„Alles
liegt offen“. Ein Gespräch mit Franz Ackermann
Jan
Winkelmann
Franz Ackermann ist Maler
und lebt in Berlin. Wichtigstes Erfahrungsmoment und zentraler Reflexionsgegenstand
seines Werks ist das Reisen. Dabei könnte die Gleichung „Reisen =
Wirklichkeitsaneignung durch Bewegung“ als der Ausgangspunkt für sein Interesse an der Wahrnehmung
fremder Kulturräume definiert werden. Ackermanns großformatige
Ölgemälde sind dabei weniger mimetisches Abbild des in der
„Bewegung“ Erlebten und Gesehenen. Vielmehr muten seine Werke wie
eruptive, verdichtete Wirklichkeitsfragmente an, die in suggestiven Formen und
explodierenden Farben weniger vom Erlebten und Gesehenen erzählen, als
vielmehr dieses mit Imaginiertem und Assoziiertem zu einem spannungsreichen
malerischen Kaleidoskop amalgamieren.
Jan Winkelmann: In der Kunsthalle Basel wird ab Mitte Januar eine Ausstellung von dir eröffnet. Was hast du geplant?
Franz Ackermann: Die ganze
Ausstellung in Basel dreht sich thematisch um den Begriff des Tourismus als
Aneignung des Fremden und den gewaltigen, darin enthaltenen
Missverständnissen. Die Ausstellung wird ein Vexierspiel zwischen der
Illusion von Malerei und den „realen“ Baukörpern. Im
größten der sieben Räume, der fast 20 x 10 Meter groß
ist, wird zum Beispiel ein riesiger Raum eingebaut. Es handelt sich dabei um
eine 1:1 Umsetzung eines Zimmers aus Prora, dem riesigen „Kraft durch
Freude-Seebad“, das 1936 von den Nazis auf Rügen, direkt in
Sichtweite der Kreidefelsen gebaut wurde und das mit seinen 4 km langen
Gebäudereihen das längste Bauwerk Europas ist. Ich war lange dort und
habe vor Ort recherchiert. Die ganze Arbeit wird aus demontierbaren Wänden
gebaut. Über dem „Prora-Raum“ wird ein Ölbild mit einem
Wasserfall wie eine Art riesiges Billboard schweben, gleich einem Versprechen
von irgend etwas. Es kann aber auch gut sein, dass dieser Wasserfall in der
Ausstellung auf der realen Wand als Wandgemälde weitergeführt wird.
Jeder Raum hat inhaltlich seine Eigenständigkeit, wird aber insgesamt
thematisch zusammengehalten. Es werden sechs neue große Ölbilder zu
sehen sein, die mit zum Teil skulpturalen, teils fotografischen Momenten
kombiniert werden.
Es ist deine bislang
größte Ausstellung. Wird der Katalog wieder ein konzeptionelles
Künstlerbuch, wie alle deine bisherigen Publikationen? Es ist ja ein
interessantes Phänomen, dass viele Künstler deiner Generation, wie
zum Beispiel Tobias Rehberger oder Rirkrit
Tiravanija, sich dem klassischen Katalog hartnäckig
verweigern. Vielmehr werden die ausstellungsbegleitende Publikationen nicht als
Dokumentation, sondern als Weiterführung der eigenen Arbeit in einem
anderen Medium verstanden.
Gleiches bei mir. Ich halte
es nach wie vor für verfrüht, einen retrospektiv angelegten Katalog
zu produzieren. Du kennst selbst die Problematik, den Katalog vier Wochen nach
der Eröffnung mit Installationsfotos nachzuliefern. Das reicht mir nicht.
