Jan Winkelmann im Gespräch mit BLESS

JW: Im Rahmen der Publikation der "ars viva 01/02 Förderpreis"-Ausstellung habt ihr die euch zur Verfügung stehenden Katalogseiten nicht für die Darstellung eurer Produkte, Kollektionen und/oder Projekte genutzt. Stattdessen wurde eine Reihe von Anzeigen veröffentlicht, die ihr mit Zeitschriften getauscht habt. Könntet ihr dieses Projekt und Eure Beweggründe, die hinter diesem Schritt stehen erläutern? Offensichtlich liegt eurem Handeln eine Form von Verweigerungshaltung zu Grunde.

BLESS: Unsere Arbeit lebt von außen, bzw. von an uns selbst gestellten Aufgaben und der sich daran anschließenden Suche nach für uns sinnvollen Lösungen. Wir freuen uns über Reaktionen aller Art, da es für uns spannend ist, wenn unsere Arbeit als Kontaktaufnahme zu unbestimmten RezipientInnen funktioniert.

Der "ars viva Preis" war schmeichelhaft und willkommen. Insbesondere, da er eine Erweiterung des eigenen Wirkungsfeldes und einen möglichen Zugang zu einer Welt, deren Sicht auf die Dinge uns interessiert, versprach. Da der Katalog zur Eröffnung der ersten Ausstellungsstation vorliegen sollte, war die Deadline entsprechend frühzeitig. Das war für uns ungewohnt, da wir normalerweise unsere Publikationen nutzen, um ein Ergebnis zu dokumentieren und nicht um es zu prognostizieren.

Der daraus entstehende Druck ließ uns klar werden, dass wir als Designerinnen sehr froh sein können, von Förderprogrammen und  Stipendien unabhängig zu sein, dass wir uns die Zeit nehmen können, ein Projekt zu Ende zu denken und nicht gezwungen sind, es in einem unfertigen Stadium präsentieren zu müssen. Erschwerend kam hinzu, dass wir eigentlich ein Moment der Unvorhersehbarkeit, in Form des Reagierens auf die unterschiedlichen Ausstellungsorte und -situationen für die ars viva-Ausstellungen, einbeziehen wollten. Aus diesem Grunde haben wir mit unserem Katalogbeitrag die Idee eines Förderpreises thematisiert. Wir initiierten einen Anzeigentausch mit Zeitschriften und Publikationen aus unserem Umfeld. Hierbei erhielten wir nicht nur Anzeigen in für uns wichtigen internationalen Magazinen kostenlos, was uns ermöglichte, die gesamte Kollektion S/S 2002, "BLESS shopping supports", d.h. pro Produkt je eine Anzeige zu veröffentlichen. Vielmehr war auch das Sichtbarmachen jener, unsere Arbeit unterstützenden externen Netzwerkstrukturen von großer Bedeutung. Da wir von jeher den musealen Kontext als Wahlheimat für unsere Produkte anzweifeln, entwickelten wir für die Präsentation der am Projekt teilnehmenden Magazine die Idee einer Kombination von Lesepult und Bilderrahmen.

Die im Neuen Museum Nürnberg ausgestellte "Wand" (BLESS # 17 Design Relativators / Interior Relativator) ergab sich aus den Rahmenbedingungen vor Ort und dem Bedürfnis in die gegebene Raumstruktur unmittelbar einzugreifen. Für uns bot sich die Gelegenheit, eine bereits seit langem bestehende Idee zu realisieren: Eine Wand zu bauen, die zwar eine Wand ist, aber gegebenenfalls auch als Sitzgelegenheit dienen kann. Diese hatten wir sowohl für Verwaltungsgebäude, Haltestellensituationen oder aber Museen vorgesehen. Die Arbeit ist Teil von "BLESS N° 17 Design Relativators" und eine Form von Relativierung des Designs für Sitzmöbel.

Könntet ihr kurz erklären, was es mit den "Design Relativators" auf sich hat?

