Strategie und
Nachhaltigkeit. Die künstlerische Praxis von Benita-Immanuel Grosser
Jan
Winkelmann
Benita-Immanuel Grosser, das
Künstlerpaar mit dem zu einem Gemeinsamen verschmolzenen Vornamen,
praktiziert seit 1987 Yoga. Neben ihrem Studium an den Kunstakademien in
München und Stuttgart haben beide das Meisterdiplom der Internationalen
Sivananda Yoga Vedanta Organisation erworben. Nahe liegend war demnach, beide
üblicherweise nicht in Verbindung miteinander stehende Bereiche Kunst und
Yoga zusammenzuführen und in der Summe etwas zu schaffen, das mehr als die
beiden Einzelteile für sich darstellt.
Zunächst als eine
Erweiterung der Galeriepraxis der Pat Hearn Gallery gaben Grosser 1995
über einen Zeitraum von 18 Monaten wöchentlich Yoga-Stunden inmitten
der jeweiligen Ausstellungen der New Yorker Galerie. Die unter dem Titel
"participating, at the same time" stattfindenden Yoga-Sessions sind
per se jedoch nicht als Kunstpraxis zu verstehen. Vielmehr wurde und wird mit
den auf Meditation und körperliche Entspannung gerichteten
Yogaübungen ein zusätzlicher, vorher nicht vorhandener
temporärer Wahrnehmungsraum geschaffen. Dieser verschmilzt für den
Zeitraum der Sessions mit dem Rezeptionsraum der Ausstellung und erweitert
diesen auf ungewöhnliche Weise. Der Besucher/die Besucherin wird zum
Akteur und damit zum Teil eines Prozesses, der sowohl mental als auch physisch
neue Wahrnehmungsmöglichkeiten bietet. Je weiter er/sie sich mit Hilfe der
Yogaübungen von der Rolle des Betrachters/der Betrachterin entfernt und
durch die "Zurückhaltung des Geistes" eine neue Ebene der
"inneren Achtsamkeit" erfährt, desto größer wird die
Diskrepanz zwischen dem Betrachter als Teil des ihn umgebenden Raumes und der
Lösung des Geistes von den körperlichen Grenzen. In diesem Zustand
wird durch die Konzentration auf das innere Zentrum und die Kontrolle des
Körpers eine Veränderung der Eigen- wie Außenwahrnehmung
erreicht, die wiederum eine neue Erfahrung des Raumes und der in ihr
stattfindenden Ausstellung ermöglicht.
Im Laufe der Jahre erweiterten
Benita-Immanuel Grosser folgerichtig sukzessive ihren Handlungs- und
Wirkungskreis. Nach den Stunden in der Pat Hearn Gallery nutzten sie Dan
Grahams Pavillon auf dem Dach des Dia Center im Mai und Juni 1997, bevor sie zu
einigen Gruppenausstellungen in Europa eingeladen wurden. Im Vergleich zu den
erwähnten "Einzelprojekten", bei denen ein Galerieraum oder im
Falle Grahams eine skulptural-architektonische Arbeit für eine kurze Zeit
mit einer anderen als der mit ihr üblicherweise verbundenen Praxis
"besetzt" wurde, ergab sich mit der Teilnahme an Gruppenausstellungen
die Notwendigkeit einer Erweiterung des Handlungsrahmens um eine
ästhetische Materialisierung. Diese wurde von Grosser auf unterschiedliche
Weise realisiert. Im Rahmen der Ausstellung ONTOM (Galerie für
Zeitgenössische Kunst Leipzig, 1998) entstand ein Plakat mit den
"Twelve Basic Postures of Yoga". Zur Ausstellung "Ich ist etwas
Anderes" (Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 2000) wurde
eine CD mit Anleitungen zu Yoga-Übungen produziert und begleitend zu ihrem
Projekt während der Ausstellung "Changes Possible" (Kiel 2001)
entstand ein weiteres Plakat auf dem die Techniken der Meditation nach Swami
Vishnu Devananda, dem spirituellen Meister Benita-Immanuel Grossers, wiedergegeben
wurden. Diese Handlungs- und Gebrauchsanweisungen zu Meditations- und
Yoga-Übungen erlaubten dem Teilnehmer/der Teilnehmerin nach den Sessions
vor Ort, ihre Praxis über das eigentliche Projekt im Rahmen der
Ausstellung hinaus im Privaten fortzuführen. "participating, at the
same time" ist als ein fortlaufendes Projekt konzipiert, bei dem sich
sowohl unterschiedliche kulturelle, wie auch soziale Handlungsfelder
überschneiden. Die Idee der Vernetzung und die daraus entstehenden Synergieeffekte
sind ein zwar von Benita-Immanuel Grosser vorher nicht planbares, jedoch ein
umso erwünschteres "Ergebnis".
