Plenty Strategies of Irritation

Jan Winkelmann

Swetlana Heger & Plamen Dejanovs künstlerische Strategie besteht in der Aneignung bzw. der Übernahme und Anwendung ökonomischer Prinzipien wie der Vermietung, Vermarktung und des Verkaufs. Grundlage eines jeden Projektes ist die Bereitstellung eines Mietangebots. Seien es Plakatwände im öffentlichen Raum, Plattformen bzw. Präsentationsstände innerhalb von Institutionen und Ausstellungen oder die Fertigkeiten der Künstler selbst: durch Vermietung wird Geld eingenommen, das heißt Kapital generiert. Die erwirtschaftete Gesamtsumme fließt wieder in die einzelnen Projekte zurück, will heißen, die Künstler investieren sie in den Kauf von Kunstwerken und Designobjekten, die wiederum auf (oder in) den zuvor vermieteten Flächen bzw. Räumen präsentiert werden. Mit jedem Projekt schaffen sie somit ein geschlossenes System, das als organischer Dienstleistungs-, Finanz-, und Güterkreislauf reale ökonomische Strukturen, künstlerisches Werk und Präsentationsfläche miteinander verbindet. Mit ihrer Arbeitsweise, die nicht auf die Produktion von autonomen Werken, sondern auf die Darstellung und Verbindung von Wechselwirkungen verschiedener, künstlerischer wie nicht-künstlerischer Bereiche, etwa Ökonomie, Kommunikation und Design, ausgerichtet ist, untersuchen Heger & Dejanov die Strukturen und Mechanismen im Kunstbetrieb.

"Plenty Objects of Desire" war als ein Work-in-Progress von 1997 bis 1998 in mehreren Realisierungsstufen angelegt. Ausgehend von ihrer Ausstellung im Ludwigsburger Kunstverein 1997 haben Heger & Dejanov das zunächst auf ein Jahr begrenztes Projekt realisiert. Im Ausstellungsraum wurde mit einer pastellgrün lackierten Spanplatte eine Plattform geschaffen, die von Firmen, Privatpersonen und Institutionen wochenweise gemietet werden konnte. Wer oder was der jeweilige Mieter auf der Plattform präsentierte, oblag alleine ihm, d.h. es bestand von Seiten der Künstler weder formale noch inhaltliche Beschränkungen. Die Variationsbreite der Nutzung reichte von einer Berufsbekleidungsfirma, die ihr Warensortiment präsentierte, über Künstler, die die Plattform mieteten, um ihre Werke für die Dauer einer Woche dem Publikum zu zeigen, bis hin zu prozeßhaften Events (z.B. veranstaltete ein Skatclub an einem Wochenende auf der Plattform ein Skat-Turnier!!). Ursprünglich sollte das im Anschluß um ein Jahr verlängerte Projekt wiederum den Ausgangspunkt für ein weiterführendes Vorhaben darstellen, das dann aber aus verschiedenen Gründen nicht realisiert wurde. Mit dem Gewinn aus anderen Ausstellungsprojekten kauften Heger & Dejanov Werke von Künstlern und ausgewählte Designobjekte als Einrichtungsgegenstände für eine Wohnung in Berlin, die als temporäre Institution für interdisziplinär angelegte Projekte dienen sollte. So wurde beispielsweise mit den Einnahmen der Ausstellung in der Tomio Koyama Gallery in Tokyo das Arbeitszimmer "eingerichtet", das Wohnzimmer mit ihrer Beteiligung an der Ausstellung "Enter: Audience – Artist – Institutions" im Kunstmuseum Luzern und die Terrasse mit ihrer Einzelausstellung in der Galerie Air de Paris. Beide Künstler konnten entsprechend ihrer Fertigkeiten honorarpflichtig engagiert werden. Sie waren als ZeichenlehrerIn, KellnerIn, DesignerIn, GärtnerIn und in etlichen anderen Funktionen tätig. Nach und nach wurden die zu Beginn der Ausstellung leeren Plattformen mit Ankäufen bestückt. Die Liste der erworbenen Gegenstände und Objekte umfaßt sowohl Werke von Künstlerkollegen und -freunden, wie beispielsweise Fotografien von Sharon Lockhart, eine Lampe von Jorge Pardo und ein Gemälde von Elizabeth Peyton, als auch Designklassiker wie ein Sessel und ein Tisch von Charles und Ray Eames, ein Fernseher von Richard Sapper, Glasobjekte von Venini usw. Allesamt sind dies "Arbeiten, die selbst wiederum den Transfer von Alltagssituationen in den Kunstbetrieb abhandeln" (Rainer Metzger), oder Designobjekte, die zum alltäglichen Gebrauch bestimmt sind und funktionale wie ästhetische Qualitäten vereinen.