Hier die Produktinformation zu "BLESS N° 17 Design Relativators":

Style neutralizing surfaces for indispensable products

Obstrusive design of inavoidable everyday products is omnipresent. An observation of the outer appearance of most available products like telephones, blowdryers, flat-irons, vacuum cleaners, cars, etc. ... shows mostly their insufficience to satisfy physically. We need to use them but don't like to look at them. The aim is an optical adaption to our needs.

Wann und wo habt ihr euch kennen gelernt bzw. wie hat eure Zusammenarbeit begonnen und vor allem: wie kamt ihr auf den Namen BLESS?

Wir trafen uns 1993 bei einem internationalen Wettbewerb für Studenten von Modeschulen in Paris. Desiree studierte in Wien an der Hochschule für angewandte Kunst und Ines an der Fachhochschule für Kunst und Design in Hannover. Unsere Zeichnungen hingen zufällig nebeneinander, so dass wir miteinander ins Gespräch kamen. Wir blieben in Kontakt und besuchten uns 1994 und 1995 jeweils zu den Diplompräsentationen. Im darauf folgenden Sommer arbeiteten wir an einer kleinen Edition von sommerlichen Oberteilen, fotografierten diese, gestalteten Plakate mit diesen Images und überlegten uns einen Namen, zu dem wir unsere Telefonnummer notieren konnten, um ein Feedback auf diese ersten Verbreitungsversuche zu provozieren.

BLESS ist ein Name, der unsere ursprünglichen Ansätze einer Projektarbeit gut repräsentiert. Wir wollten einen Namen, der in verschiedenen Sprachen nicht unnötig verzerrt klingt, der ein Frauenname sein könnte und an den man sich ganz leicht erinnert.

Wie würdet ihr eure Arbeitsweise definieren? Könnt ihr anhand eines Beispiels die Genese eines Produktes oder einer Kollektion beschreiben?

Unsere Arbeitsweise ist stark projektabhängig. Unsere Motivation gründet in der Leidenschaft, Dinge aus unserer Sicht zu verändern oder zu verbessern und diese Vorschläge in Form von Produkten oder Anzeigen anzubieten. Die grundlegende Bedingung für unsere Arbeit ist unser gemeinsames persönliches Interesse, d.h. zum einen, dass es zu einer Ausgangsidee nichts vergleichbares geben darf und dass wir versuchen, uns mit unserer Arbeit selbst Wünsche zu erfüllen. Das Besondere ist dabei vielleicht auch, dass unsere Arbeitsergebnisse stets mehr als nur eine Übereinkunft zwischen uns beiden darstellt, d.h. einer von uns alleine würde nie zu dem selben Ergebnis gelangen.

Selbstverständlich stellt sich mit zunehmender Erfahrung ein Gefühl dafür ein, was "funktionieren" könnte und was nicht. Es bleibt uns jedoch die Freiheit, dies zu berücksichtigen, aus unserer Sicht marktstrategisch günstig zu handeln oder aber egoistisch und idealistisch möglichst wenig Kompromisse einzugehen. Letztendlich finden wir mittlerweile beides wichtig, da wir alleine von Artikeln in Magazinen nicht so leben können, wie wir es uns vorstellen.

Entstehen eure Produkte/Kollektionen in regelmäßigen Abständen, oder widersetzt ihr euch auch diesbezüglich den gängigen Konventionen bzw. Erwartungen?

Aus unseren anfänglichen Versuchen mit vier Produkten pro Jahr in Erscheinung zu treten, wurden schnell drei, nicht zuletzt aufgrund des Rhythmus in der Modebranche, die immerhin unsere Hauptklientel stellt.

