Jan Winkelmann im Gespräch mit Michael Elmgreen und Ingar Dragset

Jan Winkelmann: Das erste Konzept für eure Ausstellung in Leipzig war mehr objekt-bezogen und basierte auf dem Gedanken von verschiedenen Einzelprojekten für die jeweiligen Räume der Galerie. Wann und wie seid ihr auf die Idee gekommen, nur ein einziges, eher prozeßhaftes und ephemeres Projekt zu realisieren – und warum hieltet ihr das für passender?

Michael Elmgreen: Ein paar Monate vor der Leipziger Ausstellung war unser Atelier vollgestellt mit halbfertigen Modellen und der Boden war mit Notizen und Arbeitsskizzen für eventuelle Installationen übersät. Wir konnten all diese Sachen einfach nicht mehr sehen. In Kopenhagen hatten wir gerade eine eher objekt-bezogene Einzelausstellung gehabt und arbeiteten gleichzeitig an verschiedenen Installationen für kommende Gruppenausstellungen. Darum haben wir beschlossen, es dieses Mal anders zu machen. Unsere Idee war es, der Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig einmal eine Pause zu verschaffen, statt sie mit einer Ansammlung von Artefakten zu füllen; eine Unterbrechung, in der die Betrachter, wir selbst und die Mitarbeiter der Galerie einen Moment der Stille, der Ruhe zur Besinnung und Reflexion haben könnten.

In Wirklichkeit war es für uns dann nicht ganz so ruhig, wie ihr es geplant hattet. Es gab viel zu tun, wie jedes Mal, wenn wir neue Arbeiten produzieren. Ich musste die Sache mit den arbeitslosen Malern organisieren, jede Menge Telefonate und Bewerbungsgespräche führen, Arbeitspläne aufstellen und so weiter. Die Räume mussten entsprechend vorbereitet werden, und dann waren natürlich die Anstreicher jeden Tag hier. Das bedeutete, dass ich mich auch mit ihnen beschäftigen musste, z.B. um über ihre Erfahrungen mit den Besuchern zu sprechen und all das. Aber ich glaube, ihr habt mehr an eine Art visuelle Pause gedacht, und das hat in der Tat sehr gut funktioniert, auch für uns. Ich habe es wirklich genossen, in diesen reinen weißen Räumen zu sein. Wenn die Sonne herein schien, war es überall strahlend hell, die Räume waren voller Licht und Reflexionen. Es war eine wunderbare und meditative Erfahrung, sehr still und eigentümlich kraftvoll.

Ingar Dragset: Nun ja, wir hatten nicht vor, euch Urlaub zu geben.

Inwiefern würdet ihr sagen, unterscheidet sich "Zwischen anderen Ereignissen" von euren früheren performativen Arbeiten, und wie würdet ihr die Entwicklung von euren anderen Mal-Performances zu diesem Projekt für Leipzig beschreiben? War es das erste Mal, daß ihr andere Personen an der Performance beteiligt habt?

Ingar Dragset: Unsere erste Mal-Performance war "12 Hours of White Paint" (in Ex-Teresa, Mexico City und in der Galleri Tommy Lund, Odense, 1997). Zwölf Stunden lang haben wir ununterbrochen die Wände eines glatten White Cube-Raums weiß angemalt und sie wieder abgewaschen, bis die physischen Merkmale des Galerieraums verschwammen und zu einer Zufallslandschaft wurden. Indem wir noch mehr des vorherrschenden Signifikanten der Galerie – der weißen Farbe -hinzufügten, wurde die Galerie ihrer vorgeblichen sublimen Eigenschaften beraubt und konnte nicht mehr als eine bloße neutrale Kulisse für die Präsentation von Kunst funktionieren. In der Wiener Secession (1998) haben wir mitten im Ausstellungssaal einen sechs mal sechs Meter großen gläsernen Würfel gebaut. Die transparenten Wände dieses Würfels tünchten wir dann von Innen und kratzten die Farbe wieder ab, immer wieder von neuem. Wir wollten in dieser alten, ehrwürdigen Institution einen Raum errichten, der sich ständig veränderte. Durch die Aktivität des Malens hatte diese Performance ihren eigenen Raum definiert, wobei durch die veränderliche Transparenz und das Eingeschlossensein ein Guckloch-Dialog mit dem Publikum entstanden ist. Der Hauptunterschied von diesen beiden Performances zu "Zwischen anderen Ereignissen" ist, dass wir hier in Leipzig nicht selbst aufgetreten sind und dass das Streichen sich über einen viel längeren Zeitraum erstreckte. Es war uns wichtig, all die romantischen Vorstellungen zu vermeiden, die damit assoziiert werden, dass der Künstler etwas von eigener Hand oder in eigener Person tut. Indem wir die Arbeit von professionellen Anstreichern ausführen ließen, haben wir uns einen Schritt von diesen Fragen nach der eigenen Person des Künstlers entfernt.