Bei Ausstellungsbeteiligungen
spielen die Yoga-Aktivitäten Grossers im Sinne eines Unterwanderns der
Konventionen, die innerhalb der klassischen musealen Institution gelten, eine
weit wichtigere Rolle, als dies noch in der Pat Hearn Gallery der Fall war. Wo
es sich hier noch um einen halböffentlichen Raum handelt, ist mit musealen
Räumen nicht nur eine Erweiterung des Wirkungsfeldes und dadurch eine
wesentlich größere Publikumsbeteiligung, sondern vor allem auch ein
anderer Begriff von Öffentlichkeit verbunden. Dies gilt um so mehr, je
historischer und - im landläufigen Sinne - "klassischer" die
ausgestellten Kunstwerke und die damit einhergehenden Verhaltenscodes sind. In
diesem Sinne bot die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen für Grosser den
bisher vielleicht "traditionellsten" Rahmen. Hierbei ergab sich
insbesondere in der Nähe zu einem Gemälde von Jackson Pollock ein
prototypisches Gegensatzpaar, auf der einen Seite mit der Materialisierung
einer ausbrechenden künstlerischen Urgewalt (Pollock) gegenüber einem
fast spirituellen introspektiv-reflektierenden Blick (Yoga) auf der anderen
Seite, der von außen kommend sich immer weiter davon lösend nach
innen richtet und am Ende wieder eine gänzliche andere Erfahrung des
Außen ermöglicht. Hierbei spielt sowohl das individuelle Erleben des
eigenen Selbst im Verhältnis zum eigenen Ich aber auch in Relation zu dem
umgebenden Anderen eine zentrale Rolle. Die Erfahrung des gemeinsam gesungenen
Mantras "OM" zu Beginn und am Ende der Sessions spiegelt noch einmal
diese Parallelität von subjektiver Empfindung und kollektiver Erfahrung.
In Benita-Immanuel Grossers
Projekt spielt der Gedanke von Nachhaltigkeit eine zentrale Rolle. Die
Konsequenz, mit der sich ihre Haltung seit 1995 in jedem einzelnen
Ausstellungsbeitrag widerspiegelt, widerspricht den kurzfristigen operativen
Strategien und modischen Attitüden vieler zeitgenössischer
Künstler. In diesem Sinne sind Grosser aber auch immer in gleichem
Maße auf das Commitment der Institutionen in denen sie arbeiten
angewiesen. Erstaunlicherweise ist die Bereitschaft von Kuratoren und
Museumsdirektoren sich auf diese Reise ins Innere und dem damit scheinbar
verbundenen "Loslassen" von dem, ihre Position üblicherweise
definierenden Machtpositionen einzulassen eher gering (wer gibt sich schon
gerne die Blöße, barfuss und im Trainingsanzug schwitzend inmitten
seiner Mitarbeiter und Besucher einen Kopfstand zu üben). Dabei kann es
ein so wunderbares Erlebnis sein, einen Jackson Pollock einmal entspannt im
Savasan (Totenstellung) liegend, vom Boden aus zu betrachten.
Veröffentlicht
in: Changes Possible, Kat. Kunstprojekte in Kiel, 2001
© 2001 Jan
Winkelmann