Die Anzahl der Ideen/Entwürfe/Produkte pro Jahr ist zwar unterschiedlich, hat sich jedoch seit unserem Beginn tendenziell vergrößert. Am Anfang fanden wir es sehr interessant, eben nicht in Kollektionen zu denken, sondern in einzelnen Produkten, da wir keine Variationen von einer Idee anbieten wollten, sondern die Idee selbst als ein Produkt. "BLESS N° 03" war z.B. ein Accessoire, das als Stellvertreter für eine Kollektion gedacht war. Es handelt sich dabei um ein Ganzkörper-Accessoire, welches man z.B. an den Ohren befestigt als Schmuck über der Kleidung tragen kann, eine Art Tüllschleier auf den wir verschiedene, mehr oder weniger nutzlose Elemente, unterschiedliche Farben und Materialien aufbrachten und das wir grundsätzlich als eine Art Inspirationsangebot verstanden. Auch wenn wir davon nur ein paar wenige, u.a. an befreundete Designer, verkauften, war dieses Produkt doch mehr ein privates Vergnügen als ein Kassenschlager. Durch unsere dezente Präsenz bei den Pret-à-porter-Schauen in Paris haben wir jedoch schnell begriffen, dass es, trotz unserer Traumvorstellung nur dem eigenen Rhythmus folgen zu wollen, doch sinnvoller ist, zu den "offiziellen Terminen" ein Projekt vorstellen zu können, als in der Urlaubszeit.

Also verinnerlichten wir das gängige "Zeit-Konzept", nicht zuletzt aufgrund unserer Zusammenarbeit mit anderen Designern und Firmen und gönnen uns den Luxus, uns in der Sommersaison freien Projekten zu widmen.

Arbeitet BLESS gelegentlich auch im Auftrag anderer Modelables?

Kürzlich bekamen wir erstmalig eine Anfrage von einem italienischen Modelabel, das zwei Zweitlinien auf den Markt brachte. Wir wurden beauftragt, zwei unterschiedliche Anzeigenkampagnen für Magazine, wie die italienische Vogue, Selfservice und Dutch zu entwickeln. Wir hatten in der Vergangenheit ja bereits verschiedentlich Jobs als freie Fotografinnen für Magazine gemacht. Diese Firma "beobachtete" uns wohl schon längere Zeit und kannte unsere Entwicklung von Beginn an. Interessant für uns war dabei, dass bei dem Kunden im Vergleich zu BLESS eine gegensätzliche Situation vorherrschte: die beiden Linien verkaufen sich bereits sehr gut, aber die Namen sind relativ unbekannt, obgleich sie neben Designerlabels in den entsprechenden Geschäften hängen. Der Reiz bestand also darin, dass wir als Imagedesigner konsultiert wurden. Die einzige Vorgabe waren die Bekleidungskollektionen. Für uns sind Jobs wie diese nicht nur eine spannende kreative Herausforderung, sondern sie dienen auch dazu, unsere eigene Arbeit zu finanzieren.

Eure Produkte sind gefragte Accessoires nicht nur bei euren KundInnen, sondern sie kommen, wie beispielsweise die Pelzperücken ("BLESS No. 00"), bisweilen auch bei den Modeschauen anderer ModedesignerInnen zum Einsatz. Gibt es hierfür noch andere Beispiele, wo eure Arbeiten von anderen KulturproduzentInnen "vereinnahmt" wurden?

Dass die Pelzperücke damals Martin Margiela auf die Idee brachte, erstmalig mit anderen Designern zu kooperieren, war für uns ein produktiver Zufall. Da wir auch nicht vorhatten, so schnell wie möglich eine eigene Kollektion zu machen, kam uns dieses Angebot sehr recht. Es setzte uns aber auch unter Druck, zügig ein neues Produkt auf den Markt zu bringen, da wir nicht zu Hutmacherinnen reduziert bzw. nur als solche wahrgenommen werden wollten. Daraufhin entstand das erste "BLESS Beauty Product", das "Wearable Make-up", das sind unterschiedlichste Stoffstückchen, die bei der Show von Kostas Murkudis genutzt und gezeigt wurden.

