den Staatsbürgerschaftstausch
explizit verbietet, allerdings aber auch keines, das ihn erlaubt bzw. vorsieht.
Während der Öffnungszeiten wurden interessierte Besucher von
Juristen beraten, die auch deren Staatsbürgerschaftstauschwünsche
entgegennahmen. Ein Dienstleistungsangebot im Dienste der Völkerverständigung.
Als modellhafter Versuch unterliegt dieses Beratungsangebot nicht dem Druck
tatsächlich realisierbar sein zu müssen. Haaning liegt es fern,
sich den großen utopischen weltverbessernden Entwürfen anzuschließen,
wie wir sie in der Kunstgeschichte der letzten hundert Jahre schon einige
Male scheitern gesehen haben, vielmehr operiert er im Beispielhaften, um
damit ein Bewußtsein zu schaffen, das anregt, eingefahrenes eindimensionales
Denken hinter sich zu lassen, um wiederum neue Möglichkeiten zu eröffnen
und sei es zunächst nur als Gedankenexperiment ohne die Aussicht auf
tatsächliche Realisierbarkeit.
In vielen seiner Werke thematisiert
Jens Haaning die Situation und die damit verknüpften Bedingungen des
Andersseins, von sozial Ausgegrenzten und von an den gesellschaftlichen
Rand Gedrängten, seien es Immigranten, Gastarbeiter, schwer erziehbare
Jugendliche oder psychisch Kranke. Dabei geht es dem Künstler weniger
um karitativ-seelsorgerische Ansätze. Ganz im Gegenteil, Haaning versucht
in seinen Projekten die oft nicht als solche anerkannte Normalität
dieser Menschen ins Bewußtsein zu bringen. Als ein erster Schritt,
das eigene Mißtrauen gegenüber der Andersartigkeit von anderen
zu überwinden, muß eine Akzeptanz geschaffen werden, die der
Künstler mit seinem Werk versucht ein Stück weit auf den Weg
zu bringen.
„Ausländer frei“. Diese
beiden Worte neben den Eintrittspreisen eines deutschen Museums mögen
den Besucher zunächst irritieren. Allzu sehr durch die Diskussion
um Asylrecht, Green Card, Ausländerfeindlichkeit usw. sensibilisiert
fällt einem zunächst gar nicht auf, dass es sich vielleicht nicht
um das negativ konnotierte, fremdenfeindliche Adjektiv „ausländerfrei“
handelt, sondern um die großzügige Geste, Ausländern freien
Eintritt zu gewähren. Die Zweideutigkeit, die der scheinbar lapidare
Hinweis zunächst suggeriert, verweist jedoch auf die allgemeine Konditionierung,
dies zunächst in seiner vermeintlich negativen Bedeutung zu lesen.
Und selbst wenn man es nicht gleich in dieser Form wahrgenommen hat, drängen
sich doch im gleichen Moment weitere Fragen auf, die dieses Projekt im
vielfach Ambivalenten verharren lassen: Ist es nun Gastfreundschaft, Almosen,
Parole oder Bekenntnis zu Internationalismus und globalem Denken, das dahinter
steht? Vom Künstler bekommen wir darauf keine Antwort.
Veröffentlicht in: I
Believe in Dürer, Ausst.Kat. Kunsthalle Nürnberg (Verlag
für Moderne Kunst), 2000
© 2000 Jan Winkelmann
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