Die Würschtelbude. Ein Gebäude von Roger Bundschuh und Cosima von Bonin an der Schnittstelle zwischen Skulptur und Architektur

Jan Winkelmann

Mit dem allgemeinen Berlin-Hype in Sachen zeitgenössischer Kunst kann nach dem nicht abebbenden Zuzug vieler Künstler und der inflationären Galerienschwemme nun auch eine erfreuliche Zunahme an Privatsammlungen festgestellt werden. In dieser Hinsicht stellt die Eröffnung der Sammlung Boros in einem Hochbunker aus dem Zweiten Weltkrieg im Herbst letzten Jahres sicher einen Höhepunkt dar. Der mit einem Höchstmaß an persönlicher Obsession betriebene Umbau des geschichtsträchtigen Schutzraums zu einem spektakulären Privatmuseum wurde in den Feuilletons ausführlich und positiv besprochenen. Nicht nur der Genius loci, sondern auch die architektonische Qualität des Um- und Ausbaus sind bemerkenswert.

Neben diesem mit Sicherheit eindrucksvollsten Sammler-Museum der letzten Jahre haben sich in Berlin eine Reihe anderer, recht unterschiedlicher Konzepte von Show-Rooms privater Sammlungen etabliert. Als erstes sei hier die Grande Dame der Berliner Sammlerinnen, Erika Hoffmann, zu nennen. Ihre jährlich wechselnden Sammlungspräsentationen gehören zum Besten, was Berlin in dieser Hinsicht zu bieten hat. Axel Haubrok zeigt vorzügliche, wenngleich auch nicht wenig spröde Ausstellungen in seinem Show-Room am Strausberger Platz. Heiner Bastian bewegt sich an der Schnittstelle zwischen Kunst und Markt mit seinem beeindruckenden, von David Chipperfield (London, Berlin, Mailand) errichteten Sammlungs- und Galeriegebäude auf der Museumsinsel. Und Wilhelm Schürmann, zur Zeit noch mit einem kleinen aber feinen Ausstellungsraum gegenüber der Volksbühne vertreten, plant mit dem Shooting Star der britischen Architekturszene David Adjaye (London) ein Wohnhaus mit Räumen für wechselnde Ausstellungen.

Vor diesem Hintergrund nimmt es kaum Wunder, dass nun ein "Haus für die Belange von Kunstsammlern" gebaut werden soll. Dabei sind erst kürzlich die Bauarbeiten an dem von der Orco Property Group 2006 zur Kunstmesse in Miami dem zahlungskräftigen Publikum vorgestellten Luxusprojekt "Fehrbelliner Höfe" sang und klanglos eingestellt worden. Ist mit dem "Haus für Kunstsammler" nun ein neues zielgruppenspezifisches Investorenprojekt am Start?

Erfreulicherweise ergibt sich im Gespräch mit Architekten Roger Bundschuh grundsätzlich eine vollkommen andere Sicht auf die Dinge. Zusammen mit der Künstlerin Cosima von Bonin hat Bundschuh ein Gebäude entworfen, das an einem der städtebaulich interessantesten Plätze von Berlin gelegen ist. Der Grundstein für den Bau am Rande des Rosa-Luxemburg-Platzes in unmittelbarer Nähe zur Volksbühne wurde bereits im Frühjahr dieses Jahres gelegt. Die Fertigstellung ist für Ende 2009 geplant. An der Kreuzung von Torstraße und Schönhauser Allee gelegen, bildet der nach seiner Adresse (Linienstraße 40) L40 genannte Bau den Abschluss der in den 20er Jahren von den Architekten Hans Poelzig und Peter Behrens geprägten Hauptachse der Rosa-Luxemburg-Straße, die am unteren Ende vom Kino "Babylon" und der Wohnbebauung Poelzigs begrenzt wird.

Es lohnt sich einen Blick auf die Genese des Projektes zu werfen, um deutlich werden zu lassen, dass es sich mitnichten um ein weiteres schickes Investorenprojekt, sondern vielmehr um ein außergewöhnlich ambitioniertes Bauvorhaben handelt.