Damals kamen wir auf die Idee, andere Designer zu unterstützen, mit deren Haltung wir uns identifizieren konnten und die Ideen entwickeln, die uns begeistern und die wir selbst nicht besser machen könnten. Diese Linie nannten wir "BLESS advanced, designed by ..." und realisierten zuerst die "Direction Indicators, designed by Markus Wente", das sind feine graue Armbändchen mit R für "right" und L für "left" Beschilderung. Später gab es in dieser Linie den "Protector, designed by Wendy & Jim", den "Jeans Ring, designed by Jörg Todtenbier" und die "Earbags, designed by Tom Natvig".

"BLESS N° 06 Customizable Footwear", war eher eine Anfrage bei den Schuhproduzenten New Balance und Charles Jourdain nach deren Sohlen die uns von diesen dann freundlicherweise zur Verfügung gestellt wurden. Für eine Präsentation des japanischen Modelabels "Zucca" stellten wir unsere Stuhlbekleidung (BLESS N° 07 Chairwear B) zur Verfügung, weil für diese Interieur Produkte kein zwingender Grund für eine Präsentation während der Fashion Week bestanden hätte.

Darauf folgend forcierten wir weitere Zusammenarbeiten, initiierten das "BLESS N° 10 Scarf"-Projekt, bei dem wir sehr unterschiedliche Designer und Massenbekleidungshersteller um Kleiderspenden baten, um daraus neue Looks zu kreieren, die wir dann auf eine Schalsilhouette reduzierten. "BLESS N° 12 Team-ups" verweist auf die Kooperation bereits im Titel. Hier haben wir Schmuck für die Firma Bucherer und für Adidas Sneakers gestaltet. Unser "Advertising Exchange Project" im Rahmen von ars viva ist gleichfalls als Zusammenarbeit mit für unsere Arbeit wichtigen Magazinen und Agenturen zu verstehen. Das vorläufig jüngste Projekt "BLESS N° 16 Shoe Escort" ist ein Schuhentwurf für die Firma Eram bei dem wir eine Unikat Kollektion von 50 Paar handgestrickten Lederschuhen produzierten.

In eurer Arbeit setzt ihr euch nicht nur mit den Konventionen und Codes im Bereich der Mode auseinander, sondern Ihr dehnt euer Betätigungsfeld auch auf andere, benachbarte Bereiche kultureller Produktion, wie dem Produktdesign aus. Liegt euch hierbei eher daran, die Schnittstellen auszuloten oder sind diese für euch gar nicht mehr relevant bzw. existent?

Die Schnittstellen nehmen wir in der Tat gar nicht mehr wahr. Wir machen uns keine Gedanken darüber, was das jetzt genau ist, was wir da machen und wo es wie einzuordnen ist. Fakt ist einzig und alleine, dass es irgendwann einmal einen Anlass gab, das jeweilige Produkt zu konzipieren und dass es jetzt eben existiert. Für uns erfüllt es somit seinen Zweck. Ob das für jemand anderen genauso ist, ob es für andere Benutzer den selben oder einen anderen Zweck erfüllt, ist uns beides gleich lieb. Für uns ist am wichtigsten, dass wir in Form eines Produkts eine Fragestellung "bewältigt" haben. Wenn es zufällig andere Menschen ebenfalls beglückt, so freut uns das natürlich.

Euren KundInnen bzw. den KonsumentInnen eurer Produkte fordert ihr bisweilen einen nicht unbedeutenden gedanklichem Input ab. Sie werden nicht als reine KonsumentInnen, sondern eher als Mitkreateure verstanden. Oder widerstrebt es euch einfach, leicht zu konsumierende Produkte zu produzieren?

Es ist schwierig die eigene optische Langeweile zu befriedigen. Wenn wir ein neues Produkt machen, dann gelingt es uns kurzfristig, dass wir uns selbst überraschen und gegebenenfalls Dinge in einem anderen Kontext unter einem anderen Blickwinkel betrachten können. Wir gehen zuerst von unseren Bedürfnissen aus und denken, dass es sehr wahrscheinlich irgendwo Menschen gibt, denen es ähnlich geht. Diese sind nicht unbedingt unsere Kunden, sie zehren aber von den Produkten in Form einer reflektierten, die eigene Perspektive verschiebenden Anteilnahme, die dann möglicherweise in einen weiterführenden Denkprozess mündet.