Deshalb wird es in Basel wieder einen konzeptuellen Katalog geben. Ich gehe da
ganz streng vor, die Kunsthalle hat sieben Räume und der Katalog sollte
wie ein weiterer Ausstellungsraum, der achte, funktionieren. Hier wird es um
„Mallorca“ gehen, eine Bestandsaufnahme von Häusern dort,
Housing pur, ganz reduziert. Man soll ihn durchblättern und dabei nicht
wirklich wissen, ob es sich nun um ein Fotobuch der Becher-Schule oder um
amerikanische Fotografie handelt. Ab einem bestimmten Punkt beginnt es
allmählich, dass ich in die Fotos reingezeichnet habe und dann wird es
immer amorpher und verwandelt sich gegen Ende des Buches immer mehr in meine
Zeichnungen. Zu Beginn wirkt es total chaotisch und gegen Ende geht es immer
mehr in ein „Mental Map“ über. Das Ganze nur in Schwarzweiß,
ganz reduziert.
Die „Mental Maps“ entstehen ja immer nur, wenn du auf Reisen bist, als eine Art Gedankenskizze oder nennen wir es „Visual Diary“. Die Umsetzung in großformatige Ölgemälde entsteht dann ausschließlich im Atelier, nachdem du wieder zurück gekommen bist.
Im Prinzip stimmt das schon,
aber teilweise ist es doch etwas komplizierter. Die „Mental Maps“
entstehen vor Ort. Sie können aber auch woanders entstehen. Es kann sein,
dass ich in Los Angeles ein Aquarell anfange, es mir in Buenos Aires ansehe, um
es dann in München fertig zu machen. Der Ort selbst ist Auslöser, und
niemals Abbild. Während die Malerei ganz sesshaft ist. Hier fange ich dann
auch nicht an, die Welt anzuschauen. Das funktioniert dann wirklich eins zu
eins wie abstrakte Malerei, ganz körperlich. Ich stelle mich vor die
Leinwand und über eine Erinnerung.
Aber dabei dienen die
„Mental Maps“ schon als eine Art Ideenpool oder
Gedankenstütze?
So einfach kann man das nicht
beantworten. Lange Zeit war das eine Fragestellung, ob sie eine reine
Gedankenstütze sind und dabei ihre Eigenständigkeit verlieren. Es
sind auf jeden Fall keine Skizzen, wie sie beispielsweise August Macke oder
Paul Klee auf ihren Reisen Anfang des 20. Jahrhunderts gemacht haben. Bei ihnen
waren es reine Skizzen oder leichte luftige Aquarelle von einer bestimmten
Lichtstimmung. Aber damit habe ich ja nichts zu tun. Bei mir sind das
ausformulierte kleine Blätter, die in ihrer Dichte teilweise ein kleines
malerisches Bild sind. Dabei tauchen dann natürlich malerische Fragen auf,
wie z.B. nach dem Format, oder ich überlege mir, dem einen oder anderen
Farbton mehr Volumen zu geben, um ihn stärker wirken zu lassen. Das
funktioniert aber genauso gut auch umgekehrt. Wenn eine Farbigkeit sich in der
Malerei z.B. sehr stark einlöst, dann kann ich sie in der Zeichnung unter
Umständen wieder vernachlässigen. Das heißt, in den letzten
beiden Jahren sind sehr stark Zeichnungen hervorgetreten, bei denen ich heute
Stellen, die ich früher noch aquarelliert hätte, mit zwei
verschiedenen Bleistiften, einem weichen und einem harten, darstelle.
Das wechselseitige Verhältnis zwischen Malerei und Aquarell ist also immer wieder auch eine Art des Abgleichs zwischen den unterschiedlichen Möglichkeiten, die diese beiden Techniken bieten.
Man kann es eben einfach
nicht trennen. Wenn man sich mit diesen Medien beschäftigt, dann ist es
etwas sehr Natürliches, dass sich aus dem Einen ein Erfahrungswert bildet
oder eine Konsequenz. Manchmal nähert sich das Eine dem Anderen an, aber
ab und zu ist das Eine auch wieder etwas weiter vom Anderen entfernt. Es kommt
sehr oft vor, dass mich ein Problem in der Malerei viel länger
beschäftigt, weil es in diesem Medium noch nicht ganz geklärt ist,
während ich in der Zeichnung schon längst beim nächsten Problem
bin. Sehr oft ist es aber auch umgekehrt.
