Ursula Damm: Helena

Jan Winkelmann

Noch heute erinnern in den Vororten Mannheims die Hochbunker aus dem II. Weltkrieg in ihrer unübersehbaren Präsenz an die Zeit und den Zweck ihrer Erbauung. Relikte einer der dunkelsten Tage der deutschen Geschichte. Zu selbstverständlich ist uns ihr Anblick, sind wir doch mit ihnen aufgewachsen, um darüber zu reflektieren oder daran Anstoß zu nehmen. Gebaut in deutscher Wertarbeit aus meterdickem Stahl- und Stampfbeton, wäre es heute ein unverhältnismäßig großer technischer und finanzieller Aufwand, sie zu schleifen. So werden sie weiter zwischen neuerbauten Appartementhäuser, und neben modernsten Bahnhöfen stehen und auch die folgenden Generationen an ihre, bzw. unsere Geschichte mahnen.

Ursula Damm schuf in ohnmächtiger Wut über den Golfkrieg und seine Folgen ein sehr persönliches Mahnmal. Eine Installation voll von Symbolen, für die Präsentation in einem Bunker wie geschaffen, nimmt sie doch aus äußerem Anlaß auf den Golfkrieg Bezug, steht jedoch in ihrer Gesamtheit stellvertretend für jeden Krieg.

Eine verrostete Öltonne, leicht schräg in einem Gestell stehend und an eine schwimmende Boje erinnernd, steht für ein auf dem Wasser schwimmendes Ölfaß. In die Mitte der Tonne ist, wie in einem Guckkasten, ein Rechteck ausgeschnitten. Dahinter ein Monitor, der Videoaufnahmen von auslaufenden Kriegsschiffen zeigt. Es handelt sich hierbei um eine Flotte von NATO-Schiffen, die Mitte Dezember 1990 aus dem Hafen von Rotterdam in Richtung Persischer Golf ausläuft. Oberhalb der Tonne ist eine brennende Öllaterne, einem Ewigen Licht gleich, angebracht, die von einem Blechdach in Form eines flachen Kegels vor Wind und Nässe geschützt zu sein scheint. In seiner Gesamtform erinnert das Ensemble an ein Ofenrohr mit einem typischen Dach, wie es früher, als man noch mit Kohle heizte, auf Dächern zu finden war. Eine unterschwellige Anspielung an Zeiten, als das Öl noch nicht die tragende Funktion als Energierohstoff innehatte. Von der Skulptur getrennt, an einer Wand angebracht befindet sich ein Zitat aus Eurypides Helena: "Laßt mich ein ausgelöschtes Bild, so häßlich werden, wie ich schön jetzt bin." Helena, der Gattin von Menelaos gab man in der griechischen Mythologie die Schuld für den Ausbruch des Trojanischen Krieges. Sie, ob ihrer Schönheit von Paris begehrt und zum Ehebruch verführt, steht auf den Mauern Trojas und blickt auf die zerstörte Stadt und wird sich ihrer Schuld bewußt. Verzweifelt wünscht sie sich, so häßlich zu sein, daß ihre Schönheit nie mehr Anlaß für einen Krieg sein möge. Die Weiblichkeit als Grund für Kriege wird der Männerwelt, die damit nicht umzugehen weiß, verweigert, bzw. vorenthalten. Ein Gipsabdruck des Kopfes der Synagoge aus dem Bamberger Dom, ist unterhalb des eurypidischen Zitats befestigt. Die geblendete Synagoge steht stellvertretend für: Nicht-mehr-sehen-wollen, Nicht-mehr-gesehen-werden-wollen und Nicht-mehr-sehen-können. Eine Weigerung, die Realität als zwangsläufige und unabänderlich ablaufende Verkettung von Ereignissen wahrzunehmen. Eine Haltung, die der Helenas entspricht und dadurch in ihrem Protestgehalt verstärkt wird und von Ursula Damm als allgemeiner Protest gegen Kriege, deren Ursachen und Abläufe scheinbar eigenen Gesetzen folgen scheinen, verstanden werden will.

veröffentlicht in: TIEFGANG. Bildräume im Schloßbunker, hrsg. von Roland Scotti und Jan Winkelmann, Mannheim: Signet Verlag 1992

© 1992 Jan Winkelmann

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