Heger & Dejanov verbinden mit ihren Projekten nicht nur unterschiedliche Kontexte, sondern binden diese in ökonomische Funktionszusammenhänge ein, die sie thematisieren, indem sie sich ihrer bedienen. Das Prinzip Vermietung, Ankauf bzw. Sammeln ist sowohl Methode als auch Inhalt. Insbesondere das Sammeln verweist auf den Fetischcharakter, der dem Kunstwerk im Kunstbetrieb zukommt. Heger & Dejanov verweigern sich diesem System, indem sie keine Werke produzieren. Ihre Arbeitsform adaptiert und nutzt strategisch die Strukturen des Kunstsystems und übt damit "zugleich Kritik an der Autonomie des Kunstwerks, am Subjektstatus des Künstlers und an einem passiven und rezeptiven Verständnis von Publikum und Öffentlichkeit" (Dorothea von Hantelmann). Das Moment des Ästhetischen spielt dabei immer eine entscheidende Rolle. Die von den Künstlern geschaffenen Strukturen sind immer auf den jeweiligen Raum bezogen. Im wesentlichen schlicht und einfach "designt", bieten sie als eine präzise gestalterische Leistung einen zurückhaltenden, aber dennoch auffallenden Rahmen für das jeweilige Mietangebot und dem sich daran anschließenden Display der angekauften Objekte, deren Auswahl im wesentlichen auch nach ästhetischen Kriterien erfolgt. Ein wichtiger Aspekt in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, daß sich mit dem Kauf von naturgemäß in ihrer Stückzahl begrenzten Luxusgütern, wie sie Kunstwerke und Designobjekte darstellen, im Laufe der Zeit automatisch auch eine Wertsteigerung dieser Güter und somit ein nur durch den Verkauf einzulösender Zuwachs an Kapital ergibt.

Alle der bisher beschriebenen Projekte durchlaufen verschiedene Phasen, die von unterschiedlichen "Aggregatzuständen" gekennzeichnet sind. Zunächst wird ein Mietangebot geschaffen, diesem schließt sich eine sich ständig verändernde Benutzung durch unterschiedliche Mieter an. Mit dem Ankauf der durch die Einnahmen finanzierten Objekte folgt dem prozeßhaften ein additiver Vorgang, der nach dem Ende der jeweiligen Ausstellung in ein statisches Moment übergeht. Die zur Vermietung vorgesehene Struktur wird zum Präsentationsrahmen, ist gleichzeitig Sockel und Verweis auf die Entwicklung der Arbeit. Die Gebrauchsfunktion der Designobjekte kommt erst wieder zum Tragen, wenn die Arbeit als Ganzes verkauft wird und die Einzelteile gegebenenfalls wieder zum Einsatz kommen und ihrer Funktion nach in der außerkünstlerischen Wirklichkeit genutzt werden.

Das akkumulative Moment der bisher beschriebenen Arbeiten wurde in Heger & Dejanovs Projekt "Sunday's Air", das 1998 im Rahmen der Ausstellung ONTOM in der Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig zu sehen war, um die Möglichkeit des ständigen Wechsels und Austausches erweitert. Hier schufen sie mittels dreier gleich großer Plexiglasscheiben eine Raumkonstruktion, die einerseits als puristisch-minimalistische Skulptur für sich stand und gleichzeitig als Infrastruktur für vier Präsentationsstände mit je 4,5 Quadratmetern Fläche diente. Drei der Stände wurden vermietet, der vierte blieb den Künstlern vorbehalten. Hier gab eine Leuchtreklame den Titel wieder, am Boden warben Flyer für die Vermietung der Stände und daneben stand der erste Ankauf, ein "Rocking Chair" von Charles und Ray Eames aus dem Jahr 1952. Bis zum Ende der Ausstellung war die Finanzierung für den Ankauf von drei weiteren Stühlen gesichert. So wurden das Sofa "Djinn" (1965) von Olivier Mourgue, ein "S-Chair" (1968) von Verner Panton und ein "DSR-Chair" (1971) ebenfalls von Charles und Ray Eames gekauft. Nach der Ausstellung sind die Plexiglasplatten zu einem Regal umgebaut worden, in dem die Stühle, die fortan wiederum zu verkaufen sind, präsentiert werden. Mit jedem Verkaufserlös wird ein neuer Stuhl gekauft, der den alten ersetzt. Sowohl die vorhandenen als auch die bereits verkauften Stühle werden in Abbildungen und den jeweiligen Informationen ihrer Geschichte dokumentiert. Im Laufe der Jahre entsteht auf diese Weise sukzessive eine Sammlung von exquisiten Design-Stühlen, die allerdings nicht im Besitz eines einzigen Sammlers ist, sondern sich auf unterschiedliche Sammlungen oder den Besitz von Privatpersonen verteilt. Bei diesem Projekt wird der wichtigste Aspekt beim Aufbau einer Sammlung besonders hervorgehoben: die der Entscheidung für ein bestimmtes Stück oder Werk. Die Frage des Eigentums ist hingegen ausgeklammert. Der Begriff "Sammlung" wird um ein wesentliches Kriterium reduziert, aber gleichzeitig um die Möglichkeit des Zuwachses durch Tausch bereichert. Es entsteht ein geschlossener Kreislauf von Werten, der dennoch für permanente Veränderung offen ist.