Entstehen zur Zeit in
Berlin auch Zeichnungen?
Ganz wenige, und wenn, dann
nur großformatige. Teilweise lege ich bestimmte Teile an, meistens
große lineare oder ornamentale Strukturen. Über ein Skizzenbuch
gehen diese dann in eine große Zeichnung über. Oft nehme ich diese
dann als „Material“ zum Aufbau mit. Das heißt, ich lasse mir
große Mappen, mit diesen bereits angelegten Zeichnungen, ins Hotel nachschicken,
wie beispielsweise jetzt auch nach Basel.
Du hast also vorbereitete Zeichnungen, die du dir an die jeweiligen Orte schicken lässt und auf die du dann gegebenenfalls während eines Ausstellungaufbaus zurückgreifen kannst?
Genau, die kleinen Zeichnungen
habe ich grundsätzlich immer dabei, die passen ins Handgepäck. Es
sind aber Formate dazugekommen, die ein Bindeglied zwischen installativen
Arbeiten, Malerei und den kleinen Zeichnungen darstellen. Wenn ich jetzt vom 3.
bis 18. Januar in Basel aufbaue, dann habe ich drei Medien, mit denen ich vor
Ort arbeite, die vorproduzierte Malerei, die „Mental Maps“ und die
Installation. Diese geben mir die Möglichkeit so zu agieren, wie ich will
und auf bestimmte Situationen, die sich vor Ort ergeben, formal wie inhaltlich
zu reagieren. Ich kann aber auch ins Hotel gehen, die Mappe mit den Zeichnungen
rausholen und sie mit schwarzem Filzstift überarbeiten. Als
Möglichkeit habe ich sie dann in petto. Ich kann vor Ort ganz präzise
auf die gegebene oder sich ergebende Situationen reagieren.
Du bist so hervorragend organisiert, da du dir verschiedene Möglichkeiten beim Aufbau offen halten möchtest, um flexibel zu reagieren und/oder etwas auch noch verändern zu können?
Der Vorwurf war ja immer,
dass die Malerei zu unflexibel sei und zu fixiert. Das ist alles Blödsinn.
Die Frage, die mich jedoch immer interessiert hat war, wie aktuell ein Bild
gegenüber einer physischen oder mentalen Äußerung sein kann.
Wie sichtbar kann so etwas werden? Denke an Performance, an Happening, an Tanz
oder Musik. Mit dem Instrumentarium, das ich mir geschaffen habe, kann ich
quasi tagesaktuell reagieren. Ich habe bei jedem Aufbau einen Holzkoffer mit
Öltuben in den vier Grundfarben, einer Flasche Terpentin und ein paar
Pinseln dabei. Das erlaubt mir in der Ausstellung noch an den Gemälden zu
arbeiten. Auf den Ölbildern, die ich hier im Atelier mache lasse ich
teilweise kleine weiße Stellen frei, die dann so eine Art Platzhalter
sind, wo ich zum Beispiel einen Naherholungs-Spot aus der Umgebung von Basel
einfügen kann, den dann die Besucher sofort erkennen. Und wenn dann zum
Beispiel noch ein tagespolitisches Ereignis dazu kommt, wird das Ganze noch
stärker besetzt und damit habe ich für das Medium Ölmalerei eine
Art Zeitbegriff eingeführt, der diese Sesshaftigkeit und Starrheit des
Mediums ein wenig in Frage stellt.
Du sprachst davon, dass vor ungefähr zwei Jahren deine Arbeit installativer geworden ist. Wie kam das?
