Intuitive Formalismen

Jan Winkelmann

Heimo Zobernig bemerkte einmal lakonisch, er sei kein Künstler, sondern Wissenschaftler und Historiker. Diese Äußerung mag auf den ersten Blick kokett anmuten, wenn man bedenkt, daß er in erster Linie im Kunstkontext und nicht im wissenschaftlichen Rahmen rezipiert und diskutiert wird. Dennoch will dieses Statement ernstgenommen werden, obgleich sein künstlerisches Werk nur bedingt mit der lexikalischen Definition von „Wissenschaft“ im Einklang steht. Allzu sehr ist diese Begriffsbestimmung mit spezifischen Methoden wie Induktion, Deduktion, Hermeneutik etc. verknüpft und infolgedessen zielgerichtet, weil auf einen Zweck bezogen. Gleichfalls sollten Erkenntnisse, die den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erheben, in nachvollziehbaren Argumenten ihre Gültigkeit nachweisen können, d.h. sie müssen verifizierbar oder widerlegbar sein. Obgleich sie diesen „Standards“ nicht genügen, ist Zobernigs künstlerische Vorgehensweise mit der eines Wissenschaftlers vergleichbar: rational, analytisch, kritisch. Wenngleich sein Bestreben auch nicht auf einen an Absolutheitsansprüchen ausgerichteten Erkenntnisgewinn übergeordneter Bedeutung zielt, so ist seine kritische und stellenweise ironische Auseinandersetzung mit kunsthistorischen Erscheinungen wie Formalismus, Minimalismus und der Frage nach Funktion, Repräsentation, Autonomie und Präsentation von Kunst vom Pragmatismus der Oberfläche gekennzeichnet.

„What you see is what you get“, das Credo der Minimal-art fand in der Abkürzung WYSIWYG auf charmante Weise Eingang in die außerkünstlerische Wirklichkeit, indem die Software-Industrie mit dieser kryptischen Buchstabenfolge die Vorzüge der benutzerfreundlichen Windows-Oberfläche auf einen Punkt zu bringen verstand. WYSIWYG sind auch Zobernigs Skulpturen und Gemälde, wenngleich sich hieraus noch lange keine Affirmation der Minimal-art ableiten ließe. Ganz im Gegenteil, der offensichtlich handgemachte Charakter der Objekte steht im erklärten Gegensatz zur von den Minimal-Künstlern preferierten und postulierten Anonymität und Normierung durch industrielle Fertigung. Obgleich Zobernig durch den Gebrauch von dezidiert unkünstlerischen und unedlen Materialien ein ähnlich unpersönliches „Resultat“ erzielt, wie sie für die Werke des Minimalismus charakteristisch sind, haben wir es hier in den meisten Fällen mit leichten Stoffen und darüber hinaus mit bereits recycelter Materie wie Karton und Preßspan zu tun. Auch sind die Einzelwerke Zobernigs nicht mit der minimalistischen Serialität zu vergleichen, obzwar beiden durch das Emotionslose, wenig Expressive und infolgedessen Unkünstlerische eine augenscheinliche Sachlichkeit des Werkes zu eigen ist. Diese Reduktion auf das Wesentliche ist oft als Abstraktion mißverstanden worden. In Wirklichkeit wird hier nicht abstrahiert, sondern so weit wie möglich reduziert, um zu einer denkbar einfachen, quasi-funktionalen Form zu kommen.