Inwiefern haben eure Erfahrungen mit den Malern in Leipzig euren Erwartungen entsprochen?

Michael Elmgreen: Natürlich kannten wir die beiden Maler, Herrn Richter und Herrn Rothe, vorher noch nicht, daher konnten wir auch keine bestimmten Erwartungen haben. Aber unsere Zusammenarbeit mit ihnen und unsere Gespräche in der Woche, als wir das Projekt vor Ort vorbereiteten, waren denke ich für beide Seiten sehr befriedigend. In dieser Zeit haben wir uns viel miteinander unterhalten, obwohl wir beide sehr schlecht deutsch sprechen, und dabei haben wir einiges über die Hintergründe der jeweils anderen gelernt. Wir konnten unsere Ideen und Intentionen in einer lockeren Atmosphäre erklären. Je länger wir über das Projekt sprachen, um so mehr fanden die Maler auch eine persönliche Beziehung dazu. Am Anfang muss es ihnen ziemlich merkwürdig vorgekommen sein, dass sie dieselben Räume sieben Wochen lang immer wieder von neuem streichen sollten. Aber als wir zusammen dort gearbeitet haben, die Böden mit Plastikfolien abdeckten, alle Kanten mit Malerkrepp abklebten, Material einkauften und so weiter, hat sich ihnen die Idee allmählich erschlossen. Sie haben gemerkt, dass es nicht nur ein Witz oder eine provokative Geste von uns sein sollte, sondern dass wir die Sache ernst nahmen, dass wir uns um Details kümmerten und dass wir ihr fachliches Können schätzten. Als sie später von einer lokalen Zeitung interviewt wurden, versuchte der Journalist, sie dahin zu bringen, sich über ihre Beteiligung an dem Projekt zu beklagen. Aber das haben sie nicht getan, vielmehr haben sie sehr verständnisvoll und loyal geantwortet. Und erinnerst du dich noch daran, wie du einmal von einem von ihnen korrigiert wurdest? Du sagtest etwas davon, einfach immer nur weiß zu streichen, und ich glaube Herr Rothe war es, der dir erklärte, dass Weiß nicht einfach gleich Weiß ist, sondern jeder Raum der Galerie einen etwas anderen Ton haben würde.

Nein, das war Herr Richter, der mich darauf aufmerksam gemacht hat, daß das Weiß in den einzelnen Räumen unterschiedlich weiß aussieht, wegen der verschiedenen Anteile von natürlichem und künstlichem Licht. Das ganze Projekt hatte also viel mit Wahrnehmung zu tun, und damit, dass man sich beim Wahrnehmen wahrnehmen konnte.

Ingar Dragset: Ich erinnere mich, dass Herr Rothe anfing, ihre Beteiligung an diesem Projekt als lebende Skulpturen zu bezeichnen, ohne dass wir diesen Ausdruck jemals verwendet hätten.

Jan, ich würde dich gerne fragen, wie du es gesehen hast, dass wir deine Rolle als Kurator im Zusammenhang mit diesem Projekt umfunktioniert haben: Zum Beispiel, dass du die Aufgabe hattest, eine ganze Woche lang Vorstellungsgespräche mit den Bewerbern zu führen.