Das kam über die
Wandmalerei. Bei bestimmten Kontrasten stellte ich mir die Frage nach der
Materialität, denn die Technik von Öl auf Nessel und Keilrahmen ist
an bestimmten Stellen etwas überstrapaziert. Ich habe mir dann
überlegt, wie es wäre, wenn man mit Acrylfarbe direkt auf die Wand
malen würde. Die erste Wandmalerei überhaupt entstand 1995 in
Nordhorn. Dort habe ich festgestellt, dass die Wandmalerei meiner Art zu
arbeiten sehr stark entgegenkommt, denn auf einmal habe ich nicht mehr das
Problem, dass ein zuvor geschaffenes Gemälde angeliefert wird und ich es
einfach nur an die Wand hänge, sondern ich kann die Wand in Richtung Bild
definieren. Das heißt, ich kann den Spieß umdrehen und das Bild
malen und dabei die Wand „dazu zu denken“. Und auf einmal ist man
in einem Raum, der Erlebnischarakter hat, was ja zu Beginn der 90er Jahre eher
verpönt war. Das wirft dann natürlich an verschiedenen Stellen auch
Fragen nach der Dekoration auf, aber gleichzeitig setze ich mich ständig
inhaltlich damit auseinander. Wie kann man Malerei neu besetzen, wie kann man
mit Farbe agieren, ohne dabei gleichzeitig wieder die klassischen Fragen der
Autonomie aufzuwerfen und abstrakte Kunst zu machen? Da bin ich mit meiner
Malerei in einer ganz ambivalenten Position. Man kann sie inhaltlich lesen und
gleichzeitig lässt sie sich auch nur auf Farbe oder Kontraste betrachten.
Beides ist mir wichtig.
Um noch einmal auf die „Mental Maps“ zurückzukommen. So wie ich das verstanden habe, sind sie erstmals bei deinem Aufenthalt in Hongkong entstanden.
Genau, das waren
zunächst einmal ganz pragmatische Gründe. Der erste Block, den ich
dafür benutzte, war ein chinesischer Block im Format 13 x 19 cm. Nachdem
ich ein halbes Jahr dort war und hauptsächlich fotografierte, wo ich kaum
Kunst und Kultur westlicher Definition im Sinne von bildender Kunst gesehen
hatte, kam das ganz natürliche Bedürfnis wieder zu malen und zu
zeichnen. Es entstand eine Art Koppelung, vom Fotografieren, dem Postkarten
sammeln, dem Bus fahren und so habe ich angefangen, die ersten Zeichnungen zu
machen. Diese waren zunächst eher abstrakt und irgendwie hatte sich das
dann sehr schnell für mich als spannungsreich erwiesen. Die Zimmer, in
denen ich dort wohnte, waren nie größer als 1,20 x 2 Meter mit einer
Luke, wie eine Art Toilettenfenster. Das war am Anfang zwar sehr ungewohnt und
schwer, sich an solche räumlichen Verhältnisse zu gewöhnen, aber
nach einer Weile ging das schon und man konnte in diesen „Zellen“
ohne weiteres prima leben. Das war überhaupt kein Problem. Es gab auch
kein körperliches Bedürfnis nach mehr Raum. Das ist eigentlich bis
heute so.
Die „Mental Maps“ sind also mit einer gewissen „Distanz“, in der Abgeschlossenheit des kleinen Zimmers, entstanden. Schon vor Ort, aber nicht unmittelbar vor dem Motiv selbst, obgleich es in deinen Arbeiten ja nie nur ein einziges Motiv gibt, sondern es immer eine Konglomeration von unterschiedlichen urbanen Momenten sind. Das Moment der Distanz ist demnach also schon ein wichtiger Punkt?
Distanz als solche war mir
nie wichtig, in dem Sinne, dass ich sie haben muss, um kreativ zu sein.
Vielmehr Distanz als Auslöser von Imagination. Ich verwende heute immer
noch dasselbe Format. Ich freue mich jetzt auch wieder auf das Format, nach den
vielen großen Ölgemälden. Nächstes Jahr werde ich sechs
Wochen in Tokio sein, einer Stadt, in der ich noch nie gewesen bin. Dort habe ich meinen Block dabei und
freue mich auf das, was entsteht. Das Ergebnis wird dann in der Galerie Tomio
Koyama zu sehen sein. Dabei setze ich mich aber auch nicht unter Druck. Wenn in
der Zeit nur zwei Aquarelle entstehen, werden eben nur zwei ausgestellt und
wenn es 30 sind, dann sind es 30.