Der ausgeprägte formale Reduktionismus vieler Werke des Künstlers rückt sie an die Grenze des Lapidaren. Diese Qualität verleiht ihnen die Kraft des beiläufigen, des fast-unsichtbaren. Entkleidet von jeglicher verzierenden Attitüde offenbaren sie uns das Wesenhafte ihrer selbst. Nichts lenkt ab von ihrer Funktion, die nur sich selbst repräsentiert und keine inhaltliche Projektion erlaubt. Bereits Immanuel Kant verweist in der „Kritik der reinen Urteilskraft“ darauf, daß „in aller schönen Kunst das Wesentliche in der Form besteht.“ Die Dialektik von Inhalt und Form scheint zerrissen, der Weg für den reinen Formalismus geebnet. Streng genommen vollzieht sich eine Trennung von Kunst und Leben, die daraus resultierende, erwartete Entwertung der Wirklichkeit als Bezugspunkt für die Kunst tritt hingegen nicht ein. Zwar ist Zobernigs Werken ein eingeschränktes Verhältnis zur Wirklichkeit, im Sinne einer sozialen Erkenntnisfunktion der Kunst inhärent, doch verweisen sie immer auch auf die Bedingungen ihrer Präsentation. Dem reinen, zum Spiel mit Formelementen und Gestaltungsmitteln verkommenen Ästhetizismus entgegnet der Künstler mit den auf ihren (Kunst-)Kontext gerichteten Bezügen. Damit negiert er bewußt die tendenzielle Isolierung und alleinige Wertschätzung der Form an sich, wobei es sich nicht um eine Strategie im Sinne von „Formalismus als Formalismuskritik“(1)  handelt. Trotz eines Mangels an metaphysischen Inhalten lassen sich seine Werke nicht auf die „reine“ Form reduzieren. Der umgekehrte Fall würde implizieren, daß sie auch außerhalb des Kontextes ihrer Präsentation als autonome Kunstwerke rezipierbar wären. Da ihre Funktion und somit ihr kritisches Potential in erster Linie auf diesen Kontext ausgerichtet ist, scheinen sie ohne diesen wirkungslos. Die intuitiven Formalismen Heimo Zobernigs entziehensich unbemerkt immer wieder einer haarscharfen Trennung zwischen Form und Inhalt.

Zobernigs Vorgehen weist gewisse Affinitäten zur Linguistik auf, es scheint, als ob – hier wie dort – vergleichbare Wahrnehmungsmechanismen zur Anwendung kommen. Die Objekte lassen sich mit einfachen Begriff benennen. Dadurch kommt ein Wort bzw. Sprache ins Spiel. Diese steht in einem erklärten Verhältnis zum Objekt. Begriff und Objekt sind veränderbar, wodurch sich möglicherweise auch ihre Beziehung zueinander verändert. Diese Spielräume und Wechselbeziehungen interessieren den Künstler. Es mutet an, als funktioniere Zobernigs Kunst wie ein Sprachsystem. Einzelne visuelle Konstanten werden – Buchstaben ähnlich – miteinander kombiniert, um eine übergeordneten, den Einzelteilen nicht inhärenten, Sinninhalt zu vermitteln. Das gesamte Oeuvre des Künstlers ist durchzeichnet vom Hang zu derartigen formalen Ordnungssystemen. Sie ziehen sich als eine „lexikalische Obsession“ wie ein roter Faden durch sein Werk. Zobernig selbst bringt dies wie folgt auf einen Punkt: „Ordnen, die Orte der Dinge und die der Begriffe in ihrer isolierten Form bestimmen und ihre Verbindungen zeigen.“ Neben Buchstaben finden sich immer wieder Zahlen, die Grundfarben und einfache geometrische Formen, wie Kreis, Linie, Quadrat und Rechteck. Mit dem Einsatz solcher, auf wenigen formalen Grundeinheiten aufgebauter, Ordnungssysteme rekurriert der Künstler auf vermeintlich objektive Prinzipien, die seinen Werkgruppen eine ähnlich sachliche, durchschau- und erkennbare Systematik zugrunde legen, wie sie dem jeweiligen System außerhalb der Kunst zu eigen ist. Jene Rückgriffe auf standardisierte und genormte Systeme gewährleisten eine weitgehende Entsubjektivierung der künstlerischen Arbeit, ironisieren jedoch gleichzeitig die angewandte Systematisierung. Dieser Pragmatismus erlaubt es ihm aber auch, sich immer wieder – und auf unterschiedliche Weise – selbst zu zitieren. Nicht selten greift er auf existierende, bereits realisierte Werkideen zurück, um sie in anderen inhaltlichen Zusammenhängen neu zu präsentieren und somit durch den veränderten, spezifischen Kontext neue Perspektiven und Gesichtspunkte zu gewinnen. Eine derartige, sich selbst kommentierende – und auf gewisse Weise historisierende – Praxis ist gekennzeichnet von einem Höchstmaß an – bisweilen ironischer – Distanz zur eigenen Arbeit.

