Kennen Sie Helga?

Jan Winkelmann

Helga ist eine Englische Bulldogge und der heimliche Star des SAT 1-Morgenmagazins. Ihr beim Schlafen zuzusehen, wie sie mit rotem Halstuch bekleidet herrlich unbeholfen alle Viere von sich streckt, Grunzlauten ähnlich mit deformiertem Gesicht schmatzend vor sich hindöst, ohne von der wie eine Fliege um sie kreisenden Kamera Notiz zu nehmen, ist einfach köstlich und untergräbt die zum Selbstzweck allmorgendlich zelebrierte schlechte Laune ganz unbemerkt. Heute hatte man Helga, anläßlich der gestrigen Deutschlandpremiere des neuen Godzilla-Films, einen drachenähnlichen Plastikkamm auf den Rücken geschnallt. Ein Bild für Götter. Ich hatte mich halbtot gelacht und muß jetzt immer noch schmunzeln, wenn ich daran denke. Gelegentlich frage ich mich, worin die Gründe zu suchen sind, Tiere und insbesondere Haustiere mit menschlichen Attributen zu schmücken, zu belegen oder zu beschreiben. Oftmals läßt sich diese Art der Vermenschlichung mit einem übertriebenen Sorgebedürfnis oder einer Kindsubstitution – sehr oft bei älteren Damen zu beobachten – erklären. So war es ohne Zweifel der Fall bei einer ehemaligen Nachbarin jenseits des Klimakteriums, die ihr chinchillaartiges, weihnachtsbaumähnlich geschmücktes Häufchen Hund beim Gassigehen grundsätzlich auf dem Arm trug, statt dem Hund den wohlverdienten Auslauf zu gewähren.

Vielleicht haben wir Großstädter aber auch ein allzu unnatürliches Verhältnis zu Tieren. Das fällt mir jedes Mal aufs neue auf, wenn ich an die Nordsee fahre und mir die am Straßenrand weidenden Kühe verwundert irritierte Blicke zuwerfen. Die so herrlich dröge blickenden Wiederkäuer sind gar nicht so ohne, wie ich in meinem diesjährigen Sommerurlaub erfahren sollte. Neben dem Haus weidete einsam eine Kuh, abgegrenzt von den anderen. Sie war verkrüppelt, hatte eine Krankheit, die mit der vergleichbar ist, an der Toulouse-Lautrec Zeit seines Lebens litt. Ihre Knochen waren instabil und die Vorderbeine um die Hälfte kürzer als die hinteren. Sie lag immer in der Nähe der angrenzenden Weide, wo die gesunden Tiere grasten. Sie so unbeholfen humpeln zu sehen war merkwürdig, abstoßend und komisch zugleich. Ohne Zweifel war sie einsam und wäre gerne jenseits des trennenden elektrifizierten Drahtes bei ihren Freunden gewesen. Auf meine Frage, warum das Tier von den anderen separiert sein mußte, antwortete mir der Bauer lakonisch, daß es ganz einfach von den gesunden Tieren getötet werden würde. Darwins Gesetz der natürlichen Selektion, von der Theorie her durchaus geläufig, bekommt in dieser unmittelbaren Anschaulichkeit etwas grauenhaftes, obgleich es nichts anderes als etwas sehr natürliches ist. Den Bauern hingegen sind Nutztiere etwas sehr vertrautes und alltägliches. Für sie hat keines der Tiere eine so persönliche Identität, als daß man es mit einem Namen individualisieren müßte. Kühe kommen und gehen. Sie werden geboren, bringen Kälber zur Welt, geben eine Weile Milch und werden schließlich geschlachtet. Ein natürlicher Kreislauf, der nur von den Menschen, die den direkten Umgang mit diesen halbdomestizierten Tieren entweder nie erlernt oder zu schnell wieder verlernt haben, nicht als solcher begriffen wird.

Nun gibt es aber neben diesen Tieren auch solche, die man nicht aus persönlicher Anschauung oder dem Umgang mit ihnen kennt. Wilde Tiere sind entweder zu scheu oder zu gefährlich, als daß ein Großteil der Menschen mit ihnen jemals in freier Wildbahn zu tun bekäme. Uns sind sie trotzdem sehr vertraut, nicht zuletzt wegen der – Grzimek sei Dank – vielen Tiersendungen im TV. Allerdings vermitteln diese immer nur eine mediale, und somit eine eingeschränkte Realität. Wenn ich eine Tiersendung sehe, wo beispielsweise kleine Löwenbabys lustig und unbeholfen herumtollen, stelle ich mir immer vor, wie diese Tiere wohl riechen – wobei es wohl zutreffender wäre, von stinken zu sprechen. Einen vagen Eindruck dieses olfaktorischen Erlebnisses bekommt man in jedem örtlichen Zoo, obwohl auch dort die täglichen Hygienemaßnahmen einen Großteil des natürlichen Odeurs auf ein Minimum reduzieren. Bemerkenswert finde ich auch, daß es in erster Linie bepelzte Tiere sind, die uns Menschen so faszinieren. Denken wir an die Legionen von Steif-Knopf-im-Ohr-Tieren, die allabendlich die Betten kleiner Kinder bevölkern. Allesamt sind dies Tiere, deren Fell so angenehm flauscht und dadurch ein Gefühl von Wärme und Geborgenheit vermitteln. Ausgerechnet beim Prototyp des Plüschtieres, dem Bären, ist der Bruch von Projektion und Realität am größten. Im Fernsehen sehen sie so herrlich gemütlich, trottelig und lustig aus, doch wer schon einmal persönlich Bekanntschaft mit Meister Petz in natürlicher Umgebung machen durfte – und dies überlebt hat –, ist wahrscheinlich weniger begeistert von der Aggressivität und Gewalt, zu der dieses spielzeugähnliche Wesen in realiter fähig ist. Zu dieser kurz skizzierten Fell-Theorie paßt allerdings nicht das Phänomen, das sich bei "Jurassic Park" ankündigte und nun bei "Godzilla" wieder aufzuleben scheint. Daß nun plötzlich gar nicht so anschiegsame, vielmehr ekelhafte und unangenehme Echsen und Saurier aus kaltem Plastik den guten alten Teddy ablösen, ist mir ein Rätsel. Auf der anderen Seite habe ich meine halbe Kindheit einschlafenderweise mit einem Plüschnilpferd im Arm verbracht, und die haben normalerweise ja auch kein Fell. Ich stelle mir lieber nicht vor, wie diese Tiere in Wirklichkeit riechen.

veröffentlicht in: Katharina Büche. Alles für die Katz, Davos, 1998.

© 1998 Jan Winkelmann

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