Du fährst also ohne eine einzige Arbeit nach Japan und die ganze Ausstellung entsteht bei deinem Aufenthalt vor Ort.
Genau, ich komme eigentlich
nur mit einem kleinen Malkasten.
Das ist ja eine ganz romantische Vorstellung von künstlerischer Freiheit...
...wenn sich diese
romantische Vorstellung emotional in den Aquarellen auch tatsächlich
widerspiegeln würde. Das tut sie aber nicht. Ich fahre dort hin und dann
sehen wir weiter. Ich mag einfach die Vorstellung nicht, dass ich zu der
Ausstellung eine Ladung Holzkisten mit Gemälden hinschicke und ich, sobald
sie an der Wand hängen, Urlaub mache.
Das ist natürlich eine ganz andere Form der künstlerischen Produktion, die den Arbeitsprozess und das Ergebnis auch viel spannender und vielleicht auch fruchtbarer gestalten.
Es ist in erster Linie eine
ganz andere Art der Auseinandersetzung. Was man früher in drei Jahren
Reisen gesehen hat, kann man heute als Erfahrung in zwei Wochen
durchdeklinieren. Ich kann nicht mehr sagen, dass ich morgen nach Bangkok
fliege und deshalb nervös bin, weil ich nicht weiß, was mich
erwartet. Durch die Fülle an Informationen, auf die man in den
unterschiedlichsten Medien zugreifen kann, entwickelt man bereits eine
bestimmte Vorstellung vom Reiseziel, die nicht mehr so weit von dem entfernt
ist, was man dann tatsächlich auch sehen wird. Ich muss aber auch sagen,
dass die permanente Motivation sich zu bewegen stark abgenommen hat. Ich
verreise nur noch im Block und alles andere versuche ich auf ein Minimum zu
reduzieren, denn das ist für mich nicht das, was ich unter
„Bewegung“ verstehe. Aus diesem Grunde fliege ja auch nicht mehr
als acht Stunden am Stück.
Warum?
Ich mag es einfach nicht.
Das Tempo, der Stress ist zu groß und ich mache lieber einen Stop-over in
Istanbul auf dem Weg nach Beirut, als dass ich mich mit den großen Jumbos
kulturell so weit durch die Gegend schießen lasse. Sechs, sieben Stunden
Flug an einem Stück reichen mir vollkommen aus. Und wenn ich nach Tokio fliege,
muss das eigentlich in drei Etappen gehen, bei denen dann ja schon etwas
passiert...
...du meinst eine Form der kulturellen Annährung.
Auf meiner großen
Reise bin ich zum Beispiel damals von Hongkong überland zurück nach
Europa gekommen, das war das Schönste überhaupt. Ich bin ständig
irgendwo ausgestiegen. Ich war einen Monat in Ulan Bator und habe dann die
Transsibirische Eisenbahn genommen, bin in Irkutsk für sieben Tage
ausgestiegen. Dort war es schon ziemlich europäisch und ich habe mich
schon fast zu Hause gefühlt. Danach war ich einen Monat in Moskau, zwei
Nächte in Warschau und dann wurden meine Stopps immer kürzer, einen
Tag in Minsk, bis ich dann hier wieder ankam.
Als ich davor in Hongkong
war, bin ich von dort aus eigentlich nur noch ein Mal, nach Manila geflogen.
Dann war ich in Sumatra, bin von dort aus überland gereist, nach
Indonesien, Jakarta, Singapur, Malaysia, dann nach Bangkok, von dort nach
Vietnam, wo die Grenzen gerade geöffnet wurden. Von da aus mit dem Bus
nach Kambodscha, die Ostküste Vietnams hoch bis nach Saigon. Über
Guang-zhou, Gui-lin zurück nach Hongkong, von hier aus mit dem Schiff nach
Schanghai, dann weiter nach Peking. Dort einen Monat geblieben und dann mit der
Transsibirischen zurück....