Kehren wir zum Ausgangspunkt zurück: Zobernig als Wissenschaftler. In einigen langfristig angelegten Projekten, wie der „Farbenlehre“, dem „Lexikon der Kunst 1992“ und dem in Kürze zu realisierenden Projekt einer „Bibliographie der konstruktiv-konkreten, geometrisch-abstrakten Kunst“ (siehe hierzu den Aufsatz von Dirk Snauwaert in diesem Band) macht sich der Künstler ein wissenschaftliches Instrumentarium für seine subversive Strategie zu eigen. Die zusammen mit Ferdinand Schmatz verfaßte „Farbenlehre“ gibt in historischer Reihenfolge einen Überblick über die Geschichte der Farbtheorien von Wissenschaftlern, Philosophen, Dichtern und Künstlern. Die gewählte Methode der umfassenden chronologischen Aufzählung in einer betont objektiven und kommentarlosen Diktion, erinnert an wissenschaftliche Vorgehensweisen, imitiert diese sogar, jedoch weniger um eine Aussage zu vermitteln, sondern alleine um darzustellen. Die hier vorgegebene ästhetisch-analytische Struktur verfolgt einen geradezu anti-wissenschaftlichen Ansatz, da sich durch die Fülle der vorgestellten, zum Teil zueinander inkompatiblen Theorien letztlich eine inhaltliche Relativierung der dargestellten Modelle ergibt. Zobernig und Schmatz beschäftigen sich mit Farbenlehre wie mit einer – von ihnen definierten – (Pseudo-)Wissenschaft. Sie umgehen mit diesem Kunstgriff, die Notwendigkeit sich real-wissenschaftlich mit dem Thema auseinanderzusetzen, was sie tun müßten, wenn sie sich im Einzelfall mit den von den einzelnen Farbtheorien tangierten wissenschaftlichen Disziplinen, wie Physik, Kunst, Literatur beschäftigten. Das scheinbar historisch-wissenschaftliche Vorgehen gibt den Künstlern die Freiheit, sich eines Kommentars entziehen zu können. Obgleich dieser wiederum gerade eine wissenschaftliche Arbeit ausmachen würde, wird auf diesem Wege letzten Endes eine Annäherung zwischen wissenschaftlicher und künstlerischer Erkenntnistheorie erreicht.

Ähnliche quasi-wissenschaftliche Codes benutzte Zobernig im „Lexikon der Kunst 1992“. Die formale Struktur eines Lexikons aufnehmend, werden in diesem Buch unzählige Namen und Begriffe, die einem zeitgenössischen Kunstkontext entstammen oder sich auf diese Bereiche beziehen, in alphabetischer Reihenfolge gelistet. Durch die subjektive Auswahl ergeben sie eine persönliche Sicht des Künstlers auf den Kunstbetrieb der Gegenwart, die – obwohl auch wieder kommentarlos aneinandergereiht – alleine durch die Selektion der Begriffe ein Statement darstellt. Zobernig bedient sich hier bedingt – die einzelnen Begriffe werden nicht erläutert oder näher erklärt – der formalen Ebene eines wissenschaftlichen „Vokabulars“, was sich jedoch im nächsten Moment als Paradoxon entlarvt. Wie in vielen seiner Werke oszillieren auch diese kurz skizzierten Projekte auf ambivalente Weise zwischen Gebrauchsgegenstand und Kunstgegenstand, zwischen Funktion und Repräsentation. In diesem Sinne reihen sie sich nahtlos in das formal-wissenschaftliche Ordnungssystem Zobernigs ein, das der Künstler in wenigen Sätzen auf den Punkt zu bringen weiß: „Es gibt immer diese Ebene, daß man etwas wiedererkennt, seien es Dinge aus der Alltäglichkeit oder Formen, die man aus der Kunst kennt. (...) Ich lege alles offen, ich will nichts verrätseln. Es ist nicht meine Absicht, über Symbole eine Welt zu öffnen, zu transzendieren. Meine Arbeiten stemmen sich sozusagen gegen ihren symbolhaften Einzelstatus, sie sind Elemente, die man aber auch einzeln zeigen kann.“

(1)  Vgl. Thomas Trummer: Formalismus als Formalismuskritik, in: Formalismus, Ausst. Kat. Wien (Österreichische Galerie Belvedere) 1997

veröffentlicht in: Kunst und Text, Ausst. Kat. Bonner Kunstverein, Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig, Kunstverein München 1998

© 1998 Jan Winkelmann

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