Oh ja, die Arbeit an diesem Projekt war eine ungewöhnliche, aber nichtsdestoweniger sehr interessante Erfahrung. Am Anfang, als wir die Stellenanzeige für eine zeitlich befristete Beschäftigung von arbeitslosen Anstreichern in der Bild-Zeitung geschaltet hatten und die ersten Reaktionen kamen, sah ich mich plötzlich einer ganz anderen Welt gegenüber, zu der ich normalerweise wenig Kontakt habe. Es war schon ein wenig schockierend. Zu den Bewerbungsgesprächen kamen viele Langzeitarbeitslose, manche mit zum Teil tragischen und deprimierenden Geschichten, z.B. ein Familienvater, den seine Frau von einem Tag auf den anderen verlassen hatte und der nun alleine und ohne Arbeit für seine drei Kinder sorgen muß. Andere kamen eine halbe Stunde zu spät (stellt euch das vor, zu einem Bewerbungsgespräch zu spät zu kommen) und ein paar waren ein wenig angetrunken (und das schon um zehn Uhr morgens). Viele sind zur vereinbarten Zeit aber auch einfach nicht erschienen und ähnliches mehr. Am Ende war ich sehr froh, dass ich Herrn Richter, Herrn Rothe und Herrn Fischer gefunden hatte, obwohl Herr Fischer dann aus persönlichen Gründen nach der Hälfte der Zeit aufgehört hat. Was ich vorher nie als so wichtig erachtet hätte, war die psychologische Wirkung für die Maler. Ihr hattet einmal erwähnt, dass es ein Aspekt des Projekts sei, ihnen die Chance zu geben, etwas Geld dazu zu verdienen und ihnen damit eine gewisse Freiheit zu verschaffen (um etwas zu tun oder sich etwas zu kaufen, das sie sich ohne diesen Job eben nicht hätten leisten können). Aber es wurde sehr bald klar, dass sich die Maler vor allem darüber freuten, dass man ihre Fähigkeiten anerkannte und schätzte und vor allem, dass sie wieder gebraucht wurden. Ich konnte plötzlich besser nachvollziehen, dass arbeitslos zu sein viel mehr heißt, als nur keine bezahlte Arbeit zu haben. Es war faszinierend, zu sehen, wie die Maler aufgeblüht sind, weil sie ihr berufliches Können wieder einsetzen konnten.

Vielleicht könntet ihr etwas dazu sagen, wie ihr dazu gekommen seid, dieses Projekt für eure erste institutionelle Einzelausstellung in Deutschland vorzuschlagen. So wie ich eure Arbeit kennen gelernt habe, entwickelt ihr eure Projekte ja in erster Linie ortsbezogen (der Begriff ortsspezifisch wäre in diesem Fall vielleicht etwas zu eng gefasst).

Michael Elmgreen: Als wir zum ersten Mal in Leipzig waren, fiel uns auf, wie schick und neu renoviert hier alles aussieht. Gleichzeitig hat die Stadt Leipzig aber auch einige soziale Probleme, und unter diesem Aspekt erscheint uns das Ergebnis der Renovierungswut wie eine zu dicke Schicht Schminke auf einer ermüdeten Haut. Ausgehend von diesem ersten Eindruck von der Stadt kamen wir auf die Idee einer übertriebenen Renovierung der Galerie. Zugleich müssen wir zugeben, daß wir in ineffektiven Prozessen, diesen Aktivitäten, die keinen logischen Zweck haben und in denen es nicht darum geht, ein bestimmtes Ziel zu erreichen, auch eine Art von Schönheit sehen. Vielleicht haben andere Leute von uns erwartet, dass wir bei dieser Gelegenheit unsere künstlerischen Fähigkeiten in einem traditionelleren Sinne unter Beweis stellen, dass wir unsere erste Einzelausstellung in Deutschland spektakulärerer anlegen. Aber es ist immer wichtig, solche Erwartungen nicht zu erfüllen, oder?

Ich würde nicht sagen, dass es grundsätzlich wichtig oder notwendig ist, derartige Erwartungen nicht zu erfüllen, aber in eurem Fall hat das sehr gut funktioniert, und ich bin ganz glücklich damit. "Zwischen anderen Ereignissen" war eines der nüchternsten, dichtesten und konzentriertesten Projekte in der kurzen Geschichte der Galerie, und es freut mich sehr, daß wir es realisiert haben.

Ingar Dragset: Nur ein Kommentar zu deiner vorherigen Frage: Es gibt noch immer eine Tendenz, ortsspezifisch lediglich als Beziehung zu einem tatsächlichen, physischen Ort zu definieren. Heute arbeiten Künstler aber mit einer viel weiter gefassten Definition des Ortes: virtuelle Orte – Orte, die durch soziale, kulturelle, institutionelle oder ökonomische Diskurse definiert werden. Miwon Kwon hat einige sehr interessante Theorien dazu in ihrem Essay "One Place after Another: Notes on Site Specificity" (October, Nr. 80, Spring 1997) geäußert.