Es wäre schön, wenn dadurch dieses Fertigfutter-Zeitalter etwas im Zaum gehalten würde und sich vielleicht von jenen Menschen überraschen lässt. Diese Portion Naivität möchten wir uns ganz gerne bewahren. Tatsächlich widerstrebt es uns, Dinge zu schaffen, die nur einen oberflächlichen Schmuckcharakter haben und ansonsten zu kaum etwas nützen, außer die "What’s-new-Seiten" in consumer-orientierten Lifestylemagazinen zu zieren. Für uns müssen all unsere Produkte Sinn machen, und wenn es nur ein absurder Sinn ist, der sehr persönlich von uns gesucht wird und unsere Umgebung direkt oder indirekt bereichert.

In einem kürzlich veröffentlichten Artikel habt ihr im Zusammenhang mit Aktivitäten, die nicht eure Kernkompetenzen betreffen, den Begriff "Dilettantismus-Bonus" gebraucht. Könnte man hierbei von einer Soll-Bruchstelle in eurer Arbeit sprechen, die von euch als Strategie bewusst und gezielt eingesetzt wird?

Unsere Arbeit ist weniger theoretisch aufgeladen, als man annehmen mag. Als Nichtfachfrauen für die Produktion von Schuhen und Taschen, ohne jegliche Qualifikationen als Finanzierungsprojektleiterinnen, Buchhalterinnen, Versandlogistikplanerinnen, ohne ausreichend Fachkenntnis für Stoffzusammensetzungen und noch dazu als ehemalige Computerverweigerinnen haben wir aber dennoch ausreichend Ehrgeiz und einen unstillbaren Drang nach Veränderung. Wir sind zwei Frauen, die ziemlich gut zusammen arbeiten können und die versuchen, sich gegenseitig den Raum zu schaffen, den andere Menschen sonst nur begrenzt bereit sind zu geben. Wir wollen uns nirgends festhalten und möchten nicht den Anspruch erheben, auf nur einem Gebiet zu Hause zu sein, denn übermorgen bewegt uns vielleicht schon wieder etwas ganz anderes.

Ich möchte doch noch einmal auf die beiden Bereiche Kunst und Design zu sprechen kommen. Da ihr in beiden arbeitet, würde mich interessieren, wie ihr die jeweils unterschiedlichen spezifischen Erfahrungen in diesen Feldern bewertet. Inwieweit sind diese für Euch und Eure Arbeit kompatibel bzw. wo schließen sie sich gegenseitig aus?
 
Zu diskutieren wäre generell zuerst an welcher Stelle die Trennlinie verläuft und wer diese Trennung benötigt bzw. ob eine Trennung überhaupt notwendig ist. Unsere Beobachtung und Erfahrung hierzu ist, dass uns noch kein Käufer und keine Käuferin unserer Produkte fragte, ob er oder sie nun gerade "Kunst" oder "Design" erworben hat. Ebenso wenig arbeiten wir unter diesen Überschriften. Interessant ist allerdings, dass unsere fehlende Stellungnahme kompatibel ist zu den üblichen Diskursen.
 