Für derartig zeitintensive Reisen hast du doch aber mittlerweile die Zeit gar nicht mehr...
...und die Konsequenz ist,
dass weniger Zeichnungen entstehen. Aber das wird sich auch irgendwann wieder
ändern. Und das ist bis heute jeden Tag von vorne immer wieder harte
Arbeit. Ich kann mich ja einfach nicht auf dem Erfolg der letzten fünf
Jahre ausruhen. Deshalb mache ich fast für jede Ausstellung immer neue
Arbeiten und greife sehr selten auf ältere, bereits existierende Arbeiten
zurück.
Hier muss ich doch noch einmal nachfragen: heißt das, dass die Aquarelle ausschließlich entstehen, wenn du – wie du es nennst – Dich „bewegst“, das heißt zweckfrei (nicht im Zusammenhang mit einer Ausstellung) auf Reisen bist.
Im wesentlichen ist das
richtig, wobei es natürlich schon Momente gibt, wo ich mal ein
älteres Blatt überarbeite. Aber das Reisen ist natürlich heute
schon etwas anders, wie vor zehn Jahren. Es ist besser organisiert, das
heißt, man hat etwas mehr Geld und man hat genau definierte Zeitfenster,
in denen man sich bewegt. Das ist auch eine Frage der Motivation. Bewegt man
sich nur innerhalb vorgegebener Ausstellungsdaten, oder schafft man sich da
eine andere Basis. Und wenn ich dann jetzt auch noch hier, im Alltag beginnen
würde zu zeichnen, dann würde ich mich über kurz oder lang wahrscheinlich
sehr schnell langweilen. Aber es ist auch eine Frage der Formate. Wenn du dir
die Ölbilder hier anschaust, das sind 7 x 3 Meter, und da habe ich im
Moment einfach keine Lust über 13 x 19 cm nachzudenken. Das wäre
absurd. Ich hätte das Gefühl, dass ich beginne, mich selbst zu
persiflieren. Aber es gibt hier noch eine ganze Menge malerischer Probleme, die
ich bis Ende des Jahres lösen muss, denn sie werden dann ab Mitte Januar
in Basel zur Diskussion gestellt. Natürlich werden diese Lösungen
auch über Zeichnungen und über die Arbeit an meinem Skizzenbuch
angegangen. Aber das Aquarell spielt dabei keine Rolle.
Du hast dir also deine „Instrumente“ und deine Arbeitsumgebung so geschaffen, dass du spezifische Fragestellungen an einem bestimmten Ort, wie momentan hier in deinem Berliner Atelier, verfolgst und andere Probleme einfach vertagt werden.
Genau. Vertagt aber nicht im
Sinne von: verschoben. Vielmehr hat das einfach auch etwas mit
Interessensschwerpunkten zu tun.
Zur Zeit habe ich zum
Beispiel keine Lust auf Stadt, das heißt urbane Strukturen interessieren
mich momentan nicht so sehr. Aber interessant ist zu sehen, was passiert, wenn
sich plötzlich sehr stark der Farbraum verändert. Eine interessante
und vielleicht zunächst auch abwegig scheinende Idee. Da geht es mir jetzt
nicht um kulturelle Differenzen, sondern einfach um die Optik. Mich
interessiert ganz einfach, was passiert in der sengenden Hitze in der
Wüste, Damaskus, Talkessel, Berge, Kargheit, das gelobte Land, Jordanien,
Schwarzes Meer gegenüber von Israel, Totenstille und alte Tempel und diese
unglaubliche Kargheit, Ammann, nur Betonhäuser. Das hat sich
natürlich in den Aquarellen vollständig eingelöst, weil auf
einmal relativ „farblose“ Arbeiten in braun, grau, ocker
entstanden. Dort wo sich der Pinsel in Hongkong oder in London oder in Los
Angeles nie hin verirrt hat, dort war er dann plötzlich bei diesen Farben.
Es kommen jetzt drei große Ausstellungen, im Kunstmuseum Wolfsburg, dem Stedelijk Museum in Amsterdam und der Reina Sofia in Madrid. Wird in den Ausstellungen, ähnlich wie in Basel, ein bestimmtes Thema fokussiert?
