Tilo Schulz und Jan Winkelmann im Gespräch über "e.w.e. – exhibition without exhibition"

Jan Winkelmann: Ich wurde von Documents eingeladen, für diese Ausgabe der Zeitschrift eine virtuelle Ausstellung zu "kuratieren". Ich habe Dich zu dieser Soloshow eingeladen, weil Du gerade an einem Projekt arbeitest, daß man – wenn auch anders – ebenfalls als virtuell bezeichnen könnte. Worum geht es in dem e.w.e.-Projekt?

Tilo Schulz: Im ersten Schritt steht, wie bei den meisten Ausstellungen, das allgemeine Interesse, Arbeiten von KünstlerInnen zu vermitteln, im Vordergrund. Im zweiten sind es konkrete Haltungen und Strategien, die mich reizen. Die Auswahl der KünstlerInnen erfolgte also nicht nach einem von mir vorgegebenen Thema, sondern nach den Arbeitsweisen der KünstlerInnen. Wichtig war hierbei das Verständnis, daß Kunstvermittlung auf verschiedenen Ebenen abläuft und eine Ausstellung eben nicht zwangsläufig erfolgreicher sein muß als eine Publikation, ein Vortrag oder eine Einladungskarte. Hierfür gibt es ein wunderbares Beispiel: Rudolf Bumiller hatte 1977 über den Raffael-Versand (später Annette Gmeiner Galerie) Einladungskarten für die Ausstellung "Two realy good paintings" verschickt. Noch während der Ausstellung wurde er von verschiedenen Galeristen gebeten, Dias der Bilder zu schicken. Diese hatten jedoch nie existiert. "e.w.e. – exhibition without exhibition" unterscheidet sich von den Positionen der 70er Jahre, da die kritische Analyse der Ausstellungspraktiken um eine aktive Vermittlungshaltung erweitert wird. Kurz gesagt: die Strategien, Haltungen und Arbeiten der sechs KünstlerInnen sollen über eine Publikation, Presse, Poster und eine ausgedehnte Vortragstournee vermittelt werden, eine eigentliche Show gibt es nicht.

Was war der Ausgangspunkt, wie kam es zu dem Projekt?

TS: Lawrence Weiners Statement, daß eine Arbeit als Idee existieren kann, Seth Siegelaubs Kalenderausstellungen bis zu Regina Möllers Magazin "Regina" ... es ist kein Problem eine solche Linie aufzubauen. e.w.e. funktioniert auch sicherlich auf dieser Basis, aber es gibt noch eine andere Entwicklung. In den 80ern hat die Ausstellung als Vermittlungsmöglichkeit durch eine enorme Katalogproduktion, Kunstzeitschriften, Fanzines und andere Diskussionsformen an Dominanz verloren. Künstler wie Klaus Merkel mit seinen Katalogbildern oder Ute Meta Bauer mit "Meta" haben darauf reagiert. Die billigen 80er Jahre Kataloge sind professionell layouteten und informativen Publikationen der 90er gewichen. Es gibt wenige Ausstellungen, die ohne Katalog funktionieren, aber es gibt viele Kataloge, bei denen die eigentliche Show nur noch Nebensache ist – ein unnötiges Anhängsel. Du hast mit Jens Haaning und Plamen Dejanov & Swetlana Heger zusammen gearbeitet und versuchst ähnliche Ansätze zu zeigen. Aber im Gegensatz zu e.w.e., das ein selbstorganisiertes und selbstgetragenes Projekt ohne Show ist, organisierst Du als Kurator Ausstellungen in der Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig. Wo siehst Du die Vor- und Nachteile?