Deshalb sprach ich ja von ortsbezogen und vermied das Wort ortsspezifisch, weil es zu eng gefaßt ist. Ihr habt eben nur vom Bezug zu der Stadt als einem Ausgangspunkt gesprochen, daneben gab es aber auch einen direkten Bezug zur Institution. Zumindest könnte man sagen, daß für ein neu eröffnetes und vorher komplett umgebautes, renoviertes Haus ein derartiger fortgesetzter Renovierungsprozeß eigentlich nicht notwendig ist. Auf den ersten Blick erscheint es noch absurder, ein solches Projekt in einer neuen Institution wie der Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig zu realisieren. Aber letzten Endes würde ich sagen, dass es genau aus diesem Grund vielleicht noch konsistenter war. In einer Institution, die einen neuen Anstrich braucht, hätte es möglicherweise einen viel zu didaktischen Anklang gehabt. Aber vielleicht seht ihr das anders.
 
Michael Elmgreen: Nein.

Ihr habt mir erzählt, dass ihr im Rooseum in Malmö eine neue Version einer Mal-Performance machen werdet. Es würde mich sehr interessieren, was ihr dort vorhabt und inwiefern (falls überhaupt) es eine Weiterentwicklung der Leipziger Arbeit ist.

Ingar Dragset: Die Version für das Rooseum wird mehr auf der Linie unserer früheren Performances liegen, da wir wieder selbst die Akteure sind. Wir teilen den Ausstellungsraum mit einer Glaswand in zwei Teile. Die Wand wird also einen Teil des Raums abriegeln und so einen leeren Raum erzeugen, eine Art Zwischenzone. Diese transparente Wand werden wir von der Innenseite weiß streichen und die Farbe wieder abwaschen, immer wieder von neuem, bis die charakteristischen Merkmale der White Cube-Architektur sich langsam auflösen. Durch diesen performativen Prozess erzeugen wir ein Moment dynamischer Architektur. Die Arbeit steht in engem Zusammenhang mit der in der Wiener Secession, aber diesmal beschäftigen wir uns direkt mit den vorgegebenen räumlichen Bedingungen.

Das Buch, an dem wir derzeit arbeiten und in dem dieses Gespräch veröffentlicht werden soll, ist ein wichtiger Bestandteil des Projekts. Wir versteht ihr es? Und in welcher Hinsicht unterscheidet es sich von der Publikation, die ihr zuvor gemacht habt?

Ingar Dragset: Unser voriges Buch "Powerless Structures" (1998) war eher ein Katalog mit einer allgemeinen Einführung zu unseren Arbeiten. "Zwischen anderen Ereignissen" war von Anfang an als eine projektspezifische Publikation geplant und ist daher ein integraler Bestandteil der Ausstellung. In diesem Katalog wird der ganze Prozess dargestellt, visuell und konzeptuell: der Abbau der vorangegangenen Ausstellung, die Vorbereitungen für die sieben Wochen Renovierung, die Kaffeepausen, die Installation der nächsten Ausstellung und so weiter. All dies hat das Publikum bei der Ausstellung nicht zu Gesicht bekommen, aber mit diesem Buch wird unsere Idee vom Dazwischen hoffentlich noch etwas deutlicher werden.

Michael Elmgreen: Die Wahrnehmung einer Ausstellung beschränkt sich oft auf eine eher flüchtige Erfahrung auf der Grundlage von visuellen Informationen, die man durch die Objekte, Videos oder konzeptuellen Statements bekommt, die in dem Moment da sind, in dem man den Ausstellungsraum betritt. Diese Informationen, die man als Betrachter erhält, sind aber letztlich nur das Destillat eines längeren und manchmal viel interessanteren Dialogs zwischen Kurator und Künstler das Endergebnis einer langen Zeit der Vorbereitungen. Uns gefiel die Idee, einen Katalog zu machen, der ein wenig von diesem Kontext mit einbezieht und eine ganz andere Erfahrung ermöglicht. Nicht, dass man durch ein solches Buch eine völlig andere Geschichte oder die ganze Wahrheit erfährt, aber es gibt den Lesern die Möglichkeit, den Prozess Schritt für Schritt nachzuverfolgen ganz im Gegensatz zu der Erfahrung, die auf den Moment beschränkt ist.

Veröffentlicht in: Michael Elmgreen & Ingar Dragset, Zwischen anderen Ereignissen, Ausst.Kat. Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig, 2000.

© 2000 Jan Winkelmann

Englische Version

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