Mit dem Beginn ihres jüngsten Langzeitprojekts "Quite Normal Luxury" haben Heger und Dejanov für größere Irritationen gesorgt. Im Rahmen der Ausstellung "Dream City", die im Frühjahr 1999 in Kooperation von verschiedenen Ausstellungsinstitutionen, Museen und dem Siemens-Kulturprogramm in München stattfand, vereinbarten die beiden Künstler eine Zusammenarbeit mit dem ortsansässigen BMW-Konzern. Diese sah vor, alle Flächen, die Heger & Dejanov im Zeitraum eines Jahres in Ausstellungen und Katalogen zur Verfügung haben, an BMW zu vermieten, um im Gegenzug einen fabrikneuen Z3-Roadster zu erhalten. Im Kunstverein München, wo ihr Ausstellungsbeitrag präsentiert werden sollte, wurde von BMW ein Präsentationsstand mit allen für solche Zwecke üblicherweise notwendigen Werbemedien eingerichtet. In einer ersten Reaktion sah sich Dirk Snauwaert, der Direktor des Kunstvereins, zu einer Demontage der Arbeit veranlaßt. Nach langen Diskussionen mit den Künstlern und den übrigen Kuratoren wurde sie jedoch wieder installiert, allerdings mit einer schriftlichen Distanzierung von seiten der Institution. Mit diesem Projekt würde "der ungeschriebene Konsens über die notwendigen Grenzen der Selbstdarstellung von privatwirtschaftlichen Interessen innerhalb öffentlicher Kulturinstitutionen" (Snauwaert) bei weitem überschritten. Dieser Einschätzung liegt ein, meines Erachtens, sehr eng gefaßter Interpretationsspielraum der Grenze zwischen (privat)wirtschaftlichen und künstlerischen Interessen zugrunde, wie auch die jüngste Diskussion um das Engagement von Audi im Stedelijk Museum in Amsterdam beweist. Ohne nun ein Plädoyer für die künstlerische Vorgehensweise von Heger & Dejanov halten zu wollen: Es ist genau dieser Grenzbereich, der mit diesem Projekt thematisiert wird. Sie wirft ganz allgemein Fragen nach den Grenzen der Zusammenarbeit von Museen und großen Sponsoren auf, wie auch etwas spezifischer die Frage nach dem Maß der visuellen oder wie auch immer geartete Präsenz, die als Gegenleistung für das jeweilige Engagement des Sponsors letztlich erwartet wird und deshalb notwendig ist, um den erwünschten positiven Imagetransfer zu erzielen, der jedwede Werbemaßnahme eines Unternehmens motiviert. Heger & Dejanov thematisieren diese Fragen, indem sie die Grenzen des in diesem Zusammenhang üblicherweise Geduldeten überschreiten und sie in überspitzter Formulierung mit diesem Projekt radikal auf die Spitze treiben. Indem die beiden Künstler einem Konzern die Gestaltung "ihrer" Ausstellungsflächen überlassen und damit einem ökonomisch-strategischen Zweck übereignen, ohne die Präsentation durch eigene ästhetische Entscheidungen noch einmal zu brechen, wird der kommunikationsstrategisch perfekt inszenierte Werbeauftritt BMWs als eine Art Ready-made von Künstlern selbstbewußt als Teil ihrer Arbeit inkorporiert. Den Z 3 hat übrigens das Museum für Angewandte Kunst in Wien als ein Werk von Heger & Dejanov von den Künstlern gekauft. Sie dürfen ihn aber nach wie vor selbst nutzen. Auch ich bin damit schon gefahren ... einfach großartig!

In niederländischer Sprache veröffentlicht in: Metropolis M. Tijdschrift over hedendaagse kunst, No. 1, Januar 2000

© 2000 Jan Winkelmann

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