Unsere Arbeit motiviert sich vorrangig für den Produktsektor, d.h. das ist der für uns zu bewältigende Bereich. Sobald wir eine Idee haben, versuchen wir diese – wenn möglich ohne fremde Hilfe – umzusetzen, um sehr schnell einen Prototyp von dieser Idee in den Händen halten zu können. Dies unterscheidet unsere Arbeitsweise von den üblichen ModedesignerInnen, die – sofern sie in einer größeren Struktur tätig sind – ihre Ideen zumeist durch Skizzen oder technische Zeichnungen kommunizieren und sich für deren Realisierung an Zweite und Dritte wenden. Mit dem ersten Ergebnis, d.h. mit dem Prototyp, einer Abbildung oder einer Fotografie des Stücks entscheiden wir weiter, welche Art von Produktion und Auflage dafür in Frage kommt. Erst dann kontaktieren wir gegebenenfalls potentielle Kooperationspartner und überlegen, was für die jeweilige Situation – unter anderem auch hinsichtlich parallel laufender Projekte – sinnvoll ist und wie wir schließlich weiter verfahren. Die ein oder andere Idee blieb an dieser Stelle schon unverwirklicht, manche kommen erst nach längerem Warten wieder ins Spiel, z.B. wenn sich durch neue Vorraussetzungen eine Verwirklichung anbietet. Bei anderen Produkten gibt es keine Möglichkeit zu kooperieren oder eben keine erschwingliche Lösung für eine adäquate Außer-Haus-Produktion und wir realisieren dann "artisanal", will heissen in Handarbeit, wobei sich die Limitierung solcher Editionen dann durch den Faktor "Zeit" und "Lust" pro Saison ergibt. Der Preis dieser Auflagen wird je nach Aufwand errechnet und entsprechend festgesetzt. Auch wenn unsere Erfahrung zeigt, dass limitierte Produkte speziell in Japan teuer sein dürfen, so ist uns doch die Erschwinglichkeit im Sinne des Gebrauchsgegenstandes und die Verbreitung unserer Arbeit wichtiger als das sportliche Ausloten unseres Marktwertes als Künstlerinnen.
 
Unsere Arbeitsweise im Bereich Unikat ergibt sich neben dem Aspekt der Produzierbarkeit aus der jeweiligen Situation für die wir produzieren. Bei Einladungen zu Ausstellungen wie z.B. im Neuen Museum in Nürnberg geht es um einen besonderen Raum, es gibt es einen spezifischen Anlass und auch ein entsprechendes Budget. Hier eröffnen sich für uns ganz andere Möglichkeiten und der Aspekt der Verkäuflichkeit ist nebensächlich. Das heißt hier sind wir in der Lage Ideen zu realisieren, die wir sonst, d.h. mit dem gegebenen ökonomischen Druck, vielleicht nicht verwirklichen könnten. So ist z.B. die eingangs erwähnte "Wand" entstanden. Sie ist gleichzeitig als Sitzmöbel, Service-Angebot und Museumsinterieur zu verstehen. Sie "funktioniert" im Sinne unserer Arbeit so gut, dass wir sie wiederum gerne als Produkt in unser Sortiment aufnehmen würden. Wie du siehst, befruchten sich beide Bereiche gegenseitig, durchdringen sich ständig und können nicht voneinander getrennt betrachtet werden.

Das sind nun alles – wenngleich durchaus nachvollziehbare – doch eher praktische Gründe. Die Trennungslinie zwischen Kunst und Design verläuft für euch also lediglich auf einer pragmatischen und nicht auf einer inhaltlichen bzw. konzeptionellen Ebene?

Wie zuvor schon einmal erwähnt: eine Trennungslinie existiert für uns nicht. Auftragsarbeiten dienen als Inspiration. Das Verlangen unserer KundInnen und InteressentInnen nach Neuem ist für uns ausgesprochen anregend. Wichtig ist für uns das unabhängige Agieren im Sinne unseres persönlichen Verantwortungsbewusstseins und eines produktiven Mitteilungsbedürfnisses.

Dieses Gespräch wurde in niederländischer Sprache in: Metropolis M. Tijdschrift over hedendaagse kunst, No. 1, Jan-März 2003, veröffentlicht.

Eine erweiterte Version dieses Gesprächs wurde in englischer Sprache veröffentlicht in: BLESS – Celebrating 10 Years of Themelessness Nº 00 – Nº 29, Sternberg Press, Berlin, New York, 2006.

© 2003 Jan Winkelmann

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