Du meinst den Vorteil von einer Ausstellung gegenüber einem Projekt ohne Ausstellung? Ich sehe das weniger als ein "entweder oder", sondern vielmehr als ein "sowohl als auch". Mit dem e.w.e-Projekt, wie auch mit Deinem Beitrag für die Ausstellung ONTOM wird ja letztlich der institutionelle Vermittlungsrahmen erweitert. Ich hätte als Instrument der institutionellen Vermittlung z.B. niemals Polo-Shirts mit Statements von den KünstlerInnen über ihre Arbeit anfertigen lassen. Genauso wenig wie ich ein Promotion-Team, das Informationen über die neu eröffnete Galerie verteilt, in die Stadt geschickt hätte. Auf der anderen Seite könnte ich mir aber vorstellen, daß wir das in Zukunft tun. Interessant bei dieser Art von Arbeiten ist ja gerade die Grenzüberschreitung in andere Bereiche kultureller und nicht-kultureller Produktion. Jens Haaning mit seinem "Office for Exchange of Citizenship" stößt in einen Bereich vor, der modellhaft ein Szenario andenkt, das nur im "zweckfreien" Raum der Kunst wertfrei gedacht und durchgespielt werden kann. Wenn davon dann tatsächlich Impulse für das reale Leben ausgehen, wäre das wünschenswert, es muß aber nicht sein. Es gibt keinen Rentabilitäts- bzw. Erfolgsdruck. Bei Plamen und Swetlana ist das ähnlich, sie adaptieren ökonomische Strategien, um sie in ästhetische und funktionale Prozesse umzusetzen, die wiederum einen Mehrwert (im wahrsten Sinne des Wortes) kreieren. Wenn sich nun KünstlerInnen auf diese Art Strategien, die primär nichts mit künstlerischer Produktion zu tun haben, aneignen und diese in einer ästhetischen Umsetzung im institutionellen Rahmen präsentieren, werden nicht nur die Strategien an sich hinterfragt, sondern auch der institutionelle Rahmen, in dem sich das abspielt. Den Unterschied von Deinem Projekt für ONTOM und e.w.e. zu den eben genannten Arbeiten sehe ich darin, daß Du Dich ganz auf den institutionellen "Funktionsapparat" konzentrierst und den Kunstkontext dabei im wesentlichen nicht verläßt. Es finden keine Grenzüberschreitungen in andere Bereiche statt. Es ist vielmehr eine Art Analyse, die ausgehend von historischen Modellen, wie Du sie eben beschrieben hast (Siegelaub, Weiner, Merkel), zeitgemäß weitergedacht werden, um dann vielleicht Auswirkungen zu haben auf existierende Strukturen. Aber letztlich "brauchst" Du ja für Deine Projekte die existierenden Strukturen, weil sie nur innerhalb derer funktionieren. Ich mache Ausstellungen, die sich an einem Ort, der Galerie, materialisieren. Mit e.w.e. wird dieses institutionelle "Modell" partiell aufgelöst und damit zum Teil in Frage gestellt. Aber immerhin benutzt Du ja den Begriff Ausstellung, der eine Erwartungshaltung impliziert, welcher ja im gleichen Moment durch den Titel entgegengearbeitet wird. Was mir interessant erscheint, ist, daß Du, neben dem Aspekt der Vermittlung, auf das "Künstler als Kurator"-Modell rekurrierst, das ja ein sehr altes Modell ist. Ich sehe allerdings den Unterschied darin, daß es Teil Deiner künstlerischen Strategie ist und nicht ein "Nebenschauplatz", wie bei anderen KünstlerInnen, die Ausstellungen organisieren.

Kannst du etwas zur Auswahl der KünstlerInnen sagen? Welche Kriterien waren im Spiel?

Du hast völlig Recht, daß Projekte wie e.w.e. nicht den Kunstkontext verlassen. Die Ignoranz der institutionellen Vermittlung wäre somit ein reiner Suizidversuch. Vielmehr geht es um ein Ausreizen vorhandener Methoden und ein Zusammenführen von zeitgenössischen künstlerischen Strategien mit den für sie optimalen Vermittlungsansätzen. Das Auftauchen von künstlerischen Arbeiten, die nicht notwendigerweise an eine Umsetzung als Show gebunden sind, war der Auslöser für e.w.e., nicht umgekehrt. Hier möchte ich auf Deine Frage nach der Wahl der KünstlerInnen und den Kriterien dafür zu sprechen kommen.

In Nathan Coleys "Urban Sanctuary – A Public Art Work" (1997) sind Herangehensweisen ähnlich wie bei e.w.e. zu finden. Als Ergebnis einer Einladung zur Zusammenarbeit mit Architekten und Designern an einer Renovierung veröffentlichte er eine Publikation mit Interviews über den Nutzen von Architektur, die Grundbedürfnisse von Menschen im Zusammenhang eines "urban sanctury" und wie sich diese Bedürfnisse verändern. Der Diskurs als Form von Öffentlichkeit und die Diskussion als eine Möglichkeit der Realisation. Die Publikation bot Raum für die Interviews mit acht Leuten und war Vermittlungs- bzw. Verbreitungsmedium in einem. Olaf Nicolai hat von jeher das Veröffentlichen als wesentlichen Bestandteil seiner Arbeit begriffen. Für das Editionsprojekt "Die Gabe" lädt Nicolai seit 1993 regelmäßig Historiker, Philosophen, Künstler etc. ein, einen Beitrag zu einem frei gewählten Thema zu erarbeiten. "Die Gabe" wie auch die von ihm kuratierte Ausstellung "private mix" (1996) zeigen Nicolais Interesse, "Raum" für die Ideen, Sichtweisen, Vorstellungen anderer zu schaffen. Mit solchen Präsentationsflächen haben ebenfalls Plamen Dejanov und Swetlana Heger in ihren "For Rent"-Projekten hantiert. Billboards, Ausstellungsflächen oder -kojen konnten gemietet werden. Der Unterschied: die Entscheidung über die Präsentation traf nicht das Künstlerpaar, sondern der Mieter, indem er bezahlte. In ihren "On Holiday"-Arbeiten taucht zudem neuerdings das Prinzip der Abwesenheit bzw. Verlagerung künstlerischer und institutioneller Praxis auf, das mit der Nichtrealisierung der Show eine wesentliche Rolle bei e.w.e. spielt. Fragen nach der Möglichkeit, an welchen "Plätzen" Kunst stattfinden kann und deren Definition, das Interesse an den Umständen von Präsentation, das Schaffen von Publikum über Anzeigen und Werbevideos sowie ein lockerer Umgang mit Realisation und Nichtrealisation sind Bestandteile zweier langfristig angelegter Projekte Sandra Hastenteufels: "Informationsdienst" (mit Ute Meta Bauer, Tine Geissler) und "Platz und andere Unendlichkeiten". Mein Interesse an Jens Haanings Arbeit ist der von Dir oben beschriebene Status zwischen Modell/Inszenierung und Realität.