Seit 2004 initiiert der Verein zur Förderung von Kunst und Kultur am Rosa-Luxemburg-Platz e.V. mit Christian Nagel, dessen Berliner Dependance in dem oben erwähnten Poelzig-Bau ansässig ist, als wichtigem Impulsgeber Kunstprojekte mit dem Ziel einer "aktiven Partizipation an der Erweiterung des kulturellen Angebotes im städtischen Umfeld des Rosa-Luxemburg-Platzes". In den vergangenen Jahren wurden ortsspezifische Projekte u. a. mit Clegg & Guttmann, Michaela Meise, Christian Phillip Müller und Simon Dybbroe Moeller realisiert. Cosima von Bonin und Roger Bundschuh, die vorher bereits mehrmals an architektonischen und künstlerischen Projekten zusammen gearbeitet hatten, wurden von dem Verein eingeladen, sich über die Konzeption einer Arbeit im öffentlichen Raum Gedanken zu machen. Es entstand die Idee für eine – scherzhaft "Würschtelbude" genannte – Arbeit an der Schnittstelle zwischen Skulptur und Architektur für den Nordrand des Rosa-Luxemburg-Platzes, dem jetzigen Baugrund von L40. Das Projekt entwickelte eine interessante Eigendynamik. Die zunächst geplante architektonischen Skulptur wurde größer und größer verwandelte sich schließlich in eine Art skulpturalen Architektur. Mit Birgit Steenholdt-Schütt, die sowohl Vorstand des Verein zur Förderung von Kunst und Kultur am Rosa-Luxemburg-Platz e.V. als auch Eigentümerin der Wohnhäuser am Südrand des Platzes ist, fand sich eine Bauherrin. Für die Pläne des Duos Bundschuh/von Bonin wurde dadurch die notwendige wirtschaftliche Grundlage zur Realisierung ihres ehrgeizigen Bauprojektes geschaffen.

Entstanden ist daraus der Plan für einen spektakulären, schwarzen Solitär, der eine große Simultaneität von Architektur und Kunst suggeriert. Weder Traufhöhe noch Fassadengliederung entsprechen den städtebaulichen Vorgaben, was bei den beteiligten Behörden intensiven Gesprächsbedarf erzeugte, infolge dessen das Projekt auch lange auf der Kippe stand und vier Jahre ins Land gehen ließen, bis die Baugenehmigung erteilt wurde. Und obgleich keine lineare formale Fortführung der den Bau umgebenden städtebaulichen Struktur stattfindet, wird eine, wie Bundschuh es nennt "interpretatorische" Annäherung, an die architektonische Substanz in näherer und weiterer Umgebung, beispielweise an die Dynamik von Poelzigs Bauten erreicht, oder an das ehemalige Presse-Café am Alexanderplatz mit seinen charakteristischen Auskragungen.

Bundschuhs und von Bonins sechsgeschossiges Wohn- und Geschäftsgebäude kennzeichnet einen reizvollen Kontrast: Außen die skulpturale Form mit monolithischen, schwarzen, weit auskragenden und übereinandergeschichteten Baukörpern im Gegensatz zu einem hellen und großzügig wirkenden Inneren mit zwischen drei und sieben Meter hohen, lichtdurchfluteten Räumen. Es entstehen neun Eigentumswohnungen mit Flächen von ca. 70 bis über 300 Quadratmetern. Daneben sind im Erdgeschoss drei Laden- bzw. Gewerbeeinheiten von 56 bis 152 Quadratmetern Grundfläche vorgesehen.

Die vielen geschlossenen Wandflächen sowie die minimalistische Innenraumgestaltung lassen erahnen, dass die Präsentation von Kunst in diesen Wohnungen nicht nur geduldet ist, sondern sie hierfür geradezu prädestiniert sind. Es liegt also nah, die mittlerweile bereits zu einem Großteil verkauften Wohnungen, als für die Belange (und die finanziellen Möglichkeiten) von Kunstsammlern gestaltet zu etikettieren. Vor dem Hintergrund des entstehenden großartigen Gebäudes sei diese vielleicht etwas eigentümlich anmutende Vermarktungsstrategie jedoch gerne entschuldigt.

Ohne Zweifel wird Bundschuh/von Bonin mit L40 ein großer Wurf gelingen. Dabei liegt der besondere Reiz nicht nur in der Architektur selbst, sondern vor allem auch im städtebaulichen Umfeld, das den schwarzen Solitär einfassen und entsprechend zur Wirkung kommen lassen wird. Im Idealfall kann L40 aber auch eine Zäsur darstellen hinsichtlich einer Abkehr von einer oftmals zaghaften und uninspirierten, an historischen Vorgaben orientierten konservativen Architektur, die sich hauptsächlich an Traufhöhen und Fassadengliederungen abarbeitet.

In gekürzter Form veröffentlicht in: spike, No. 17, Herbst 2008.

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© 2008 Jan Winkelmann

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