Nein, eigentlich nicht. In
Amsterdam wird natürlich die Malerei selbst viel stärker
untereinander und miteinander in Korrespondenz treten. Ich denke darüber
nach, die Arbeit aus der Ausstellung „Dream City“ (1999 in
München) und die Arbeit aus der Ausstellung im Neuen Aachener Kunstverein
(1998), beides große installative Einbauten, zu zeigen. Sie werden in
diesem Zusammenhang sicherlich neu bewertet. Ich freue mich schon drauf, an
beiden weiter zu arbeiten. Es würde mich auch schon sehr interessieren,
ein „holländisches Segelschiff“ aus dem 17. Jahrhundert
daneben zu hängen und damit einen Bogen zu spannen von der Malerei an
sich, zu Fragestellungen rund um den Kolonialismus.
Du reflektierst also
inhaltlich immer den jeweiligen Ausstellungsort?
Schon, aber das
heißt nicht, dass ich jetzt erst mal in die Bücherei gehe und das
kunsthistorisch aufarbeite oder soziologische Recherche betreibe. Aber es ist
einfach mal etwas anderes und auch etwas besonderes, wenn man in unmittelbarer
Nachbarschaft eine Menge Vermeers oder Rembrandts sehen kann. Da muss man dann
schon ein wenig drauf eingehen.
Oberflächlich gesehen könnte man meinen, dass ein Thema, wie du es in Basel bearbeitest – die künstlich geschaffene „Formate“ von unterschiedlichsten Erholungsangeboten und damit verbunden eine Art der standardisierten Form der Erholung – vielleicht in Wolfsburg, als einer von den Nazis künstlich geschaffenen Stadt, viel besser zum Tragen kommen könnte.
Das wäre mir zu
einfach. Die Analogie zwischen Vergangenheit und Gegenwart einer Stadt wie
Wolfsburg, so zu denken, als dass man sich umschaut, was in der gleichen
„Geburtsstunde“ passiert ist, das interessiert mich weniger. Wenn
man dann aber zu totalitären Strukturen der Erholung heute kommt,
wäre das jedoch zweifelsohne ein interessanter Aspekt. Die Arbeit in Basel
ist dort ja auch noch nicht „fertig“, das heißt, ich werde
weiter daran arbeiten. In Wolfsburg gibt es zum Beispiel sehr gute Gründe
dieser eben beschriebenen Analogie absichtlich aus dem Weg zu gehen und diese
„Trefferfläche“ gar nicht zuzulassen, sondern stattdessen ganz
präzise zu fragen, was es denn mit der „Autostadt“ auf sich hat
und in diesem Zusammenhang über Naherholungsgebiete in und um Wolfsburg
nachzudenken.
Heißt dass, du
arbeitest einer inhaltlichen Vorhersehbarkeit bewusst entgegen?
Sicher, denn die Gefahr
bestünde, dass die Besucher sich sehr schnell verschließen.
Wahrscheinlich haben sie alle ihre Bücher über die Geschichte
Wolfsburgs zu Hause. Hitler hatte ja auf der Landkarte zwei Linien gezogen und
dort, wo sich diese Linien gekreuzt haben, dem Zentrum des deutschen Reichs
eben die „Stadt des Kraft durch Freude-Wagens“ errichtet. Diese
Geschichte interessiert mich für die Ausstellung in Wolfsburg nicht so
sehr. Viel interessanter finde ich den Gedanken, dass ich vielleicht in Basel
eine Zeichnung über dortige Naherholungsgebiete mache und dass diese sich
dann wunderbar auch für Wolfsburg eignet. Das spannende ist ja, dass die
Naherholungsgebiete auf der ganzen Welt sich immer mehr gleichen. Man erholt
sich in der Nähe von den gleichen Kaufhausketten...
...stellenweise haben ja die Shopping-Malls auf der grünen Wiese schon selbst Erholungscharakter, als Erlebnisshopping mit Hotelanschluss ...