Es wird deutlich, daß alle eingeladenen KünstlerInnen einen offenen Umgang mit Vermittlung haben und sich nicht auf völliges Neuland begeben. Mein Ansatz ist nicht der, ein Thema aufzustellen und dann KünstlerInnen einzuladen, dieses zu illustrieren. Ich wollte aufgrund der eben beschriebenen vorhandenen Arbeitsweisen ein für die KünstlerInnen interessantes Projekt entwickeln. Eine Reaktion sowohl auf die inneren Gegebenheiten (Haltung, Strategien, Arbeitsweisen der Produzenten) als auch auf die äußeren (Vermittlungsmethoden, Rezeptionsverhalten).

Könntest Du ein wenig genauer auf e.w.e eingehen und erklären, was hier genau passiert.

Es ist eigentlich ganz einfach. Die KünstlerInnen haben Arbeiten und Projekte entwickelt, die in einzelnen Broschüren veröffentlicht werden. Auf der Basis dieser Kataloge werde ich auf eine europaweite Vortragstournee gehen. Hierbei werden die konkreten Arbeiten im Mittelpunkt stehen. Umrahmt wird dies von einer aktiven Pressearbeit mit Previews (haben schon stattgefunden), Presseinformationen, Postern, Postkarten, Werbung, Artikeln. Die sogenannten Randgebiete einer Ausstellung stehen im Mittelpunkt.

Zu den einzelnen Arbeiten will ich hier nicht so ausführlich Stellung nehmen, da ich den Vorträgen und den Publikationen nicht vorgreifen will. Statt dessen werde ich kurz an zwei Beispielen die Reaktion auf die e.w.e.-Charaktere beschreiben.

Jens Haaning hat seit einigen Jahren mit der Architektengruppe "VERTEX Arkitekter maa" an dem "Faserstoffprojekt" gearbeitet. Es geht um die Revitalisierung einer gesamten Region nördlich von Berlin. Für e.w.e. gibt er eine Broschüre heraus, die dieses Projekt werbewirksam vorstellt. Er dreht also den Spieß um: Ich hatte ihn um eine Arbeit gebeten, die für e.w.e. nicht realisiert wird und mit der ich meine eigene künstlerische Position zeigen könnte. Statt dessen nutzt er die finanziellen und öffentlichkeitswirksamen Möglichkeiten von e.w.e. aus, um später mit den Architekten auf eine Realisierung hinarbeiten zu können. Die Entscheidung einer Realisation fällt bei der Arbeit von Dejanov & Heger nicht der Künstler oder der Kurator, sondern der Nutzer. Ihr Beitrag ist ein leeres Heft, das als Tage-, Notizbuch oder Fotoalbum genutzt werden kann. Als Cover erscheint ein Foto einer Tankstelle von Arne Jacobsen. Dieses Foto entstand auf einer ihrer "On Holiday"-Aktionen im Sommer 1998. Die Arbeit selbst wird erst durch die Eintragungen von Erlebnissen späterer Besitzer vervollständigt. Es gibt demzufolge auch überhaupt keinen zeitlichen Rahmen für diese Arbeit.

Mit e.w.e. wird also nicht nur der institutionelle Rahmen verlassen, der tradierten Idee von der Materialisierung einer Ausstellung widersprochen bzw. entgegengewirkt, sondern auch der üblicherweise vorhandene Zeitrahmen gesprengt. Alle sonstigen konstitutiven Bestandteile sind, wie Du vorhin erwähnt hast, jedoch vorhanden, weil sie für das Funktionieren des Projektes notwendig sind. e.w.e. ist demnach nicht nur eine kritische Analyse des Instruments "Ausstellung", sondern gleichzeitig ein konstruktiver Ansatz, den es auch aus institutioneller Perspektive lohnt, weiterzudenken.

In englischer und französischer Sprache veröffentlicht in: Documents sur l'art, No. 12, October 1999

© 1999 Jan Winkelmann

Englische Version

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