The melody haunts my memory. Zu den Sound Arbeiten von Jacqueline Donachie

Jan Winkelmann

Als ich zum ersten Mal eine Arbeit von Jaqueline Donachie sah, ging diese mir für den Rest des Tages nicht mehr aus dem Kopf. An einem verregneten Januartag betrat ich die Räume einer Londoner Galerie. Inmitten der verschiedenen Arbeiten von jüngeren britischen Künstlern stach eine besonders hervor. Sie bestand aus zwei ungefähr 180 x 90 cm große photokopierten Plakaten. Auf dem linken, nahezu in Lebensgröße, das Photo einer ca. 20 jährigen Frau mit burschikosem Haarschnitt, dezent modischem 70er Jahre Outfit, die Hände in die Hüften gestemmt, im Kontrapost stehend und versonnen oder scheu auf den Boden blickend. Das Plakat erweckte insbesondere durch die Pose des Mädchens, aber auch durch das Fehlen eines Hintergrundes, den Eindruck eines Modephotos, wie es, so oder ähnlich, in diversen Hochglanz-Modemagazinen zu sehen ist. Auf dem rechten Plakat ist ein Text zu lesen, der in ironischem, teils humorvollem Ton eine Episode, offensichtlich aus dem Leben der links abgebildeten Künstlerin, erzählt. Wie magisch blieb mein Auge an einem Satz hängen: "... Then the relationship ended, but you know, single can be good – it just takes some time to re-adjust and get used to walking home on your own when the pubs shut." Walking home on your own when the pubs shut. Dieser Satz hallte nach. Wer kennt dieses Gefühl nicht, walking on the boulevard of broken dreams mit der festen Überzeugung in diesem Moment der einsamste Mensch der Welt zu sein. Plötzlich kamen längst vergessen geglaubte Erinnerungen hoch. Den Rest des Tages verbrachte ich in Gedanken, dann und wann ernüchtert in die Gegenwart zurückgeholt.

Ähnliches widerfuhr mir, als ich eine Beschreibung von Donachies Klanginstallation Part Edit las. An einer Stelle war von einem Lied die Rede, das ich als Austauschschüler während eines unvergeßlichen England Urlaubs ununterbrochen hörte. Auch hier kamen Erinnerungen zurück, die so lange zurück liegen, daß man, den Kopf voller 'Alltagssorgen ', nur sehr selten, dafür aber intensiv und genüßlich, an sie zurückdenkt.

Beide Erlebnisse sind gute Beispiele für den Erfolg von Donachies Strategie, mit ihren Arbeiten den Betrachter direkt anzusprechen und in der Form zu beeinflussen, daß unbewußt eine gedankliche Reaktion ausgelöst wird, deren man sich aber meistens erst dann bewußt wird, wenn diese sich bereits vollzogen hat. Das individuelle Erinnerungsvermögen wird durch einen unmittelbar wirkenden Sinneseindruck stimuliert und aktiviert. Hierfür bedient sich Donachie in der Regel akustischer Reize. Zusammen mit Gerüchen haben diese die direkteste Wirkung auf den menschlichen Körper. Direkt meint in diesem Zusammenhang – hierbei versuche ich mich auf dem mir fremden Gebiet der Wahrnehmungspsychologie – daß zwischen äußerem Reiz und dessen körperlicher Wirkung keine verstandesmäßige Verarbeitung stattfindet. Hinzu kommt die physiologische Tatsache, daß die zur akustischen und olfaktorischen Wahrnehmung bestimmten Sinnesorgane von alleine nicht verschlossen werden können. Visuelle Eindrücke können übergangen werden, indem man die Augen schließt, Ohren und Nase bleiben offen. Der Betrachter kann zwar wegsehen, aber nicht weghören. In diesem Sinne sind Donachies sound works, besonders im Vergleich zur der in der Regel kontemplativen Atmosphäre eines Ausstellungsraumes, äußerst offensiv. Diese Offensivität könnte fast sogar als aggressiv beschrieben werden, wenn sie nicht mit einer außerordentlichen Suggestivkraft gepaart wäre.