Ganz genau. Ich war
kürzlich in Oberhausen, in Europas größter Shopping-Mall, dass
sie „auf der grünen Wiese“ erbaut haben. Das ganze nennt sich
„Centro. Neue Mitte Oberhausens“, d.h. das originäre historische
Stadtzentrum Oberhausens wurde begrifflich total entwertet. Man kommt aus dem
Bahnhof und alle Busse und S-Bahnen gehen Richtung „Centro“, dass
nicht das wirkliche Zentrum ist, obgleich es der Name suggeriert. Alles wurde
dort neu gebaut, bis auf den Aussichtsturm, der sich in einem alten
Bergbaumeiler befindet. Das muss man erst mal kommentarlos so akzeptieren.
Städteplanerisch ist das schon ganz gut gemacht. Es ist auf die
Bedürfnisse der Menschen zugeschnitten, keiner wird leiden. Du kannst dir
vorstellen, dass dort ein wunderbares „Mental Map“ entstanden ist.
Schöner geht es nicht: „Vom Zentrum raus in Centro“. Das
Problem entsteht ja nicht dort, sondern in anderen, kleineren Städten, wo
sie an den Stadtrand diverse Shopping-Malls gebaut haben und die zum Teil immer
leerer werden.
Hochinteressant ist diesbezüglich ja die Situation in Leipzig. Hier wurden nach der Wende in alle Himmelsrichtungen Shopping-Malls an den Stadtrand gebaut, weil die Innenstadt eben für ein solches Einkaufs- und Erlebnisangebot keinen Platz bot. Die Innenstadt verkümmerte als Einkaufsort, Samstag morgens herrschte hier gähnende Leere. Erst durch die kongeniale Umgestaltung des riesigen Leipziger Hauptbahnhofs mit einem unterirdischen zweistöckigen Einkaufszentrum hat sich das wieder verlagert. Hierdurch bekam die Innenstadt infrastrukurell einen wahnsinnigen Push, eine städteplanerische Meisterleistung. Der Nachteil ist, dass bis auf ein, zwei große Shopping Center am Stadtrand, die kleineren relativ leer sind und es gibt ja nichts deprimierenderes als eine halbleere Mall. Kurzum: hier hat sich auf wundersame Weise eine Dezentralisierungstendenz in ihr Gegenteil verwandelt.
In einem solchen Moment kann
ich es dann durchaus auch akzeptieren, dass der Bahnhof nicht mehr der
klassische Bahnhof ist, sondern eher eine Shopping-Mall mit Verkehrsanbindung
oder Zusteigemöglichkeit. Es gibt aber schon auch andere Beispiele, wo das
nicht so gut geglückt ist. Beispielsweise der Ostbahnhof hier in Berlin.
Dort sind alle Flächen an Shops vermietet und man steht grundsätzlich
in einer riesigen Schlange, wenn man sich eine Fahrkarte kaufen möchte,
weil sie zugunsten der Shops dann eben zu wenig Ticket-Schalter haben. Der
Fahrkartenverkauf ist zur Nebensache geworden. Und symptomatisch dafür ist
auch, dass man keine Anzeigetafel sieht, wenn man in den Bahnhof rein kommt.
Im Grunde genommen ist das aber auch ein globales Phänomen. In Japan ist das noch viel schlimmer. Die Bahnhöfe sind da tatsächlich fast nebensächlich. Der Reisende ist nunmehr nur noch potentieller Kunde.
Wenn ich jetzt einen Bahnhof
malen müsste – nach 200 Jahren Bahnhof-Ikonographie, bei den
Impressionisten angefangen bis zu De Chirico – ich glaube, ich
würde meine mit meinen Studien bei Kaiser’s Drugstore beginnen.
Dieses
Gespräch wurde in gekürzter Fassung in niederländischer Sprache in: Metropolis
M. Tijdschrift over hedendaagse kunst, No. 1, Jan-März 2002, veröffentlicht.
© 2002
Jan Winkelmann