Die suggestive Wirkung geht in erster Linie von den zu hörenden Pop songs aus. Wie kaum etwas anderes prägt die Popmusik so umfassend und übergreifend das Lebensgefühl eines Individuums und, mehr oder weniger, dessen gesamte Generation. Popmusik ist überall: Zuhause, im Auto, in Cafés, Bars oder Clubs. Sie wird entweder bewußt und selektiv durch CDs oder Kassette, oder beiläufig und zufällig im Radio oder Fernsehen gehört. Es gibt wenig vergleichbares, das über Länder, Kulturgrenzen und durch alle gesellschaftlichen Schichten hinweg in gleichem Maße kollektiv konsumiert wird. Und obwohl Hits kommen und gehen, schneller als jede andere Mode, ist die "Pop music a kind of collective memory of a time."(1) Dieser kollektive Erinnerung, die generationsabhängig ist, steht die persönliche Erinnerung gegenüber. Die sich hieraus ergebende dialektische Spannung ist für Donachies Arbeiten von zentraler Bedeutung. Auf der einen Seite assoziieren wir mit bestimmten Liedern, die stellvertretend stehen für alle anderen Hits dieser Zeit und in dieser Hinsicht bis zu einem gewissen Grade austauschbar sind, ganz allgemein ein bestimmtes Lebensgefühl, das, wie oben bereits erwähnt, nicht selten überhaupt erst durch Musik entsteht. Andererseits sind mit dem selben Lied aber auch sehr oft persönliche Erinnerungen verbunden. Gerade in der bewegten Jugend, die im Vergleich zu anderen Lebensabschnitten sehr viel stärker von Musik beeinflußt ist, sind bestimmte Erfahrungen prägend und oft in starkem Maße mit Emotionen verknüpft. Doch davon abgesehen, selbst wenn sich mit dem Erwachsenwerden der Musikgeschmack ändern mag, die Tatsache, daß Musik unser ganzes Leben begleitet steht außer Zweifel. Die Künstlerin bringt dies mit dem Aphorismus: "Music is a soundtrack to your life" auf einen Punkt. Kurzum, Musik verursacht und beeinflußt Stimmungen, manipuliert Gefühle und "puts images in peoples heads." In diesem Sinne benutzt Donachie sie als Arbeitsmaterial und stellt den Betrachter, oder besser Zuhörer, in den Mittelpunkt ihrer Arbeiten.

Diese können durchaus unterschiedliche Formen annehmen. In der oben erwähnten Installation Part Edit befanden sich unzählige verschieden große Lautsprecher, in welchen Geräusche, Popmusik, Sprachfetzen etc. zu hören waren, an den Wänden des Ausstellungsraumes. In der Mitte des Raumes stehend, verschmolzen diese für den Betrachter zu einer undefinierbaren Geräuschkulisse. Erst wenn man sich einzelnen Lautsprechern näherte, brach diese Ton-Melange auf und Einzelgeräusche konnten bestimmt und wiedererkannt werden. Bei einem Rundgang von Lautsprecher zu Lautsprecher wurde mit dem Hörbaren unterschiedlichste Assoziationen verknüpft, der Betrachter auf eine Reise durch seine Erinnerungs- und Vorstellungswelt geschickt. "The initial surprise of the work is that what seems almost totally devoid of visual material quickly becomes a complex scenario full of images and memories..."(2)

Wo bei dieser Arbeit deren individuellen Einflüsse und Wirkung auf den Betrachter der Künstlerin unbekannt bleibt, versucht sie in ihrer Arbeit für die Ausstellung make believe(3) die Kontrolle hierüber zu behalten. "I like the idea of controlling people, to manipulate peoples feelings." Die 13 Kuratoren der Ausstellung wurden von Donachie zu einem Abendessen eingeladen. Während des gesamten Abends, das auf Band aufgezeichnet wurde, lief im Hintergrund von der Künstlerin ausgewählte Musik. Die in der Ausstellung präsentierte Aufzeichnung des Abends machte deutlich, ob und wie sich die Gesamtatmosphäre durch die verschiedene Musiktitel veränderte. In diesem Sinne gleicht diese Arbeit einem psychologischen 'Experiment ', das in seiner Grundstruktur Part Edit ähnlich ist, jedoch mit dem grundlegenden Unterschied, das die 'Probanden, der Verlauf und das Ergebnis des Experiments' von der Künstlerin beobachtet und überwacht wurde. Durch die Präsentation der Aufzeichnungen im Rahmen der Ausstellung, entzog sich deren manipulative und individuelle Wirkung auf den fremden Betrachter wiederum der Kontrolle der Künstlerin.

In ihrer Installation für shift, modifiziert und erweitert Donachie ihre Arbeitsweise, indem sie den Besucher direkt anspricht. Gleich beim Betreten der De Appel Foundation wird dieser von einer Stimme aus den oberen Stockwerken empfangen, die ihn, wie Rapunzel in ihrem Turm, verführt nach oben zu kommen. Bei dem Gang durch die Ausstellungsräume trifft der Besucher dann immer wieder auf Wände mit Lautsprechern, aus welchen teilweise Musik, meistens aber Stimmen zuhören sind, die Fragen stellen, wie: "Warum bist du nicht schon früher hier gewesen?" "Warum beeilst du dich nicht?" "Warum erinnerst du dich nicht?" Offene Fragen, die den Betrachter verunsichern, da er den Grund für diese Fragen nicht kennt und somit deren Sinn nicht verstehen kann. Die Hoffnung wächst, daß das Rätsel in einem anderen Teil der Ausstellung gelöst wird. Doch es gibt keine Auflösung, das Rätsel bleibt ein Rätsel, der Besucher mit sich selbst beschäftigt, und wieder einmal war Jaqueline Donachie mit ihrer Strategie 'erfolgreich'.

(1) Alle Zitate Donachies entstammen einem Interview mit dem Autor, das am 13. März 1995 stattgefunden hat.
(2) Douglas Gordon in einer Besprechung dieser Ausstellung in: frieze No. 18, Sept./Oct. 1994.
(3) Diese Ausstellung fand vom 7. -26. February 1995 im Royal College of Art, London statt.

veröffentlicht in: Shift, Ausst. Kat. De Appel Foundation, Amsterdam 1995

© 1995 Jan Winkelmann

Englische Version

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